Ch'ien-lungs Kompilationsedikt
des Ssu-k'u ch'üan-shu
Christoph Kaderas, Berlin
Einleitung
Der vorliegende Aufsatz setzt sieh mit dem Kompilationsedikt des Ssu-
k'u ch'üan-shu auseinander. Zunächst wird die Funktion dieser Monu¬
mentalsammlung kurz umrissen, um die Hintergründe des Ssu-k'u-Tro-
jekts besser verständlich zu machen. Darauf folgt die vollständige Über¬
setzung des Kompilationsedikts, das Kaiser Ch'ien-lung (reg. 1736-1796)
am 7. Februar des Jahres 1772' erlassen hat; der Text des Edikts wird in
einer eigens hierfür revidierten und annotierten Fassung der Übersetzung
nachgestellt. Obwohl dieses Edikt als ein Paradebeispiel für das kulturelle
Selbstverständnis und den politischen Machtanspruch chinesischer Mon¬
archen gelesen werden kann, gibt es hierfür in westlichen Sprachen noch
immer keine vollständige Übersetzung.^ Der Beitrag zielt somit darauf,
diese fraglos sehr bedeutende Primärquelle näher zu erläutern und einem
größeren Leserkreis zur Verfügung zu stellen.
Die Bedeutung des Ssu-k'u ch'üan-shu
Das Ssu-k'u ch'üan-shu gehört zu den wichtigsten Leistungen der chine¬
sischen Buchproduktion in vormoderner Zeit. Schon der Titel, der mit
' Cf. Kuno Ying-she [Hrsg.]: Ta Ch'ing shih-ch'ao sheng-hsün. Bd. 3. Hong
Kong: Ke-ta 1965, S. 574; zur Umrechnung des hierin enthaltenen Datierungsver¬
merks cf die Angaben in: Cheng He-sheng: Chin-shih chung-hsi shih-jih tui-
chao. Peiching: Chung-hua 1981, S. 513, und Fang Shih-ming [Hrsg.]: Chung-kuo
li-shih chi-nian piao. Shanghai: Shanghai tz'u-shu 1980, S. 146.
2 In seiner Studie The Emperor's Four Treasuries: Scholars and the State in the
Late Ch'ien-lung Era. Cambridge, Mass., und London: Harvard Univ. 1987 (s. S.
34-37), paraphrasiert R. K. Guy zwar verschiedene Abschnitte dieses Doku¬
ments; die von ihm angeführten Passagen sind aber sehr frei und zum Teil fehler¬
haft oder unzutreffend übertragen (beispielsweise datiert Guy das Kompilations¬
edikt irrtümlich auf das Jahr 1771).
Widmung anläßlich der Aushändigung einer Kopie des Ssu-k'u ch'üan-shu
an die Privatbibliothek Wen-yüan ko
(Handschrift des Kaisers Ch'ien-lung)
„Vollständige Bibliothek der vier Literaturschatzhäuser" übersetzt wer¬
den kann, 3 weist auf den Totalitätsanspruch, den die Verfasser bei der
Zusammenstellung dieser Kompilation erhoben. Die besagten „vier Lite¬
raturschatzhäuser" {Ssu-k'u) stehen sowohl fiir die vier Werkgruppen der
traditionellen chinesischen Bibliographie* als auch für die vier Bereiche
der kaiserlichen Palastbibliothek; hier wurden die Buchbestände tatsäch¬
lich voneinander getrennt magaziniert und in vier speziellen, farblich
unterschiedlich gehaltenen Schutzschubervarianten deponiert. Im Kata¬
log einer modernen Reprintausgabe wird der Umfang der im Ssu-k'u
ch'üan-shu enthaltenen Werke auf über 3400 Schriftstücke {shu) bezif¬
fert; die Summe ihrer Abschnitte beläuft sich auf mehr als 79 300 Kapitel
{chüan) mit über 36500 Buchbindereinheiten (ts'e).^ Die Frühphase des
Ssu-k'u-Projekts geht bis in die frühen siebziger Jahre des achtzehnten
Jahrhunderts zurück, dessen Endphase bis zum Beginn des Jahres 1780
reicht. In dieser relativ kurzen Zeit stellte ein ganzes Heer von Beamten¬
gelehrten unter Leitung von Chi Yün (1724-1805) die erste Fassung der
Sammlung zusammen. Sie wurde mit dem Ziel begonnen, sämtliche
Schriften der vier bibliographischen Kategorien, die von besonderem
Wert waren, in einer textkritisch revidierten Fassung erneut zu edieren
und zu einem einheitlichen Textkorpus zusammenzuführen.
Dieses Projekt bietet hervorragende Anhaltspunkte für ein Verständnis
der Kulturpolitik des chinesischen Kaisertums. Es dient überdies zur
Rekonstruktion des intellektuellen Klimas im China des ausgehenden
achtzehnten Jahrhunderts.
Die historische Funktion des Ssu-k'u ch'üan-shu
Das Ssu-k'u-Projekt steht in einer langen Reihe kaiserlicher Projekte zur
Sammlung von Literatur. Bereits die Anfangszeilen des Kompilations¬
edikts weisen daraufhin, daß sich Ch'ien-lung mit seinem Projekt ganz in
3 Helwig Schmidt-Glintzer: Geschichte der chinesischen Literatur. Darm¬
stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1990, S. 450.
* Gemeint sind die bibliographischen Sektionen „kanonische Schriften" (ching- pu), „historiographische Werke" {shih-pu), „Schultraditionen" (tzu-pu) und
„Literatursammlungen" (chi-pu).
5 Cf das Inhaltsverzeichnis (mu-lu) dieses Werkes. In: Chi Yün [Hrsg.]: Ssu-k'u ch'üan-shu. Bd. 1. Shanghai: Shanghai ku-chi 1987, S. 1. In der Sekundärliteratur
variieren die Umfangsangaben allerdings zum Teil beträchtlich, da es verschie¬
dene Ausgaben des Ssu-k'u ch'üan-shu gibt und die Autoren in der Regel versäu¬
men, genauere bibliographische Angaben über die verwendeten Ausgaben zu
machen.
die Tradition chinesischer Herrscher stellen wollte. Schon zur Han-Zeit
war es ganz offensichtlich zu einem Zeichen der Macht geworden, Bücher
und deren Standardkommentare sammeln, korrigieren und kontrollieren
zu können. Ein Herrscherhaus, das versäumte, dies zu unternehmen, ver¬
spielte seinen Legitimitätsanspruch. Schreiben und regieren waren in
China eine untrennbare Einheit - sie waren charakteristische und aufein¬
ander bezogene Anzeichen der gewachsenen Bedeutung einer einflu߬
reichen Interessengemeinschaft von Beamtengelehrten und politischen
Eliten.
