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beraus kritisch fielen hierzulande die meisten Reaktionen auf Bun- deskanzler Gerhard Schröders Be- schluss aus, einen Nationalen Ethikrat einzusetzen (DÄ, Heft 20/2001). Selbst- kritisch, aber zufrieden: So beurteilte Prof. Dr. med. Didier Sicard die Arbeit des Nationalen Ethikbeirats in Frank- reich, dessen Vorsitzender der Internist ist. Sicard sprach bei einer Veranstaltung über Ethikräte in der Europäischen Uni- on, zu der die Friedrich-Ebert-Stiftung Mitte Mai nach Berlin eingeladen hatte.Im Unterschied zu Deutschland ar- beitet das Comité Consultatif National d’Ethique pour les Sciences de la Vie et de la Santé bereits seit 1983. Damals wurde der Ethikbeirat von Präsident François Mitterand ins Leben gerufen.
Das Gremium soll sich mit ethischen Problemen der Wissenschaften befas- sen und Denkanstöße geben.
Zurzeit besteht der Beirat aus 40 Mit- gliedern, die für vier Jahre ernannt wer- den. Vorgeschlagen werden sie von meh- reren Ministerien und Forschungsinsti- tuten. Vertreten sind Repräsentanten der großen Religionen, ein marxistischer Philosoph, Wissenschaftler sowie Perso- nen des öffentlichen Lebens, berichtete Sicard. Er sprach sich dagegen aus, In- teressenvertreter im engeren Sinne zu berufen. Auf ihnen könne großer Druck lasten, eine bestimmte Meinung zu ver- treten. „Der Papst gehört nicht in einen Nationalen Ethikrat“, sagte Sicard. Ein Katholik könne aber mitarbeiten.
Die Generalsekretärin des französi- schen Ethikbeirats, Marie-Hélène Mo- uneyrat, erläuterte, dass die Sitzungen nicht öffentlich und die Protokolle nur Mitgliedern zugänglich seien. Der Bei- rat müsse sich und seine Arbeit aber re- gelmäßig der Diskussion stellen und er- fülle diese Vorgabe jedes Jahr in Form
mehrerer Veranstaltungen. Sicard be- richtete, dass dem Gremium vier Vor- würfe gemacht würden: Es seien zu we- nig Frauen vertreten, dafür zu viele Wis- senschaftler, es sei keine demokratische Einrichtung und beeinflusse zu viele Entscheidungen. Derzeit sind von den 40 Mitgliedern 12 Frauen. Das irritiere zuweilen schon: „Männer verbringen
viel Zeit damit, von Embryonen zu spre- chen, obwohl das mehr die Frauen be- trifft.“ Die hohe Beteiligung von Wissen- schaftlern sei insofern ein Problem, als diese manchmal zu wenig Distanz zu ak- tuellen Themen hätten. Zutreffend sei auch, dass man in dem Gremium vor al- lem „Herren Professoren“ finde. Folglich kritisierten vor allem Patientenvertreter und Gewerkschaftler den Beirat häufig.
Zur Frage, wieviel Einfluss das Co- mité besitze, äußerte sich Sicard diffe- renziert. Ein Nationaler Ethikbeirat sei stets der Gefahr ausgesetzt, entweder zu viel oder keinen Einfluss zu haben, meinte er. Wichtig sei, dass seine Mitglie-
der niemals glaubten, sie könnten das Recht auf ethischen Diskurs für sich al- lein beanspruchen beziehungsweise ent- scheiden, was gut oder böse sei. Sie soll- ten vielmehr die Diskussion anstoßen und auf gewichtige Aspekte hinweisen.
Als ein Beispiel für die Resonanz auf Stellungnahmen des Beirats nannte Si- card dessen Positionierung zur Sterbe- hilfe. Darin wird die holländische Vari- ante abgelehnt, ebenso aber eine un- barmherzige Therapie um jeden Preis.
In Frankreich sei darüber in den Medi- en etwa drei Monate heftig diskutiert worden. Das fand Sicard angemessen:
„Es ist unsere Aufgabe, uns zu exponie- ren und nicht, uns vor der Öffentlich- keit zu verschanzen.“
Der Internist beschrieb die Arbeit des Beirats als Gratwanderung. Einerseits wolle man sich nicht vereinnahmen las- sen: „Persilscheine“ für Politiker stelle
man nicht aus. Andererseits sei das Risi- ko immer vorhanden, dass man durch ei- ne Stellungnahme zu einer paraparla- mentarischen Instanz werde. Mouneyrat beschrieb diesen Konflikt mit Hinweis auf das Bioethik-Gesetz, das 1994 in Frankreich erarbeitet wurde. Sie ver- neinte jedoch, dass die Souveränität des Parlaments damals durch den Beirat un- tergraben worden sei. Er habe vielmehr in der Vorbereitungsphase seinen Bei- trag geleistet. Die Wissenschaft habe sich auf das Gesetz sowieso nur eingelas- sen, weil gleichzeitig vorgeschrieben wurde, dass es nach fünf Jahren überar- beitet werden solle. Sabine Rieser P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 26½½½½29. Juni 2001 AA1727
Nationaler Ethikbeirat in Frankreich
„Persilscheine“ für Politiker gibt es nicht
In Frankreich besteht seit 1983 ein Nationaler Ethikbeirat.
Dessen Vorsitzender berichtete kürzlich über die Arbeit.
Ethikräte weltweit
Europa hatte die Nase vorn – vor den USA
„Vielen Menschen in Mitteleuropa erscheint die Bioethik als ein Import aus den Ver- einigten Staaten. Dieser Eindruck ist aber in mancherlei Hinsicht nicht zutreffend. Als sich Bill Clinton entschloss, für den Bereich der Bioethik ein ständiges Komitee auf Bundesebene einzurichten, folgte er damit einer Entwicklung, die Schweden, Däne- mark, Luxemburg, Italien, Norwegen, Portugal und Belgien schon vollzogen hatten ...
Die weitaus meisten teilen die Ernennungsbefugnis für die Mitglieder zwischen mehreren Verfassungsorganen oder auch Forschungs- und Lehreinrichtungen auf;
andere wie Norwegen oder Italien versuchen, durch Festschreibung der zu berück- sichtigenden Disziplinen und Weltanschauungen Pluralität sicherzustellen... Die Ethikräte im europäischen Ausland sind keine Organe der Gesetzgebung. Dennoch wirken einige von ihnen auf die Gesetzgebung ein, indem sie gefragt oder ungefragt Regelungslücken aufzeigen, gesetzgeberisches Handeln anmahnen, Entwürfe disku- tieren und kommentieren... Für alle gilt, dass sie nicht den Schlusspunkt einer De- batte markieren, sondern ein bioethisches Forum allererst eröffnen.“
Zitiert aus: Informationsbrief 1/2001, herausgegeben vom Institut für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn