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Archiv "Aus der „Schule“" (24.06.1991)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Sie sind davon überzeugt, daß Auf- klärungsarbeit nach wie vor notwen- dig ist. Daß Jugendliche heutzutage angeblich „alles" zum Thema Sexua- lität wissen, daß eine Aufklärungs- schrift nicht mehr bebildert sein muß, wie es die Gegner der „Lie- be . . ."-Broschüre schrieben — dar- über können sie nach jahrelanger praktischer Arbeit nur den Kopf schütteln.

„Die Diskrepanz zwischen wirk- lichem und vorgegebenem Wissen ist bei Jugendlichen sehr groß", berich- tet eine der Mitarbeiterinnen. „Das Tragische ist: Je älter sie werden, desto größer wird für Jugendliche der Druck, so zu tun, als ob sie alles Mögliche wissen. Bestimmte Fragen werden gar nicht mehr gestellt — weil man so verraten würde, daß man kei- ne Ahnung hat und auch keine Er- fahrung".

Letzte Hürde:

Copyrights und Medienliste In einer Hinsicht sind sich Bro- schüre und Arbeitsmaterial gleich:

Fragt man Dr. Günter Kolz im Fami- lienministerium nach den Dortmun- der Materialien, so erhält man die- selbe Antwort wie auf die Frage nach der „Liebe. . . "-Broschüre: Sie wür- den noch in diesem Sommer erschei- nen. Die Schuld für die Nicht-Ver- öffentlichung gibt er den Autoren:

Es fehle eine Literaturanalyse; au- ßerdem seien die Copyrights für Ka- rikaturen, Fotos etc. noch nicht ein- geholt worden.

Tatsache ist nach Darstellung ei- ner Mitarbeiterin der Dortmunder Projektgruppe: Eine sogenannte Me- dienliste, das heißt eine Zusammen- stellung der für das Thema relevan- ten Filme, Bücher und Toncassetten, wurde nachgereicht. Allerdings wie- sen die Wissenschaftler darauf hin, daß sie stets aktualisiert werden müsse. Für die Einholung der Copy- rights war ebenfalls Zeit eingeplant.

Zudem stammt ein Großteil der ver- wendeten Fotos aus einem Begleit- projekt „Bei Liebe klickt's." Die Copyrights könnten hierzu von heute auf morgen eingeholt werden — sie liegen nämlich bei den Dortmun-

dern. ❑

Günter Burkart

Aus der „Schule"

Meine Gattin übertreibt, wenn sie sagt: „Dein Chef ist Dir wohl wichtiger als ich." Aber gerade in der schreibenden Zunft kommt dem Chefredakteur wirklich ein wichtiger persönlicher Einfluß zu. Ein guter Chefredakteur ist für seine Mitstrei- ter so etwas wie bei den Medizinern der sprichwörtliche Professor, von dem man später einmal zu Kollegen sagen wird, man käme „aus seiner Schule". Das ist eine der mancherlei Parallelen von Medizin und Jour- naille.

Und nun geht er also von Bord, in den „wohlverdienten" Ruhestand, wie man so sagt; trotz seiner mehr als 30 Dienstjahre kaum glaublich; und nachdem man mehr als die Hälfte dieser Zeit mit ihm zusammen gewe- sen ist, schier unvorstellbar. Eine Zä- sur also auch in meinem beruflichen und persönlichen Leben. Man wird viel verlieren — man hat viel gewon- nen. Verarmung und Bereicherung liegen hier dicht beieinander. Nun gut: Man erlebt das nicht zum ersten Mal. Bisher allerdings war immer ich derjenige, der von Bord ging. Man hat schon öfter ein Stück Berufsle- ben irgendwo zurückgelassen und gleichzeitig aus einer solchen „Schu- le" etwas mitgenommen (was übri- gens hoffentlich immer auch dem nächsten Chef ein bißchen zugute gekommen ist).

M

ein erster journalistischer Chef vor 35 Jahren war — und gegen diese Charakterisierung würde er nicht protestieren! — ein cholerischer Genauigkeitsfanatiker, der uns nach jedem Fehler mit hochrotem Kopf

klarmachte, daß jene Panne in der Zeitschrift nun „bis ans Ende der Welt in allen Bibliotheken zu besich- tigen" sein würde. Eine harte Schule.

Dazu kam eine bewundernswerte Stilsicherheit, die mit einer Art Sprachdiktatur vergesellschaftet war.