In diesem Kontext muß daher auch die kaiserlich geförderte Produk¬
tion von Werken wie dem Ssu-k'u ch'üan-shu gesehen werden. Ein Kaiser
(und wenn es auch nur ein Usurpator oder Fremdherrscher war), der es
vermochte, Legionen von Bediensteten zur Kompilation literarischer
Sammelwerke in die Pflicht zu nehmen, bewies sich als ein legitimer
Herrscher, der die Macht am Hofe zu seinen Gunsten zu entscheiden ver¬
mochte. Auf eine pointierte Formel gebracht, könnte es daher heißen:
Wer in China über die Bücher herrschte, herrschte über das Reich. Auf
jeden Fall galt die politische Potenz, literarische Großprojekte in Auftrag
geben zu können, als ein wichtiges Zeichen staatlicher Macht und Würde;
zweifellos war es zumindest das für alle erkennbare Indiz einer erfolgrei¬
chen Machtergreifung. In diesem Sinne waren Bücher wirksame Insignien
der realen Machtverhältnisse im Reich. Schon Ch'ien-lungs Großvater
K'ang-hsi (reg. 1662-1722) nutzte die Kompilation der prestigeträchtigen
Literatursammlung Ku-chin t'u-shu chi-ch'eng^ zur Konsolidierung der
neu errichteten Mandschuren-Dynastie Ch'ing. Im Gegensatz zu der Lite¬
ratursammlung seines Großvaters, die eher den Charakter einer giganti¬
schen Anthologie trug, in der ausgewählte Textausschnitte nach Rubri¬
ken geordnet zusammengestellt wurden, bestand die Kompilation des
Ch'ien-lung aus hochgeschätzten Klassikern, die in einer redigierten
Textfassung vollständig wiedergegeben wurden.
6 Für ein konzises Gesamtporträt des T'u-shu chi-ch'eng ist der Beitrag Otto
Frankes noch immer lesenswert: Zwei wichtige literarische Erwerbungen des
Seminars für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. In: Mitteilungen aus dem
Seminar für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. Hamburg: Otto Meissner
1915. [Sonderdr. aus d. Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstal¬
ten 32 (1914). 7. Beiheft.] Neben L. Giles Klassiker An Alphabetical Index to the
Chinese Encyclopaedia Ch'in Ting Ku Chin T'u Shu Chi Ch'eng (London: British
Museum 1911) hat sich das nützliche Referenzwerk T'u-shu chi-ch'eng chien-mu
von Tu HsÜEH-CHiH (T'aipei: T'aiwan Shang-wu 1987) als hervorragende Einfüh¬
rung in das Werk bewährt.
Ein Grund für die zentralisierten kaiserlichen Buchsammlungen der
Ch'ing-Zeit lag zweifellos in der Art der Beziehungen, die zwischen den
Mandschu-Herrschern und ihren chinesischen Untertanen bestanden. Die
Mandschuren waren als kleine Minderheit, die sich ethnisch und kulturell
deutlich von den durch sie regierten Chinesen unterschied, einem starken
Legitimationsdruck unterworfen. In Verbindung mit der objektiven Über¬
legenheit der Chinesen in quantitativer Hinsicht sowie dem subjektiven
Unterlegenheitsgefühl der Mandschuren in kultureller Hinsicht, unterlag
die ideologische Rechtfertigung der Mandschuren, die sie zur Legitimie¬
rung ihrer Herrschaft entwickeln mußten, festen Vorgaben und Be¬
schränkungen. Die mandschurischen Kaiser legitimierten ihre Herrschaft
vor allem durch Verweise auf jene Aspekte der konfuzianischen Tradi¬
tion, von denen sich ableiten ließ, daß (ungeachtet ihrer ethnischen Her¬
kunft) nur die Moralischen und Tugendhaften ein Recht zum Regieren
besitzen.' Die Eroberer Chinas nutzten, wann immer sie konnten, diese
Dimension der konfuzianischen Tradition, um ihre eigene moralische und
politische Befähigung unter Beweis stellen zu können. In diesem ideologi¬
schen Kontext der Regentschaft des Tugendhaften ist zweifellos auch das
große Engagement des Kaisers Ch'ien-lung auf dem Gebiet der Literatur
und Bibliographie zu sehen.
Im Kompilationsedikt legt Ch'ien-lung die Werke fest, die er für seine
Sammlung sucht. Er unterscheidet dabei zwischen jenen Werken, die
unvergängliche Wahrheiten enthalten und für die Erledigung von Regie¬
rungsgeschäften hilfreich sind, sowie jenen, die „minderwertig" sind. Not¬
wendigerweise müssen sich bei der Beschreibung der „minderwertigen"
Werke schlimme Erinnerungen an die Autodafes zu Beginn der Ch'ing-
Dynastie einstellen. Tatsächlich diente die Kompilierung des Ssu-k'u
ch'üan-shu nicht nur dem Literaturerhalt, sondern auch einer kompro¬
mißlosen Literaturkontrolle. Für die Ch'ing-Regierung hatte dieses Buch¬
projekt zugleich den bedeutenden Nebeneffekt, Privatbibliotheken nach
anti-mandschurischen Werken durchsuchen und die Besitzer von uner¬
wünschten Schriften demonstrativ bestrafen zu können. Die oft beklagte
Schattenseite des Ssu-k'u-Projekts war daher die Zensur-Kampagne des
Kaiserhofs, der in der Zeit zwischen 1770 und 1780 über 2400 Werke zum
Opfer fielen.8 Die zensierten Werke wurden unter dem Hinweis auf darin
' Klassische Belegstellen für die Legitimität des moralisch perfekten Regenten finden sich beispielsweise in Meng-tzu 1B8, 4A2I und 4B5 (s. Meng-tzu cheng-i.
Bd. 1. Peiching: Chung-hua 1986, S. 58 f und S. 278-321) sowie m Hsün-tzu 18
(s. Hsün-tzu chi-chieh. Bd. 2. Peiching: Chung-hua 1988, S. 321 f).
