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Ausgabe 1/2013 7,50 Euro

Ideen aus der Provinz

Freiraum-Projekte aus Städten und Dörfern

Wie sieht guter Bewegungsr

aum aus?

Lesen Sie ab Seite 47 alles über aktuelle Outdoor

-Fitnesstrends!

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Löwenstark und einfach königlich – Produkte aus dem Hause ELANCIA zeichnen sich durch Formvollendung, Stil und Funktionalität aus. Mit uns an Ihrer Seite können Sie sich auf einen Part- ner verlassen, der Sie bei Ihrem Projekt begleitet:

ELANCIA TIERISCH GUTES DESIGN

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Editorial | 3

Liebe Leserinnen und Leser,

Laut Hanns-Joachim Friedrichs erkennt man einen guten Jour- nalisten daran, dass er sich nicht mit einer Sache gemein macht, auch nicht mit einer guten. Ich befürchte, er wäre nicht mit jedem Artikel in diesem Heft zufrieden. Wir haben – sehr er- folgreich – Freiraum-Projekte aus kleineren Städten, sogar aus Dörfern gesucht. Projekte, von denen man vielleicht glaubt, dass sie in Mittel- und Großstädten so gar nicht realisierbar wären.

Aber stimmt das? Oder bieten sie nicht vielleicht doch sehr wohl nutzbare Anregungen für jede Kommune? Das stellen wir zur Diskussion.

Auf jeden Fall waren wir von ganz vielen Themen richtig begeis- tert. So, dass es mit der geforderten kritischen Distanz das ein oder andere Mal nicht zum Besten steht. Entschuldigung. Aber lesen Sie bitte mal die Artikel über die essbare Stadt Andernach, über die innovative Stadtentwicklung in Wittenburg und über Kunst und Dorf. Um mal drei Beispiele zu nennen. Oder über die Bürgerstiftung Pfalz, Città Slow in Deutschland sowie der kos- tenlosen Designberatung von Studenten … Das sind tolle Ideen und Projekte von richtig engagierten Menschen, die dem Leben im öffentlichen Raum mehr Qualität geben.

Sie sehen, Objektivität ist und bleibt bei uns ein Problem. Aber, sollen wir wirklich Besserung schwören?

Dr. Anke Münster

Chefredaktion FreeLounge

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Inhalt

T O P - T H E M A

6 „Mit den Spinnern legen wir los!“

Die Aktion „Potemkinsche Straße“ in Wittenburg mobilisiert die Bürger

12 Werkzeugkasten der Qualitätssicherung Autor: Tina Hörmann, Frank Pfl üger 18 Città slow

Bekenntnisse zu mehr Freiraumqualität und Nachhaltigkeit

23 Qualitätsoffensive Spielfl ächen Autor: Gerd Kinski

28 Das grüne Wunder von Andernach Die Stadt wird zum Lebensmittel-Punkt 32 Ein Ruck geht durchs Dorf

Bürgerstiftung Pfalz

36 Kunst für die Zukunft des Dorfes Das Projekt „Kunst für‘s Dorf – Dörfer für Kunst“

R E P O R T

40 Freiraum kennt keine Altersbeschränkung Autor: Prof. Nicolas Beucker

44 Nachhaltiger Umgang mit Licht ist mehr als Energieeinsparung Autor: Prof. Volker von Kardoff 47 Dem Alter davonlaufen –

Bewegungsplätze

Wie sieht guter Bewegungsraum aus?

Eine Bestandsaufnahme

G E S E L L S C H A F T

56 Besser leben im Kiez

Hamburger Studenten bieten Designberatung

60 Prohibition im Ländle

Baden-Württemberg hat die Diskussion um ein Alkoholverbot neu angestoßen.

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Inhalt | 5 M A R K T M O N I T O R

63 Natur herein – oder raus in die Natur!

H E R S T E L L E R P O R T R A I T

66 (Er-)lebensräume für Menschen Unternehmensporträt Kukuk

B E S T P R A C T I C E

70 Grüne Mitte, Hainholz

72 Kindertagesstätte, St. Wendel 74 Spielplatz „Grüne Welle“,

Malmö, Schweden

S P I E L R A U M

76 Kunst bittet zum Spiel Kunstvolle Spielplätze und bespielbare Kunstwerke

K U N S T I N D E R S T A D T

80 Freibeuter in Weltraummaschinen Lichtinstallationen von Tobias Daemgen und Moritz Ellerich

85 Buchtipp

86 Gigantische Windspiele aus Maschen und Licht

Kunstwerke von Janet Echelman 89 Buchtipp

M A T E R I A L K U N D E

90 Gute Basis für urbanes Design WPC Dielen

A D V E R T O R I A L

94 Blick in die Unternehmen 96 Tivoli

101 Impressum

102 Entdeckt!

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Das erste DriveThroughKinoHaus der Welt war eine von vielen originellen Ideen in Wittenburg.