Sie wurde ausgeübt auf einem riesi- gen, mit Papierstapeln bepflasterten Schreibtisch, auf dem vor dem Bauch des Chefs eine Fläche im Format

DIN A4 freizubleiben hatte; darauf schrieb er seine Artikel (mit der Hand!). Er verlangte, jeder müsse so gut schreiben können wie er, und das ließ sich sogar testen: Redaktions- eigene Buchrezensionen verfaßten wir unter einem gemeinsamen Pseu- donym, und wenn nach zwei Jahren die Neuauflage zu besprechen war, mußten wir manchmal die alten Ma- nuskripte herauskramen, um festzu- stellen, wer die erste Rezension ge- schrieben hatte — so einheitlich war der Stil. In gewisser Weise war er al- so eher Literat denn Journalist, etwa in dem Sinne, in dem der englische Publizist Cyril Connolly den Unter- schied definiert hat: „Literatur ist die Kunst, etwas zu schreiben, was zwei- mal gelesen wird. Die Kunst des Jour- nalisten besteht daraus, etwas zu schreiben, was man sofort versteht."

w

omit schon angedeutet ist, daß mein erster Chefredakteur auch ein großer Zyniker war. Viel zi- tiert in der Redaktion wurde sein häufiger Ausspruch: „Ich sehe schon

— die nächste Ausgabe erscheint wie- der mal nie!" — ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß die nächste Ausgabe immer erschien, und auch immer pünktlich. Ich begriff schon da- mals, daß Zynismus ein Charakteristi- kum aller wahren Journalisten ist, ja als Selbstschutz geradezu notwendig ist, um sich vor dem Vereinnahmt- Werden, aber auch vor eigener Über- heblichkeit zu bewahren. Presse näm- lich (oder, wie man heute sagt: die Me- dien) das heißt auch: Macht (der be- rühmte Vergleich mit der Hure:

Macht ohne Verantwortung) — aber doch wiederum nicht so viel Macht, wie manche Journalisten sich einbil- den. Vor zu viel Zynismus sollte man sich in diesem Beruf allerdings auch hüten, wenn man H. G. Wells folgen will, der den Zynismus definiert hat als „Humor im Krankenstand".

Auch mein nächster Chef war mit Leib und Seele ein Zyniker und also — aber natürlich nicht nur des- wegen — ein guter Journalist. Er war sozusagen ein positiverer Zyniker;

ihm entsprach eher die Definition von G. K. Chesterton: „Journalismus besteht weitgehend daraus, die Nachricht vom Tode des Lord Jones solchen Leuten mitzuteilen, die gar A-2254 (44) Dt. Ärztebi. 88, Heft 25/26, 24. Juni 1991

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nicht gewußt haben, daß es über- haupt einen Lord Jones gibt."

Er hatte vor allem auch ein tie- fes Mißtrauen gegenüber allen Ideo- logen, und das war wichtig, weil wir uns in dem „elektronischen Medi- um", in dem wir tätig waren (früher hieß das mal Rundfunk), viel mit po- litischen Ideologien beschäftigen mußten. Sein Großvater war Parla- mentsabgeordneter der gleichen Partei gewesen wie Lloyd George, von dem die Aussage überliefert ist:

„Doktrinäre sind wie Aasgeier. Sie ernähren sich von den Kadavern der Grundsätze."

Ich war unter anderem der

„Ghost Writer" dieses Chefs. Daraus entsteht ein besonders eigenartiges menschliches Verhältnis: Man beob- achtet den Chef unablässig: man denkt sich in ihn hinein; man ver- sucht, ihn ganz und gar zu verstehen;

und das kann ihm nicht immer ange- nehm sein. Zeitweilig wurde daraus eine Art Katz- und Maus-Spiel. Aber wir rauften uns immer wieder zusam- men, sieben oder acht Jahre lang, und das übrigens in zwei Sprachen:

er war ein — allerdings gut Deutsch sprechender — Engländer, und ich mußte ihm also Woche für Woche ei- ne Sendung so schreiben, wie sie ein gut Deutsch sprechender Engländer schreiben würde.

Auch das war eine harte sprach- liche „Schule". Hatte ich einmal eine zu komplizierte grammatische Kon- struktion eingebaut, dann pflegte er die Tonband-Aufnahme zu „schmei- ßen", in dem er den jeweiligen Satz nur noch beendete mit „könnte wol- len gehabt würde hatten — why the hell can't you Germans write a simple sentence?", und dann zerlegten wir gemeinsam erst einmal den langen deutschen Satz in für ihn mundge- rechte Stücke.

