A Einleitung
I. Grundbegriffe
1. Eigentum
a)Herrschaftsbefugnisse. Nach §903 BGB kann der „Eigentümer einer Sa- che…mitderSachenachBeliebenverfahrenundanderevonjederEinwirkung ausschließen“.Das bedeutet, demEigentümer steht– positiv– die rechtlich undtatsächlicheHerrschaftüberseineSachezu,erkannmitihrtunundma- chen,waserwill.SokannderGrundstückseigentümerseinGrundstückveräu- ßern, belasten oder Tomaten darauf anbauen; er kann Dritten das Betreten seinesGrundstücksfreierlaubenoderaberdafürEintrittverlangen.
DerEigentümerkannaberauch–negativ–anderevonjederBenutzungseines Grundstücksausschließen,jedemverbietenseinGrundstückzubetretenoder esirgendwiezu nutzen.Er kannseinEigentumherausverlangen,§985BGB, wenneinandererihmdasEigentumunddenBesitzentzogenhat.Erkannvom StörerBeseitigungeinerBeeinträchtigungundUnterlassungverlangen,§1004 BGB,wennseinEigentumbeeinträchtigtwird.
b)Kollisionsprobleme.DieseweitenFreiheitenführenzwangsläufigzuKollisi- onsproblemen mit den anderen Eigentümern oder sonst Berechtigten, da es unterschiedlicheVorstellungengibt,wiemanmit seinerSacheumgeht. Wäh- rend ein Eigentümer sein Grundstückals Gartenland und Ruhezone nutzen will,willeinandererdaraufeinenSchrottplatzerrichten,derdritteGen-Mais anbauenunddervierteeineDiskothekbetreiben.Bereitshieranzeigtsich,dass dasEigentum nichtohneBeschränkungenausgeübt und verwirklichtwerden kann. Ein gedeihliches menschliches Zusammenleben erfordert, dass Regeln bestehen, wie die verschiedenen Herrschaftsbereiche gegeneinander abge- grenzt,dieFreiheitsbedürfnissevoneinandergetrenntwerden.DiesistderBe- reichdesNachbarrechts.
c)Begrenzungen.DerHerrschaftsbereichdesEigentumsistnichtschrankenlos undunbegrenzt.DieweitenBefugnissedesEigentümersbestehennur,wiebe- reits§903Satz1BGBzeigt:„…soweitnichtdasGesetzoderRechteDritter entgegenstehen“. Dabei handeltes sich umdie verschiedensten Vorschriften, diedieunterschiedlichstenGegenständebetreffen.
Soregelndie§§903 ff.BGBvorallem,wasderEigentümerfürEinwirkungen hinnehmen muss, was er zu dulden hat, etwa unwesentliche Einwirkungen
§906Abs.1BGB,aberauchwasernichthinzunehmenhat,etwawesentliche Beeinträchtigungen,§906 Abs.1 BGB oder gefahrdrohende Anlagen, §907 BGB.DasGesetzgibtihmauchAbwehrmaßnahmenandieHand,mitdenen er Einwirkungen, die er nicht zu dulden hat, abwehren kann, etwa §1004 BGB. Auch RechteDritter, wie die Grunddienstbarkeiten, §§1018 ff. BGB, beschränkenseineRechte.
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Weiterbeschränken öffentlich-rechtlicheRegelungen seinEigentum ganzwe- sentlich.SokannderEigentümernichtwahllosbauen,musssichimRahmen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts und des Verfahrens halten, muss Naturschutz und Immissionsschutz beachten, öffentlich-rechtliche Widmun- gen. Er erhältallerdings auch hier die Möglichkeit, sich mit einer Klagezu wehren,wennseineRechteverletztwerden.Sokannergegeneine–unberech- tigte–BaugenehmigungoderBetriebserlaubnisfürdenNachbarnvorgehen.
Beschränkungen bieten auch die nachbarrechtlichen Vorschriften des NRG.
DieseRegelungensindlandesrechtlicheVorschriften,siedienendazu,dieregio- nalenBesonderheitenzu berücksichtigen,etwa§§7cund 7dNRG,Duldung vonÜberbaubeiWärmedämmungunddasHammerschlags-undLeiterrecht.