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Top Thema | 7

„Mit den Spinnern

legen wir los!“

„Auf eine bessere Zukunft in der Großen Stra- ße!“ Im vergangenen Oktober eröffnete Bürger- meister Norbert Hebinck mit Begeisterung die Abschlussveranstaltung einer Aktion, die den Bürgern von Wittenburg noch lange in Erin- nerung bleiben wird. Auf der besagten Großen Straße drängten sich die Menschen, um die 14 Objekte und Fassadengestaltungen anzusehen, die gemeinsam mit einem Team von Kreativen realisiert worden waren. Mit mehr als tausend Besuchern hatte keiner gerechnet, am wenigs- ten die Initiatoren der Aktion. Schließlich hat Wittenburg nur rund 5.000 Einwohner. Wie konnte das gelingen? Am Anfang stand die Idee des Designers und Kameramanns Michael Kockot, der bei einem Drehtermin auf das zent- rale Problem von Wittenburg aufmerksam wur- de. Zwar läuft vieles gut, denn der Standortvor- teil an der A24 zwischen Berlin und Hamburg wurde geschickt genutzt, um in einem Indus- triegebiet einen Mix verschiedener Hersteller und Dienstleistungsunternehmen anzusiedeln.

Auch wurde der historische Stadtkern mit Mit- teln aus dem Aufbau Ost ansprechend saniert.

Doch an der Großen Straße, die genau durch das Zentrum des Ortes führt, stehen 18 Häu- ser und Läden leer. Der Anblick ist trostlos, die Fassaden bröckeln. Alle Bemühungen einer Re- vitalisierung waren bislang fehlgeschlagen. Bis zum Bau der Ortsumgehung 2008 donnerten hier 12.000 bis 15.000 Autos und LKWs über den Asphalt. Das schreckte jeden Interessenten ab. Danach war der Boom der Stadterneue- rung in den neuen Bundesländern vorbei, eine Lösung also nicht in Sicht. Bis Michael Kockot gemeinsam mit dem Künstler und Stadtplaner Ton Matton auf die Idee kam zu zeigen, was man eigentlich im Zentrum gerne sehen würde

Tango, ein Beschwerdelied, 60 Kilo- gramm Wolle, die von den Frauen im Ort zu einer Strickfassade verarbei- tet wurde, und noch einiges mehr:

Die Aktion „Potemkinsche Straße“ in

Wittenburg, Mecklenburg-Vorpom-

mern, mobilisierte tausende Bürger

zu einem Prozess innovativer Stadt-

planung.

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Erst meckern, dann singen: Bernadette La Hengst leitete den Wittenburger Beschwerdechor.

Eine ungewöhnliche Kulisse für ein Unternehmer-Frühstück – doch um auf die Missstände aufmerksam zu machen genau der richtige Ort.

– und rannte mit dem Konzept beim Bürger- meister offene Türen ein. Denn nichts wünsch- te und wünscht sich Norbert Hebinck für seine Stadt mehr, als Leben anstelle von Verfall an diesem Nerv von Wittenburg. Das Ziel war also klar: Die Große Straße soll wieder eine Bedeu- tung bekommen.