C eine Witwe hat mir später ge- k.) schrieben: „One thing is certain:

he was not a hypocrite!" Das stimmt

— und es gilt auch für Ernst Roemer, dessen Von-Bord-Gehen ich nun er- lebe. Heuchelei ist ihm zutiefst zuwi- der; er wird Somerset Maughams hübsche Definition der Heuchelei voll und ganz unterschreiben (der übrigens ein Medizinstudium absol- vierte). Und auch er wieder: ein Zy-

niker; dazu von einem gesunden Mißtrauen gegen alle beseelt, die da Macht haben (oder: zu haben glau- ben) — eine wichtige Eigenschaft der- jenigen, und dazu gehören auch Journalisten, von denen das Wohl oder Wehe eines demokratischen Gemeinwesens abhängt. „Macht kor- rumpiert; absolute Macht korrum- piert absolut" — diese bekannte Er- kenntnis ist auch für Ernst Roemer ein wichtiger Bestandteil seiner poli- tischen Lebenserfahrung. Als Intel- lektueller wird er aber auch die von dem amerikanischen Politiker Adlai Stevenson formulierte wortspieleri- sche Umkehrung akzeptieren:

„Macht korrumpiert; aber das Feh- len von Macht korrumpiert absolut."

Ebenso würde er Stevensons feuilletonistische Definition für nicht unrealistisch halten: „Ein Redakteur ist derjenige, der die Spreu vom Wei- zen sondert und dafür sorgt, daß die Spreu gedruckt wird." Ähnliches ist übrigens einmal geschrieben worden über einen früheren Chefredakteur der angesehenen Zeitschrift „Lan- cet", Theodore Fortescue Fox:

„Wenn er die im Laufe der Woche entstandenen zwei Stapel betrachte- te — ,Zur Veröffentlichung' und ,Zur Ablehnung' —, dann fragte er sich

manchmal, ob es für die Zeitschrift und für die Leser auch nur den ge- ringsten Unterschied machen würde, sollte er die beiden Haufen einmal miteinander vertauschen."

n dieser Stelle soll den Lesern .des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES noch etwas Wichtiges aufgezeigt werden, das der Chefre- dakteur ihres Blattes für sie tut. Wie es ein früherer Chefredakteur des

„British Medical Journal" ausdrückt hat: „Ein Medizinjournalist hat das Gewissen eines Berufes zu schützen;

aber wenn er sich für dieses Ideal einsetzt, wird er immer irgendwo Anstoß erregen." So hat sich in der Redaktion eines Ärzteblattes der po- litische Journalist auch manchmal mit Wissenschaftlern auseinanderzu- setzen. Und da folgt Ernst Roemer gelegentlich, wenn es denn einmal sein muß, dem auf den ersten Blick überraschenden, auf den zweiten Blick aber ehrenvollen Ausspruch des amerikanischen Journalisten Henry Louis Mencken (ebenfalls ein großer Zyniker): „Naturwissenschaft ist im Grunde anti-intellektuell. Sie mißtraut immer der reinen Vernunft und verlangt, daß objektive Fakten vorgelegt werden." Literature is the art of writing something that will be read twice; jour- nalism what will be grasped at once Cyril Connolly Cynicism is humour in ill-health. H. G. Wells Journalism largely consists in saying "Lord Jones Dead" to people who never knew Lord Jones was alive. G. K Chesterton Doctrinaires are the vultures of principle. They feed upon principle after it is dead. Earl of Dwyfor (David Lloyd George) Hypocrisy is the most difficult and nerve-racking vice that any man can pursue; it needs an unceasing vigilance and a rare detachment of spirit. It

cannot, like adultery or gluttony, be practised at spare moments; it is a who- letime job. William Somerset Maugham

Power corrupts, but lack of power corrupts absolutely.

Adlai Stevenson A Medical editor has to be a keeper of the conscience of a profession;

if he tries to live up to this ideal he will be always getting into trouble.

Hugh Clegg Science, at bottom, is really anti-intellectual. lt always distrusts pure reason, and demands the production of objective fact. H. L. Mencken

Dt. Ärztebl. 88, Heft 25/26, 24. Juni 1991 (47) A-2257

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