Summierbarkeit in Banachr¨ aumen
Vorbemerkung: Seien X und I beliebige Mengen. Eine Abbildung f : I → X mit f (i) = x
if¨ur alle i ∈ I definiert eine (indizierte) Familie (x
i)
i∈Ivon Elementen von X . Umgekehrt entspricht jeder (indizierten) Familie (x
i)
i∈Ivon Elementen von X eine Abbildung f : I → X .
1) Gerichtete Mengen und Netze
Definition: Eine partial geordnete Menge (I, ≤) heißt gerichtet, wenn je zwei Elemente eine obere Schranke besitzen, d.h.
∀ x, y ∈ I ∃ z ∈ I sodass x ≤ z und y ≤ z . Beispiele:
• (N, ≤) und (R, ≤) , jeweils mit der nat¨urlichen Ordnung, sind gerichtete Mengen.
• Jede linear geordnete Menge ist eine gerichtete Menge.
• Sei I eine beliebige Menge, und J die Menge der endlichen Teilmengen von I . Dann ist J partial geordnet durch E
1≤ E
2⇔ E
1⊆ E
2f¨ur E
1, E
2∈ J . Offenbar ist (J, ≤) eine gerichtete Menge.
Definition: Sei X eine beliebige Menge und (I, ≤) eine gerichtete Menge. Eine Abbil- dung f : I → X heißt ein Netz in X.
Insbesondere ist damit jede Folge in X ein Netz in X (I = N) . Netze werden daher auch als ”verallgemeinerte Folgen” bezeichnet. Ein Netz in X ist also eine Familie (x
i)
i∈Ivon Elementen von X , wobei die Indexmenge I gerichtet ist.
2) Netze in metrischen (und normierten) R¨ aumen
In metrischen (und damit auch normierten) R¨aumen l¨aßt sich ein Konvergenzbegriff f¨ur Netze sinnvoll definieren.
Definition: Sei (X, d) ein metrischer Raum und (x
i)
i∈Iein Netz in X .
i) (x
i)
i∈Iheißt konvergent gegen x ∈ X , (x
i)
i∈I→ x , wenn
∀ ε > 0 ∃ i
0∈ I sodass ∀ i ≥ i
0: d(x, x
i) < ε . ii) (x
i)
i∈Iheißt Cauchy-Netz in X , wenn
∀ ε > 0 ∃ i
0∈ I sodass ∀ i, j ≥ i
0: d(x
i, x
j) < ε .
Offenbar werden dadurch geeignete Verallgemeinerungen der bekannten Begriffe ”konver- gente Folge” und ”Cauchy-Folge” geliefert. Man ¨uberzeugt sich leicht, daß jedes konver- gente Netz ein Cauchy-Netz ist und daß die Konvergenz von Netzen eindeutig ist.
Satz 1: F¨ur einen metrischen Raum (X, d) sind folgende Aussagen ¨aquivalent:
(1) (X, d) ist vollst¨andig.
(2) Jedes Cauchy-Netz in X konvergiert.
Beweis: (2) ⇒ (1) ist klar, weil mit (2) auch jede Cauchy-Folge konvergiert.
(1) ⇒ (2) : Sei (x
i)
i∈Iein Cauchy-Netz in X . Zu ε = 1 ∃ i
1∈ I sodass ∀ i, j ≥ i
1: d(x
i, x
j) < 1 . Weiters, zu ε =
12∃ i
∗2∈ I sodass ∀ i, j ≥ i
∗2: d(x
i, x
j) <
12. Wegen der Gerichtetheit von I gibt es eine obere Schranke i
2von i
1und i
∗2. Dann gilt nat¨urlich auch d(x
i, x
j) <
12∀ i, j ≥ i
2. Wir erhalten damit (induktiv) eine monoton steigende Indexfolge i
1≤ i
2≤ i
3... mit d(x
i, x
j) <
21n∀ i, j ≥ i
n. Wir zeigen nun, daß die Folge (x
in) eine Cauchy-Folge ist. Sei ε > 0 . W¨ahle k ∈ N mit
21k< ε . F¨ur n, m ≥ k ist i
n, i
m≥ i
kund damit d(x
in, x
im) <
21k< ε . Also ist (x
in) eine Cauchy-Folge und wegen der Vollst¨andigkeit von (X, d) konvergent gegen ein x ∈ X .
