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Wortprotokoll. 18. Wahlperiode. Öffentliche Sitzung. Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien. 69. Sitzung 5.

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Redaktion: Jan Grosche, Tel. 2325-1462 bzw. quer 99407-1462 Plenar- und Ausschussdienst

Wortprotokoll Öffentliche Sitzung

Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien

69. Sitzung 5. Mai 2021

Beginn: 09.06 Uhr Schluss: 12.00 Uhr

Vorsitz: Andreas Otto (GRÜNE)

Vor Eintritt in die Tagesordnung Siehe Beschlussprotokoll.

Vorsitzender Andreas Otto: Wir haben es mit Rücksicht auf den Kalender von Herrn Wan- derwitz so gemacht, dass wir heute die üblichen Berichtsteile ein wenig nach hinten gescho- ben haben, und wir beginnen gleich mit

Punkt 1 der Tagesordnung

Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit

(auf Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP)

Hierzu: Anhörung

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EuroBundMed

Der einzige Anzuhörende ist Herr Staatssekretär Wanderwitz. Sie sind hoffentlich mit der Liveübertragung und all dem, was wir an Nebenbedingungen haben, einverstanden. Wir ma- chen das so, dass der Besprechungsbedarf kurz begründet wird. Dann würden Sie das Wort erhalten und uns eine kurze Einführung in den Bericht geben. Der liegt auch gedruckt vor.

Das ist ein opulentes Werk, kann man feststellen. Sie haben uns den in dieser Form zukom- men lassen. Dann machen wir, nachdem Sie gesprochen haben, eine Fragerunde durch die

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Fraktionen, und dann gucken wir mal, wie das mit den Antworten und dem Zeitverlauf ist. Ob wir eine zweite Runde schaffen, müssen wir mal sehen. Sie haben gesagt: Bis maximal 10.30 Uhr müssen wir mit dem Tagesordnungspunkt durch sein. Sie haben als Unterstützung Herrn Helle mitgebracht, den zuständigen Referatsleiter aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Genug der Vorrede! Wir steigen ein, und die Begründung für diesen Tagesordnungspunkt macht der Kollege Förster von der FDP-Fraktion. – Bitte schön!

Stefan Förster (FDP): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Ich begründe das natürlich für die Antragsteller insgesamt. Wir sind dankbar, dass Sie heute zu Gast sind, Herr Staatssekretär Wanderwitz, und Ihre Überlegungen mit uns teilen: Wo gibt es nach 30 Jahren noch Unter- schiede? Wo müssen noch Dinge angeglichen werden? – Es ist auch Ihre Aufgabe als Ostbe- auftragter, darauf hinzuweisen.

Kollege Otto, unser Ausschussvorsitzender, hat darauf hingewiesen: Sie haben auf 280 Seiten 2020 schon eine ganze Menge aufgeschrieben. Das können wir nachher sicher gerne vertie- fen. Sie haben uns aber auch freundlicherweise den Abschlussbericht der Kommission

„30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ zugeschickt. Das hängt zusammen, und ich denke, darauf kann man auch eingehen. Das ist ein namhaftes Expertengremium ge- wesen, das entsprechende Empfehlungen erarbeitet hat.

Ich sage es mal so: Wenn nicht in Berlin, wo dann? – Man muss über die Frage Ost–West diskutieren können. Wo gibt es noch mentale Unterschiede? Wo gibt es noch praktische Un- terschiede? Natürlich auch: Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Aber in einer Stadt wie Berlin, die durch 28 Jahre Mauer und 40 Jahre deutsche Teilung geprägt war, ist das natürlich immer virulent. Wir als Landesparlament müssen uns auch mit der Frage befassen: Wo gibt es Un- terschiede, wo müssen wir noch tätig werden, wo können wir mithelfen, und wo ist es schon gelebte Normalität? Deswegen freuen wir uns auf Ihre Ansichten, auf Ihre Einschätzungen und auf die anschließende Diskussion. – Vielen Dank!

Vorsitzender Andreas Otto: Herzlichen Dank! – Wir machen auch ein Wortprotokoll, in dem wir unsere Erkenntnisse noch mal nachlesen können. – Jetzt sind Sie dran, Herr Wan- derwitz. Herzlich willkommen! Wir freuen uns zu hören, was Sie sagen möchten.

Marco Wanderwitz (MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirt- schaft und Energie und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer): Sehr geehrter Herr Vorsitzender, lieber Herr Otto! Lieber Herr Förster! Lieber Herr Kollege Staats- sekretär! Ich freue mich, denn auch für mich ist es eine Premiere: Ich bin als Regierungsbe- auftragter natürlich mit den Landesregierungen im engen Austausch, aber nicht so sehr mit den Parlamenten, außer natürlich in meiner Heimat, in Sachsen. Umso mehr hat es mich ge- freut, dass Sie mich eingeladen haben, und vielleicht wäre es auch eine ganz gute Idee, das mit einer gewissen regelmäßigen Unregelmäßigkeit fortzusetzen, und vielleicht fühlen sich auch Schwerin und Erfurt oder andere herausgefordert.

Mir scheint, Sie sind generell ein bisschen besser aufgestellt als der Deutsche Bundestag, wenn ich den Saal hier so sehe. Ich habe schon gehört, dass es der Festsaal ist, und deswegen erkenne ich den Ausschussvorsitzenden kaum, aber wenn ich das hier sehe, kann man in der Tat mit gutem Gewissen sagen: Man kann die Maske auch mal abnehmen. Bei uns gibt es solch eine feine Ausstattung noch nicht.

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Ich fange mit den beiden Berichten, die Sie schon erwähnt haben, an. Den Jubiläumsbericht zu 30 Jahren deutscher Einheit haben wir ganz bewusst so gestaltet, dass wir gesagt haben:

Wir gestalten ihn als Spiegel dieser 30 Jahre. Sprich: Wo sind wir 1989/1990 gestartet, und was ist in diesen 30 Jahren passiert? Er unterscheidet sich ein bisschen von den anderen Jah- resberichten, als dass er noch mal versucht, den ganz großen Bogen zu spannen. Alle Häuser haben uns innerhalb der Bundesregierung dabei unterstützt, und unsere Aufgabe war dann, das so zusammenzubinden, dass es lesbar wird, weil natürlich jeder seine Schwerpunkte ein bisschen anders setzt. Ich denke, dass es ein Dokument ist, das vor allen Dingen zeigt, was alles ob der nicht idealen Ausgangsvoraussetzungen geschafft worden ist.

Der diesjährige Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit wird eine andere Struktur ha- ben. Den wird es demnächst geben, weil wir bei uns den Abschluss der Parlamentszeit, vor- behaltlich irgendwelcher Sondersitzungen, schon demnächst haben. Wir wählen in diesem Jahr gemeinsam, aber anders als bei Ihnen ist bei uns beginnend zu Juli im Grunde genommen die Sitzungstätigkeit des Bundestages vorüber, und deswegen will ich den gern noch vorle- gen. Der wird eher in die alte Struktur zurückkehren – nicht die des Jubiläumsberichts –, aber am Ende der Legislaturperiode bietet es sich an, das zu erwähnen, was in diesen vier Jahren passiert ist.

Da komme ich gleich zum ersten Punkt. Das ist auch ein Berliner Thema, aber vor allen Din- gen ein Thema der Fläche. Wir haben nach wie vor die Situation, dass insbesondere die Flä- chenländer des Ostens nach wie vor mit Bundesbehörden dünn besiedelt sind, wenn man sich die Zahlen der Bundesbediensteten anschaut – in der Bundeshauptstadt ist die Lage anders, das ist klar. Deswegen freue ich mich, dass so viel gelungen ist: vom BSI in Freital über die Außenstelle des BAFA in Weißwasser, das Beschaffungsamt des BMI in Erfurt, das neue Fernstraßen-Bundesamt in Leipzig und die Ehrenamtsstiftung in Neustrelitz zur Agentur für Sprunginnovation in Leipzig – man könnte eine ganz lange Aufzählung machen.

Teilweise sind das auch kleine Häuser mit 30 Leuten, Außenstellen, die sich teilweise bis in die Kreisstädte hineinbegeben. Da will ich ganz offen sagen: Wenn das alle Bundesregierun- gen vorneweg in dieser Vehemenz betrieben hätten, dann wären wir mit diesem Thema schon ein ganzes Stück weiter. So kann man sagen: Wir haben einen großen Schritt getan, aber wir sind natürlich immer noch nicht da, wo wir hinwollen, nämlich dass wir – abgesehen davon, dass Berlin Bundeshauptstadt ist und Bonn Bundesstadt – eine ansatzweise gleiche Verteilung auf die Länder hinbekommen. Das sind natürlich auch Arbeitsplätze, die das Portfolio einer eher dezentralen Region schön ergänzen können – öffentlicher Dienst. Insofern habe ich das – wie gesagt, das ist kein Berliner Thema – immer in enger Abstimmung mit den Landesregie- rungen betrieben.

Als Teil dieser Strategie für gleichwertige Lebensverhältnisse wird die Zuständigkeit bei uns im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat liegen, also in meiner alten Heimat – ich bin, bevor ich Beauftragter für die neuen Bundesländer geworden bin, dort zwei Jahre Staatssekretär für Bau und Heimat gewesen. Insofern bin ich fast geneigt zu sagen: Wenn wir über das Thema Bau, das eines der schwierigsten Themen in Berlin zu sein scheint, sprechen wollen, bin ich zumindest sprechfähig, weil wir diese Woche beispielsweise im parlamentari- schen Verfahren – nachdem das dort fast ein Jahr gelegen hat – die große Novelle des Bauge- setzbuches verabschieden. Da sind natürlich die Voraussetzungen innerhalb der neuen Bun-

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desländer – ich sage jetzt mal auf den Punkt gebracht zwischen Berlin und Leipzig auf der einen Seite und dem Rest auf der anderen Seite – maximal unterschiedlich. Das ist also kein Ost-West-Thema. Aber das im Grunde genommen nur am Rande erwähnt!