8 Für Schätzungen der vernichteten Schriften s. Ch. 0. Hucker: China's
enthaltene dynastiefeindliche Passagen vollständig zerstört und sind fiir
die Nachwelt seither unwiederbringlich verloren gegangen. Etwa 500
weitere Werke wurden mit der gleichen Begründung nach offiziellen Vor¬
gaben umgeschrieben. 8
Neben dem inquisitorischen Effekt des Ssu-k'u-Projekts beweist aber
noch ein anderer Aspekt, daß dieses Kompilationsvorhaben kein rein
„schöngeistiges" Unternehmen war. Im Kompilationsedikt wird aus¬
drücklich daraufhingewiesen, wie bedeutsam die „redigierten" oder „revi¬
dierten" Textvorlagen sind. Dieses Detail stellt eine unmißverständliche
Aufwertung des iTao-cÄewgr-Gelehrtentums'o dar, dessen Vertreter bei der
Herausgabe des Ssu-k'u ch'üan-shu die Hauptarbeit leisteten. Die kaiser¬
liche Anerkennung des ^Tao-cAeng'-Gelehrtentums ist vor allem vor dem
Hintergrund der quantitativen Entwicklung der Examensabsolventen
bedeutsam: Im 18. Jahrhundert gab es immer mehr Akademiker, die zwar
innerhalb des Prüfungssystems alle Hürden erfolgreich überwunden hat¬
ten, wegen der limitierten Anzahl von Beamtenstellen aber dennoch ohne
Anstellung blieben. In diesem Zusammenhang war es sehr umsichtig,
durch staatliche Großprojekte dem Nachwuchs neue Wirkungsmöglich¬
keiten zu bieten, um sich der Loyalität dieses Protestpotentials zu ver¬
sichern. Nur wenn man bedenkt, daß der verantwortliche Redakteur des
Ssu-k'u ch'üan-shu gegen Ende des Projekts einen Mitarbeiterstab von
über 700 Editoren, Lektoren und Kopisten koordinierte (dem auch 200
der angesehensten Gelehrten ihrer Zeit angehörten), wird man die Bedeu¬
tung dieses Unternehmens für die nachrückenden Beamtenkandidaten
abschätzen können.
Imperial Past. An Introduction to Chinese History and Culture. Stanford, Calif:
Stanford Univ. n995, S. 393-394, und J. D. Spenge: The Search for Modern China.
London: Hutchinson 1990, S. 101.
9 Zu den bedauerlichsten Verlusten der Zensur-Kampagnen zählen geographi¬
sche Werke und Reisebeschreibungen, die Informationen enthielten, die als
Bedrohung für Chinas Verteidigung betrachtet wurden. Für detaillierte Angaben
über den destruktiven Aspekt der Kompilationsbemühungen siehe L. C.
Goodrich: The Literary Inquisition of Ch'ien-lung. Baltimore: Waverly 1935.
Die epochale Neuerung, die von den Kao-cheng-Gelehrten ausging, war die
Überwindung spekulativer Theorien des Ch'eng-Chu-Konfuzianismus auf Grund
einer philologisch exakten Textkritik - gleichwohl blieben die „orthodoxen" Lehr¬
meinungen der ÄMMgr-Konfuzianer im Rahmen des offiziellen Prüfungswesens nach
wie vor verbindlich. Die beste Gesamtdarstellung des iTao-cÄewg'-Gelehrtentums
sowie dessen textkritische Arbeitsmethoden bietet naeh wie vor B. Elman: From
Philosophy to Philology. Social and Intellectual Aspeets of Change in Late Im¬
perial China. Cambridge: Harvard Univ. Council on East Asian Studies 1984.
Abschließend bleibt noch darauf hinzuweisen, daß das ÄSM-^'w-Projekt,
dessen Korrektur und Endredaktion erst nach über zwanzig Jahren end¬
gültig abgeschlossen wurde, eine beispiellose Literatursammlung hervor¬
gebracht hat, durch die Standardversionen von Werken aller Literatur¬
gattungen entstanden. Weshalb die im Ssu-k'u ch'üan-shu erarbeiteten
Textfassungen über Generationen hinweg von Gelehrten als Standardaus¬
gaben anerkannt wurden, lag hauptsächlich in der zuvor unerreichten
philologischen Sorgfalt begründet, mit der die Kompiiatoren eine Reihe
rarer Palasteditionen und Privatausgaben seltener Drucke textkritisch
überarbeitet und einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht
haben. 11
Die Quellen der Übersetzung
Der Text des Kompilationsedikts liegt uns heute in verschiedenen Versio¬
nen vor, die an einigen Stellen geringfügig, an anderen deutlich voneinan¬
der abweichen. Dieser Variantenreichtum ist auf den ersten Blick ver¬
blüffend, galten kaiserliche Schriftstücke doch für Zeitgenossen als sakro¬
sankt: Unauthorisierte Veränderungen kaiserlicher Erlasse wurden
streng bestraft. In der hier vorgelegten Übersetzung werden die vier
bedeutendsten Parallelvcrsionen miteinander verglichen sowie deren
Varianten vermerkt und gegenübergestellt.
Bei der ersten Fassung (Version A)i2 handelt es sich um den Text, der
dem Ssu-k'u ch'üan-shu beigefügt ist. Bei dieser Textfassung handelt es
" Für Angaben über die politischen, historischen und philosophischen Hinter¬
gründe des S«M-/fc'M-Projekts siehe die bereits zitierte Studie von Guy {The Em¬
peror's Four Treasuries); zur Bedeutung des Ssu-k'u ch'üan-shu im Vergleich zu
anderen Kollektionen der Ch'ing-Zeit s. Tan Cho-Yüan: The Development ofChi¬
nese Libraries Under the Ch'ing Dynasty, 1644-19 IL Shanghai: Commercial
1935, S. 26-46.
Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags (Sommer 1997) lag mir noch
nicht die Ende 1997 erschienene Materialsammlung zum Ssu-k'u ch'üan-shu vor,
die ein künftiges Standardwerk zur Erforschung der Buchprojekte Ch'ien-lungs
werden wird (s. Chang Shu-ts'ai Mtt und Lü Chien BM [Hrsg]: Tsuan-hsiu
ssu-k'u ch'üan-shu tang-an mm±*» 2 Bde. Shanghai: Shanghai ku-chi
1997). Diese neue Dokumentation enthält neben kaiserlichen Erlassen und Edik¬
ten auch Briefwechsel und Aktenvermerke der Regierungsbürokratie sowie wert¬
volle Hintergrundinformationen, die noch nie zuvor zusammengestellt worden
sind und die Forschung um wichtige Details bereichern können. ^ .
'2 Cf Chi Yün- Ssu-k'u ch'üan-shu. Bd. 1. Shanghai: Shanghai ku-chi 1987, S.
1B-2A.
sich um einen photomechanischen Nachdruck der Ausgabe Wen-yüan ke
aus dem Jahre 1782. Die zweite Fassung (Version B)'^ ist eine nicht ein¬
deutig bestimmte Vorlage, die einer anerkannten Quellensammlung ent¬
nommen ist. Diese Version des Edikts weist verschiedene Varianten auf,
die zum Teil deutlich von der Version A abweichen. Bei der dritten Fas¬
sung (Version C)'* handelt es sich um den Text, der im Ssu-k'u ch'üan-shu
tsung-mu enthalten ist. Diese Version stimmt weitgehend mit der Ver¬
sion A überein und dient in erster Linie zur Kontrolle all jener Passagen,
in denen es Abweichungen zwischen den Versionen A und B gibt, die
nicht ohne weiteres als Druckfehler betrachtet werden können. Die Vor¬
lage C liegt auch in einer nahezu deckungsgleichen Parallelversion (Ver¬
sion D)'5 vor, der im Unterschied zu allen zuvor zitierten Editionen noch
Interpunktionszeichen hinzugefügt wurden. Die Interpunktion dieser
Textfassung wird in der vorliegenden revidierten Version übernommen.