EineweitereBesonderheitstelltdasnachbarrechtlicheGemeinschaftsverhältnis dar.Diesesistnichtspezialgesetzlichgeregelt,aberseitRGZ154,161ff.aner- kannt,währendesnochinRGZ132,51,56abgelehntwurde.DiesesRechts- institut soll dazudienen,den „gerechtenAusgleich derwiderstreitenden Be- lange, das für dieses Lebensverhältnis richtige Recht zu finden“. Der EigentümerhataufdieBelangedesNachbarnRücksichtzunehmen.Eshandelt sichumeineAusprägungvonTreuundGlauben.AusdernachbarlichenNähe ergibtsichdie PflichtzurgegenseitigenRücksichtnahme. Dadiegesetzlichen RegelungennichtalleSituationenerfassenkönnen,gibtesAusnahmefälle,die einenüberdiegesetzlichenRegelungenhinausgehendenbilligenAusgleichge- botenerscheinenlassen(BGHNJW1984,729,730).
AuchvertraglicheBeziehungenkönnenzwischendenNachbarnbestehenund sodieallumfassendenFreiheitsbefugnisseeinschränken.SokönnenNachbarn ihreVerhältnissevertraglichregeln,einbestimmtesVerhaltenalsNormbestim- men:Etwa,dassderNachbarnurwochentagszwischen14und18Uhrseinen Rasenmähendarf,dassnurnach20Uhrgegrilltwird.Häufigeinigensichdie NachbarnaufsolcheRegelungendurchVergleichbeiGericht,umzusammenle- benzukönnen.DaranhabensichdieParteienzuhalten,auchwenndasRasen- mähennachörtlichenSatzungenvormittagserlaubtwäre.DieseVereinbarun- gen sind Grundlage der Verhaltensregeln zwischen den Nachbarn. Gewisse Vereinbarungenkönnenauchdinglichgesichert,alsoinsGrundbucheingetra- genwerden,etwadurcheineGrunddienstbarkeit,§§1018 ff.BGB.Damitwer- denauchdieRechtsnachfolger,alsodieErbenoderErwerber,andieRegelung gebunden.
2. DasGrundstück
BezugsobjektzumNachbarniststetsdasGrundstück.DasistindiesemSinne ein räumlich genau abgegrenzter Teil der Erdoberfläche, der auf einem be- stimmtenGrundstücksblattuntereiner bestimmtenGrundstücksnummerein- getragenist(Palandt-Herrler§873Rn.1).
Die RechteamGrundstück erstreckensich dabei nach §905 BGBauchauf denRaumüberderErdoberflächeunddenErdkörperunterhalbderOberflä- che.ZumGrundstückgehörtweiteralles,wasmitdiesemüberoderunterhalb derErdoberflächeverbundenist.AuchdiewesentlichenBestandteile,§§93 ff.
BGB.
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Regelungen im Privatrecht Einleitung · A
3. DerNachbar
DasseinNachbargeschütztwerdenkann,setztvoraus,dassNachbarschaftin diesemSinneüberhauptvorliegt.NachbarnsinddabeinichtnurdieEigentü- mer der unmittelbar angrenzenden Grundstücke; Konflikte entstehen auch, wennDämpfe,Gase,LärmvoneinemGrundstückeinwirken,dasnichtunmit- telbarangrenzt.EinSchrottplatzstört,wieaucheineMüllverbrennungsanlage, auchwenndieseObjektenichtunmittelbarandasGrundstückangrenzen,son- dernnurinderNäheliegen;derLärmeinerDiskothekmorgensum4:30Uhr stört,auchwennzwischendenGrundstückeneinWegdurchführt.
Streit kann es zwischen den Nachbarn auch geben, wenn die Nutzer nicht selbstEigentümersind.SokönnenEigentümerundMieterdesNachbargrund- stücks,oderzweiPächterüberDämpfe,GaseoderLärmbelästigungstreiten.