Wir behaupten nun, daß (x
i)
i∈I→ x . Zu ε > 0 gibt es ein m ∈ N mit d(x, x
im) <
2εund
1
2m
<
ε2. F¨ur i ≥ i
mgilt d(x
i, x
im) <
21mund damit d(x, x
i) ≤ d(x, x
im) + d(x
im, x
i) <
ε
2
+
21m< ε . Also gilt (x
i)
i∈I→ x . ¤
3) Summierbarkeit in normierten R¨ aumen bzw. Banachr¨ aumen
F¨ur einen normierten K-Vektorraum (X, k k) ist die Summe von endlich vielen Vek- toren von X stets erkl¨art. Wir wollen nun einen sinnvollen Begriff f¨ur die Summe einer (beliebigen) Familie von Vektoren definieren. Im folgenden wird stets K = R oder K = C sein.
Definition: Sei (X, k k) ein normierter K-Vektorraum und (x
i)
i∈Ieine Familie von Elementen von X .
1) (x
i)
i∈Iheißt summierbar zur Summe x ∈ X , kurz P
i∈I
x
i= x , wenn
zu jedem ε > 0 eine endliche Teilmenge E
0⊆ I existiert sodaß f¨ur jede endliche Teilmenge E ⊆ I mit E ⊇ E
0gilt : kx − P
i∈E
x
ik < ε .
2) (x
i)
i∈Iheißt absolut summierbar wenn (kx
ik)
i∈Isummierbar in R ist.
Bemerkung: Zu (x
i)
i∈Isei J die gerichtete Menge der endlichen Teilmengen von I.
Summierbarkeit von (x
i)
i∈I(zur Summe x) heisst somit nichts anderes, als daß das Netz f : J → X mit E ∈ J 7→ P
i∈E
x
igegen x konviergiert.
Satz 2: Sei (x
i)
i∈Isummierbar zur Summe x ∈ X . Dann ist {i ∈ I : x
i6= 0}
h¨ochstens abz¨ahlbar.
Beweis: F¨ur jedes n ∈ N w¨ahle eine endliche Teilmenge E
n⊆ I sodaß f¨ur jede endliche Teilmenge E ⊆ I mit E ⊇ E
ngilt : kx − P
i∈E
x
ik <
2n1. Die Menge F = S
n∈N
E
nist dann abz¨ahlbar. Sei nun j ∈ I \ F . F¨ur jedes n ∈ N gilt dann
kx
jk = k P
i∈En∪{j}
x
i− P
i∈En
x
ik ≤ k P
i∈En∪{j}
x
i− xk + kx − P
i∈En
x
ik ≤
n1, woraus kx
jk = 0 bzw. x
j= 0 folgt. ¤
Satz 3: (Cauchy-Kriterium)
Sei (X, k k) ein Banachraum und (x
i)
i∈Ieine Familie von Elementen von X . Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent:
(1) (x
i)
i∈Iist summierbar.
(2) Zu jedem ε > 0 existiert eine endliche Teilmenge E
0⊆ I sodaß f¨ur jede endliche Teilmenge E ⊆ I mit E ∩ E
0= ∅ gilt : k P
i∈E
x
ik < ε . Beweis: (1) ⇒ (2) : Sei P
i∈I
x
i= x und ε > 0 . W¨ahle eine endliche Teilmenge E
0⊆ I sodaß f¨ur jede endliche Teilmenge E ⊆ I mit E ⊇ E
0gilt : kx − P
i∈E
x
ik <
ε2. Dann gilt f¨ur alle endlichen Teilmengen E ⊆ I mit E ∩ E
0= ∅ offenbar
k P
i∈E
x
ik = k P
i∈E∪E0
x
i− P
i∈E0
x
ik ≤ k P
i∈E∪E0
x
i− xk + kx − P
i∈E0
x
ik < ε .
(2) ⇒ (1) : Sei J die Menge der endlichen Teilmengen von I . Nach Satz 1 ist zu zeigen, daß ( P
i∈E
x
i)
E∈Jein Cauchy-Netz ist. Sei ε > 0 und gem¨aß (2) E
0zu
ε2gew¨ahlt. F¨ur alle E ∈ J mit E ⊇ E
0gilt dann offenbar k P
i∈E
x
i− P
i∈E0
x
ik = k P
i∈E\E0
x
ik <
ε2. F¨ur alle E, F ∈ J mit E, F ⊇ E
0gilt dann weiters
k P
i∈E
x
i− P
i∈F
x
ik ≤ k P
i∈E
x
i− P
i∈E0
x
ik + k P
i∈F
x
i− P
i∈E0
x
ik < ε . ¤
Folgerung: Sei (X, k k) ein Banachraum. F¨ur (x
i)
i∈Igilt :
1) (x
i)
i∈Iist absolut summierbar ⇒ (x
i)
i∈Iist summierbar
2) (x
i)
i∈Iist summierbar ⇒ (x
i)
i∈I1ist summierbar f¨ur jede Teilmenge I
1⊆ I . Beweis: Sei J wiederum die Menge der endlichen Teilmengen von I und sei ε > 0 . W¨ahle E
0∈ J sodaß f¨ur alle E ∈ J mit E ∩ E
0= ∅ gilt : | P
i∈E
kx
ik| < ε (bzw. k P
i∈E
x
ik < ε f¨ur (2) ) . Es folgt dann k P
i∈E
x
ik ≤ P
i∈E
kx
ik < ε , also die Summierbarkeit von (x
i)
i∈I.
