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Archiv "„Der allzu starken staatlichen Einmischung entgegenwirken”: Ministerpräsident Dr. Röder bei der Eröffnungsveranstaltung des 80. Deutschen Ärztetages am 10. Mai 1977 in Saarbrücken" (19.05.1977)

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Academic year: 2022

Aktie "Archiv "„Der allzu starken staatlichen Einmischung entgegenwirken”: Ministerpräsident Dr. Röder bei der Eröffnungsveranstaltung des 80. Deutschen Ärztetages am 10. Mai 1977 in Saarbrücken" (19.05.1977)"

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Die Information:

Bericht und Meinung 80. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Dr. Herbert Micka, Präsident der gastgebenden Ärztekammer des Saarlandes, eröffnete am 10. Mai die Öffentliche Veranstaltung des 80.

Deutschen Arztetages und damit den Ärztetag selbst. In der vollbe- setzten Kongreßhalle begrüßte Dr.

Micka unter anderen die Bundes- tagsabgeordneten Frau Dr. med.

dent. Hanna Neumeister, Dr. med.

Karl Becker (CDU), Dr. Hans Bar- dens (SPD), und Hansheinrich Schmidt (FDP), den Ministerpräsi- denten des Saarlandes, Dr. Franz Josef Röder, Gesundheitsminister Frau Dr. med. Rosemarie Scheurlen und Finanzminister Behles, ferner Gäste aus 15 ost- und westeuropäi- schen Ländern und den USA sowie Träger der Paracelsusmedaille der deutschen Ärzteschaft.

Mit besonderem Beifall antwortete die Versammlung auf ein besonde- res Grußwort Dr. Mickas für den Prä- sidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Sewering. Micka forderte die Teilnehmer des Ärztetages dazu auf, dafür besorgt zu sein, daß die Themen des Ärztetages sachlich dis- kutiert werden können und sie nicht überschattet werden zu lassen „von vordergründigen Personaldebatten, die uns in den letzten Wochen und Monaten in geradezu unerfreulicher Art und Weise aufgezwungen wor- den sind."

Ansprache

des Ministerpräsidenten

Ministerpräsident Dr. Franz Josef Röder gab seinen Grußworten in ei- ner fast ungewöhnlichen Weise ge- wichtigen politischen Inhalt:

„Der 80. Deutsche Ärztetag findet in einer Zeit statt, in der das gesamte Gesundheitswesen in seiner heuti- gen Form in Frage gestellt zu sein scheint. Von daher finden Ihre Bera- tungen ein erhöhtes Interesse, nicht nur bei den Betroffenen selbst, son- dern darüber hinaus auch bei denen, die sich anschicken, eine Ko- stendämpfung bei allen medizini- schen Aufwendungen herbeizufüh- ren. Ich kann mir vorstellen, daß Sie auch von mir eine Stellungnahme der saarländischen Landesregie- rung zu den strittigen Fragen dieses Gesetzgebungsverfahrens erwarten.

Wie ich bereits in der Öffentlichkeit angedeutet habe, bemüht sich meine Regierung um eine Vermitt- lung zwischen den entgegenstehen- den Auffassungen mit dem Ziel, Lö- sungen herbeizuführen, die den ge- sellschaftspolitischen Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaates ent- sprechen, der es als seine vornehm- ste Aufgabe ansieht, zur Verselb- ständigung des Menschen und zur freien Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit beizutragen. Damit wirken wir zugleich einer schlei- chenden Entmündigung durch eine allzu starke staatliche Einmischung entgegen.

In meiner jüngsten Regierungserklä- rung vom 28. März 1977 habe ich für die beiden saarländischen Koali- tionsparteien wörtlich erklärt, daß unsere gemeinsame Zielsetzung ebenso mit dem Begriff der Subsi- diarität bestimmt werden kann wie mit der liberalen Entscheidung der Eigenverantwortlichkeit des einzel- nen, was gleichermaßen auch die selbstverständliche Solidarität ge-

genüber den wirklich Schwachen und Hilfsbedürftigen einschließt. Wir dürfen aber nicht hinnehmen, daß der Ruf nach der Hilfe des Staates so selbstverständlich wird, daß andere Solidargemeinschaften mehr und mehr übersehen werden und schließlich verkümmern. In diesem Sinne habe ich Max Frisch zitiert mit seinen Worten: ,Je mündiger wir wä- ren, um so weniger Staat wäre von- nöten; schon das macht den Staat zum Ärgernis, seine Notwendigkeit verweist auf unseren Mangel an So- lidarität.' Das ist unsere grundsätz- liche Position, aus der Sie dann un- sere Stellungnahme zu Einzelfragen jeweils ableiten können.