Ich bin einer, der versucht, herauszustellen: Wie waren 1989/1990 die Ausgangsvorausset- zungen, und was ist in dieser Zeit passiert? Man sieht, dass sich alle Indikatoren äußerst posi- tiv entwickelt haben. Ob man sich das Wirtschaftswachstum anschaut, ob man sich die Ein- kommensentwicklung anschaut – all diese Indikatoren zeigen nach oben. Wir haben mittler- weile das Niveau vieler Regionen Westeuropas erreicht, wenn man beispielsweise die Zahlen des Ostens sieht, ob nun mit oder ohne Berlin. Berlin zieht den Osten immer ein kleines biss- chen nach oben, auch weil Berlin in den letzten Jahren so ein überproportionales Wachstum hatte. Wenn ich das in Sachsen sage, würde ich ein bisschen vorsichtiger sein, das stimmt, aber Spaß beiseite.

Wir sehen, dass die Zahlen der neuen Länder mittlerweile mit weiten Teilen Frankreichs, mit weiten Teilen Spaniens, mit weiten Teilen Italiens vergleichbar sind, deutlich von unseren östlichen und südöstlichen Nachbarn abweichen. Wir sind beispielsweise den Polen und Tschechen, wenn man deren Ballungshauptstadträume außen vor lässt, weit voraus. Das hat natürlich was mit diesen 30 Jahren Politik zu tun, mit diesen 30 Jahren Entwicklung zu tun, mit diesen 30 Jahren innerdeutsche Solidarität zu tun, mit diesen 30 Jahren früh in die Euro- päische Union eingebettet zu tun.

Wir diskutieren derzeit übrigens sehr intensiv – auch das ist wiederum nicht vorrangig ein Berliner Thema, aber sobald man ins Brandenburgische hinausgeht, wird es zum Metropolre- gionsthema – die Zukunft der EU-Fördermittel, weil wir die Situation haben, dass Teile der neuen Länder, Leipzig beispielsweise, mittlerweile ob der guten Entwicklung aus den Förde- rungen rausfallen und wir dort insbesondere versuchen, so etwas wie Übergangsszenarien hinzubekommen, damit die Abrisse nicht so groß sind. Insbesondere, wenn man Richtung Grenznähe kommt – ich sage mal: polnische Grenze, tschechische Grenze, so weit ist es von Berlin bis Frankfurt/Oder beispielsweise nicht –, hat man natürlich trotz oder wegen dieser positiven Entwicklung – je nachdem, wie man es sieht – die Situation, dass es dort an dieser Grenze zu Abrissen der Förderung käme, wenn man das so machen würde, ohne Übergangs- szenarien, die Regionen wie Frankfurt/Oder mit Sicherheit nicht gut tun würden, wenn es sie in dieser Form geben würde, und deswegen kämpfen wir dort noch an der Front in Brüssel.

Wir haben das Thema Förderung – ich habe es schon angesprochen – zum 1. Januar 2020 komplett umgestellt. Das ganze Thema Solidarpakte und Aufbau Ost als Sonderförderung-Ost ist ausgelaufen. Wir haben es in ein gesamtdeutsches Fördersystem überführt, in dem die 20 größten Förderprogramme aus insgesamt sechs Bundesministerien integriert sind, beispiels- weise aus meinem Haus das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand – ZIM – oder bei- spielsweise auch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk- tur“ – GRW –, die meisten Infrastrukturförderprogramme, und wir fördern 30 Jahre nach der Einheit nicht mehr nach Himmelsrichtung, sondern wir fördern jetzt nach Bedarf. Die Förde- rung nach der Himmelsrichtung war lange Zeit eine Förderung nach Bedarf, aber wir gucken jetzt ein bisschen differenzierter hin. Vor allen Dingen haben wir auch die Situation, dass zur selben Zeit einer positive Entwicklung in weiten Teilen der neuen Bundesländer auf der ande- ren Seite zur selben Zeit eine nicht so positive Entwicklung in Teilen der alten Bundesrepub- lik stattgefunden hat. Zum Beispiel ist das Thema in Teilen des Ruhrgebiets und anderen

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strukturschwächeren Regionen des Westens schon seit vielen Jahren bemängelt worden, und deswegen haben wir das jetzt völlig verändert, und es geht natürlich trotzdem noch das Gros der Förderung dahin, wo wir immer noch eine strukturschwache Region mit Inseln der Struk- turstärke haben, während wir im Westen – umgekehrt – eine strukturstarke Region mit Inseln der Strukturschwäche haben. Das Gros der Förderung geht also immer noch in die neuen Länder.

Ich bringe mal ein Beispiel, wie gesagt meine alte Spielwiese: der Bau. Wir werden bei der Städtebauförderung, die auf historisch hohem Niveau ist, jetzt ein ganz langsames Abschmel- zen in den neuen Ländern haben. Da wurde auch ganz schön drum gekämpft, aber ich für meinen Teil fand die Solidarität der alten Länder beachtlich, im Sinne von: Man hat Kom- promisse gemacht, die für alle Beteiligten nicht ganz einfach waren. Im Osten wird es in der Fläche ein bisschen weniger und im Westen wird es nicht so viel so schnell mehr, wie man es sich gewünscht hat.

Es ist nach wie vor noch ein ganz schönes Dickschiff, in dem Sinne, dass es viel mehr ist, als uns nach allen denkbaren Schlüsseln – Königsteiner oder dergleichen – zustünde. Wenn man sich mal mit offenen Augen, nachdem man sie gedanklich verbunden bekommen hat, in ir- gendeiner kleinen oder Mittelstadt der neuen Bundesländer mal Bilder anschaut, wie das 1989/1990 ausgesehen hat, ist insbesondere auch die Städtebauförderung eine der großen Er- folgsgeschichten der deutschen Einheit. Das trifft auf Berlin natürlich genauso zu, wenn man sich anschaut, wie die allermeisten Altbaustraßenzüge in Ostberlin ausgesehen haben. Wir haben vor allen Dingen im Wohnbau aber auch darüber hinaus ganz viel historische Bausub- stanz.

Ich nenne beispielsweise noch die diversen Denkmalprogramme. Was wir dort an baukultu- rellem Erbe geschafft haben, unmittelbar vor dem Verfall zu retten, ist ganz toll. Ich erinnere an solche Städte wie beispielsweise Görlitz. Ich kann mich noch gut entsinnen – als junger Kerl – an das Thema Berlin Jubiläum. Das hatte eine relativ hohe Priorität in der ehemaligen DDR, aber je weiter man von Berlin entfernt war, desto geringer war die Priorität. Das ist auch ein Teil der Geschichte von vor 1989 und 1989 fortfolgende. Hier ist natürlich einiges ein Stück weit näher dran gewesen, wenn man den Westen als Benchmark nehmen will, als das in der Provinz gewesen ist.

Ich will bei der Gelegenheit auch die Dinge erwähnen, die uns Schwierigkeiten bereiten. Ich will unter anderem das Thema Fachkräftemangel, Arbeitskräftemangel erwähnen. Ich habe mir die jüngsten Zahlen meiner Heimat angeschaut: Landkreis Zwickau, strukturstärkster Landkreis in Sachsen. Wir haben mitten in Corona aktuell 5 Prozent Arbeitslosigkeit. Das hat allerdings auch viel damit zu tun, dass wir seit 1990 alle miteinander 2 Millionen Wande- rungsverlust erzielt haben: flexible, junge Menschen, meistens gut ausgebildet. Als ich neu- lich Abijubiläum gefeiert habe, konntest du die, die aus meinem Jahrgang – Abitur 1994 – dageblieben sind, an einer Hand abzählen. Der Rest tummelt sich von Bayern bis Hamburg in der alten Bundesrepublik.

Ich hatte gestern jüngst beispielsweise eine Konferenz zu Rückkehrinitiativen. Ja, das ist ein wichtiger Punkt, und wir werben auch dafür, aber ich bin frei von Illusionen: Die allermeisten von denen – insbesondere die, die in den Neunzigerjahren gegangen sind –, haben sich dort

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verheiratet und mit der Scholle verwurzelt, und die werden nicht wiederkommen, aber die fehlen.

Deswegen ist das Thema Fachkräftebedarf ein ganz wichtiges, insbesondere auch, wenn wir weiter wachsen wollen. Wir haben ganz viele tolle Wachstumscluster. Berlin ist natürlich eins davon. Ich habe vorhin schon die positive Entwicklung genannt, und jetzt ist mit Siemens Energy das nächste DAX-Unternehmen halb dazugekommen, Tesla steht vor den Toren, es gibt die Start-up-Szene. Aber wir haben beispielsweise in Jena den Optikschwerpunkt, wir haben das Chemiethema in Sachsen-Anhalt, Sachsen. Wir haben den Automobilbau im Süden der neuen Bundesrepublik, die maritime Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern und vor allen Dingen auch das Thema Umwelt und Energie. Wir haben beispielsweise als BMWi die Cleantech-Initiative Ostdeutschland aufgelegt.

Ich glaube der Osten, die neuen Bundesländer, haben eine Riesenchance bei den Technolo- gien – Wasserstoff, neue Mobilität, neue Energie, KI, Quantentechnologien –, aber das wirk- lich limitierende Element ist mittlerweile der Faktor Mensch, und deswegen ist ein ganz wich- tiges Thema, dass es uns gelingt, dort zu wachsen, indem man beispielsweise sagt: Wir gu- cken mal, ob wir den ein oder anderen aus Stuttgart gewinnen können. Ich habe bei mir bei- spielsweise im Wahlkreis eine Firma, der das gelungen ist, aber das Paket, das sie dafür pa- cken mussten, um den Ingenieur von Stuttgart nach Zwickau zu holen, war natürlich schon eine größere Herausforderung – inklusive, dass der zuerst gesagt hat: Die Wohnsituation hier erscheint mir unbefriedigend. Da müssen wir was nachbauen.

Ich will an der Stelle auch ganz offen das Thema Zuwanderung ansprechen, und zwar nicht innerdeutsche und innereuropäische Wanderung, sondern wir müssen, wenn wir diese Chan- cen nutzen und heben wollen, offener für Fachkräftezuwanderung sein. Das ist gerade in den neuen Bundesländern ein durchaus streitbefangenes Thema, um es mal so zu sagen, aber aus meiner Sicht eine absolute Zukunftsnotwendigkeit. Wir Sachsen gucken da natürlich insbe- sondere nach Osteuropa. Wenn man sich hier in Berlin mit offenen Ohren durch die Stadt bewegt, hört man die große polnischstämmige Community, die es in Berlin beispielsweise gibt. Die fällt relativ wenig auf, außer, dass man Autos mit polnischen Kennzeichen sieht, die hier im Gelegenheitsverkehr unterwegs sind und dass man sie hört. Aber alleine mit Zuwan- derung aus Osteuropa wird es nicht getan sein, wenn wir künftig diese Chancen heben wollen.

Deswegen spreche ich dieses Thema auch proaktiv an und spreche auch gleich die Themen an, die da noch hinten dranhängen und problematisch sind, nämlich das Thema durchaus nicht nicht weitverbreiteter Fremdenfeindlichkeit, mit allem, was damit zusammenhängt. Wir haben seit einigen Monaten auf der Zielgeraden innerhalb der Bundesregierung den Kabinettaus- schuss „zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“, wo ich als Beauftragter für die neuen Länder gemeinsam mit dem BMAS ein Thema ganz speziell betrieben habe. Viele Themen wurden auch schon von anderen Häusern eingebracht. Ich hoffe, dass wir dort ge- meinsam mit den Arbeitgebern und den Gewerkschaften noch was auf die Beine stellen, näm- lich das Thema Rassismus am Arbeitsplatz.

In den großen Unternehmen ist das Thema zumeist kein Thema – will sagen, da wird präven- tiv und reaktiv gearbeitet –, aber gerade in den kleinteiligeren Wirtschaftsstrukturen ist das teilweise ein wirklich bedrückendes Thema, und es ist nicht einladend, wenn in diese Arbeits- plätze dann zukünftig nicht nur Einheimische hineinwachsen, von denen es weniger gibt.

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Das war jetzt relativ querbeet. Anderthalb Themen will ich noch ansprechen, und dann würde ich es erst mal für meinen Teil bewenden lassen, weil Sie sicherlich auch viele Themen oder Nachfragen haben – zum einen das Thema Strukturwandel: Kohle. Das betrifft Berlin mittel- bar, weil es bis ins mitteldeutsche Revier und bis in die Lausitz nicht weit ist. Das ist eine der großen Aufgaben, die wir im nächsten Jahrzehnt zumindest in den neuen Bundesländern ha- ben, weil es drei neue Bundesländer betrifft, und ein bisschen Altenburg in Thüringen ist auch noch mit dabei.

Es ist uns dort gelungen, viel Geld in die Hand zu nehmen. Die Bayern sind mehr als einmal dabei gewesen, vom Tisch aufzustehen und zu sagen: Es gibt nichts. Am Ende haben wir es doch geschafft, einen zweistelligen Milliardenbetrag zu aktivieren, um insbesondere der Lau- sitz und dem mitteldeutschen Revier eine Zukunft als Industrieregion geben zu können.

Da geht es natürlich um allerlei Nachfolgewirtschaft und -industrien, aber ich finde es beson- ders spannend und interessant, gerade in diesen Bereichen, die klassisch aus der Braunkohle kommen, in Zukunft gute Industriearbeitsplätze im Bereich Energie, Klima, und Zukunfts- energien anzusiedeln.

Letztes Thema, das ich ansprechen will: das Thema SED-Opfer. Wir haben einerseits unmit- telbar die Migration des Stasiunterlagenarchivs ins Bundesarchiv vor der Brust bzw. sind schon mittendrin, und zwar mit Sonderregeln – nicht für einen Allerweltarchivteil, sondern einen ganz besonderen Teil –, weil das Stasiunterlagengesetz eine der Erbschaften bzw. eines der Kinder der friedlichen Revolution und der deutschen Einheit ist, auf das wir alle mitei- nander stolz sein können und über das die ganze Welt sagt: Das ist ein Benchmark. Ich erin- nere an den Ruf: jedem seine Akte –, den wir immer hochgehalten haben, und ich finde es ehrlich gesagt gut, dass wir vom Stasiunterlagenbeauftragten zum SED-Opferbeauftragten kommen.

Eigentlich wäre es besser gewesen, wir hätten es von Anfang an so gemacht, weil die Veren- gung auf die Staatssicherheit natürlich immer viel zu kurz gesprungen war. Die Spinne im Netz der ehemaligen DDR war nicht die Stasi, sondern die Spinne im Netz war die SED. Das muss man so deutlich sagen. Schon alleine vom Verfassungsrang her: Dort lief alles zusam- men.

Es ist insofern ganz wichtig, dass es diesen SED-Opferbeauftragten als Beauftragten des Deutschen Bundestages und nicht der Bundesregierung gibt. Sprich, wir haben damit relativ wenig zu tun, ähnlich wie mit dem Wehrbeauftragten – in dem Fall jetzt mit der Wehrbeauf- tragten, sie kommt aus Berlin. Der SED-Opferbeauftragte wird unabhängig von der Regie- rung an das Parlament angebunden und wird weiterhin gemeinsam mit dem Landesbeauftrag- ten die Stimme für die SED-Opfer sein. Natürlich sehe ich dort weiter eine enge und wichtige Zusammenarbeit, auch mit meinem Amt. – So viel vielleicht als Tour d’Horizon! Ich freue mich auf die Diskussion.

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Vorsitzender Andreas Otto: Herzlichen Dank! – Es ist auch schon eine gut gefüllte Redelis- te hier vorne zusammengekommen, und es beginnt der Kollege Jupe für die CDU-Fraktion.

Claudio Jupe (CDU): Ich möchte mich nicht auf die vielen positiven Aspekte, die Sie darge- legt haben, Herr Staatssekretär, beziehen – die nehme ich so hin und würde die auch unter- streichen. Ich habe zwei Fragen. Das eine ist: Wir sind gerade dabei, in unserem Landespar- lament Europa in die Landesverfassung zu bringen, und das bringt mich auf die Frage: Wie steht es mit dem europäischen Gedanken? – Ich habe in dem allerdings sehr umfangreichen Bericht zum Stand der deutschen Einheit wenig dazu finden können. Wenn ich das Thema sehe, kann das auch nur ein zusätzlicher Nebenbereich sein. Es gibt allerdings ein Unterthema Demokratiezufriedenheit und Vertrauen in die Bundesregierung und den Bundestag. Gehört dazu nicht auch die Frage: Wie steht es mit der Einstellung in beiden Teilen Deutschlands – darf ich mal so sagen – zu Europa und zur EU? – Vielleicht können Sie mir auf die Sprünge helfen und sagen: Es steht dort und dort. – Ich habe die 300 Seiten nicht Zeile für Zeile gele- sen, aber ich habe sie durchgesehen.

Zweiter Punkt, den ich hier feststellen und einer Klärung zuführen möchte, ist die Frage Rechtsextremismus. Da habe ich gelesen – auch nur, indem ich es einmal durchgesehen ha- be –, es gäbe zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil lediglich graduelle Unter- schiede. Gut! Ich würde das jetzt gar nicht groß infrage stellen, ich denke nur an die Formu- lierung „antifaschistischer Schutzwall“ in der DDR und an die Politik, die hinter diesen Be- grifflichkeiten stand. Das heißt, ich folgere daraus, es hat eine ganz andere innenpolitische Situation in der DDR gegeben als in der Bundesrepublik Deutschland, und da frage ich: Kann man das dann so sagen, es gibt eigentlich keine großen Unterschiede in der Entwicklung des Rechtsextremismus? – Das wäre meine zweite Frage. Danke schön!

Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank, Herr Jupe! – Als Nächstes ist die Kollegin Brychcy für die Linksfraktion dran. – Bitte schön!

Franziska Brychcy (LINKE): Vielen Dank, Herr Wanderwitz, dass Sie uns einen Überblick gegeben haben! Ich wollte zu mehreren Themen fragen, erst mal zum Bereich Wirtschaft und Arbeit. Da hatten Sie eine positive Entwicklung gezeichnet, wenn man die 30 Jahre sieht, aber natürlich interessiert uns immer noch: Wo liegen die Unterschiede und die To-dos für die zu- künftige Generation? Da will ich fragen, wie es mit den Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, aussieht, denn das scheint, abgesehen von Berlin, wo natürlich viele Unterneh- men angesiedelt sind, nicht so gut verteilt zu sein wie jetzt bei den Bundesbehörden. Große Unternehmen, quasi Konzerne, also die DAX-Unternehmen – da ist es nach wie vor so, dass es im Osten Deutschlands nicht so gut aussieht. Es gibt offenbar kein einziges ostdeutsches Unternehmen, das im DAX gezeichnet ist, und da hängt eine Menge an Arbeitsplätzen, an Zukunftschancen auch für die junge Generation. Da würde ich gern nach der Jugendarbeitslo- sigkeit fragen. Ich bin nämlich auch für Ausbildung zuständig. Wir wissen, dass es im Ostteil, in den neuen Bundesländern eine doppelt so hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt wie in den alten Ländern. Gerade in Berlin sind wir Spitzenreiter, wir haben jetzt eine zweistellige Jugendar- beitslosigkeitsquote. Es sind duale Ausbildungsplätze, die wir dringend brauchen, und wir brauchen auch die Unternehmen, damit man diesem Fachkräftemangel, von dem Sie spra- chen, strukturell entgegenwirken kann. Ich wollte nachfragen, ob das auch mitbetrachtet wird.

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Allgemein ist es so, es gibt die gewerkschaftliche Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Ar- beit. Da gibt es schon noch deutliche Unterschiede. 17 Prozent weniger Lohn im Osten für die gleiche Arbeit wie im Westen. Gerade der Niedriglohnsektor ist in den neuen Ländern doppelt so groß wie im Westteil. Welche Auswirkungen hat das gerade in der Pandemie, Stichwort Kurzarbeit usw., wo wir teilweise gar keine Kurzarbeitsleistungen auszahlen können, je nach den Verträgen? Das wollte ich nachfragen, denn da haben wir noch nicht die Angleichung von guter Arbeit in allen Regionen.

Dann wollte ich gern noch zur ländlichen Struktur fragen. Berlin und Ostdeutschland oder die neuen Bundesländer und Berlin – das ist ja nicht genau das Gleiche. Wir haben nicht nur die Unistädte wie Leipzig, Dresden, Jena, von denen Sie sprachen, sondern auch diese kleinen Strukturen, also Zwickau und andere Regionen und kleine Kommunen, wo es darum geht, auch ein gewisses Versorgungsniveau aufrechtzuerhalten. Da denke ich an die Debatte um die Ärzte auf dem Land usw., wie wir es hinbekommen, dass wir ein gutes Versorgungsniveau haben, obwohl die Bevölkerung immer mehr abnimmt. Welche Strategien haben wir hier? Sie sprachen an: Es gibt da auch Programme, und man versucht, die Menschen zurückzugewin- nen, sodass sie vielleicht nach dem Studium zurückkommen und da etwas aufbauen können. – Was können wir da tun? Das sind teilweise hochattraktive Gegenden, die sich auch entwi- ckeln können, und das ist alles keine Entfernung. Welche Instrumente können wir da viel- leicht ansetzen?

Dann zum Thema Kultur: Es gibt ganz viele Dinge, die die Menschen in den neuen Bundes- ländern erlebt haben, die einen Wert haben und die auch eine Wertschätzung brauchen. Da denke ich an unsere Debatte im Gesundheitsbereich über die Polikliniken zum Beispiel, ich denke an Ausbildung und Studium. Wir haben ein Programm Studium mit Abitur hier in Ber- lin aufgesetzt. Lehrkräftebildung, Ausbildungsschulen, duales Studium, Adlershof, Wissen- schaftsstandort – ganz viele Erfahrungen aus den neuen Bundesländern sind da und sind ge- macht worden, aber es gibt zu wenig Anerkennung für diese Erfahrungen. Es geht darum, dass das in die Zukunft mitgenommen werden kann. Ich finde es wichtig, dass wir das mitdis- kutieren.

Der vorletzte Punkt ist für mich die Frage der Gleichberechtigung. Dass zum Beispiel nach wie vor junge Mütter in Ostdeutschland eher vollzeiterwerbstätig sind – es wird immer weni- ger –, ist auch eine kulturelle Frage, weil die Rahmenbedingungen da sind. Die Rahmenbe- dingungen sind so wichtig, dass man eine gute Kinderbetreuung hat usw., dass man als Frau ermutigt wird, in technische Berufe zu gehen – dass das selbstverständlich ist. Das ist eben etwas Kulturelles, was wir da dringend brauchen.

Ich habe noch einen Punkt. Sie sprachen auch den SED-Opferbeauftragten an. Da interessiert uns natürlich – Stichwort politische Bildung –, wie junge Menschen, die keine eigene Erfah- rung mehr mit der DDR haben, an diesem Wissen, an der Frage SED-Diktatur teilhaben kön- nen. Wie können wir hier politische Bildung stärken? Wir haben gerade in Berlin die Debatte, dass wir eine Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung im Ostteil Berlins auf- bauen wollen, weil wir gemerkt haben, dass es in den Ostbezirken weniger Nachfrage nach Formaten, Büchern, Publikationen usw. der Landeszentrale gibt, und wir wollen auch in den Ostbezirken eine stärkere Verankerung von politischer Bildung haben, und das ist ja eine ent- scheidende Frage. Wir wollen auch Vereine, demokratische Strukturen usw. in allen Teilen ausbauen. – Danke!

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Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank! – Als Nächster ist der Kollege Goiny für die CDU-Fraktion auf der Liste.

Christian Goiny (CDU): Ich will das, was mein Kollege Jupe schon gesagt hat, noch um zwei, drei Punkte ergänzen. Zum einen finde ich es gut und wichtig, dass wir so eine Funktion haben, Herr Staatssekretär, wie Sie sie ausüben. Ich glaube, das macht auch in den nächsten Jahren und in der kommenden Wahlperiode Sinn. Ich finde es auch gut – weil das auch manchmal diskutiert wird –, dass wir uns damals nach der Wiedervereinigung klar entschie- den haben, hier weiter die Integration auf europäischer Ebene voranzutreiben. Sie haben das auch erwähnt, und ich glaube, man sieht jetzt auch in den neuen Bundesländern deutlich, welch wichtigen Beitrag gerade die EU für die Entwicklung dieses Teils Deutschlands geleis- tet hat.

Ich will beim Thema Umwelt- und Klimaschutz sagen, weil das in diesen Zeiten auch immer diskutiert wird: Wenn man sich daran erinnert, wie die Situation von Luft, Flüssen und Boden in vielen Teilen der ehemaligen DDR noch 1989 war, und wenn man sich anguckt, was da für große Erfolge erzielt worden sind, dann, finde ich, kann man das als einen großen Fortschritt und Beitrag zum Klimaschutz erwähnen.

Was wir uns immer fragen, ist natürlich: Welchen Beitrag kann auch Berlin leisten, um die Entwicklung der neuen Bundesländer voranzutreiben? –, weil wir die Metropolenregion, die größte Stadt sind. Ich glaube, da gibt es einen spannenden Punkt, wo wir mit Ihnen, vielleicht auch in der neuen Wahlperiode, weiter im Gespräch bleiben können: Berlin hat ja seine alten wirtschaftlichen Kerne, die Industrie, in weiten Teilen verloren, aber wir haben etwas Neues aufgebaut. Insbesondere der ganze Bereich der Kreativwirtschaft ist einer, der sich zum Job- motor in Berlin entwickelt hat, der im Bereich des Tourismus ganz viel Ausstrahlungskraft generiert hat, der dazu geführt hat, dass Berlin ein Sehnsuchtsort für viele junge Menschen aus der ganzen Welt geworden ist, und der am Ende auch einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass Berlin Zuzugsstadt geworden ist und damit in den letzten Jahren auch Mil- liarden Haushaltsüberschüsse erzielen konnte.

Wir merken eben, dass viele von diesen jungen Leuten, die deswegen nach Berlin gekommen sind, inzwischen auch ins Umland, in die neuen Bundesländer gehen mit Ideen und Projekten, sie wollen da wohnen. Das ist über die Uckermark nach Norden hinaus, das ist Brandenburg, und wir merken, dass es in diesem Bereich auch eine ganz enge Zusammenarbeit mit einer jungen Szene gibt, die sich in Leipzig und in anderen Städten in den neuen Bundesländern entwickelt. Das verbindet viele Dinge auf charmante Weise, also Kultur fördert ja Kreativität in ganz unterschiedliche Richtungen. Da geht es einmal um moderne Landwirtschaft, um öko- logische Nahrungsmittelproduktion, um Wertschätzung von regionalen Produkten. Es geht darum, dass sich daraus Innovationen, Gründer, Technologienentwicklungen ableiten. Am Ende sind Start-ups ja nur die Kirsche auf der Torte oder die Wespe, die zum Pflaumenku- chen kommt, aber der Kuchen muss erst mal auf den Tisch gestellt werden, und da hat Kultur natürlich einen ganz hohen Anteil, und am Ende fördert das Tourismus, weil diese Dinge und Orte, die da entstehen, natürlich auch ganz spannend sind.

Ich glaube, da können wir tatsächlich noch mehr machen, weil es wahrscheinlich der effek- tivste Beitrag in Regionen in den neuen Bundesländern, die von Abwanderung betroffen sind,

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ist, junge Menschen zu gewinnen, die sich dort ansiedeln und dort ihre Ideen verwirklichen.

Das sind, wie gesagt, ganz einfache Sachen, die mit Kultur zu tun haben. Deswegen ist es auch gut, dass man in Brandenburg zum Beispiel Musikfestivals einen besonderen Stellenwert zumisst, aber daraus leiten sich eben auch ganz viele andere Dinge ab. Das zu sehen und zu verbinden und als einen Schwerpunkt einer kulturkreativen Ansiedlungsstrategie für die neu- en Bundesländer zu entwickeln, ist aller Ehren wert.

Weil wir als CDU-Fraktion das auch immer wieder den Kolleginnen und Kollegen in der Bundestagsfraktion gesagt haben, aber auch das Parlament insgesamt sich hier positioniert hat, will ich in diesem Zusammenhang auch sagen: Sie haben auch das Thema Änderungen im Baurecht auf Bundesebene angesprochen. Wir halten es für dringend erforderlich oder, umgekehrt gesagt, für nicht mehr zeitgemäß, dass man zum Beispiel das, was sich aus Berlin heraus im Bereich der Clubkultur entwickelt hat, im Bauplanungsrecht mit Bordellen und Casinos auf eine Ebene stellt. Ich glaube, das wird dem nicht gerecht und ist kontraproduktiv für das, was gerade in Berlin und in vielen anderen Städten an Kultur entstanden ist. Wenn da darauf abgestellt wird, da entsteht aber Lärm, wenn da Clubs sind – das kann man über Lärm- schutzverordnungen und andere Dinge ganz anders regeln, dazu braucht man nicht diese Gleichstellung. Also das wäre auch noch mal ein Punkt, womit man diese Themen weiter be- fördern könnte. Ich glaube, wenn wir uns ein Stück weit darauf konzentrieren, kann man auch die Stärken der neuen Bundesländer sehr gut miteinander verbinden, nämlich den landwirt- schaftlich geprägten Raum, den Kulturraum, und die Möglichkeit der Innovation durch die Kultur- und Kreativwirtschaft, um am Ende auch Zuzug in diese Region zu bekommen. Ich glaube, da kann Berlin einen guten Beitrag leisten, und wenn es dann vielleicht auch gelingt, dass man in diesem Sinne – vielleicht auch durch Ihre Funktion – als Bundesland Berlin mit den anderen Bundesländern in den nächsten Monaten und Jahren enger zusammenarbeitet, dann könnten wir alle gemeinsam einen noch größeren Beitrag für die Entwicklung der neuen Bundesländer leisten. – Vielen Dank!

Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank, Kollege Goiny!

Andreas Otto (GRÜNE): Jetzt habe ich mich gemeldet für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen und möchte auch ein paar Sachen kurz ansprechen. Das eine ist: Wir sprechen auch über Ost-West-Fragen. In der Broschüre ist dieses Thema mit: unterschiedliche Repräsentanz von Menschen aus Ost- und Westdeutschland – benannt. Ich erinnere an die Diskussion um einen Verfassungsrichter, der nach Karlsruhe sollte, weil man da auch 30 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch keinen Ostdeutschen oder keine Ostdeutsche sitzen hatte. Wie kommt so was? Haben Sie da eine Analyse? Wie ist das möglich? Gibt es eine gläserne Decke? Liegt es an Strukturen, oder hat es etwas mit familiären Dingen zu tun, mit der Bildung oder mit Netzwerken? Wie kommt das eigentlich, und was ist möglicherweise eine Überlegung oder Strategie der Bundesregierung, das zu ändern?

Das Zweite: Sie haben dankenswerterweise die Aufarbeitung, auch den Opferbeauftragten für die SED-Opfer und die Transformation des Stasi-Unterlagen-Archivs ins Bundesarchiv ange- sprochen. Da kommt man natürlich sofort auf den Ort in Lichtenberg, wo wir uns als Berliner Parlament sehr eindeutig zu der Idee bekennen, dort einen „Campus für Demokratie“ aufzu- bauen, und auch Beschlüsse dazu gefasst haben. Der Senat hat da ein Regionalmanagement installiert, es geht aber nicht so richtig voran. Es ist so wie bei vielen Projekten, wo sowohl der Bund als auch Berlin als auch Private eine Rolle spielen, dass es sehr schwierig ist, sich

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da irgendwie zusammenzuraufen und zu einigen und diese große Chance, die in diesem Ort steckt, auch zu ergreifen. Wir freuen uns sehr, wenn das Archiv dort bleibt, wenn da auch mehr Archivbestände hinkommen, aber wichtiger ist, das zu einem Gedenk-, aber auch Bil- dungs- und Kulturort zu entwickeln. Ich würde noch mal appellieren, aber auch fragen, ob das vielleicht in Zukunft ein Schwerpunkt auch von Ihnen sein könnte.

Sie haben die Frage gestellt: Wie ist es eigentlich mit der Demokratie? Sie haben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erwähnt, was in den neuen Ländern teils ein Problem ist. In der Broschüre liest man, dass es verschiedene Förderprogramme zur Demokratieförderung gibt.

Jetzt haben wir aber erfahren, dass aus dem Familienministerium heraus die Mittel dafür ge- kürzt wurden, und das haben wir nicht verstanden. Vielleicht haben Sie eine Erklärung dafür oder können sagen, dass es ein Versehen war oder dass alles ganz anders ist.

Zu der Frage Wirtschaft, Verbindung, Arbeitskräfte, Zusammenarbeit will ich einen Punkt ansprechen. Sie haben auch Polen erwähnt. Wir bemühen uns seit langem, zum Beispiel die Bahnverbindungen zu verbessern. Nach 30 Jahren kann man immer noch nicht in angemesse- ner Geschwindigkeit nach Stettin oder Breslau oder Krakau fahren, und wir haben hier in Ber- lin das Gefühl, auch gestärkt aus verschiedenen Gesprächen mit Leuten von der Deutschen Bahn, dass das von der Bundesregierung lange nicht als Schwerpunkt erkannt und befördert wurde. Vielleicht gab es da auch Konkurrenzen. Stettin ist ein Hafen, Hamburg ist ein Hafen.

Da mag man viele Theorien schmieden. Können Sie sagen, dass das noch mehr ein Schwer- punkt wird als in der Vergangenheit und wir wirklich diese Verbindungen nach Osteuropa stärken möchten?

Letzter Punkt – das hat Herr Goiny auch schon ein bisschen angesprochen –, diese ganzen Klimafragen. Hier ist eine Karte drin, wo man sehen kann, dass die Trockenheit insbesondere die ostdeutschen Länder sehr stark in Mitleidenschaft ziehen wird. Ich meine diese Karte auf Seite 221, die Abbildung 78. Da kann man sehen, dass es in Brandenburg, aber auch in Sach- sen und Sachsen-Anhalt sehr trocken wird. Es ist immer die Rede von der Versteppung von Brandenburg. Was ist eigentlich die Strategie, die über das hinausgeht, was wir heute betrei- ben, um das abzuwenden oder sich damit zu arrangieren? – Das waren meine Fragen für Bündnis 90/Die Grünen.

Vorsitzender Andreas Otto: Jetzt bin ich wieder Vorsitzender und nehme den Kollegen Förster für die FDP-Fraktion dran. – Bitte schön!

Stefan Förster (FDP): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wanderwitz, dass Sie die vielfältigen Aufgaben mit uns geteilt haben! Ich glaube, der Bericht 2020 ist in der Tat, wie Sie es auch gesagt haben, ein Spiegel der letzten 30 Jahre, der auch ganz gut die einzelnen Themenbereiche darstellt. Von Straßenbau über Hochschule bis hin zu Sport und Gesundheit ist alles drin und auch gut aufbereitet, und es ist eine Lektüre, die fast schon zeitgeschichtlichen Wert hat. Da kann man vielleicht in zehn, 20 Jahren noch mal schauen: Wie sieht es nach 40 oder 50 Jahren aus?

Sie hatten am Anfang ein Thema angesprochen, das durchaus zeigt, dass es da noch Nachhol- bedarf gibt: die Ansiedlung von Bundesbehörden in den neuen Ländern. Ich habe es gerade mal auf Berlin runtergebrochen. Da ist es auch so, dass die Senatsverwaltungen weitgehend im Westteil der Stadt sind, wenn man mal den Bezirk Mitte ausnimmt, wo der ehemalige Alt-

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Bezirk Mitte im Ostteil der Stadt einige wenige Einrichtungen des Senats beinhaltet. Aber in Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg gibt es keine einzige Senatsverwal- tung. Da wurden weitgehend die alten Verwaltungssitze im Westberliner Teil übernommen.

Auch die Frage: Wo leben Leute, wo arbeiten Leute, wo siedeln sie sich an? – ist eine wichti- ge Frage. Deswegen glaube ich schon, dass es für eine Region, ob in Mecklenburg- Vorpommern oder in Sachsen, etwas ausmacht, wenn dort größere Bundesbehörden sind, wenn sich dort Gerichte ansiedeln, weil sie natürlich auch Leute nachziehen, die dort wohnen, die Kaufkraft erhöhen, sich dort ansiedeln. Das ist ein Thema, das man noch mal verstärkt betrachten sollte.

Darauf eingehend, was der Kollege Otto schon sagte: Auch die Frage von ostdeutschen Füh- rungsfunktionen ist etwas, was uns immer wieder beschäftigt. Da gibt es auch noch Unter- schiede. Es gibt diverse Studien. Ich glaube, es gibt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die gesagt hat, dass eigentlich alle Führungspositionen – das bezog sich auf Deutschland – in der Wirtschaft, in der Politik, an Hochschulen usw. nur zu 3 Prozent mit Ostdeutschen besetzt sind, und das ist natürlich, gemessen am Bevölkerungsanteil, deutlich unterproportional. Nun wissen wir, dass Klugheit und Dummheit wahrscheinlich relativ gleichmäßig verteilt sind, das kann also nicht an Ost und West liegen. Die „gläserne Decke“, die der Kollege Otto schon angesprochen hat, beschäftigt mich auch. Warum gibt es nach 30 Jahren immer noch Proble- me, mehr Ostdeutsche in Führungspositionen zu bekommen? Das ist durchaus auch ein The- ma, das für die Frage der Gleichberechtigung und der Wahrnehmung eine Rolle spielt, dass man sich als Ostdeutscher auf Augenhöhe fühlt. Das ist etwas, von dem viele sagen, dass es noch nicht erreicht sei.

Daran anknüpfend das Thema Vollendung der deutschen Einheit, Hauptstadtfunktion: Wir haben immer noch das starke Beharrungsvermögen gerade von Nordrhein-Westfalen. Das ist, glaube ich, in allen unseren Parteien so, dass Nordrhein-Westfalen da eine etwas merkwürdi- ge Position vertritt, zumal ja Bonn als Bundesstadt nichts wirklich verloren hat, weder von der Einwohnerzahl noch von der Wirtschaftskraft her. Sie hat ja viele internationale Organisatio- nen, teilweise auf der Ebene der UN bekommen, und noch andere wichtige Konzerne und Unternehmen, die Deutsche Post und die Telekom haben immer noch ihren Hauptsitz dort.

Der Antrag, den Wolfgang Schäuble so glühend begründet hat – auch Willy Brandt und Hans- Jochen Vogel haben sich sehr für Berlin eingesetzt –, lautete damals: Vollendung der deut- schen Einheit, und die Hauptstadt Berlin sollte die Vollendung der deutschen Einheit sein.

Deswegen auch da die Frage: Muss man nicht auch mal in den Blick nehmen, dass dieser Rutschbahneffekt beendet wird und die Leute nicht immer noch – gut, jetzt gibt es Videokon- ferenzen – jeden Tag 50 Flüge zwischen Bonn und Berlin nutzen, damit sich dort ausge- tauscht werden kann? Kann man nicht die Hauptstadtfunktion von Berlin vollenden?

Das Thema Wirtschaftswachstum und Einkommensentwicklung ist schon angesprochen wor- den, das will ich jetzt nicht vertiefen. Das Stichwort Umgang mit der DDR-Geschichte ist auch schon gefallen, Aufarbeitung der SED-Diktatur, Opferrehabilitierung, Härtefallfonds, Kinderheime. Kollege Otto und ich sind auch in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe, die das Thema hier im Berliner Parlament begleitet. Das ist etwas, was man auch als Thema wei- ter mitnehmen muss, weil in der Tat – da hat die Kollegin Brychcy recht – die nachwachsen- den Generationen, die jetzt kommen, keine eigenen, persönlichen Erfahrungen mehr haben.