Insgesamt wird hier Version A allen anderen Textfassungen vorgezo¬
gen, da in dieser Version alle Tabuzeichen der Ch'ing-Zeit wiedergegeben
werden - was für eine größtmögliche Nähe zum Original spricht.
Die Übersetzung des Kompilationsedikts
Hiermit verkünden wir: Wir haben das Altertum erforscht und das
Schrifttum geehrt, was Uns dabei unterstützte, im Reich für Ordnung zu
sorgen; dabei haben Wir unzählige kanonische Bücher studiert und waren
eifrig Tag für Tag. Und so denken Wir an die wertvollen Werke (p'iao-
hsiangY^ der Palastmagazine, deren Bände überaus zahlreich sind. Die
großartigen von ihnen wurden den Monarchen zu Beratern bei den Regie¬
rungsgeschäften, denen (auch) künftig gute Orientierungspunkte zu ent¬
nehmen sind - gewiß bezeichnet man sie wohl zu Recht als Lehrbeispiele
der Geschichte, denen man immerwährend folgen wird.
'3 Cf Kuno Ying-she [Hrsg.], loc. cit. Diese Kompilation vereint sämtliche
Edikte, die von Kaisern während der Ch'ing-Zeit erlassen wurden, und ist in der
Sekundärliteratur zur CÄ'jiwgr-Dynastie die am häufigsten verwandte Quellen¬
sammlung.
'* Cf Chi Yün [Hrsg.]: Ssu-k'u ch'üan-shu tsung-mu. Bd. 1 (shang yü). Shang¬
hai: Ta-tung 1930, S. 1.
'5 Siehe op. cit., chüan shou.
Der Begriff p'iao-hsiang (wörtlich: Blau- und Gelb[rücken]) bezieht sieh auf
besonders wertvolle Bücher, die je nach dem Inhalt verschiedenfarbig mit einem
besonderen Stoffrücken eingebunden waren; cf Luo Chu-feng (Hrsg.): Han-yü ta
tz'u-tien. Bd. 9. Shanghai: Shanghai tz'u-shu 1986-1993, S. 978-979.
Selbst jene, die (lediglich) Kenntnis von Details haben, Spezialthemen
abhandeln, penibel sind, wenn es um die Grundzüge wichtiger Gegen¬
stände geht, oder (nur) zusammenstellen und aneinanderfügen, stellen
(jeweils) eigene Fachrichtungen (cÄm)" dar - sie alle haben eine Seite, die
Erhellendes aufweist und eine Hilfestellung zur Versenkung in die Künste
(^■)'» und zur Pflege des Geistes (hsinY^ sein kann.
Dies ist auch der Grund, weshalb Wir bei der Thronbesteigung erlassen
haben, nah und fern überkommene Schriften aufspüren zu lassen. Zudem
ordneten Wir den Beamtengelehrten an, die Dreizehn Klassiker^'* und die
Einundzwanzig Geschichtswerke^^ zu revidieren und sie als vorzüglichen
Gunstbeweis für künftige Studenten allerorten an Bildungsstätten zu ver¬
breiten. Auch eröffneten Wir eine Behörde, um die drei Absehnitte des
'7 Das Wort chia bezieht sich an dieser Stelle aufdie verschiedenen Einzeldis¬
ziplinen des traditionellen Gelehrtentums, deren Vertreter unterschiedliehe The¬
menbereiche (z.B. Philologie, Historiographie, Geographie, Chronologie oder
Genealogie) mit den ihnen eigenen Arbeitstechniken schon früh auf unterschied¬
liche Art und Weise bearbeitet haben.
"* Im engeren Sinne werden im chinesischen Kontext mit den „Künsten" tradi¬
tionell die sechs Grundfertigkeiten eines Gelehrten assoziiert: Riten (Ii), Musik
(yüeh), Bogenschießen (she). Streitwagenlenken (yü). Schreiben (sku) und Rech¬
nen (shu). Im weiteren Sinne bezieht sich i auf das Curriculum der traditionellen
Bildung in seiner Gesamtheit. Zur Begriffsbestimmung von i siehe den umfang¬
reich annotierten Locus classicus im Lun-yü (7.6) des Konfuzius. In: Lun-yü chi-
shih, hrsg. von Ch'eng Chün-ying u.a. Bd. 2. Peiching: Chung-hua 1990, S. 443-
445.
'9 Das Wort hsin steht hier für das Bewußtsein des Menschen, d.h. jener Insti¬
tution, aufdie die Fähigkeit zur Erkenntnis zurückgeführt wird.
2" Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Veränderungen im Kanon der
„Klassiker". Was unter einer Dynastie als anerkannter Klassiker galt, konnte
Während der vorangegangenen oder nachfolgenden Dynastie von der Ehrung als
kanonisches Werk ausgeschlossen sein. In der Ch'ing-Zeii wurden meistens fol¬
gende Werke unter die Dreizehn Klassiker subsumiert: Das I-ching, Shang-shu,
Shih-ching, Chou-li, I-li, Li-chi, Ch'un-ch'iu (mit den Kommentaren Tso und
Kung-yang), Lun-yü, Hsiao-ching, Erh-ya und das Meng-tzu; für ein Standard¬
werk der Ch'ing-Zeii cf Juan Yüan [Hrsg.]: Shih-san chmg chu-shu. Peiching:
Chung-hua 1980. , ,. , . , „
2' Hierunter wurden in der Regierungszeit Ch'ien-lungs die schon seit der Sung-
Zeit als offiziell anerkannten Dynastiegeschichten Shih-chi, Han-shu, Hou Han¬
shu, San-kuo Chi, Chin-shu, Sung-shu, Nan Ch'i-shu, Liang-shu, Ch'en-shu, Hou
Wei-shu, Pei Ch'i-shu, Chou-shu, Sui-shu sowie die seit der Sung-Zeit zusätzhch
anerkannten Werke Nan-shih, Pei-shih, Hsin T'ang-shu, Hsm Wu-tai-shi verstan¬
den, denen schließlich in der Ch'ing-Zeit noch die überarbeiteten Reichsgeschich-
ten der Dynastien Sung, Liao, Chin und Yuan hinzugefügt wurden.
Kang-mu^^ wie auch das Tung-chien chi-lan^^ sowie die Bücher San-
t'ung^* (neu) zusammenzustellen. Alles, was bei gebildeten Schriftgelehr¬
ten in aller Munde ist, wurde bereits zusammengestellt und zusammenge¬
faßt.
