„Wahr, aufrichtig und ein- fach“ wollte Tschaikowsky in seinem „Eugen Onegin“ die
„Stimmungen und Bilder durch Musik zum Ausdruck bringen“. Die Reihung „lyri- scher Szenen“ aus Puschkins Lang-Poem über die Liebes- und Lebensnöte des urbanen Dandys Jewgenij (Eugen) und des schwärmerischen Guts- fräuleins Tatjana hat Haus- herr Götz Friedrich bewogen, das Opus des „russischen Beethoven“ zum 35. Geburts- tag seiner Deutschen Oper aufs Programm zu setzen.
In keinem anderen Werk des Musiktheaters ragen die Biographica des Textdichters und Tonsetzers so direkt mit- ten ins Bühnengeschehen hin- ein: Puschkins Duelltod, Tschaikowskys Brief-Liaison und nachfolgende kurze
„Ehequal“ mit der jungen Miljukowa. Hat Puschkin in Tschaikowskys Seele das
„Feuer der Inspiration ent- zündet“, so ist der Maestro am Berliner Pult, der Tscheche Ji∨ri Kout, der richtige Vermitt- ler, um dieses Feuer ins Publi- kum weiterzureichen. Mit ei- ner selten gehörten unpatheti- schen Konzentration blättert er Seite um Seite dieser slawi- schen Bürger-Oper auf: jedes düster-deutende Morendo der Celli, jedes amouröse Credo der Holzbläser, jeder westim- portierte Tanz im Saal des Gutshauses wird zum an- rührenden moment musical.
Mit sicherer Hand führt Götz Friedrich sein Team durch die „Phantasmagorien der Gefährdung“: bei ihm sind dies die stimmschönen Schwestern Tatjana und Olga (Eva Johansson, Elena Zhid- kova), die Freund-Feinde Jewgenij und Lenskij (Lucio Gallo, Laurence Dale) und der ältere Gremin (Anatoli Kotscherga), vor allem schön- gewandete Puppen in einer
leeren Bühnenwelt voller westimportierter Anleihen.
Alle Requisiten auf der über- hohen Bühne suggerieren Größenwahn: der Keramik- Schornstein des Kachelofens, die hochhängenden Früchte- girlanden der Gartenszene, die prunkprotzende Tausend- Kerzen-Wand, welche leicht das ganze Nobelgebäude ent- zünden könnte. Am Ende laute Bravos, kein einziges Buh, für die Renaissance russe von 1996. Bernd Juds
75 Jahre
Donaueschinger Musiktage
In Donaueschingen fan- den 1921 die ersten „Kam- mermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“ statt. Das erste Festival für Neue Musik war geboren. Schnell machte sich die Veranstaltung einen welt- weit angesehenen Namen, nicht zuletzt durch die Mit- wirkung des Komponisten Paul Hindemith. Nach 1950 –
durch die Zusammenarbeit mit dem Südwestfunk Baden- Baden – erlebte das Festival seine Blütezeit: Komponisten wie Pierre Boulez oder Karl- heinz Stockhausen verliehen den Musiktagen Glanz. Zum 75. Jubiläum erschien am 18.
Oktober 1996 eine Sonder- marke. Hansa-Press
A-117 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 3, 17. Januar 1997 (49)
V A R I A FEUILLETON