Sie kennen es maximal vom Hörensagen von den Eltern und Großeltern oder partiell über den Schulunterricht, sofern es dort stattfindet. Das ist auch nicht überall der Fall. Da muss es na-

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türlich eine andere Form von Wissensvermittlung und authentischer Geschichtsvermittlung geben.

Im Zusammenhang mit dem Opferbeauftragten gefragt – das würde Sie jetzt wahrscheinlich mehr in der Funktion als Bundestagsabgeordneter betreffen, aber die Amtszeit des geschätz- ten Roland Jahn läuft ja am 17. Juni aus, also wird die Zeit langsam knapp –: Wie ist da der Fahrplan? Wann soll ein Opferbeauftragter gewählt werden? Es sind ja mehrere Namen im Gespräch. Wir als Berliner Parlament würden Wert darauf legen, eine Persönlichkeit zu fin- den, die überparteilich Anerkennung findet und sich nachher nicht im kleinteiligen Parteien- streit verliert, sondern wo man sagen kann, dahinter können sich Linke, FDP, Grüne, SPD, und CDU vereinen und sagen, das ist eine honorige Persönlichkeit, so wie es zum Beispiel auch Roland Jahn ist, der ja auch parteiübergreifend Anerkennung genießt und eine sehr gute und qualifizierte Arbeit leistet.

Wo wir auch immer noch ein Problem haben – Sie haben es angesprochen: Kollege Otto und ich sind auch baupolitische Sprecher unserer Fraktionen –, ist bei der Städtebauförderung, aber auch beim Bauen und bei der Baugesetzgebung. Es ist sehr viel passiert, es ist auch sehr viel Geld in die Städte und die Entwicklung geflossen, das muss man auch sehr anerkennen.

Sie hatten das Beispiel des Mannes aus Stuttgart genannt, der nach Zwickau zurückkam und dann sagte, die Wohnbedingungen seien immer noch zu schlecht. Ich nehme es eher so wahr, dass die Leute gerade auf dem Land in den neuen Ländern das Problem haben, dass ihre Häu- ser teilweise wertlos werden, dass teilweise in Dörfern erheblicher Leerstand ist. Wenn ich das Heimatdorf meiner Oma im Harz sehe, wo sich die Einwohnerzahl seit der Wende hal- biert hat, wo fast alle, die in dem Dorf wohnen, über 70 sind, dann ist absehbar, wann dort die Lichter ausgehen. Diese Entwicklung gibt es auch. Deswegen glaube ich, dass das Thema Wohnen und preiswertes Wohnen vielleicht sogar eher ein Standortfaktor ist, dass man sagen kann: Leute, die vielleicht kein so hohes Einkommen haben, könnten das wieder ausgleichen, wenn sie in die neuen Länder zurückkehren.

Gleichwohl – da bin ich auch bei Ihnen –: 2 Millionen Einwohner Wanderungssaldoverlust, wird man nicht nur durch Rückwerbung ausgleichen können. Man muss den Fachkräfteman- gel eben auch durch Ansiedlung ausländischer Fachkräfte kompensieren, da haben Sie recht.

Es muss für die Leute aber auch eine Willkommenskultur da sein. Wenn der Eindruck er- weckt wird, man wolle diejenigen nicht haben, dann ist es schwierig, das zu kompensieren.

Da bin ich ganz bei Ihnen.

Zwei Punkte will ich noch ansprechen, die immer noch auffällig sind. Das eine ist das Wahl- verhalten. Wir haben immer noch ein sehr unterschiedliches Wahlverhalten in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern. Wir erleben zum Beispiel auch bei der Akzep- tanz von Coronamaßnahmen, dass es da durchaus Unterschiede gibt. Hat das etwas damit zu tun, dass gerade auch der Freiheitsdrang der Ostdeutschen und das: Wir wollen uns nicht län- ger bevormunden lassen. Wir sind 1989 auf die Straße gegangen, weil wir bestimmte Sachen verändern wollten. – quasi noch eine andere Form von Renitenz ist – im nicht wertenden Sin- ne gemeint –, oder hat das damit zu tun, dass möglicherweise in 70 Jahren alter Bundesrepub- lik eine gewisser tradierter Umgang mit bestimmten Maßnahmen oder Regularien, die man einfach so hinnimmt, entstanden ist? Also es wäre eine spannende Frage, warum es gerade beim Wahlverhalten oder dem Beurteilen politischer Sachverhalte immer noch einen relativ großen Graben zwischen Ost und West gibt, den man auch festhalten muss.

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Zum Thema Situation von Berlin – das ist das, was Kollege Goiny auch angesprochen hat –:

Nehmen Sie es im Rahmen Ihrer Arbeit so wahr, dass Berlin selber auch für viele Ostdeutsche in den anderen fünf neuen Ländern immer so ein bisschen die gut gepamperte Stadt ist, sage ich mal? In der DDR war es natürlich so: Da gibt es die Bananen, da gibt es die Apfelsinen, da gab es so manche Vorteile, wo dann auch neidisch auf den Ostteil der Stadt geblickt wur- de. Es war so ein bisschen der Vorzeigeteil, weil die deutsche Hauptstadt geteilt war, und Ostberlin wollte natürlich als Hauptstadt der DDR auch hervorstechen. Ist das immer noch so, oder wird mittlerweile auch anderes wahrgenommen, gerade beim Thema Strukturförderung?

Sie hatten den Strukturwandel Braunkohle genannt. Bei meiner Familie mütterlicherseits ist das Elternhaus meiner Mutter auch dem Braunkohletagebau in der Nähe von Leipzig, Schacht Dölitz, zum Opfer gefallen. Insofern kann ich diese ganzen Entwicklungen da nachvollziehen, aber auch die Arbeitsplätze, die daran hängen. Also auf der einen Seite wird das Haus wegge- rissen, auf der anderen Seite arbeitet die Hälfte des Dorfs bei der Braunkohle. Das ist ja im- mer eine Sache, die korrespondiert. Auch da die Frage: Ist mittlerweile das Verhältnis Förde- rung neue Länder und Förderung Berlin wieder im Lot, oder fühlen sich die Ostdeutschen in den Flächenländern im Vergleich zu Berlin und zu dem, was nach Berlin als halbostdeutsches Bundesland fließt, immer noch ein bisschen benachteiligt? – Vielen Dank!

Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank! – Jetzt habe ich auf der Liste Dr. Bronson für die AfD-Fraktion.

Dr. Hugh Bronson (AfD): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Vielen Dank, Herr Wander- witz, für Ihren Beitrag! Ich möchte mich auf eine Drucksache des Bundestages vom 26. Feb- ruar 2019 beziehen. Es geht um die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West, und in dieser Drucksache wird gesagt, dass die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern über alle Anforderungsniveaus hinaus einfach weniger verdienen. Beispiel: Gerade die Spezialisten, die Fachkräfte, deren Mangel Sie konstatiert haben, würden in den neuen Bundesländern mehr als ein Fünftel weniger als der Bundesmedian bzw. ein Viertel weniger als in den alten Bundesländern verdienen. Nun hatten Sie erwähnt, dass es einen Wanderungsverlust von 2 Millionen Menschen gegeben habe, darunter sicherlich auch sehr viele Fachkräfte und Aka- demiker, die die neuen Bundesländer verlassen haben. Der größte Unterschied zwischen den Medianeinkommen besteht mit 1 228 Euro – das sind 24 Prozent – zwischen den Bundeslän- dern Hamburg, wo das Medianeinkommen 3 619 Euro beträgt, und Mecklenburg-Vorpom- mern mit 2 391 Euro. Das ist immerhin ein Drittel, 33 Prozent, weniger, das die Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern für die gleiche Arbeit erhalten.

Nun möchte ich mich auf einen Artikel aus der „Zeit“ vom 1. Mai beziehen, in dem Sie sich geäußert hatten. Sie hatten beklagt, dass die Demokratie in der ehemaligen DDR, in den neu- en Bundesländern noch nicht so richtig angekommen sei. Mein Frage bezieht sich genau da- rauf: Hat das von Ihnen konstatierte Problem der unterschiedlichen Demokratiedurchdrin- gung, das Sie festgestellt haben wollen, nicht primär damit zu tun, dass wir es hier mit einer

„gläsernen Decke“ zu tun haben, wie der Kollege Otto gesagt hat, oder mit einer mangelnden Anerkennung der Leistungen der Menschen in der DDR, die durchaus da gewesen sind und einfach nicht anerkannt werden, und zum anderen aber auch mit dem eklatanten Unterschied bei den Lohnabrechnungen? Dass sich daraus eine politische Haltung entwickelt, das darf niemanden wirklich überraschen. Meine Frage an Sie ist jetzt: Wie weit sind wir eigentlich

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noch von den „blühenden Landschaften“ entfernt, die Ihre Partei den 17 Millionen Deutschen zur Zeit der Wende versprochen hat? – Danke schön!

Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank! – Herr Zimmermann für die SPD-Fraktion!

Frank Zimmermann (SPD): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Vielen Dank, Herr Wan- derwitz, für diesen prima Überblick über die Situation! Ich will festhalten, dass wir hier, glaube ich, einmütig – und das freut mich sehr – zu der Auffassung kommen, dass sich die Verteilung im Staat zwischen Ost und West nicht wie die gaußsche Normalverteilung verhält, sondern dass wir aktiv etwas tun müssen, damit wir hier eine kohärente Entwicklung haben.

Ich will hinzufügen: Neben der horizontalen Verteilung ist es natürlich auch eine Aufgabe des Staates, in vertikaler Hinsicht für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen, und auch da muss man dann in den einzelnen Entscheidungen konsequent sein. Wir würden uns dafür aussprechen.