Das Rezitieren und Lesen von Büchern dient gewiß dazu, ihre essen¬
tiellen Leitlinien zu erfassen; doch ein besseres Verstehen der früheren
Maxime {ch'ien-yen) und Taten von einst, vermittels dessen man jene
Tugenden kultiviert, ist nur möglich, wenn die Buchsammlungen umfang¬
reicher werden - erst dann können gründliche Untersuchungen subtiler
werden.
So ist das in der Ära K'ang-hsi arrangierte T'u-shu chi-ch'eng,^^ das die
Gesamtheit (der Literatur) zusammenfaßt und verzeichnet, ein großarti¬
ger Überblick über alle erdenklichen Schriften des Altertums. Zum prak-
22 Mit Kang-mu ist das Tzu-chih t'ung-chien kang-mu (ein weiterer Paralleltitel
lautet T'ung-chien kang-mu) gemeint. Dieses Werk ist mit Abstand das wirk¬
mächtigste Kompendium der historiographischen Literatur, das im vormodernen
China von einem Privatgelehrten verfaßt wurde. Der Hauptteil des Kang-mu, der
auf Ssu-ma Kuang (1019-1086) zurückgeht, entstand ursprünglich um das Jahr
1084 und wurde vermutlich im frühen 13. Jahrhundert in der heute vorliegenden
Form abgeschlossen. Ergänzungen zu dem Werk stammen von Chin Li-hsiang und
Ch'en Ching. Chins Vorspann {ch'ien-chi, 20 chüan) wird auf das Ende des 13.
Jahrhunderts, Ch'ens noeh umfangreicheres Supplement {hou-chi, 24 chüan) auf
die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert. In der Palastausgabe von 1707
(Yü-p'i Tzu-chih t'ung-chien kang-mu) wurden diese drei separaten Werkab¬
schnitte in einer redigierten Gesamtausgabe neu zusammengestellt (cf Ssu-k'u
ch'üan-shu tsung-mu, Bd. 3 [shih-pu shang, pian-nien lei] und Yung Jung
[Hrsg.]: Ssu-k'u ch'üan-shu chien-ming mu-lu. Shanghai: Shanghai ku-chi 1985,
S. 191-192, sowie Shao I-ch'en [Hrsg.]: Tseng-ting Ssu-k'u chien-ming mu-lu
piao-chu. Shanghai: He-le t'u-shu 1979, S. 214-215).
23 Bei dem T'ung-chien chi-lan handelt es sich um ein 116 chüan starkes Sam¬
melwerk mit kaiserlichen Kommentaren zum Tzu-chih t'ung-chien des Ssu-ma
Kuang, das aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts stammt; offensichtlich wird hier auf jene Fassung angespielt, die im Jahre 1767 von Kaiser Ch'ien-lung
in einer revidierten Fassung zum Druck befördert wurde (cf Ssu-k'u ch'üan-shu
chien-ming mu-lu, S. 199).
2"* Hierunter werden im allgemeinen folgende Referenzwerke verstanden: Das
T'ung-tien des Tu Yu (735-812), das T'ung-chih des Cheng Ch'iao (1104-1162) und
das Wen-hsien t'ung-k'ao des Ma Tuan-lin {SunglYüan).
25 Das (Ku-chin) T'u-shu chi-ch'eng ist das größte chinesische Nachschlage¬
werk, das jemals fertiggestellt und gedruckt wurde. Kaiser K'ang-hsi erlebte nicht
mehr den Abschluß des von ihm in Auftrag gegeben Werkes. Erst sein Naehfolger
koordinierte im Jahre 1725 die endgültige Druckfassung in zehntausend chüan.
(Diese Drucklegung erfolgte mit beweglichen Bronzetypen - eine für solcherart
Großprojekte bis dahin unerreichte Leistung der chinesischen Druektechnik.)
tischen Gebrauch wird alles zusammengefügt und Sektionen entspre¬
chend nach Rubriken {lei) ausgewählt und zugeschnitten (ts'ai) Da es
[das T'u-shu chi-ch'eng] nicht vermag, die vollständigen Texte ganz zu
verzeichnen, wird (dem Leser) Einblick gegeben, die Herkunft der einzel¬
nen Quelle zurückzuverfolgen, indem in jedem einzelnen Fall deren
Ursprung nachgewiesen wird. 2'
Die heute in den Regalen der kaiserlichen Magazine einlagernden
Bücher sind zweifellos ein großer Schatz. Doch die Autoren, die in alter
und neuer Zeit Schriften verfaßt haben, sind unvorstellbar viele aus aber¬
tausend Schulen - selbst wenn sich einige (Autoren) auch auf berühmte
Berge zurückgezogen haben, ohne in den Rang von Hofbediensteten (chu-
shih)^^ aufgestiegen zu sein. Daher sollten alle Schriften von Zeit zu Zeit
ausgewählt, kompiliert, klassifiziert und in die Hauptstadt gesandt wer¬
den, um den Reichtum der unvergänglichen gemeinsamen Kultur (wen)^^
zu offenbaren.
26 Das Wort ts'ai impliziert hier nicht nur in inhaltlicher Hinsieht ein Anpassen
der zitierten Textausschnitte; es deutet auch in formaler Hinsicht auf das Ein¬
fügen ausgewählter Fragmente, die in eine Kompilation von Teilstücken ein¬
gepaßt werden sollen und hierfür erst „zugeschnitten", d.h. selektiv exzerpiert werden müssen.
2' Bei dieser Würdigung des T'u-shu chi-ch'eng wird ganz deutlich, daß Ch'ien-
lung bei allem Lob die Schwächen dieses gewaltigen Werkes nicht übersieht. Das
T'u-shu chi-ch'eng ist eine gigantische Kompilation ausgewählter Exzerpte, in der
das Zitatmaterial zum schnelleren Auffinden nach 32 Sektionen in 6109 Sach¬
gruppen eingeordnet ist. Es enthält aber keine ungekürzten Originalquellen. In
seiner eigenen Sammlung wird Ch'ien-lung dagegen ausgewählte Schriften in ihrer
Gesamtheit wiedergeben; einzelne Werke werden im Ssu-k'u ch'üan-shu nach
einer kritischen Neuedition in toto reproduziert. Ch'ien-lung würdigt somit zwar
die Kompilation seines Großvaters als ein Werk, das die Grundzüge der Weis¬
heiten des Altertums zu verstehen hilft. Gleichwohl reklamiert er aber für sein
eigenes Projekt, einen noch besseren Zugang zu traditioneller Gelehrsamkeit ent¬
worfen zu haben - erst aufder Basis des Ssu-k'u ch'üan-shu könne eine wirklich
subtile Auseinandersetzung mit den Lehren des Altertums begonnen werden.