II. KurzergeschichtlicherAbriss
1. RegelungenimPrivatrecht
a)BürgerlichesGesetzbuch.UnterdemEinflussdesNaturrechts, derAufklä- rungunddeswirtschaftlichenLiberalismusdes19.JahrhundertshatdasBGB dasEigentumamGrundstückimWesentlichenalsunbeschränktesindividuel- les Herrschaftsrecht ausgestaltet, §903 BGB. Aber bereits die Weimarer Reichsverfassung vom 11.August 1919 hat dieser individuellen Auffassung vomEigentuminArt.153Abs.3diesozialeVerpflichtungdesEigentumsge- genübergestellt.UnddasGrundgesetzfürdieBundesrepublikDeutschlandvom 23.Mai1949hatdieseSozialpflichtigkeitoderSozialgebundenheitdesEigen- tumsinArt.14Abs.2 –„Eigentumverpflichtet. SeinGebrauchsoll zugleich demWohlederAllgemeinheitdienen.“–bestätigt.AufGrundderSozialbin- dungistderGrundstückseigentümernichtgegenüberjedermannundzujeder Zeitverpflichtet,dieMitbenutzungodergardieSchädigungseinesEigentums hinzunehmen. Vielmehr bedeutet Sozialbindung, dass sich der Eigentümer ohne Entschädigung die Beschränkungengefallen lassen muss, die in einem demokratischenundsozialenRechtsstaat,wieesdieBundesrepublikDeutsch- landist, hinsichtlichdesEigentums üblich,adäquatund zumutbarsind.Der EigentümerdarfsichbeiderAusübungseinesEigentumsrechtsnichtnurvon seinenInteressen leiten lassen, sondern er musszugleich auchdas Wohl der Allgemeinheitberücksichtigen.
DamitenthältdasNachbarrechteinewesentlicheKonkretisierungdieserSozi- algebundenheit:AuchderNachbar,dessenRechtssphäredurchdieAusübung (Nutzung)desGrundstückseigentumsberührtwird,istTeil(Repräsentant)die- serAllgemeinheit.WeildasfreieHerrschaftsbeliebendeseinenGrundstücksei- gentümersangesichtsdesengenZusammenlebensinunseremLandesehrrasch aufdasfreieHerrschaftsbeliebeneinesanderenGrundstückseigentümersstößt, müssendie oft zwangsläufig widerstreitenden Interessen derEigentümer be- nachbarterGrundstückezu einemAusgleich gebrachtwerden. Werineinem Wohngebiet auf der Terrasse seines Einfamilienhauses um Mitternacht sein Waldhornbläst,erfreutsichzwarderIdylleseinesAnwesens,störtaberdamit auch seine Nachbarn in ihrer wohlverdienten Nachtruhe. Die notwendige RücksichtnahmeaufdenNachbarn,dieErfordernissederWohn-undBauge-
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meinschaftsowieder Lebensgemeinschaftenin Dorfund Stadtzu regeln,ist damitAufgabeauchdesbaden-württembergischenGesetzesüberdasNachbar- recht.
DasprivateNachbarrechtstrebtschonwegendesnachbarlichenFriedenseine möglichstumfassendeRegelungan,ohneallerdingsalleFälleerfassenzukön- nen.SoweiteinespezialgesetzlicheRechtsnormfehltodereinüberdiegesetzli- cheRegelunghinausgehenderbilligerAusgleichwiderstrebenderInteressenge- botenist(BGHNJW2003,1392),sindnachbarrechtlicheStreitigkeitenunter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses im Geiste gegenseitigerRücksichtnahmenachTreuund Glaubenzuregeln,§242BGB.
DabeikönnenvomNRGabweichendeRegelungendesnachbarlichenVerhält- nissesvereinbartwerden.
AbgesehenvondenNachbarrechtsvorschriftendesBGBistdasprivatrechtliche Nachbarrecht im Wesentlichen Landesrecht und damit von Bundesland zu BundeslandzumTeilunterschiedlichgeregelt.DieseRegelungenkonntenund solltennichteinheitlichodergarschematischsein,weildienachbarlichenVer- hältnisse,dieÜbungenunddieRechtsgewohnheitenindenverschiedenenTei- lenDeutschlandssehrverschiedenartigwarenundnochsind.Einebundesein- heitliche Regelung war und ist auch in der Zukunft nur auf Teilgebieten vertretbar.GeradewegenderVielfaltdervorhandenenMöglichkeitenundder VielzahlerprobterEinrichtungenüberließdasBGBdemLandesrechtwesentli- che Rechtssetzungskompetenzen auf demGebiet des Nachbarrechts (§§905 bis924 BGBund Art.111,113,122,124,183EGBGBi. V. m.Art.1Abs.2 EGBGB).Art.124EGBGBlässt überdiein§§906bis918geregeltenEigen- tumsbeschränkungen hinaus ausdrücklich noch andere Eigentumsbeschrän- kungendurchLandesrechtzu,ohnejedochdieVorschriftendesBGBselbstzu ändern.LediglichderKreisderzugunstendesNachbarnwirkendenEigentums- beschränkungendarferweitertwerden.AufGrunddieserErmächtigunghatten diefrüherenLänderBadenund WürttembergeinzelneBereichedesNachbar- rechtsgeregelt.
