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Archiv "Notfallbehandlung: Die Realität" (23.04.2010)

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A 760 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 16

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23. April 2010 (UEMS). Die UEMS ist eine nicht-

staatliche Organisation, die die Qualität und Ausbildungsstandards aufstellt, um die medizinische Ver- sorgung zu harmonisieren und die Mobilität von Ärzten innerhalb der Europäischen Union zu fördern . . . Das europäische Curriculum für Notfallmedizin wurde im April 2009 von der Generalversammlung des Rates der UEMS angenom- men . . .

Literatur bei den Verfassern Prof. Gunnar Öhlén, Präsident, Prof. Abdelouahab Bellou, President Elect, Dr. med. Nathalie Flacke,

European Society for Emergency Medicine EuSEM, F-68360 Soultz-Haut-Rhin

Nur schwer vorstellbar

Ich war erfreut festzustellen, dass die Fachvertreter unter Führung von Prof. Dr. Gries die Bedeutung der in- terdisziplinären Notaufnahme her- vorheben. Wie im Artikel richtig dar- gestellt, ist die Notaufnahme wahr- haftig interdisziplinär, da sie mit nichtdifferenzierten Symptomen- komplexen konfrontiert wird, die sich über alle medizinischen Fächer erstrecken. Dies muss sich auch in der Ausbildung des Notaufnahmeper- sonals widerspiegeln, sonst wird sie dem Anspruch des Patienten auf eine hochqualifizierte Notfallbehandlung nicht gerecht. Hierbei ist festzustel- len, dass die in dem Artikel darge- legte Minimalbesetzung, die einen Großteil der Krankenhäuser in Deutschland betrifft, wesentliche Gebiete der Notfallmedizin, wie etwa psychiatrische, toxikologische oder pädiatrische Notfälle, in ihren jewei- ligen Weiterbildungsverordnungen nicht oder nur unzureichend abdeckt.

Die im Artikel aufgeführte Progno- severbesserung bei früher Schlag- anfall- und Meningitistherapie als Argument gegen interdisziplinär ausgebildete Notfallmediziner sehe ich sehr kritisch. In der heutigen Struktur ist es eher vorstellbar, dass zusätzliche Konsile oder eine Tria- ge in den falschen Bereich diese entscheidende Zeit vergeuden. Hier hat sich am Beispiel der Sepsisthe- rapie gezeigt, dass Notfallmediziner die Mortalität durch zügige Dia - gnostik und Therapie wesentlich verringern konnten.

Ein Notfallpatient hat die berechtig- te Erwartung, dass Erkrankungen er- kannt werden, die die Gesundheit unmittelbar oder in absehbarer Zeit gefährden. Die Synkope ist ein Pa- radebeispiel, bei dem die Differenzi- aldiagnose von der Inneren Medizin und Chirurgie über die Gynäkologie und Neurologie reicht. Die notfall- medizinische Forschung hat hier Ansätze gezeigt, wie ein diagnos- tisch weites Spektrum ressourcen- schonend aufgearbeitet werden kann ohne das Patientenwohl zu gefähr- den. Eine derartige interdisziplinäre Forschung ist in der heutigen Struk- tur der Notfallmedizin in Deutsch- land nur schwer vorstellbar.

Literatur bei dem Verfasser

Dr. med. Tobias Kummer, Department of Emergency Medicine, Brown University, Providence (USA)

Generalisten unentbehrlich

. . . Interdisziplinäres Arbeiten in ei- ner Notaufnahme bedeutet nicht nur den kollegialen Austausch unterein - ander, sondern auch die Bereit- schaft, über das eigene „Weiterbil- dungsfach“ hinaus sich Patienten anderer Fachrichtung anzunehmen.

Und gerade hier ist der Notfallme- diziner gefragt, und das räumen ja die Autoren auch ein, wenn sie den Leiter von Notaufnahmen gerade dann zur Verantwortung ziehen, wenn es um nicht eindeutig einer Fachabteilung zuzuordnenden Er- krankung geht. Eben diese Patien- ten sind von allen Notfallpatienten am meisten gefährdet, da jede Fach- disziplin nur in ihrer eigenen spezi- fischen „Hülse“ denkt. Schon allein aus diesem Grund sind fachüber- greifend denkende Notfallmediziner als Generalisten in Notaufnahmen unentbehrlich.

Es ist nur allzu verständlich, dass sich die großen Fachgesellschaften zusammengetan haben, um gemein- sam ihre berufspolitische Macht zu demonstrieren. Dennoch lässt sich der allgemeine Trend zum breit aus- gebildeten Notfallmediziner nicht mehr aufhalten.

Die jetzigen Leiter von deutschen interdisziplinären Notaufnahmen und deren ärztliche Mitarbeiter sind

Pioniere, die mit viel Herzblut die Arbeit koordinieren, die bisher nur jungen Weiterbildungsassistenten überlassen worden ist. Kontinuierli- che fachärztliche Präsenz der gro- ßen Fächer hat es – und da sind wir doch mal ehrlich – bisher wohl kaum in den herkömmlichen Not- aufnahmen gegeben.

Dr. med. Katja Scholtes, Chefärztin Zentrale Not- aufnahme, Klinikum Hanau GmbH, 63450 Hanau

Die Realität

. . . In der „idealen ZNA“, welche von den Kollegen der verschiede- nen Fachgesellschaften beschrieben wird, arbeiten hochmotivierte Fach- ärzte aller Fachrichtungen Hand in Hand und harmonisch unter der Ägide eines einzelnen Facharztes eines für die Notfallmedizin rele- vanten Fachgebietes. Symptome werden problemlos zu einem Fach- gebiet zugeordnet (durch wen ei- gentlich?) und dort nach „Facharzt- standard“ versorgt. Begeisterte HNO-Fachärzte kümmern sich um die Rhinosinusitis und Gastroente- rologen um den Oberbauchschmerz.

Chirurgen erkennen im EKG die kardiogene Ursache der Synkope des betagten Patienten mit Rippen- serienfraktur sofort und verweisen weiter zum kardiologischen Kolle- gen der ZNA.

Und die Realität? Nach der Arbeit in mehreren Krankenhäusern der Grund- bis hin zur nichtuniversitä- ren Maximalversorgung sehen ich und meine dort tätigen ärztlichen Kollegen die Situation gänzlich an- ders. Für die meisten der operativ tätigen Kollegen, ebenso wie für viele Kollegen der nichtoperativen Disziplinen, ist die Ambulanzarbeit irgendwo zwischen notwendigem Übel und Strafmaßnahme angesie- delt, chirurgische Assistenten wollen operieren, internistische und neuro- logische Assistenten streben auf die Intensivstation oder in die Funktio- nen. Die Notaufnahmen, welche zum allergrößten Teil mit Nichtfach- ärzten besetzt sind (soviel zum The- ma „Facharztstandard“), werden so- mit aktuell nicht nur von Unerfahre- nen, sondern zum großen Teil auch von denen versorgt, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich lieber Kolosko-

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23. April 2010 A 761 pien, Appendektomien oder Neuro-

graphien durchführen würden . . . Die Schaffung eines Facharztes für Notfallmedizin ist unter den oben genannten medizinischen und wirt- schaftlichen Bedingungen unaus- weichlich . . . Bleibt die Blockade- politik der etablierten Gesellschaf- ten wie sie ist, werden junge moti- vierte Kollegen mit Interesse an der klinischen Notfallmedizin mit den Füssen abstimmen und ihren Kolle- gen folgen, die bereits aus finan- ziellen oder hierarchischen Grün- den ins Ausland abwandern, wenn ihnen im Inland keine entsprechen- de Perspektive angeboten wird . . .

Lars Lomberg, 40235 Düsseldorf

Unzureichend repräsentiert

Als Leiter einer großen Notaufnah- me in Bayern, die über 75 000 Pa- tienten pro Jahr versorgt, fühle ich mich von den Vertretern meiner Fachgesellschaften im obigen Kon- senspapier unzureichend repräsen- tiert und möchte einige Aspekte kommentieren:

1. Die klinische Erstversorgung von Notfallpatienten ist eine große Her - ausforderung, da Patienten mit un- geklärten Gesundheitsstörungen rasch und zielgerichtet diagnosti- ziert, zeitkritische Therapien begon- nen und betroffene Patienten einer optimalen, fachspezifischen Versor- gung zugeführt werden müssen. Die im Konsenspapier formulierte These wird – wie aktuell praktiziert – zu häufig wechselnden und wenig ko- operierenden Ärzteteams führen, die der Komplexität der Aufgaben nur unzureichend gewachsen sind. Ge- nannt sei der ältere Patient mit Ober- schenkelhalsfraktur, die auf einen Sturz bei orthostatischer Synkope im Rahmen einer Pneumonie zurückzu- führen ist, oder der Patient mit un- klarer Bewusstseinsstörung. Gegen- seitige Patientenzuverlegungen, mangelnde Abstimmungen zwischen den Disziplinen und eine fehlende Struktur in der Priorisierung der Pa- tientenversorgung werden durch die fachspezifische Sichtweise der Be- schwerden zu Redundanzen und Fehlentscheidungen führen. Da die Differenzialdiagnostik der genann-

ten komplexen Krankheitsbilder nicht in einer „Blickdiagnose“ erfol- gen kann, wird deutlich, dass medi- zinisch-fachliche Inhalte in der not- fallmedizinischen Akutdiagnostik gestärkt werden müssen und diese Tätigkeit nicht auf eine Management- funktion reduziert werden kann.