28 Die Bezeiehnung chu-shih ist eine archaisierende Referenz auf die Archivare und (Palast-)Zensoren der CAoM-Dynastie. Da dieser Titel für die Ch'ing-'Ze\t eher
ungewöhnlich ist, muß er hier wohl als eine unspezifische Bezeichnung für die
Gesamtheit der Regierungsbeamten verstanden werden (cf Ch. 0. Hücker: A Die¬
tionary of Official Titles in Imperial China. Stanford, Calif: Stanford Univ. 1985, Nr. 1385 und 1422). Gemeint sind hier also diejenigen, die noch keine Karriere im
Beamtendienst gemacht oder dem Staatsdienst ein Eremitendasein vorgezogen
haben und dadurch von der Gelehrtenwelt entweder verkannt oder mißachtet
wurden.
29 pijj. gegensätzliche Interpretationen des facettenreichen Begriffs wen (Kul¬
tur, Schrift, [kanonisierter] Text) cf die Positionen von Peter K. Bol („This
Somit ordnen Wir an: Allen Regierungsbeamten, Generalgouverneuren,
Ausbildern usf. wird befohlen, durch Rundschreiben ihren Untergebenen
anzuordnen, mit besonderer Aufmerksamkeit Bücher zu erwerben und
aufzuspüren. Auszusortieren ist, was in Läden verkauft wird, wie etwa die
Examensessays (shih-wen) fiir die Staatsprüfungen, die im Volk kursie¬
renden nutzlosen Genealogien, Korrespondenzen, Dekorkalligraphien,
Glückwunschadressen usf; ferner die Werke von Autoren, die nicht über
echte Gelehrsamkeit verfügen, die nur blenden und zerstreuend wirken,
die nur zum Gefallen anderer Auszüge aus Prosa und Lyrik zusammenstel¬
len, die unbedeutend oder unangemessen sind - all jene, die nutzlos sind,
sind auszusondern.
Sie [die verantwortlichen Beamten] sollen zuallererst nach jenen alten
Büchern, die über die Jahrhunderte überliefert wurden, die Erläuterun¬
gen für das Studium der Wesensnatur der Dinge (hsing hsüeh)^^^ und die
Methoden des Regierens enthalten, sich auf Fragen der Moral (shih-tao)
und der öffentlichen Meinung (jen-hsin) beziehen, zum Ankauf Ausschau
halten. Ferner soll hinsichtlich erklärender Kommentare und erprobter
Regierungshandbücher und daneben auch jenes, was unter den Maximen
der Neun Schultraditionen der Philosophie'^^ der praktischen Nutzan¬
wendung förderlich ist, alles vollständig überprüft und ausgewählt wer¬
den.
Ebenso wie die berühmten Persönlichkeiten vergangener Jahrhunderte
haben auch die Gelehrten Unserer Dynastie fortwährend Versdichtung
und Prosatexte (shih wen) kompiliert, bis in Unsere Zeit haben sie sich in
kanonische Schriften und historische Werke versenkt und den Ursprung
der Reimkunst (feng ya) zurückverfolgt; wie Ku Tung-kao, Ch'en Tsu-fan,
Culture of Ours": Intellectual Transitions in T'ang and Sung China. Stanford:
Stanford Univ. 1992), und Michael Friedrich (Tradition und Intuition. Zur
Vorgeschichte der Schule von Chu Hsi. In: Helwig Schmidt-Glintzer (Hrsg.):
Lebenswelt und Vl'^eltanschauung im frühneuzeitlichen China. Stuttgart: Franz
Steiner 1990, S. 1-44).
30 Mit hsing hsüeh ist hier sicher nicht die Schule der Wesensnatur (hsing-
hsüeh, d. h. die Schule des Lu Hsiang-shan), sondern eher - ganz im Sinne des
orthodoxen Cheng-Chu-Konfuzianismus - die akademische Beschäftigung (hsüeh)
mit der spezifischen Wesensnatur aller Dinge (hsing) gemeint.
3' Der Begriff Neun Schultraditionen der Philosophie (chiu-liu pai-chia) ist
eine spätestens seit der Han-Zeit verbürgte Sammelbezeichnung für die neun
verschiedenen Geistestraditionen der Prä-CA'm-Zeit. Im einzelnen verstand man
darunter die Schule der Konfuzianer (ju), Daoisten (tao), korrelativen Kosmolo¬
gen (yin-yang), Legisten (fa), Logiker (ming), Mohisten (mo), Diplomaten und
Strategen (chung-heng), Ackerbauern (nung) und der Eklektiker (tsa).
Jen Ch'i-yün und Shen Te-ch'ien32 hat ein jeder Werke verfaßt und voll¬
endet - dies ist mit dreistem Nachahmen oder dilletantischem Imitieren
überhaupt nicht zu vergleichen.
Alles soll gleichermaßen einer aufklärenden Überprüfung unterzogen
werden, und was sich in Buchläden befindet, ist zum gegebenen Preis zu
kaufen. Was sich in Privatbibliotheken befindet, ist von Beamten zusam¬
menzufügen und zu drucken. Was darunter noch nie zum Druck befördert
wurde^s und nur als Abschreibvorlage (ch'ao-pen) erhalten ist, soll nicht
beschädigt werden; ein Duplikat ist abzuschreiben und die Originalvor¬
lage ist zurückzugeben. Es ist streng darauf zu achten, daß alles sorgfältig
durchgeführt wird und kein subalterner Bediensteter die Buchregistrie¬
rung zum Anlaß einer allgemeinen Verunsicherung nimmt. 3*
Laßt (daher) die betreffenden Generalgouverneure und Gouverneure der
Provinzen usf zunächst alle Werke der Reihe nach in ein Register auf¬
nehmen, in dem vermerkt wird, zu welcher Zeit und von welchem Verfas¬
ser sie geschrieben wurden sowie worin die Hauptinhalte der Bücher
bestehen; klar und deutlich sind diese [die Register] zu verfassen und als
Memoranden dem Thron einzureichen. Nachdem alle [diese Memoranden]
von überall her eingegangen sind, wird den Hofbeamten befohlen, sie
sorgfältig zu begutachten. Was hinreichend geordnet und geprüft ist, ist
erneut zu registrieren, amtlich bekanntzugeben und einzubestellen. Möge
ihre Aufnahme in die Stein-Senke^^ eine Unterstützung der hoheitlichen
Studien sein.
32 Die vier genannten Persönlichkeiten waren anerkannte Gelehrte ihrer Zeit,
die alle in persönlichen Kontakt mit Ch'ien-lung gekommen waren. Jeder von
ihnen erfuhr im Laufe des Lebens die besondere Ehrung, für ein literarisches
Werk vom Kaiser ein eigenes Vorwort gewidmet zu bekommen. Ku (1679-1759),
Ch'en (1676-1754) und Jen {chin-shih-Exa,men 1730) waren besonders für ihre
Kommentarwerke zu den Klassikern bekannt; Shen (1673-1769) war ein hoch¬
geschätzter Poet.