b)Baden. In Baden enthielten die Art.8 bis 19des AGBGB in der Fassung vom13.Oktober1925(GVBl.S.281)dieGrundbestimmungendesBadischen Nachbarrechts.Eswarnichtumfassendundregeltenurwenigenachbarrechtli- che Probleme. Es enthielt in Art.8 Vorschriften für die sog. Scheidemauer, regelte Fragen, die entstanden, wenn eine Erhöhung dieser Mauer erfolgte, sprach in Art.10 vonden Abständen,die eingehalten werdensollten, wenn Bäume und Sträucher an der Nachbargrenze gepflanzt werden und enthielt eineRegelungüberdieNeuanlagevonWald.Esbeschäftigtesichmitschaden- drohendenAnlagen,dieaufdemNachbargrundstücknichterstelltodergehal- tenwerdendurften.SeineArt.14,15und16behandeltendassog.Licht-und Fensterrecht.DieseVorschriftengingenzurückaufdasBadischeLandrechtaus demJahre1810,dasselbstwiederumGedankenausdemCodeCivilNapole- onsenthielt.
c)Württemberg.DasWürttembergischeAusführungsgesetzzumBGBenthielt einenichtnurdemUmfang,sondernauchdemInhaltnachweitumfassendere
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Regelungen im Privatrecht Einleitung · A RegelungdesNachbarrechts.DasWürtt.NachbarrechtwarvordemInkraft- tretendesBGBim4.AbschnittderallgemeinenBauordnungvom6.Oktober 1872(RegBl.S.305)undindemGesetzüberdaslandwirtschaftlicheNachbar- rechtvom15.Juni1893(RegBl.S.141),dasam1.Januar1894inKrafttrat, enthalten.DieseVorschriftenwurden,soweitsienichtdurchdasBGBam1.Ja- nuar1900ersetztwordenwaren,indas Württ.AusführungsgesetzzumBGB undzu dessenNebengesetzenvom28.Juli 1899(RegBl.S.423)alsArt.217 bis254übernommen.NachdemErstenWeltkriegwurdendieseit1900gelten- dennachbarrechtlichenBestimmungenalszumTeilüberholtundeinemzeitge- mäßenBetriebabträglichbeanstandet.EineNeuordnungdesRechtsstoffeser- folgte in dem Württembergischen Ausführungsgesetz zum BGB und zu den anderen Reichsjustizgesetzen vom 29.Dezember 1931 (RegBl. S.545). Die nachbarrechtlichenArtikelumfasstennundieArt.191bis225.
DieinsEinzelnegehendeRegelungdesWürttembergischenNachbarrechtsent- sprachvieleherdenBedürfnissenderLand-,Forst-undGartenbauwirtschaft alsdiebadischeRegelung.ImfrüherenLandBadenundauchnochimLandes- teilBaden desBundeslandes Baden-Württemberg wurdein vielenFällen da- durchzuhelfenversucht,dassüberbezirks-undortspolizeilicheVorschriften nachbarrechtlicheRegelungenörtlichbeschränkteingeführtwurden.Sowur- denz. B.bezirks-oderortspolizeilicheVorschriftenüberdienotwendigenAb- ständebeimPflanzenvonBäumenundSträuchernerlassen–einRechtsgebiet, dasbesondersnacheinerNeuregelungverlangte.
d)Baden-Württemberg.NachderEntstehungdesLandesBaden-Württemberg wurdeallgemeindie Ansichtvertreten,dasses erforderlichsei,dasNachbar- rechtzuvereinheitlichenbzw.einneuesNachbarrechtzuschaffen.DieAuftei- lung des Grundbesitzes,seine starke Zersplitterung,die auch heute noch in großen Teilen unserer Heimat mit Recht beklagt wird,und der Widerstreit landwirtschaftlicher,städtebaulicher,forstwirtschaftlicherundgewerblicherIn- teressenließen esalsvordringlicherscheinen,das RechtsgebietNachbarrecht neuzuregeln.DieneuenAnsichtenimObstbau,dieneuenforstlichenBemü- hungenundnichtzuletztauchdieTatsache,dassbisherlandwirtschaftlichge- nutztesLandaufgeforstetoderbrachgelegtwird,machtenes notwendig,den NachbarschutzauszudehnenundGrenzabständefestzulegen,umeinengerech- tenAusgleichdernachbarlichenInteressenherbeizuführen.Es hättewohlge- nügt,wenndasWürtt.NachbarrechtfürdasganzeLandBaden-Württemberg übernommenwordenwäre.
Dochist derGesetzgeber denwohlrichtigenWeggegangenundhataus den Vorschriften desalten badischen und württembergischen Rechtsdie Bestim- mungenzusammengefasst,dieauchmodernen Verhältnissengerechtwerden.
ErhatdamiteineRechtseinheitgeschaffen,zuderaufdemzwarbescheidenen, aberdochsehrbedeutendenGebietdesNachbarrechtsjederLandesteilseinen ausErfahrungalsgutundbewährterkanntenTeilbeigetragenhat.
AlsGroßherzog Karl-Friedrich vor rund 150 Jahren die Übersetzung des Code Civil anordnete, bestimmte er dazu, „dass in Zusätzen dasjenige näher be- stimmtwerden,wasnötigist,umeinesichere,demGeistediesesGesetzbuches stetsgemäßeundzugleichderhierländischenLandesartundSittenichtnachtei- ligeAnwendungzubegründen“.AusdieserEinsichtherausistauchdasneue
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Gesetzentstanden;eslässtRaumgenug,„hierländischerLandesartundSitte“
inallenLandesteilenzuentsprechen.
DennachbarrechtlichenBestimmungendesBGBunddesNRGunterliegenalle Grundstücke, gleichgültig, obsie natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechtsgehören.AuchaufdieGrundstückederjuristischenPersonendes öffentlichenRechtsfindendieseBestimmungenAnwendung,soweitnichtsan- deresgesetzlichgeregeltist oderdiesderöffentlich-rechtlichenZweckbestim- mungwidersprechenwürde. So enthältauchdas NRG einigeSonderbestim- mungenfürdieseGrundstücke(§§21,25).
2. RegelungenimöffentlichenRecht
DieNutzungeinesGrundstückswirdschonseitlangemauchdurcheineViel- zahlvonOrdnungsnormen,die demöffentlichenRechtzuzuordnensind,im InteressedesallgemeinengedeihlichenZusammenlebensgeregeltunddabeiin mannigfacherWeiseeingeschränkt.AlsBeispieleseiennurdieRegelungendes Bauplanungs- und Bauordnungsrechts,des Naturschutzrechts sowie des Im- missionsschutzrechtserwähnt. Soweitprivatesund öffentlichesNachbarrecht vergleichbareSachverhalteregeln,wurdenbisherz. B.beidenGrenzabständen fürbaulicheAnlagenoderPflanzungenprivatesundöffentlichesRechtgrund- sätzlich alsvoneinanderunabhängige Rechtsregelnangesehen mit derFolge, dassöffentlich-rechtlich zulässige Nutzungen mit Hilfe derprivatrechtlichen Abstandsvorschriftenverhindertwerdenkonnten.
III. SystematikdesNachbarrechts
1. ÖffentlichesundprivatesNachbarrecht
Die Regelungen des Nachbarrechts bestehen aus öffentlich-rechtlichen Vor- schriften,etwaImmissionsschutz,Naturschutz,Baurechtundausprivatrechtli- chen Vorschriften,insbesondere die Regelungen der§§903 ff. BGB und des NRG.
a)PrivatesNachbarrecht.SoregelndieVorschriftendesBGB,§§903bis924 BGB,–fürdenBesitzer§§861 ff.BGB–dienachbarlichenBeziehungen.Kern- vorschriftensindhier§§906und1004BGB.DieseNormengebeneinenBesei- tigungs-undUnterlassungsanspruchgegendenNachbarn,vondessenGrund- stück Einwirkungen auf das Nachbargrundstück ausgehen, die er nicht zu duldenhat.DieserAbwehranspruchbestehtohneVerschulden.