Aktionen, keine runden Tische

„Die große Potemkinsche Straße“ – so wurde das Projekt genannt. Der erste Plan, nur ge- staltete Folien vor die maroden Fassaden zu hängen, war schnell verworfen worden: „Uns wurde klar, dass es keinen Sinn macht, im Stil eines Potemkinschen Dorfs bloß kühne Visio- nen zu zeigen. Die Frage ‚Was und wie?‘ hätten wir ja nicht beantworten können. Wir kamen dann auf die Idee, dass die Häuser regelrecht bespielt werden mussten, um zu zeigen, dass man die Probleme auf ganz unterschiedliche Weise anpacken kann“, erinnert sich Norbert Hebinck. Für jedes der 14 Häuser wurde ein Konzept entwickelt, mit dem teils ironisch, teils ganz ernsthaft die Wünsche vieler Wittenbur- ger aufgegriffen wurden. „Wir sind am Anfang wie bei einem Dokumentarfi lm vorgegangen und haben uns Menschen gesucht, die in Wit- tenburg eine Rolle spielen. Mit denen haben wir geredet und versucht, die Stimmung auf- zunehmen.“ Michael Kockot erzählt, dass ihnen zuerst viel Gegenwind ins Gesicht blies, weil sie die Pfade der klassischen Bürgerbeteiligung mit voller Absicht ignorierten. „Wir haben nie- manden eingeladen und keine Gesprächsrun- den einberufen. Eines Tags standen wir in der Stadt und haben angefangen zu bauen. Sobald jemand kam und gefragt hat, haben wir uns viel Zeit genommen und Gespräche geführt. Aber ich glaube, anfangs war schon Ärger da, dass eigentlich niemanden in den üblichen Gremien um Meinung gefragt worden war.“ Nach zwei ungewöhnlichen Veranstaltungen kehrte sich die Stimmung um. Zuerst hatte das Team die ortsansässigen Unternehmer zu einem Früh- stück in eines der leer stehenden Häuser ein- geladen. Michael Kockot lacht, wenn er an den improvisierten Rahmen denkt: „Bei lauwarmem Sekt und mittelmäßigen Brötchen haben wir in einem der baufälligen Häuser die Situation vor Ort erlebbar gemacht. Tatsächlich waren einige Leute aus den Unternehmen aber vorher nie in diesem Teil der Stadt gewesen. Und dann haben wir in ähnlichem Stil ein Hauseignerfrühstück veranstaltet, bei dem wir nichts schöngeredet, sondern wirklich Streit auf den Tisch gebracht

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Die Open-Air-Pizzeria auf einer Brachfl äche wurde mit Pizzakartons dekoriert.

haben. Nach diesen zwei Terminen wurden wir anders wahrgenommen. Ich meine, das Hei- matbedürfnis in Wittenburg ist groß. Weil wir glaubhaft gehandelt haben, dachten die Men- schen offenbar ‚Mit den Spinnern legen wir jetzt mal los!‘ Danach kamen mehr und mehr Leute zu uns in die Straße.“

Die Woche der unmöglichen Dinge

All das fand im August 2012 im Rahmen der

„1. Soziale Wiederbelebungswoche“ statt, in der Designer, Künstler und Handwerker vie- le originelle Anlässe schufen, um die Große Straße ganz anders als sonst zu erleben. Es gab eine Open-Air-Kita auf der Straßenbau- stelle mit extra aufgeschüttetem, feinen Sand, der von Kindergarten- und Schulkindern hef- tig bespielt wurde. Außerdem wurde das erste DriveThroughKinoHaus der Welt eröffnet. Auf zwei extra angefertigten Tribünen konnten die Wittenburger Platz nehmen und Filme auf der gegenüber an einer Hausfassade gespann- ten Leinwand sehen. Dazwischen fuhren Autos durch die Nacht. Es wurde Kunst gezeigt, Vieh durch die Straße geführt, mit Hilfe von der ört- lichen Industrie eine Open-Air-Pizzeria einge- richtet, ein Schulhaus und eine Do-it-yourself- Gaststätte eröffnet und vieles mehr. Schüler verlegten ihren Unterricht in die Große Straße und suchten sich Projekte zum Mitmachen. Au- ßerdem fanden Konzerte, ein Tango-Abend und Theater statt. Kurz gesagt: Wittenburg spielte für eine Woche „Stadt“; die Straße war bunt, erleuchtet und lebendig – wie nie zuvor. Die Menschen haben sich und das Projekt gefeiert.

Eine besonders wichtige Funktion bescheini- gen alle Beteiligten dem Mecker-Haus, das mit

klassischen DDR-Behördenmöbeln und einem professionellen Tonstudio eingerichtet wurde.

Dort nahm die Musikerin und Theaterregisseu- rin Bernadette La Hengst unterschiedlichste Beschwerden entgegen: „Was mir besonders an dem Projekt gefallen hat, ist die Auseinander- setzung mit der Stadt in so kurzer Zeit, in der ich tief in die Strukturen eintauchen konnte.

Durch die Beschwerden der Wittenburger, die ich an die Schaufensterscheibe meines Be- schwerdebüros geschrieben habe, kamen wir miteinander ins Gespräch, denn die Passanten haben sich auch über die Beschwerden der

»Wenn es wahrscheinliche Zukünfte gibt, gibt es auch unwahrscheinliche Zukünfte. Teile der unwahrscheinlichen Zukünfte sind aber auch

mögliche Zukünfte.«

Ton Matton

Top Thema | 9

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Das Beschwerdelied: Zwei der Strophen und Refrain

Auch den Alten wird das Leben oft schwer gemacht, Omas quälen sich mit dem Rollator durch die Stadt.