Ein Beispiel der Gemeinsamkeit Sie befinden sich hier in einem Land, das bemüht ist, die Schäden zu heilen, die ihm in einer leidvollen Geschichte blutiger Auseinander- setzungen zwischen Deutschen und

Franzosen zugefügt worden sind.

Die politische Wiedervereinigung des Saarlandes mit Deutschland konnte bereits vor 20 Jahren als Er- gebnis einer freien Volksabstim- mung und des gewachsenen Ver- trauens zwischen Deutschland und Frankreich erfolgen. Vieles ist inzwi- schen in diesem äußersten Südwe- sten unseres Vaterlandes gesche- hen, das Anerkennung gefunden hat. Unser Land ist zu einer bevor- zugten Stätte freundschaftlicher Be- gegnung zwischen Deutschen und Franzosen geworden. Viele Einrich- tungen im kulturellen und wirt- schaftlichen Bereich sind Ausdruck dieser engen Zusammenarbeit. Wir Saarländer wissen, daß die endgülti- ge deutsch-französische Aussöh- nung zugleich die Voraussetzung für eine Einigung Europas ist, die zustande kommen muß, wenn wir in den zu erwartenden weltweiten Aus- einandersetzungen überleben wollen.

Ich darf meiner Freude darüber Aus- druck geben, daß Sie den 80. Deut- schen Ärztetag im Saarland abhal- ten. Die Anwesenheit so vieler Per- sönlichkeiten aus dem gesamten Bundesgebiet wird sicher dazu bei-

„Der allzu starken staatlichen Einmischung entgegenwirken”

Ministerpräsident Dr. Röder bei der Eröffnungsveranstaltung des 80. Deutschen Ärztetages am 10. Mai 1977 in Saarbrücken

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 20 vom 19. Mai 1977 1323

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Die Information:

Bericht und Meinung 80. Deutscher Ärztetag

tragen, Verständnis für dieses Land und seine Menschen zu wecken, und vieles, was in seinem Erschei- nungsbild gelegentlich zu se.inen Ungunsten verzeichnet wird, richtig- stellen können.

..,.. Wir an der Saar haben lernen müssen, innere Gegensätze zu über- winden und zusammenzustehen, um unsere begründeten Anliegen mit Erfolg nach außen zu vertreten. Auch Sie begegnen in Ihrer gegen- wärtigen Arbeit großen Schwierig- keiten. Möge der Genius loci, von dem ich eben gesprochen habe, Ih- nen bei Ihren Beratungen behilflich sein."

Verleihung

der Paracelsus-Medaille

Auf diese mehrfach von Beifall un- terbrochene Begrüßung folgte der akademische Teil der Eröffnungs- veranstaltung: Der Präsident des Deutschen Ärztetages, Prof. Dr. Se- wering, überreichte die Paracelsus- Medaille an Frau Dr. med. Elisabeth Alletag-Held, Prof. Dr. med. Rein- hard Aschenbrenner und Dr. med. Günther Haenisch. Prof. Sewering verlas die Texte der Verleihungsur- kunden, wie sie auf den Seiten 1334 und 1335 dieses Heftes veröffent- licht sind.

Für die Ausgezeichneten sprach Prof. Aschenbrenner Worte des Dankes: Kennzeichen des ärztlichen Standes sei die Verbindung durch kollegiale Hilfsbereitschaft, wie sie jeder im Lauf seines Berufslebens erfahren habe. Aschenbrenner nannte dazu insbesondere seine Er- fahrung aus der Zusammenarbeit in der Arzneimittelkommission - einer Einrichtung der kollegialen Hilfe der Ärzte für die Ärzte zum Nutzen und zum Schutze der Patienten. Er er- wähnte als Vorbilder der Hilfsbereit- schaft drei Träger der Paracelsus- Medaille: seine beiden Vorgänger in der Arzneimittelkommission, Heuber und Koll, sowie Gurt Emmrich alias Peter Bamm. - Gerade der Arzt- Schriftsteller habe gezeigt, wie der Auftrag des Arztes, zu helfen, zum Zeichen der Menschlichkeit wird.