DemgegenüberregelndieNormendesNRG–zulässigüberArt.124EGBGB– vor allem das Rechtder Anpflanzungen, Abstände, Aufschüttungen, Zäune undbesondereDuldungspflichten,dieüber§§903 ff.BGBhinausgehen,etwa denÜberbaubeiWärmedämmungunddasHammerschlags-undLeiterrecht,
§§7cunddNRG.
Kernelement bei einem nachbarrechtlichen Streit im Privatrecht ist, dass an diesemKonfliktnurdiebeidenbetroffenen Nachbarnbeteiligtsind.Daspri- vateNachbarrechtschränktdieBefugnisse derEigentümer aus§903 ff.BGB ein. So darf derEigentümer demNachbarn das Notwegerecht, §917 BGB,
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Verhältnis öffentliches/privates Nachbarrecht Einleitung · A nicht versperren, der Eigentümer kann keinen Baum direkt an der Grund- stücksgrenzepflanzen§11,12,16NRG.
b)Öffentliches Nachbarrecht. Beim öffentlichen Rechtist dagegen noch ein Dritterim Konfliktfallbeteiligt,die Verwaltungsbehörde.Dabeibestehendie direktenBeziehungenhiernichtzumNachbarn,sondernnurzurVerwaltungs- behörde.NurdiesergegenüberkönnenAnsprücheundRechtegeltendgemacht werden.
So kann der Eigentümer nicht vom Nachbarn die Baugenehmigung verlan- gen,–wennüberhaupt–bestehtderAnspruchnurgegenüberderVerwaltungs- behörde,wobeiderNachbarindasverwaltungsrechtlicheVerfahreneingebun- denist,angehörtwirdundggfs.Anfechtungsklageerhebenkann.
Auch die Untersagung eines beeinträchtigenden Betriebs wegen fehlerhafter GenehmigungoderderWiderrufeinererteiltenGenehmigung,kannnichtun- mittelbarvomNachbarn imKlagewegverlangtwerden. Anspruchsgegnerist nur die Verwaltungsbehörde.Der gestörteNachbar kann einenVerstoßnur rügenoderbelastendeEinwirkungenbeiderBehördemelden.
2. Rechtsweg
a)Zivilrechtsweg. Für die Verletzung privater Nachbarrechte,also etwadie Verletzungvon§912BGBoderdieNichteinhaltungdesGrenzabstandseiner Pflanzung, §§11, 12,16 NRG, ist derzivilgerichtliche Rechtsweg gegeben.
DabeiwirdessichbeiStreitigkeitenumAnpflanzungen,Überwuchsodereinfa- cherenBelästigungenumeinekleinereStreitigkeithandeln,fürdiedasAmtsge- richtzuständigist–biszueinemStreitwertvon5000A;dagegenkannesbeim Überbau, oder bei belastenden Anlagen einen Streitwert über 5000A geben und deshalb wird das Landgericht zuständig sein, §§23, 71 GVG. In der MehrzahlderFällewirdausschließlich–dasheißtkeinanderesGerichtkann gewählt werden– das Gericht zuständig sein, wo die Grundstücke belegen sind, §24 ZPO. Zuständig ist also nur und ausschließlich das Amts- oder Landgericht,indessenBezirkdasstreitigeGrundstückliegt.
b)Verwaltungsrechtsweg. Für die Verletzung subjektiv öffentlicher Rechte mussdemgegenüber,nachDurchführungeinesVorverfahrensbeiderVerwal- tungsbehörde,derVerwaltungsrechtswegzumVerwaltungsgerichtbeschritten werden,§40VwGO.KlagegegneristhiernichtderNachbar,sonderndieVer- waltungsbehörde,vonderdieGenehmigungoderderWiderruferlangtwerden will.
3. Verhältnisöffentliches/privatesNachbarrecht
a)Grundsatz.PrivatesundöffentlichesNachbarrechtstehenselbstständigund gleichrangignebeneinander(BGHZ177,165,175).
b)Materiell-rechtliche Ansprüche. Das bedeutet zwingend, dass zwischen Nachbarnöffentliche-rechtlicheund auchprivate Normen zu beachten sind.
