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as Klima ist gut: Die Probleme im deutschen Gesundheitswesen sind zwar noch nicht gelöst, aber die Eröffnungsveranstaltung zum 104.Deutschen Ärztetag am 22. Mai in Lud- wigshafen stimmte zuversichtlich, dass in naher Zukunft entscheidende Schrit- te in Richtung einvernehmlicher Lö- sungen unternommen werden. Viel- leicht sollte ja die einleitende Musik- darbietung des Rennquintetts ein ver- steckter Hinweis auf die
geeignete Vorgehensweise sein: Stilsicher in allen Tö- nen, sprengte es die For- men der klassischen Musik in überraschender Weise und erntete damit enthusia- stischen Beifall bei Dele- gierten und Gästen.
Ihr schönstes Gastge- schenk hatte die Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt bereits in der vor- letzten Woche ausgepackt, und ein freundlicher Emp- fang war ihr deshalb beim Deutschen Ärztetag gewiss.
Der Kollektivregress beim Arznei- und Heilmittelbud- get habe sich in der Praxis als untauglich erwiesen.
Deshalb sei eine Alternative
zur Steuerung der Ausgaben entwickelt worden, die es zukünftig der gemeinsa- men Selbstverwaltung durch Kas- senärztliche Vereinigungen und gesetzli- che Krankenkassen ermöglichen soll, flexibler als der Gesetzgeber auf die Be- dürfnisse der Patienten zu reagieren, oh- ne die Zielsetzung eines wirtschaftlichen Einsatzes aus den Augen zu verlieren.
Ulla Schmidt betonte den Modellcha- rakter dieser Regelung auch für andere Bereiche des Gesundheitswesens.
Der Präsident der Bundesärztekam- mer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hop-
pe, begrüßte den Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums, mit dessen Umsetzung die „völlig unsinnige Kollektivhaftung bei Budgetüberschrei- tung abgeschafft und durch arztindi- viduelle Orientierungsgrößen“ ersetzt würde. Unerlässlich zur Erfüllung von Zielvereinbarungen sei allerdings, dass die Krankenkassen rechtzeitige Infor- mationen zum aktuellen Stand der Arz- neimittelverordnungen liefern.
Auch zu der von den Kultusmini- stern der Länder seit langen Jah- ren blockierten Approbationsordnung brachte die Ministerin frohe Kunde.
Überrascht habe sie zur Kenntnis ge- nommen, wie lange die Angelegenheit bereits in den Gremien schlummert; sie versprach, sich mit allem Nachdruck für einen rasche Verabschiedung der Ap- probationsordnung einzusetzen. Aus diesem Grund habe sie für Anfang Juli zu einer Veranstaltung, an der auch Bundeskanzler Gerhard Schröder teil- nehmen werde, nach Berlin geladen.
Konziliant gab sich Ulla Schmidt auch in Bezug auf die Einführung der Diagnosis Related Groups (DRGs).
Die Befürchtungen über eine zu schnelle Einführung des neuen Ab- rechnungssystems suchte sie zu zer- streuen, indem sie den Ärzten eine Verlängerung der budgetneutralen Einführungsphase versprach. So sei ausreichend Zeit vorhanden, alles in der Praxis zu überprüfen.
Der Präsident der Bun- desärztekammer gab zu be- denken, dass durch die neu- en Abrechnungspauscha- len Fehlanreize geschaffen werden, die schwer kranke Patienten an den Rand der Versorgung drängen. „Die konsequente Ökonomisie- rung darf nicht völlig über den ursprünglich huma- nitären Gedanken der Krankenhäuser obsiegen“, führte Hoppe unter dem lebhaften Beifall der Zuhö- rer aus. Zudem sei es unab- dingbar, dass der tatsächli- che ärztliche Arbeitseinsatz und der sich unter Berück- sichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs ergebende Mehrbedarf in die Kalkulation der Diagnosis Related Groups einbezogen und nicht von den bestehenden Stellenplänen ausgegan- gen wird. Hoppe wies noch einmal dar- auf hin, dass die Arbeitsbedingungen in deutschen Krankenhäusern an parale- gale Zustände grenzen. Es sei ein Skan- dal, dass das Arbeitszeitgesetz nach wie vor häufig missachtet werde. Hier sei ein geeignetes Betätigungsfeld für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.
Allen Ärzten, die sich gegen solche un- verantwortlichen Missstände wenden und sie auch öffentlich anprangern, si- P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 21½½25. Mai 2001 AA1355
104. Deutscher Ärztetag
Hoffnung auf gemeinsame Lösungen
Ulla Schmidt verspricht, möglichst im Konsens mit allen Beteiligten die nötigen Reformen im Gesundheitswesen anzugehen. Ob der gute Wille auf die Dauer reicht, bleibt abzuwarten.