Dr. Oetker wird seit Jahren staatlich subventioniert, doch die Häuser in der Straße werden: // nie saniert!

Wittenburg ist alt, die Jungen ziehen in die Städte, ach, wenn es nur genügend Kitaplätze hätte.

Die Leute meckern nur den lieben langen Tag, und sobald sie 18 sind: // dann hauen sie ab!

Und die große Straße führt hier raus, doch wir sind hier zu Haus, am Konsum und am Bioteich

Und die große Straße führt hier raus, hier wird nichts mehr gekauft, entdecke deine Sinnlichkeit!

anderen beschwert und gemeckert.“ Das war das Material, aus dem die Künstlerin dann ein 14strophiges Beschwerdelied schrieb, das sie mit dem neu gebildeten Beschwerdechor ein- übte. „Die Frage war, wie viel Beschwerden hält eine Stadt aus und wie viel Sehnsucht braucht ein Lied, um daraus eine Hymne zu machen?“

Das große Finale

In Wittenburg hatte sich ein neues Lebens- gefühl entwickelt. Die Bewohner der kleinen Stadt nahmen regen Anteil am folgenden Aufbau von 14 Objekten und Fassadengestal- tungen. Die große Straße wurde im Oktober

zum Ausstellungsraum - einen Kilometer lang.

Bei der Eröffnung wurde klar, dass die Wittenbur- ger wirklich hinter dem Projekt standen. „Solche Menschenmassen haben wir hier noch nie gese- hen“, schwärmt Norbert Hebinck. Und ergänzt:

„Es war eine wunderba- re Zeit.“ Zu sehen gab es ein „Park-Haus“, das die Frage nach autofreund- licher Stadtgestaltung und Brachen im Stadtbild thematisierte. Unter der Überschrift „Freies Parken für freie Bürger“

konnte man sich in einem bepfl anzten Haus auf Parkbänken entspannen und Grün an einem ganz ungewohnten Ort genießen. Ein echter Hingucker ist zudem die U-Bahn-Station vor dem Rathaus, die auch heute noch steht. Die realistische Attrappe spielt auf das Problem

der Abwanderung an, denn insbesondere jun- ge Menschen zieht es nach Hamburg und Ber- lin. Besonders stolz waren die Bürger auf die Hausnummer 43, die von 50 Frauen aus dem Ort mit einer Strickfassade versehen wurde.

Bürgermeister Norbert Hebinck nutzte den Tag nach der Eröffnung, um Kollegen aus Nach- bargemeinden, Landes- und Bundespolitikern diesen innovativen Weg der Stadtplanung und Bürgerbeteiligung vorzustellen. Das Feedback reichte von Kritik, über Interesse bis hin zu Be- geisterung. Bis Mitte Januar konnte sich jeder ein eigenes Bild von der neu gestalteten Großen Straße machen.

Spektakel und / oder Erfolg

Natürlich war der Hauptkritikpunkt die Frage nach den Kosten und Nutzen dieser Aktion.

Norbert Hebinck hatte es geschafft, mit seinen Idealismus im Ort für die notwendige Zustim- mung zu sorgen. Nicht jeder war anfangs davon überzeugt, dass die Ideen Anklang fi nden könn- ten. Insgesamt wurde das Projekt mit Mitteln der Städtebauförderung realisiert, das bedeu- tet, nur ein Drittel musste die Stadt aufwen- den. Die Kosten für alle Künstler und Designer sowie die Materialien beliefen sich auf rund 100.000 Euro. „Ich habe immer gesagt, Mitte 2014 können wir wirklich eine Bilanz ziehen“, erklärt Hebinck. Doch schon heute kann er erste Erfolge verbuchen: So wechselten im Laufe des Aktionszeitraums vier der 18 Häuser den Besit- zer und die Planungen für den Umbau zu neu- em Wohnraum und neuen Geschäften laufen nun. „Teilweise sind die Voraussetzungen für Investitionen sehr schwierig, aber wir können sagen, dass über jedes einzelne leer stehende