WillderNachbarbauen,musserdieöffentlich-rechtlichenVorschriftenbeach- ten,sonst erhält er keine Baugenehmigung. Aber auch die privatrechtlichen Normensindeinzuhalten,sonstwirdderEigentümerihnaufUnterlassungin Anspruchnehmen und das Bauen verhindern. Die Voraussetzungen und die
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FolgenbeiprivatrechtlichenAnsprüchenrichtensichnachdemPrivatrecht,bei öffentlich-rechtlichenAnsprüchen,nachdemöffentlichenRecht(BGHZ171, 158,163).
c)Rechtsweg.DieZweigleisigkeitbedeutetweiter,dassauchderRechtsschutz inzweiRichtungenerfolgt:GehtesumRechteundAnsprücheausdemPrivat- recht,richtensich dieVoraussetzungen unddieFolgennachdemPrivatrecht, istaufdemZivilrechtswegzuklagen.Werdenöffentlich-rechtlicheAnsprüche geltend gemacht, richten sich diese und die Folgen nach dem öffentlichen Recht;dieKlageerfolgtaufdemVerwaltungsrechtsweg.
aa)Zivilgericht. Der Eigentümer kann bei Verletzung von privatrechtlichen NormenvordemZivilgerichtklagen.ErkanngegendenStörervorgehenund BeseitigungundUnterlassungverlangen,§1004BGB.
bb)Verwaltungsgericht. Bei nachbarschützenden öffentlich-rechtlichen Nor- menkannderEigentümervordemVerwaltungsgerichtklagen.Erkannetwa AnfechtungsklagegegendieerteilteBaugenehmigungerheben.
cc)ZivilrechtlicheAbwehrklage. Diese nachbarschützenden Normen können aber auch Schutzgesetz i. S. v.§823 Abs.2 BGB sein, etwa Regelungen des BImSchG,SchallschutzoderGrenzabständeundzuSchadensersatzführen.Es besteht aber auch analog §1004 BGB ein quasi-negatorischer Abwehran- spruch(BGHZ86,356,362;NJW-RR1997,16,17).FürdenNachbarner- möglichen diese Ansprüche bei Verstößen im öffentlichen Nachbarrecht die OptioneinerzivilrechtlichenAbwehrklage.
AuchwenneineBaugenehmigungmiteinernachbarschützendenAuflageerteilt wurde,kannderEigentümersieimZivilrechtswegdurchsetzen;denndieAuf- lagenormierteinenabstraktenGefährdungstatbestand(BGHZ122,1,6 f.).
dd)Wahlrecht.BeideRechtswegestehengleichberechtigtnebeneinander,sieer- gänzensichundbietensoumfassendenRechtsschutz,Art.19Abs.4GG.Der Betroffene kann frei wählen, er kann grundsätzlich auch beide Rechtswege gleichzeitigbeschreiten.MitdereinenKlageentfälltnichtdasRechtsschutzbe- dürfnisfürdieandereKlage,ebensowenigliegtdoppelteRechtshängigkeitvor.
DieStreitigkeitenhabenjeweilseinenanderenStreitgegenstand.Währenddie Anfechtungsklage auf Beseitigung der Baugenehmigung geht, etwa weil sie nichthätteerteiltwerdendürfen,gehtderAbwehranspruchaus§1004BGB aufUnterlassungoderBeseitigungeinerStörung. Zudemsindin denRechts- streitigkeiteni. d. R.unterschiedlicheParteienbeteiligt.ImZivilrechtswegEi- gentümer gegen Nachbar; im Verwaltungsrechtsweg Eigentümer gegen Be- hörde.
InzweiFällengilteineAusnahme:
– GehtdieEinwirkungvoneinemStöreraus,dereinehoheitliche Tätigkeit verrichtet,dannistausschließlichderVerwaltungsrechtswegeröffnet.