F¨ur (2) sei J
1die Menge der endlichen Teilmengen von I
1. Wegen E
0∩ I
1∈ J
1und E ∩ E
0= ∅ f¨ur jedes E ∈ J
1mit E ∩ (E
0∩ I
1) = ∅ gilt auch k P
i∈E
x
ik < ε , und damit die Summierbarkeit von (x
i)
i∈I1. ¤
Bemerkung: Ohne Beweis seien vermerkt, daß die Implikation in (1) im allgemeinen nicht umkehrbar ist. F¨ur X = C folgt allerdings aus der Summierbarkeit von (x
i)
i∈Idie absolute Summierbarkeit !
Satz 4: Sei (X, k k) ein normierter Raum, P
i∈I
x
i= x und σ : I → I bijektiv.
Dann ist (x
σ(i))
i∈Isummierbar und P
i∈I
x
σ(i)= x .
Beweis: Sei J die Menge der endlichen Teilmengen von I und sei ε > 0 . W¨ahle E
0∈ J sodaß f¨ur alle E ∈ J mit E ⊇ E
0gilt : kx − P
i∈E
x
ik < ε . Dann ist σ
−1(E
0) ∈ J , und f¨ur alle F ∈ J , F ⊃ σ
−1(E
0) folgt
k P
i∈F
x
σ(i)− xk = k P
s∈σ(F)
x
s− xk < ε . ¤
Der Beweis der folgenden Aussage sei dem Leser ¨uberlassen.
Satz 5: Sei (X, k k) ein normierter K-Vektorraum, P
i∈I
x
i= x , P
i∈I
y
i= y und λ ∈ K . Dann gilt : P
i∈I
(x
i+ y
i) = x + y und P
i∈I
(λx
i) = λx .
Unter Verwendung des Cauchy-Kriteriums l¨aßt sich folgende Aussage leicht nachweisen.
Satz 6: Sei (H, < >) ein Hilbertraum, und (u
i)
i∈Ieine Familie orthogonaler Vektoren.
Dann gilt:
(u
i)
i∈Iist summierbar (in H) ⇔ (ku
ik
2)
i∈Iist summierbar (in R).
4) Summierbarkeit in R
Vereinbarung: F¨ur die Indexmenge I sei J die Menge der endlichen Teilmengen von I . Satz 7: Sei (x
i)
i∈Ieine Familie reeller Zahlen mit x
i≥ 0 ∀ i ∈ I . Dann sind folgende Aussagen ¨aquivalent:
(1) (x
i)
i∈Iist summierbar.
(2) ∃ a ∈ R sodaß ∀ E ∈ J : P
i∈E
x
i≤ a . Beweis: (1) ⇒ (2) : Sei P
i∈I
x
i= x . Setze a := x . Aus der Definition von P
i∈I
x
ifolgt sofort, daß P
i∈E
x
i≤ a f¨ur alle E ∈ J ist.
(2) ⇒ (1) : Wegen (2) existiert x = sup{ P
i∈E
x
i: E ∈ J } . Man sieht sofort, daß P
i∈I
x
i= x ist. ¤
Bemerkung: Sei (x
i)
i∈Ieine summierbare Familie reeller Zahlen mit x
i≥ 0 f¨ur alle i ∈ I . Sei f : I → R mit f (i) = x
i∀ i ∈ I , und µ das Z¨ahlmaß auf I . Dann gilt offenbar :
R
I
f dµ = P
i∈I
x
iBemerkung: Seien (x
i)
i∈Iund (y
i)
i∈IFamilien nichtnegativer reeller Zahlen, und gelte x
i≤ y
i∀ i ∈ I . Falls (y
i)
i∈Isummierbar ist, gilt offenbar P
i∈I
x
i≤ P
i∈I
y
i.
Mit bekannten ¨ Uberlegungen aus der Maßtheorie (Definition des Lebesgue Integrals) kann schließlich folgende wichtige Verallgemeinerung der Satz 7 folgenden Bemerkung gezeigt werden:
Satz 8: Sei I eine Menge und f : I → K (K = R oder C) . Sei wiederum f(i) = x
i∀ i ∈ I , und µ das Z¨ahlmaß auf I . Dann gilt :
f summierbar ⇔ f integrierbar (¨uber I ) . In diesem Fall ist dann R
I
f dµ = P
i∈I