»Durch die Teilhabe der Wittenburger an diesem künstlerischen Stadtplanungsprojekt

hat sich die Stadt von innen heraus verän- dert, das war spürbar.«

Bernadette La Hengst

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Haus jetzt wieder gesprochen wird. Wir haben Gespräche mit den Banken geführt und sehen durchaus Möglichkeiten. Für die private Sanie- rung wurden uns auch zusätzliche Mittel der Städtebauförderung zugesagt.“ Besonders freut er sich darüber, dass jeweils am Anfang der Straße die maroden Häuser saniert werden. So fällt nicht mehr der erste Blick direkt auf eine Ruine. Und auch sonst bemüht man sich, den Geist der Großen Potemkinschen Straße zu be- wahren. Eine im Nachbarort lebende Künstlerin hat in der Weihnachtszeit aus eigener Initiative eine weitere Fassade gestaltet. Schaufenster von leer stehenden Ladenlokalen werden de- koriert und eine Gruppe von Bürgern hat sich das Thema „temporäres Kino“ zur Aufgabe ge- macht.

Und weil sich die Geschichte ein bisschen an- fühlt wie ein Film, der hoffentlich ein Happyend haben wird, gibt es ausnahmsweise auch in ei- ner Zeitschrift einen Abspann:

Die Akteure:

Ton Matton (Stadtplaner und Künstler) Michael Kockot (Kameramann und Designer) Lukas Pusch (Künstler)

Jacob v.d. Rijs (Architekt) Bernadette la Hengst (Musikerin) Sofi e Wagner (Architektin) Andreas Ermisch (Licht –Designer) Björn Ortfeld und sein Team (Designer) und die Bürger von Wittenburg!

www.grosse-potemkinsche-strasse.de

Dr. Anke Münster

Zukunftsvisionen lassen sich auch stricken, wenn nur genügend Nadeln in Bewegung gesetzt werden.

Top Thema | 11

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Werkzeugkasten

der Qualitätssicherung

Förderung der baukulturellen Kompetenz auf kommunaler Ebene

KOMMUNALES HANDELN PRÄGT DAS AUSSEHEN UNSERER STÄDTE UND DÖRFER

Täglich fallen in Städten und Gemeinden Ent- scheidungen, die das Aussehen unserer Le- bensumwelt maßgeblich prägen. Die gebaute Realität ist dabei oft ein Produkt vieler Einzel- entscheidungen, die nicht zuletzt nach ökono- mischen Kriterien getroffen wurden. Themen wie die ästhetische Wirkung, die Nachhaltigkeit oder die regionale Bauweise stehen häufi g im Hintergrund.

Das Forschungsvorhaben „Kommunale Kompe- tenz Baukultur“, das von HJPplaner Stadtpla- ner und Architekten Partnerschaftsgesellschaft Aachen in Zusammenarbeit mit Tschaika Mar- keting im Auftrag des Bundesbauministeriums (BMVBS) von Anfang 2011 bis November 2012 bearbeitet wurde, wollte dazu beitragen, dass die Anliegen der Baukultur in der Praxis ver- stärkt Anwendung fi nden. Es wurde dazu ein Handlungsleitfaden für Kommunen erarbeitet – der „Werkzeugkasten der Qualitätssicherung“.

Diese neue Veröffentlichung blickt auf Instru- mente und Methoden, die geeignet sind, in den Kommunen Baukultur und damit qualitätvolles Planen und Bauen stärker zu thematisieren und umzusetzen.

Dem Forschungsprojekt lag ein breiter Baukul- turbegriff zugrunde, der nicht nur das „schö- ne“ Bauen meint, sondern auch Funktionali- tät, Wirtschaftlichkeit oder Energieeffi zienz.

Projekte sollten auf strategischen Stadt- und Freiraumplanungen basieren, die in den ge- samtstädtischen Kontext eingeordnet sind, re- gionale Besonderheiten beachten und in einem transparenten, qualitätvollen Partizipations- prozess entwickelt wurden. Oder kurz gesagt:

Baukultur umfasst gutes Planen und Bauen und das Reden darüber.

Wie ist die Realität vor Ort? – Sicht auf die deutschen Kommunen

Die intensive Beschäftigung mit baukulturel- ler „Alltagsarbeit“ in Städten und Gemeinden liefert einen guten Überblick über die kom-

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Best Practice Euskirchen-Billig: In dem Ortsteil mit seiner historischen Bausubstanz hat sich sowohl durch kommunale als auch private Investitionen einiges getan.

Sechs gute Gründe für Baukultur

Baukultur stärkt die Identifi kation der Bürgerschaft mit „ihrer“

Kommune

Die Auseinandersetzung mit Baukultur führt zur Anerkennung des Wer- tes von historischem Erbe und zu qualitätvollem Planen und Bauen.