– Sofern einStörereinmalalsGrundstückseigentümer aufdemZivilrechts- wegunddanebenauchvordemVerwaltungsgerichtalsBetreibereineröf- fentlichenEinrichtungverklagt und jeweilsBeseitigungundUnterlassung
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Verhältnis öffentliches/privates Nachbarrecht Einleitung · A verlangtwird(BayVGHNVwZ-RR2004,224,225).Hierliegtwohlein einheitlicher Streitgegenstandvor, sodass derzweiten Klage die doppelte Rechtshängigkeitentgegenstehenkann.
ee)UnterschiedlicheErgebnisse?DasöffentlicheRechtunddasPrivatrechthal- tenöftersfürdieselbeBeeinträchtigungeineeigeneNormbereit.Diesbirgtdie Gefahr,dassindenunterschiedlichenRechtsgebietendieVoraussetzungenund dieAbwehrrechteandersausgestaltetsindunddieRegelungenandersausgelegt werden,waszuWertungswidersprüchenführenwürde.Esgibtdeshalbschon von jeher Bemühungen, diese unterschiedlichen Rechte zu harmonisieren (BGHZ111,63,68 f.–Volksfestlärm).
SowurdeetwadasBGB1994 geändertundin den§906Abs.1die Sätze2 und 3 eingefügt, um einen Gleichklang mit den öffentlich-rechtlichen Vor- schriften,dieaufGrundvon§48BImSchGerlassenwerden,zuerreichen.
Das Nachbarrecht wurde1995 harmonisiert. Den Abstandsvorschriften für baulicheAnlagenaufdemNachbargrundstück,§§5,6 LBO, und inBebau- ungsplänen,§27NRG,wurdeVorrangvordenAbstandsvorschriftenimNRG eingeräumt.
Umzuvermeiden,dasseszuunterschiedlichenErgebnissenüberdieAuslegung kommt,wirddie„wesentlicheBeeinträchtigung“in§906Abs.1Satz1 BGB identisch ausgelegt wie die „schädlichen Umwelteinwirkungen“ i. S. v. §14 Satz1BImSchG(BGHZ111,63,68 f.–Volksfestlärm).
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die Rechtsfigur des „nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses“anerkannt(BVerwGE1978,85,88).
ff)WirkungenvonbehördlichenGenehmigungenoderderenFehlen.(1)Fehlen einer Genehmigung.Fehlt eine öffentlich-rechtlicheGenehmigung, kanndies dazu führen, dass keine ordnungsgemäße Grundstücksnutzung vorliegt. So fehlt für eine private Anlage die Ortsüblichkeitder Beeinträchtigung, §906 Abs.2 BGB;ohne Baugenehmigungfehlt fürdas Notwegerecht,§917 BGB, dieordnungsgemäßeGrundstücksnutzung.
(2)Vorliegeneiner Genehmigung.WurdedemNachbarn,vondessenGrund- stückdieEinwirkungenausgehen,einebehördlicheGenehmigungerteilt,stellt sichdieFragenachderWirkungfürdieverschiedenenVerfahren.DieGeneh- migungistöffentlich-rechtlichunddamiteinVerwaltungsakt.Dieseristwirk- sam,selbstwenn errechtswidrigist,solangeernichtaufgehobenwurde.Die Beteiligtensindalsodarangebunden.
– ÖffentlichesRecht
DasgiltjedenfallsfürdenVerwaltungsrechtsstreitunddenquasi-negatori- schenAbwehranspruch.Er entspringtdemöffentlichenRechtundist auf dienachbarschützendenVorschriftendesöffentlichenRechtsgestützt(Bay- ObLGZ2001,41,45=NJW-RR2001,1456).
– Privatrecht
DemgegenüberwerdenprivatrechtlicheAnsprüchedurcheineerteilteGe- nehmigung nicht–unmittelbar –berührt.Bei derBaugenehmigung wird dies deutlich,siewirdnur„unbeschadet derRechteDritter“ §58Abs.3 LBOerteilt.PrivatrechtlicheAbwehransprücheentspringenalleindempri-
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vatenRecht,derenGeltendmachungistdaherdurcheineBaugenehmigung nichtausgeschlossen(BGHZ11,158,163;122,1,7 f.).
– Ausnahmen
IneinigenBereichenkommenallerdingsdenöffentlich-rechtlichenGeneh- migungenauchprivatrechtlicheWirkungenzu.Sieschließendanndiepri- vatrechtlichenAnsprücheausoderverweisenaufErsatzansprüche.Soetwa
§14BImSchG, §7 Abs.4 AtomG,§16 Abs.2 Satz1 WHG,§30 NRG (fürEisenbahn-,Schifffahrts-undähnlicheVerkehrsunternehmen).
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