2. . . . Die Feststellung, dass die kli- nische Notfallversorgung im Aus- bildungsplan der Facharztdiszipli- nen enthalten ist, bedarf einer kriti- schen Nachfrage: In der Facharzt- ausbildung zum Anästhesisten sind keine diagnostischen oder stationä- ren Weiterbildungsinhalte enthalten, auch in den internistischen Fach- arztdisziplinen werden Pflichtzeiten in der Notaufnahme nicht mehr ge- fordert. Die klinische Notfallmedi- zin lässt sich jedoch nicht auf die Erhaltung von Vitalfunktionen bei Kreislaufinstabilität reduzieren.

3. Strukturelle Verbesserungen in der Akutversorgung von Notfallpa- tienten wie die Einführung einer

„Chest Pain Unit“ oder eines Schockraumkonzeptes sind unbe- stritten erfolgreich. Aber sind diese Konzepte nicht aus notfallmedizini- schen Konzepten angelsächsischer Strukturen übernommen, die gleich- zeitig im Konsenspapier kritisch hinterfragt werden? Deuten diese Erfolge nicht eher auf Defizite in der aktuellen, fachspezifischen Ver- sorgungsstruktur hin? . . .

Prof. Dr. Michael Christ, Klinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin, Klinikum Nürnberg, 90408 Nürnberg

Aus der Schweiz

Die Zahl der Länder in der Europä - ischen Union, welche über eine of- fizielle Weiterbildung (Facharztti- tel) in Notfallmedizin verfügen, nimmt stetig zu. Als größeres Land bleibt einzig Deutschland ganz oh- ne Weiterbildungstitel in klinischer Notfallmedizin.

Die Notfallchefärzte in der Schweiz sind deshalb vermehrt mit dem Pro- blem konfrontiert, dass gut ausge- bildete Notfallärzte als Leiter von Notfallstationen nach Deutschland berufen werden . . .

Aus dem Artikel von Prof. Gries et al. geht hervor, dass ein Qualitäts- verlust gefürchtet wird. Deshalb

wird gefordert, dass „die Patienten- behandlung direkt und ohne Verzug fachbezogen und nach Facharzt- standard erfolgen muss“. Dies mag kaum jemand bestreiten. Die Frage stellt sich viel eher, ob der einzige Weg dies sicherzustellen die Dele- gation von Assistenzärzten auf die Notaufnahme darstellt – oft ohne präsente Supervision durch einen Facharzt! Alternativen sind Stan- dards auf Facharztniveau, eine per- manente Präsenz von Fachärzten, die nicht anderweitig beschäftigt sind (in Operationssälen) und vor allem eine ausgezeichnete Weiter- bildung in guter, breiter allgemeiner Medizin, die verhindert, dass auf- grund fachlicher Lücken zwischen den Fächern, gewisse Patienten hin- und her triagiert werden.

Die zweite große Befürchtung scheint die Unmöglichkeit einer notfallmedizinischen Weiterbildung für Spezialisten zu sein, sobald Not- fallmediziner die Notaufnahmen betreiben . . . Auch hier stellt sich die Frage, ob die Delegation von Weiterzubildenden in die Notauf- nahme wirklich das einzige Modell ist, das existiert und Sinn macht.

Selbstverständlich ist in allen uns bekannten Gesundheitssystemen die Rotation von Anwärtern auf Fach- arzttitel wie Chirurgie und Innere Medizin in die Notaufnahme, wo sie unter Supervision von Notfall- medizinern und ihren eigenen Vor- gesetzten die Notfallmedizin erler- nen. Sie sollten anschließend in der Lage sein, kompetent die multidis- ziplinäre Koordination von Patien- ten, welche gleichzeitig eine Ver- sorgung durch mehrere Spezialisten benötigen, zu übernehmen. Schließ- lich sind auch Fachkenntnisse für das Management von außerordentli- chen Situationen, wie zum Beispiel im Rahmen von Massenunfällen bei Großereignissen von zunehmender Bedeutung. Bereits heute sind alle Chefärzte von Notaufnahmen in der Schweiz in regionale Katastrophen- organisationen eingebunden . . .

Prof. Dr. med. Roland Bingisser, Chefarzt der interdisziplinären Notfallstation, Universitätsspital, CH-4031 Basel

Prof. Dr. Francois Sarasin, Hôpital Universitaire Genève, CH-1211 Genf 14

Prof. Dr. Heinz Zimmermann, Chefarzt und Direk- tor des Notfallzentrums, Inselspital, CH-3010 Bern

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Referenzen

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