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Ich will am Schluss der Redeliste der Fraktionen nur einen Punkt aufgreifen, nämlich das Thema ländliche Regionen, das Frau Brychcy und andere auch angesprochen haben. Sie ha- ben zu Recht angeführt: Bei der Städtebauförderung ist aus Verhandlungen ein Konsens ent- standen, dass wir im Osten überobligatorisch, über den Königsteiner Schlüssel hinaus etwas für die Städtebauförderung tun – was richtig ist.

Meine Frage wäre, ob wir für die ländlichen Regionen – ausgehend von der Tatsache, dass wir außer im Berliner Speckgürtel, in Leipzig, in Dresden und in weit mehreren anderen Zen- tren in ländlichen Regionen auf der anderen Seite natürlich Abwanderung und dadurch Prob- leme haben – ähnlich wie bei Städtebauförderung auch überobligatorisch in der Verteilung im Bund etwas erreichen können, um dort – ähnlich wie in den Städten – mehr zu tun. Ist das denkbar, oder ist das schon der Fall? Ich habe an dem Punkt nicht den Überblick.

Korrespondierend damit das Problem der Landwirtschaft: Das ist nicht unbedingt ein Berliner Problem, aber wenn man ländliche Regionen betrachtet, ist das Thema, das wir beim Flä- chenmanagement und dem Verkauf von Flächen lange Jahre die Situation hatten, dass land- wirtschaftliche Flächen an Investoren verkauft wurden, die mit Landwirtschaft gar nichts am Hut hatten und rumspekuliert haben. Gibt es eine Erkenntnis und eine Tendenz – ich weiß nicht, inwieweit Sie dazu etwas sagen können –, ob wir eine etwas landwirtschafts- und regi- onalfreundlichere Politik hinkriegen, sodass wir Flächen nicht für irgendwas nutzen, sondern künftig gleich auch klimafreundlich für extensive Landwirtschaft, wo man die Flächen gut gebrauchen könnte und es einen Zukunftsaspekt bekommen könnte? – Vielen Dank!

Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank! – Jetzt würde ich dem Staatsekretär Gaebler das Wort geben. – Bitte schön!

Staatssekretär Christian Gaebler (CdS): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Meine Damen und Herren Abgeordnete! Lieber Kollege Wanderwitz! Das ist, wie man auch dem Bericht ansehen kann, ein sehr umfangreiches Thema. Das merken wir hier auch an der Vielzahl der Aspekte, die eingebracht werden. Deswegen will ich das nicht durch einen längeren Vortrag ergänzen, sondern nur um zwei, drei Punkte, die mir aus Sicht des Senats wichtig sind.

Wir haben in Berlin die besondere Situation, dass wir in West und Ost sind. Mir ist aber gera- de beim Beitrag des Kollegen Förster aufgefallen: Es gibt eine gewisse Neigung, Berlin im Zweifel in Richtung Westen zu schieben. Das ist im Kreis der ostdeutschen Länder so, dass da immer gesagt wird: So richtig Ost seid ihr nicht, ihr seid viel mehr West. Entschuldigung, wenn ich das an dem Beispiel mache, aber wenn man sagt: Wenn Senatsverwaltungen in ehemaligen Magistratsgebäuden sitzen, dann ist das jetzt trotzdem Westen, weil der Bezirk Mitte mehrheitlich ein Westbezirk ist –, dann zeigt das auch ein bisschen diese Richtung auf, dass gesagt wird: Der richtige Osten ist irgendwie noch weiter weg.

Ich glaube, diese Mentalität, zu sagen: Wir sind immer noch abgehängt und weit weg –, macht es manchmal ein bisschen schwierig, das Ganze zusammenzubringen. Das ist, wie ge- sagt, kein Vorwurf und es ist tatsächlich so. Aber ich glaube, da muss man ansetzen, dass man sagt: Es gibt schon eine Menge Integrationsleistungen, gerade in Berlin als geteilte Stadt, die 30 Jahre Einheit feiern kann, dass wir eine gemeinsame Stadt sind, dass wir diese Probleme gemeinsam anpacken wollen –, wobei wir sowohl im Westen als auch im Osten nicht die Menschen umerziehen wollen. Jeder hat seine Lebensgeschichte, seine Lebensleistung, und

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da geht es um gegenseitige Anerkennung und Respekt. Da müssen wir uns sicherlich in Ber- lin – wie auch bundesweit – immer selber überprüfen: Klappt das wirklich? Wird das genug gemacht?

Man muss auch den Hinweis geben, dass Menschen mit Ostbiografie, wenn ich es mal so nennen darf, in der Gesellschaft, in der Verwaltung, in den führenden Funktionen präsent sein müssen. Da haben wir zwar mit der Kanzlerin jetzt sehr lange jemanden gehabt, die als Leuchtturm vorweggegangen ist, aber dahinter tun sich große Lücken auf. Das muss man schon so deutlich sagen, und da haben wir gemeinsam, glaube ich, eine wichtige Aufgabe.

Das gilt sowohl hier in Berlin als auch insgesamt.

Wir haben gesagt: Wir machen eine gemeinsame Stadt. Genauso ist aus unserer Sicht wichtig, dass wir eine gemeinsame Region mit Brandenburg haben, sodass wir damit auch bestimmte Teilungen und Grenzen überwinden. Das ist der nächste Schritt, und damit werden wir uns auch noch sehr intensiv beschäftigen. Wenn ich es mal an dem Beispiel Wissenschaft und Forschung festmachen darf, sind wir eine sehr erfolgreiche Region. Wir werben gemeinsam um Ansiedlung, und man merkt: „Ost und West“ spielt da gar nicht mehr so eine große Rolle, sondern wir haben das, was auf beiden Seiten der Mauer an Vorleistung da war und was jetzt an Potenzial da ist, zusammengefasst.

Perspektivisch müssen wir sehen, dass soziale Umbrüche nicht spezifisch ostdeutsch sind, auch wenn sie in Ostdeutschland mit einer Gesamtsituation verbunden waren, die das noch viel stärker wirksam und erlebbar gemacht haben. Aber das wird dann darauf hinwirken, dass wir sagen: Es geht darum, die gleichen Lebensverhältnisse in Deutschland sicherzustellen und gezielt daranzugehen. Das ist aber nicht ausschließlich an der Himmelsrichtung festzuma- chen, sondern das hängt mit sozialen Verhältnissen zusammen, die dort da sind. Ich glaube, dass sich dieser Gegensatz zwischen reichen Westländern und armen Ostländern dann ein bisschen auflöst.

Wir sehen aber auch, dass bestimmte strukturelle Hintergründe auch Berücksichtigung finden müssen. Ich mache es an einem Beispiel deutlich: Regionalisierungsmittel. Da gab es lange diesen Streit – wer kriegt eigentlich wie viel? – In der Konsequenz war es ein bisschen so, dass die ostdeutschen Länder deutlich weniger mehr bekommen haben, weil sie aus der Histo- rie heraus, dass öffentlicher Nahverkehr in der DDR eine größere Rolle gespielt hat als in einigen westdeutschen Ländern, verhältnismäßig gut ausgestattet waren. Auch wenn es finan- ziell vielleicht nachvollziehbar war, darf es eigentlich nicht sein, dass Strukturen, die eigent- lich Richtung Klimaschutz und Perspektive gut sind, aus finanziellen Gründen erst mal abge- straft werden.

Worauf ich hinaus will: Wir müssen uns bei allem Wissen um psychologische Dinge, die na- türlich auch eine Rolle spielen, konkret mit den Strukturen beschäftigen und da gezielt anset- zen. Dann werden wir bei dem, wo wir schon gut vorangekommen sind, auch noch weiter gut vorankommen und die Menschen mehr mitnehmen, denn das ist manchmal auch eine Frage des Bewusstseins und nicht der Fakten. Aber das muss man als gute Politik natürlich auch zusammenbringen. – Vielen Dank!

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Vorsitzender Andreas Otto: Vielen Dank, Herr Staatssekretär! – Herr Wanderwitz! Jetzt können Sie alles, was gesagt wurde, kommentieren und ergänzen und die Fragen beantworten, und wir sind darauf sehr gespannt. Bitte schön!

Marco Wanderwitz (MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirt- schaft und Energie und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich auf meine diversen Zettel schaue, die ich mitgeschrieben habe – das Lastenheft sozusagen –, bin ich geneigt zu sagen: Das wer- den wir in den 20 Minuten nicht mehr schaffen, vor allen Dingen, weil vielleicht auch die eine oder andere Reaktion käme. Ich werde also jetzt nicht jedes Thema in ausreichendem Maße quittieren können. Bei dem ein oder anderen sage ich auch mal offensiv dazu, dass ich es mit- nehme. Das heißt dann auch, dass darauf möglichst noch mal eine Reaktion folgt. Ich mache es einfach mal chronologisch durch, obwohl die Themen auch teilweise fast so sind, dass man es nach Themen clustern könnte, aber das ist mit der Zettelwirtschaft ob der Menge des Inputs nicht möglich.

Ich bin auch der Europastaatssekretär bei uns im Haus, und zwar ziemlich bewusst. Ich bin da sehr bei Ihnen. Dass der europäische Gedanke in den neuen Ländern noch nicht so ausgeprägt ist, wie ich persönlich mir das wünschen würde, ist ein Thema, das ich regelmäßig beschwe- rend finde, gerade weil wir so viele Vorteile davon gehabt haben, so früh auf dem Rucksack der alten Bundesrepublik in die Europäische Union zu kommen – nicht nur finanzielle Vortei- le, aber auch finanzielle Vorteile. Die neuen Länder haben immer, 30 Jahre lang, mehr Geld aus Brüssel bekommen als sie eingezahlt haben.

Deswegen sind für mich manche Aussagen, die ich in Richtung der Europäischen Union höre, mit rationalen Begründungen nicht nachvollziehbar – bei allen Schwierigkeiten, die ich auch in diesem gigantischen Konstrukt Brüssel sehe. Um mal ein Beispiel zu bringen: Sicherlich war das Thema der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung nicht dazu geneigt, dass die Europäi- sche Union Pluspunkte gesammelt hat, aber eben viele andere Themen. Insofern: Ja, es ist ein wichtiges Thema, und es ist in dem Bericht kurz gekommen. Das will ich gar nicht schöner reden als es ist.