33 Wörtlich: „zugeschnitten wurde" (ch'üan-k'an) - ein Hinweis aufdie Tech¬
nik des Holzblockdrucks.
ä* An dieser Stelle wird ganz deutlich, daß sich Ch'ien-lung der Gefahren durch¬
aus bewußt war, die von der Durchsuchung der Privatbibliotheken ausgingen -
leicht konnte die Sichtung der privaten Buchbestände als bedrohliches Autodafe
empfunden werden, das die Mandschus alle Sympathie der chinesischen Intellek¬
tuellen gekostet hätte. (Zudem liefen alle Besitzer rarer Handschriften Gefahr, die einmal entliehenen Privatexemplare niemals wiederzusehen: Insofern ist diese
Stelle des Edikts auch als ein Appell an die Disziplin der Beamten zu lesen, die
an der Kompilation beteiligt waren; sie sollten die Buchsammlung nicht als Gele¬
genheit zum Diebstahl seltener Handsehriften ausnutzen.)
35 Der Terminus „Stein-Senke" {Shih-ch'ü ke) war ursprünglich der Name einer
Auf dieser Grundlage wird das Ssu-k'u^^ das Ch'i-lüeh^'' noch erhellen
und perfekt vollenden - dies ist der Wille Ihrer glorreichen Majestät:
Achtet dies!
Bibliothek, die in der frühen Han-Ze\i von dem Minister Hsiao He (um 193
v. Chr.) nördlich der Haupthalle des Kaiserpalastes errichtet wurde (cf Pan Ku:
Han-shu. Bd. 7 [chüan 36]. Peiching: 1983, S. 1928 [Anm. 8], und Pi Yüan
[Hrsg.]: San-fu huang-l'u. T'aipei: Ch'eng-wen 1970, S. 97). Ab dem Jahre 51
V. Chr. wurde dieser Gebäudekomplex auch als Stätte der Diskussion über die
Klassiker genutzt. Von da an wandelte sich der Name Shih-ch'ü ke zu einer
Metapher, die nicht nur auf die kaiserliche Bibliothek, sondern auch allgemein
auf Orte, an denen sich kostbare Bücher befanden, bezogen wurde; cf Moro¬
hashi Tetsuji: Dai Kan-Wa jiten. Tökyö: Taishukan 1961, 24024.152 {seki
kyo).
36 Der Ausdruck Ssu-k'u war in der Ch'ing-Ze\i sowohl eine Abkürzung für das
Ssu-k'u ch'üan-shu tsung-mu als auch für das Ssu-k'u ch'üan-shu selbst. Das
Ssu-k'u ch'üan-shu tsung-mu ist die wichtigste annotierte Bibliographie des vor¬
modernen China. Sie beinhaltet nicht nur die 3461 Werke des Ssu-k'u ch'üan-
shu, sondern darüber hinaus noch 6793 andere Werke, die noch zur Zeit der
Kompilation des Ssu-k'u ch'üan-shu (um 1773-1782) erhalten waren, jedoch nicht
in die spätere Endfassung aufgenommen wurden. Da hier das „Ssu-k'u" der Lite¬
raturkonkordanz Ch'i-lüeh gegenübergestellt wird, wäre es auch möglieh, daß
hier das Ssu-k'u ch'üan-shu tsung-mu gemeint ist. (Denn beide Ssu-k'u könnten
gleichermaßen zu Recht als ein Symbol gelten, das für die Bewahrung der Lite¬
ratur für die Nachwelt steht.) Aus dem historischen Kontext geht aber hervor,
daß mit Ssu-k'u hier das Projekt der systematischen Literatursammlung gemeint
ist, dessen Endergebnis das Ssu-k'u ch'üan-shu selbst war.
3' Das Ch'i-lüeh, die Sieben Abrisse, war der offizielle Literaturkatalog der
/fon-Dynastie, der von Liu Hsin (gest. 23 n. Chr.) zusammengestellt wurde. Über
Jahrhunderte galt er als mustergültige und richtungsweisende Literaturkonkor¬
danz, der die Nachwelt einen Rückblick auf den Buchbestand der Vergangenheit verdankt.
Der Text des Kompilationsedikts
mä^^±^jEj^m\^ ^m^'
±m'' ° mm-^^x ^ mn^m^ > ^ h^bc
& ° m.^Mmmm ^ m$mn ° mmmmmw ^ m
ie^^^ m&m^f'^mm'' m£m4^z'iM^ mfm
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^ ° miiit«#-^@H.!^5ii^m^
^mmm ° /lw^^^:^± ^ 0r't;^ii^>^# ^ i^a
# ° mit^' mmmmmmi ^ m^mm^
38 Allein in der Textfassung B wird der Text an dieser Stelle auf den Tag
Ch'ien-lung san-shih-ch'i nian jen-ch'en cheng-yüeh keng-tzu $^|^HA-t^-3r®
iE^ Jli^ datiert. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Alternativschreibung
der gleichen Datumsangabe, nämlich um den 7. Februar 1772. (Zur Rekonstruk¬
tion dieser Kalenderangabe s. Cheng He-sheng, op. cit., S. 513.)
39 In der Textfassung B folgen an dieser Stelle noch die beiden Worte nei-
yen ^ |l| ; nei-yen (ein höfischer Eren) ist eine selten gebrauchte Metapher für
den engeren Verwaltungsapparat.
An dieser Stelle findet sich in der Textfassung B statt ^ die offensichtliche
Fehlschreibung Das Zeichen ping M wird in der Version B stets 3£, in den
Versionen C und D an allen Stellen it geschrieben.
*' Hier steht in den Versionen B, C und D statt ke # das Zeichen lüeh B§ (in
diesem Kontext: Zusammenfassung, Abriß oder Skizze), was sehr wahrscheinlich auf einen Druckfehler in Version A hindeutet.
"•2 Die Textfassung A verwendet hier statt des üblichen das auch in den
Versionen B, C und D gebraucht wird, die ungebräuchlichere Schreibung ^-f;.
mi^m^' mM ^ 'mmmM.m ^ mmtiMm °
^rmimmmj^ ^ ±^m^mm ^ mi^m:t^m °
^ip^mm ^ mMmm^m ^ ^^mmm^x ^
mmm — mn^m ° ^mmm ^ m^^^^
s ° mt^^MMi¥z^^.äM=f-^m ^ mm^^ih ^
^m^^ ° ^"KAmm ^ m'^Mi^ ^ i^A^^f^mx
Ä^Lt** mmMwmm ^ mmmw °
^.^mBfmmm^-x&^mmf^zmmKmmmmn
^m^ xnx^uM^^ ^^mm^mn^ mmm
iB'^mx ^ JiJi^^M'i'^ ^ i^^itM*« ° nm^'ü^iM.