Der Dialog ist aufgenommen, offensichtlich erfolgreich: Bundesgesundheit- ministerin und Bundesärztekammerpräsident Jörg-D. Hoppe
cherte Hoppe die Unterstützung der Bundesärztekammer und der jeweiligen Landesärztekammer zu. Ulla Schmidt verwies auf das geltende Arbeitszeitge- setz, das eine gute Grundlage biete, die Arbeitszeit in den Krankenhäusern zum Wohle der Beschäftigten und der Pati- enten zu regeln. Gleichwohl gebe es im- mer noch viele Krankenhäuser, die die- se Bestimmungen ignorieren.
Unsolidarische Entwicklung der GKV-Beiträge
Nach Einschätzung von Hoppe könnte eine zu rasche Einführung der DRGs unter rein betriebswirtschaftlichen Zwängen äußerst schädliche Über- steuerungseffekte nach sich ziehen, so etwa den Zwang zur Orientierung an Minimalstandards, die Risikoselektion von Patienten, die Hemmung medizini- scher Innovation oder die ökonomische Strangulierung ärztlichen Handelns.
Hoppe betonte in seiner Eröffnungs- rede nachdrücklich, dass es die gesund- heitspolitischen Rahmenbedingungen kaum noch zuließen, die enormen Fort- schritte der diagnostischen und thera- peutischen Möglichkeiten in die norma- le medizinische Versorgung einfließen zu lassen. Vor dem Hintergrund der Lei- stungsfähigkeit der Medizin, der Alters- entwicklung, der Veränderung der Ein- kommensstrukturen und des entwickel- ten Anspruchsdenkens der Versicherten
sei es dringend erforderlich, sich grund- legende Gedanken über die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu machen. Wenn weiterhin der Solidargedanke die Grundlage der GKV sein soll, müsse die unsolidarische Ent- wicklung der Beiträge korrigiert wer- den. In Relation zu anderen Einkom- men sei der Anteil des Lohneinkom- mens in den letzten Jahren stark gesun- ken, sodass die ausschließliche Anbin- dung der Krankenversicherungsbeiträ- ge an die Lohneinkommen nicht mehr gerecht sei. Zudem betonte Hoppe die enorme Belastung der GKV durch ver- sicherungsfremde Leistungen.
Die Bundesgesundheitsministerin ver- sicherte, dass die Absicherung in der GKV auch zukünftig mehr als eine aku-
te Notfallversorgung darstellen werde.
Eine Ausdünnung des Leistungskata- logs auf eine Grundversorgung lehne sie ab, denn alles, was evidenzbasiert not- wendig sei zur Behandlung eines Pa- tienten, könne nicht ausgegliedert wer- den in eine wie auch immer definierte Zusatzversicherung. Die Kosten der Krankheit und ihrer Behandlung sollen solidarisch unter allen potenziell Be- troffenen, nach einer sozialen Staffe- lung, die die finanzielle Leistungsfähig- keit berücksichtigt, aufgeteilt werden.
Wichtig sei es allerdings, endlich unter den Krankenkassen den Wettbewerb um die bessere Versorgung von Kran- ken festzulegen. Diesem Zweck diene die Einführung eines Risikopools für besonders teure Risiken ab dem Jahr 2003. Spätestens ab dem Jahr 2007 soll ein vollständiger morbiditätsorientier- ter Risikostrukturausgleich gelten.
Der Präsident der Bundesärztekam- mer begrüßte das Bemühen der Mini- sterin, nach neuen Lösungen bei der Bewältigung der Probleme im Gesund- heitswesen zu suchen und die Beteilig- ten einzubeziehen. Den von ihr einbe- rufenen Runden Tisch verstehe er als Ausdruck der Dialogbereitschaft. Auch Ulla Schmidt nannte als ihr Ziel, mög- lichst im Konsens mit den wichtigsten Entscheidungsträgern Lösungen für die Weiterentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung zu entwickeln.
„Ich kann Ihnen zusichern, es ist mir ernst damit; es gibt keine Geheimpapie- re in den Schubladen“, versprach sie den Delegierten und Gästen des 104.
Deutschen Ärztetages. Thomas Gerst P O L I T I K
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A1356 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 21½½25. Mai 2001
Gewisse Differenzen im Land der Reben, Rüben und Chemie: der Präsident der gastgebenden Lan- desärztekammer Rheinland-Pfalz, Dieter Everz (links), und Staatssekretär Richard Auernheimer (Ge- sundheitsministerium)
Ausgezeichnet mit der Paracelsus-Medaille (von rechts nach links): Walter Brandstädter, Klaus Hell- mann, Ingeborg Falck (zusammen mit Ärztetagspräsident Hoppe)