Das Thema Rechtsextremismus, graduelle Unterschiede – das ist auch ein Thema, wo ich ehr- lich antworten will, dass das – A – nicht falsch ist, und – B – ist natürlich immer die Frage, wie sehr du mit der Tür ins Haus fallen willst. Insofern war das eher eine einladende, mit- nehmende Formulierung, die den einen oder anderen, die noch gesprächsbereit sind, vielleicht die Chance gibt, in die Diskussion einzutreten. Man könnte das auch schärfer formulieren.

Das will ich ganz offen sagen.

Was die Themen Wirtschaft und Arbeit betrifft – es ist natürlich vorrangig das Thema Ta- rifbindung – ganz klar. Je kleinteiliger es wird, desto schwächer ist die vorhanden, und ich beklage das ausdrücklich und bin auch regelmäßig dabei, in meiner politischen Funktion in Richtung der Arbeitgeber dafür zu werben, dass man sich stärker in diese Tarifpartnerschaften hineinbegibt, weil sich natürlich ein Teil der Lohnunterschiede, ein Teil der Einkommensun- terschiede aus der fehlenden Tarifbindung herleiten lassen. Auf der anderen Seite ist natürlich auch eins klar: Solange du – und das war der Anfang in vielen Bereichen – verlängerte Werk- bank bist und die Forschungs- und Entwicklungsabteilung und die Generaldirektion im Wes- ten sitzt, wird eben nicht viel mehr daraus werden als eine verlängerte Werkbank. Und die

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verlängerte Werkbank bist du vor allen Dingen deshalb, weil du im Zweifel einen Lohnvorteil hast, und wenn du nicht die verlängerte Werkbank bist, dann ist es eben Bratislava oder Kra- kau oder Lemberg – je nachdem, wie weit man es auslagert.

Insofern war es richtig, gewisse Leuchtturmentscheidungen in den Neunzigern und Zweitau- sendern zu machen. Zum Beispiel: Die Wiederbelebung der Automobilindustrie in meiner Heimat hat dazu geführt, dass wir jetzt – und da will ich eigentlich hin – in Zwickau das Leitwerk für Elektromobilität im ganzen VW-Konzern sind und jetzt in Zwickau seit letzter Woche nach fast 70 Jahren wieder Audis gebaut werden. Da kommen die nämlich mal her.

Das war immer so eine Sache: Ich habe immer meinen alten Chef, Horst Seehofer, darauf hingewiesen, dass wir in Mitteldeutschland zu den Zeiten, als wir es in seiner Heimat mit ei- nem agrarisch geprägten Land zu tun hatten, die wohlhabendste Region der Bundesrepublik waren. 140 Prozent über im Reichsdurchschnitt war dort damals das Einkommen.

Deswegen glaube ich: In den neuen Technologien liegt die Zukunft. Deswegen ist zum Bei- spiel Tesla hier so wichtig, und deswegen habe ich mich zum Beispiel gefreut, als ich vor zwei Wochen in Dresden bei einem Unternehmen war. Der Name tut nichts zur Sache – sage ich mal in Anführungsstrichen –, aber es ist ein Tech-Unternehmen mit Beschäftigten aus 18 Nationen in Dresden, und die sagen auch ganz bewusst: In Leipzig würde es sich für sie ein- facher leben, aber sie wollen in Dresden bleiben und Dresden verändern, und die sagen ganz klipp und klar: Ob sie es schaffen werden ist eine andere Frage. Sie haben sich jedenfalls vor- genommen, ein ostdeutsches DAX-Unternehmen zu werden. Momentan wachsen sie in dieser Art und Weise. Deswegen glaube ich: neue Technologien, Zukunftstechnologien, Überhol- spur, Bypass, Disruption – wenn wir versuchen, die alte Bundesrepublik auf den Feldern zu überholen, wo sie schon stark sind, ist es völlig aussichtslos.

Das bringt mich auch ein bisschen zu dem, was Kollege Dr. Bronson gesagt hat. Natürlich kann man Hamburg mit Rostock und Schwerin vergleichen, aber man vergleicht dort eine der dynamischsten Metropolen und Wachstumsregionen ganz Westeuropas mit einer Region im Osten, in der es 1945 einen Abriss gegeben hat. Ich sage mal nur ein Stichwort: altes Geld. In der alten Bundesrepublik hat es beispielsweise bei Familienunternehmen Fortsetzungen und Traditionen gegeben. Die haben 1945 in der ehemaligen DDR durch diese Umwandlungen, die es damals gegeben hat, aufgehört zu existieren, und das sind Dinge, an denen wir bis heu- te noch kauen.

Deswegen habe ich auch vorhin den Vergleich mit Regionen Frankreichs, Regionen Spaniens, Regionen Italiens gebracht: Wenn wir den westdeutschen Durchschnitt nehmen und nicht zumindest Rhein-Main, München, Düsseldorf, Hamburg bei diesem Durchschnitt etwas wich- ten, dann ist das ein Vergleich, der uns nicht weiter bringt, denn solche Regionen gibt es im Osten nicht. Vielleicht kann Berlin irgendwann mal durch die Hintertür dahin kommen – weil europäische Metropole –, aber im Grunde ist dieser Durchschnitt West verzerrt.

Wie gesagt: Es sind dynamische Wachstumsregionen. Die sind nicht 1990 stehen geblieben, sondern die haben sich immer weiterentwickelt. Dass wir es überhaupt geschafft haben, die Schere kleiner zu machen – und so viel kleiner zu machen –, ist eine Riesenerfolgsgeschichte, und jetzt müssen wir die Dinge, die da noch sind, weiterbetreiben. Verdienste sind niedriger, weil die Produktivität teilweise noch niedriger ist. Da sind wir wieder bei dem Thema F&E und Co.

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Es sind aber – das muss man der Ehrlichkeit halber dazusagen – in weiten Teilen natürlich auch die Lebenshaltungskosten günstiger. Chemnitz, viertgrößte Stadt Ostdeutschlands, durchschnittliche Nettokaltmiete: 5 Euro, Neubau. Es ist für mich erstaunlich, dass man dafür überhaupt noch bauen kann, aber das ist natürlich im Vergleich zu München und selbst im Vergleich zu Berlin – wir kennen die Dynamik der letzten Jahre – ein erheblich kleinerer An- teil des Einkommens, den man für seine Miete ausgeben muss. Insofern, zum Thema „blü- hende Landschaften“: Aus meiner Sicht blühen die schon ziemlich lange ziemlich intensiv.

Die Frage ist immer die Vergleichsgröße. Wir sind noch nicht bei 100 Prozent, wir sind noch nicht da, wohin wir wollen.

Aber ich spreche ganz proaktiv zum Beispiel einen Themenkomplex, den ich vorhin noch weggelassen habe, obwohl er mir eigentlich wichtig war, an, nämlich das Thema Rente. Wir haben jetzt immerhin wieder eine kleine Rentensteigerung Ost, während es im Westen eigent- lich eine Kürzung geben müsste, die wir politisch ausgeschlossen haben, und wir sind danach bei 97,9 Prozent, sprich: Wir können das Thema Renteneinheit im Grunde genommen ge- danklich abhaken. Wir haben natürlich immer noch die Situation, dass sich aus den niedrige- ren Löhnen im Osten die zukünftig weiterhin niedrigeren Renten rechnen.

Deswegen bin ich einer von denen gewesen, der diesen Angleichungsplänen immer etwas skeptisch gegenüber stand, so sie politisch waren und nicht organisch gewachsen, denn solan- ge es die Ausgleichsfaktoren für die jüngere Generation gab, sind die auf 100 Prozent Durch- schnittsrente West hochgerechnet worden. Das ist für die Bestandsrentner eine schöne Bot- schaft, für die Jüngeren ist es eher eine schlechtere Botschaft. Diesen Konflikt habe ich immer versucht darzustellen. Ich bin nicht so richtig durchgedrungen.

Wir haben in dieser Wahlperiode in den neuen Ländern wieder über 10 Prozent Rentensteige- rung gehabt. Das ist schon ganz ordentlich. Wir haben die Grundrente auf den Weg gebracht, die auch für die neuen Länder ein ganz wichtiges Thema ist. Wir werden jetzt hoffentlich noch den Härtefallfonds auf die Reihe bekommen – toi, toi, toi! Da schaue ich ein bisschen Richtung des Kollegen Staatssekretär. Da ist derzeit die größte Hürde, dass es einen MPK- Ost-Beschluss gibt, der sagt: Die Ostländer wollen nicht mitfinanzieren. Als Parlamentarier aus dem Bundestag sage ich mal: Dass es der Bund ganz alleine bezahlt, wird nicht funktio- nieren. – Insofern wäre es schön, wenn wir uns da finden, weil wir da noch punktuell Gerech- tigkeitslücken schließen könnten.

Damit komme ich zum letzten Punkt Rente, und dann schiebe ich den Rentenzettel wieder beiseite. Wir haben ganz geräuschlos, leise, heimlich letztes Jahr bei dem Konjunkturpaket im Sommer auch eine Änderung beim AÜG mit über die Bühne gehoben und haben die Finan- zierungsquote von 60 Prozent Länder zu 40 Prozent Bund auf 50 zu 50 gehoben. Das ist eine strukturelle Entlastung der neuen Länder von einem dreistelligen Millionenbetrag Jahr für Jahr. Die Länder haben zugesagt, dass sie das vor allen Dingen in Richtung der kommunalen Familie schieben. Da ist Berlin ob der anderen Struktur etwas freier.

Jugendarbeitslosigkeit kam vorhin als Stichwort. Da wissen wir: Wir sind dort auf Platz eins in ganz Europa – toi, toi, toi! –, 6 Prozent aktuell, teilweise über 40. Aber ja: Wenn man sie sich innerdeutsch anschaut, sehen wir dort auch in der Krise etwas, das wir schon die letzten Jahre gesehen haben. Von meiner Seite aus hat das mehrere Problemlagen, aber eine davon ist

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