*3 Im Gegensatz zu allen anderen Fassungen, in denen hsü mit dem Zei¬
chen ^ (kultivieren, aufziehen oder nähren) geschrieben wird, wird in der
Version A hsü mit dem gleichlautenden Zeichen ^ (einlagern, speichern oder
sammeln) geschrieben - was m. E. für eine sinnvolle Emendation in den Versio¬
nen B, C und D spricht.
Nur die Version B verwendet hier statt der korrekten Schreibweise für
chih W. die Alternativschreibung 1[.
Nach dem Ausdruck tu-fu wird dieser Satzteil in der Textfassung B, C
und D durch den Zusatz hui t'ung (gemeinsam, zusammen mit) zu der Wen¬
dung =§'^ft#|Hl^PiEiC^ erweitert; zur Erläuterung der zusammengesetzten
Beamtenrangsbezeichnung tu-fu s. C. 0. Hucker, op. cit., Nr. 7227.
46 In Version B wird an dieser Stelle das Wort ch'ang des Binoms ch'ou-
ch'ang 91f§ (einander beschenken, besonders mit Kunstwerken, oder gegenseitig
widmen) statt mit dem Radikal 9 in der Alternativform mit dem Radikal 30 Ui
geschrieben.
4' In Abweichung von allen anderen Versionen heißt es in der Fassung B
nicht suo-hsieh, sondern sui-hsieh 5$B; suo-hsieh und sui-hsieh sind lexikalisch verbürgte Synonyme.
48 In den Textfassungen B, C und D wird der Ausdruck ts'ai-ch'ü (aus¬
wählen, heraussuchen) zu ts'ai-ch'ü wai jj^lfX^'h erweitert.
49 In der Ch'ien-lung-Zeit gehörte das Zeichen li M zu jenen Zeichen, deren
Schreibung unter ein Tabu fielen. Aus diesem Grund wird es in allen Versionen
Ä«# ^ ^^mmim^i^m ^ mm^' i^mx^o^ ^ s
'tfifeiim^'" mmmim ^ 5^^^ m^m ^ ^fiA
m'nmZm ^ ^ ° X^p)^{-i:
^A^i:^ii3it#?tM ^ \^^m:xmm ^ A':&mtmM.
i ^ w-^mm ^ MwnmämiBmmMmm ^ ^
^Mf^m ^ mmtrnm-^ib ° i^^m^fg^J ^
m^'M^^m ° itü^^t^^^p °
T>J ^ ^Rff.fe!'^^^ ^ ^M>^^MiJ* >
M ^ mmmm-wmmäm ^ m^^mmmm °
u^'^^mmzm ^ m^'m ° ^^nzmm ^
m ^ m^äWBr^^ ° rnrnnm^üm^mmmm ^
mmm^xmm ^ ^ mmmm ^
durch ein eigens für diesen Umstand geschaffenes Zeichen ersetzt. In der
Version B ist dies das Zeichen in den Versionen C und D dagegen das
Zeichen M; für eine Zusammenstellung der wichtigsten Tabuzeichen der Ch'ing-
Zeit cf Chang Wei-Hsiang [Hrsg.]: Li-tai hui-tzu p'u. Shanghai: Hsiao shuang-
ch'i-an 1931.
5" Statt des in den Fassungen A, C und D verwandten Zeichens hsi ^ wird
in der Version B die vereinfachte Variante hsi verwandt.
5' Für das Zeichen kou wird allein in der Textfassung B die sehr viel
ungebräuchlichere Schreibweise K verwandt; für das Zeichen mi M. wird in der
Version B, C und D die Variante M. gebraucht.
52 Die Zeichen chu ft und k'ao "j^ werden ausschließlich in der Version B
als If und % geschrieben.
53 In allen anderen Textfassungen wird in dem Wort ch'ao-pen (Schreibvor¬
lage; Urkunde, Quittung) statt des Zeichens ch'ao ö-' das gleichlautende Syn¬
onym verwandt.
s* Die Version B enthält hier einen offenkundigen Druckfehler: Für das
Zeichen zhi g steht das Homonym
55 Bei dem Buchtitel Ch'i-lüe wird in allen anderen Textfassungen für lüe Bg- die Zeichenvariante § verwandt.
56 Die Schlußformel ch'in tz'u ^it, die standardisierte Wendung zur
Beendigung kaiserlicher Edikte und Dekrete, fehlt in der Textfassung B.
ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
Die Lidzbarski-Goldmedaille
Franz Rosenthal, Hamden (USA)
(im Namen des Lidzbarski-Komitees)
Fast siebzig Jahre sind vergangen seit dem Tod von Mark Lidzbarski
(1868-1928) und seinem nur zweieinhalb Wochen zuvor abgefaßten
Testament, in dem er eine Stiftung zugunsten der Orientalistik des Nahen
Ostens errichtete. Während Preise in anderen Gebieten, besonders auch
in den Naturwissenschaften, jetzt gang und gäbe sind, war derartiges in
unserem Fachgebiet etwas Seltenes und ist es heute noch. Das ist wohl
genügend Rechtfertigung für den vorliegenden Versuch, einmal kurz dar¬
über zu sprechen und zu zeigen, was für Erfolge und gelegentliche Mißer¬
folge bislang zu verzeichnen sind.
Das Testament wurde am 28. Oktober 1928 unterzeichnet, und eine
anscheinend genaue Abschrift davon ist hier zugrunde gelegt'. Nach
freundlicher Mitteilung von Herrn Manfred Hake befindet sich ein etwas
verkürztes, von Lidzbarski selbst unterzeichnetes Exemplar mit den
Bestimmungen, die sich ausschließlich auf die Stiftung beziehen, im
Archiv der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft. Die Paragraphen
[4] und [5] erscheinen darin natürlich nicht, aber auch der wichtige Para¬
graph [3] ist ausgelassen. In seinem Testament erklärte Lidzbarski, ,, ins¬
besondere eine Stiftung errichten zu wollen ... wie folgt":
[1] Ich bestimme, dass mein Nachlass ausser der Bibliothek soweit sie
vertragsgemäss dem Universitätsbunde Göttingen zufällt, zur Stiftung
eines Kongresspreises bei den internationalen Orientalisten-Kongressen
verwandt wird. Auf jedem zweiten Kongress, d. h. nach dem bisherigen
Brauche alle 5-6 Jahre, soll ein Preis von 5.000.- Goldmark für eine grös¬
sere Arbeit auf dem Gebiete der Semitistik, insbesondere der Religions¬
wissenschaft und Altertumskunde, ausgeschrieben werden. Rein assyrio-
' Es dürfte schwierig sein, das Original des Testaments ausfindig zu machen,
und kein Versuch ist hier in dieser Beziehung unternommen worden.