Die Verleihung der Paracelsus-Me-

daille wertete Prof. Aschenbrenner als ein Symbol der Zusammengehö- rigkeit, die die Ärzteschaft sich er- halten solle.

Festvortrag: "Psychiatrie- Wissenschaft und Praxis"

Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Gu- stav Schimmelpenning, Direktor der Universitätsnervenklinik in Kiel. Die heutige Psychiatrie stehe zwischen einer hochtechnisierten, rein natur- wissenschaftlich orientierten Medi- zin und den modernen Gesell- schaftswissenschaften. Damit seien Spannungen gegeben, die für den Fortbestand des Faches um so be- drohlicher seien, als die praktischen Einrichtungen der Psychiatrie seit Generationen vernachlässigt wur- den und rückständig geblieben seien. Den Standort der heutigen Psychiatrie stellte Schimmelpenning vor ihrem historischen Hintergrund dar.

Das Bild des psychisch Kranken in der Öffentlichkeit werde bis heute durch die moralisierend-theologi- sche Betrachtung in der Frühzeit der Psychiatrie zu Beginn des 19. Jahr- hunderts beeinflußt. Damals habe man zu erkennen geglaubt, daß die

"Seelenstörungen" vom Lebenslauf

des Menschen abhängig seien. Sie wurden so auch zu einer Folge sün- digen Verhaltens, zu einem Ausfluß persönlicher Schuld. Ebenso einsei- tig habe die Psychiatrie der Jahr- hundertwende in "Geisteskrankhei- ten" nichts als organische Hirn- krankheiten gesehen. Erst eine mehrdimensionale Diagnostik habe psychologisches Verstehen mit bio- logischer Forschung zu verbinden und den Einfluß körperlicher und seelischer Elemente im Aufbau und Ablauf seelischer Störungen zu er- fassen gesucht. Nicht gelungen sei es jedoch, diese Erkenntnisse in die breite Praxis umzusetzen und somit die psychologische und soziale Hälfte der Psychiatrie zu verwirkli- chen. So geschehe es nun heute, daß die .,Gehirnmythologie" frühe- rer Jahrzehnte von einefr nicht min- der einäugigen "Sozialmythologie"

abgelöst werde.

1324 Heft 20 vom 19. Mai 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Daß die Psychiatrie heute in Gefahr stehe, zerteilt zu werden und in wei- ten Bereichen den Anschluß an die Medizin zu verlieren, liege daran, daß sie eigentlich nie wirklich in die Medizin eingebaut wurde. Mit 100 000 Betten habe die Psychiatrie einen fast ebenso ausgedehnten stationären Versorgungsbereich wie die innere Medizin oder die Chirur- gie. Die psychiatrischen Betten je- doch stehen nicht im Allgemein- krankenhaus, sondern zumeist in ländlich abgelegenen Anstalten. Die Einrichtung psychiatrischer Abtei- lungen in den Allgemeinkranken- häusern diene deshalb nicht nur der Verbesserung der Möglichkeiten stationärer Behandlung, sondern sie sei vor allem deshalb notwendig, um die Integration der Psychiatrie in die Medizin zu erreichen.

Psychotherapie in der gesamten Medizin

Der psychotherapeutische Auftrag der Medizin könne, so sagte Prof.

Schimmelpenning abschließend, nicht nur von einem Spezialfach al- lein erfüllt werden, sondern müsse Anliegen jedes praktisch tätigen Arztes sein. Erst in einer Medizin, in der das Psychische in Diagnostik und Therapie ebenso selbstver- ständlich würde wie die Bedienung der Technik, hätte die Psychiatrie ei- nen gesicherten Platz. ln der Psy- chotherapie begegne die Medizin anderen, nichtärztlichen Institutio- nen. Auf diesem Gebiet seien die Grenzen zwischen gesund und . krank ebenso verschwommen wie diese Begriffe selbst; deswegen müßten Wege der gegenseitigen Er- gänzung und Zusammenarbeit ge- funden werden.

ln einem kurzen Schlußwort be- dankte sich Prof. Sewering für den Festvortrag, der ein hervorragender Aufklang für diese zentrale Thematik des 80. Deutschen Ärztetages gewe- sen sei. Prof. Sewering gab der Hoff- nung Ausdruck, daß es gelingen werde, dieses so wichtige Fach Psychiatrie freizuhalten von ideolo- qischen Einflüssen und Verzerrun-

gen. bt

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