• Baukultur macht Bauten nachhaltig und spart daher auf lange Sicht Kosten

Baukultur lohnt sich, denn sie schafft eine langfristige Nutzbarkeit und Werthaltigkeit von Projekten.

• Baukultur spart Zeit

Die Verständigung über Qualitätsstandards erzeugt ein hohes Bewusst- sein für die Stärken des eigenen Ortes, sodass bei zukünftigen Projekten nicht wieder aufs Neue diskutiert werden muss und damit wertvolle Zeit gespart werden kann.

• Baukultur macht glücklich

Baukultur erfreut uns – schöne Gestaltung, angenehme Funktionen und hohe Aufenthaltsqualität sind überzeugende Argumente.

• Baukultur ist Standortfaktor und fördert Investitionen

Baukultur steigert das Image einer Stadt und dient dadurch auch der Wirtschaftsförderung.

• Baukultur fördert regionale Identität

Bei der Umsetzung von Projekten sollte das handwerkliche Potential einer Region ausgeschöpft werden. Dies führt zu Bewahrung und Wei- terentwicklung vorhandener Kenntnisse und zu regionaler Identität.

munale Praxis und Baukulturkompetenz in der Bundesrepublik. Es lässt sich feststellen, dass es vielerorts Ansätze baukulturellen Handelns gibt, dass eine große Breite an Themen und Aufgaben vorliegt und Baukultur vielfach un- bewusst erreicht wird. Allerdings bestätigt der Vor-Ort-Blick, dass die Qualität vieler Vorhaben steigerungsfähig ist. Zusammenfassend kann man sagen: es wird in deutschen Kommunen Baukultur angestrebt, aber noch zu wenig und oft eher nebenbei und zu wenig zielorientiert.

Und leider unterbleibt oft eine Vermittlung der damit verbundenen qualitativen Ansprüche.

Baukultur fällt insbesondere in denjenigen Städten und Gemeinden „auf fruchtbaren Bo- den“, in denen die Bewahrung des baukulturel- len Erbes mit gewachsener Stadtstruktur und historischem Gebäudebestand Tradition hat.

Zum Respekt für die Leistungen vorausgehen- der Generationen gesellt sich hier der Stolz auf die eigene Geschichte. Daraus erwächst dann der Ansporn, sowohl in der Gestaltung von Frei- räumen und öffentlichem Raum als auch beim Bauen und Modernisieren hohe und werthaltige Qualitätsmaßstäbe anzulegen.

Gängige Vorurteile bremsen die Umsetzung von Baukultur

Parallel zu diesen positiven Feststellungen exis- tieren aber auch Vorurteile bezüglich Baukultur und Gestaltungsqualität. Die gängigen Mei- nungen (zu teuer, zu zeitaufwändig etc.) brem- sen vielfach den Mut derjenigen, die Qualität als Maßstab des eigenen Handelns machen.

Je mehr es gelingt, Qualität zu erklären, des- to mehr verliert die landläufi ge Diskussion über diese Fragen ihren Wert, Baukultur wird (wieder) zu einer öffentlichen Angelegenheit.

Gleichzeitig braucht Baukultur auch Planungs- kultur und Partizipation. Und eine solche Pla- nungskultur kann nur in einem stetigen, auf lange Zeit angelegten Prozess entwickelt wer- den.

Noch viel zu wenige Kommunen und Entschei- dungsträger haben erkannt, dass Qualität ein wichtiges Argument für eine zukunftsfähige Entwicklung ist. Dabei gibt es viele gute Gründe für Baukultur (vgl. Kasten 1).

Top Thema | 13

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DER „WERKZEUGKASTEN DER QUALITÄTSSICHERUNG“

Ein gut sortierter Werkzeugkasten wird unter- schiedlichen Anforderungen gerecht und bietet mit einer großen Auswahl an Werkzeugen – bei richtiger Anwendung derselben – die Möglich- keit, viele unterschiedliche Probleme zu lösen.

Ebenso ist auch der „Werkzeugkasten der Qua- litätssicherung“ konzipiert: Jedes Werkzeug wird einzeln ausführlich beschrieben, es wer- den aber auch zahlreiche Querbezüge zwischen den unterschiedlichen Instrumenten und Ver- fahren hergestellt. Gegliedert ist er in die drei Themenbereiche

• weitsichtig_PLANEN,

• gut_BAUEN und

• miteinander_REDEN.

Eingeordnet in diese Dreiteilung sind im „Werk- zeugkasten der Qualitätssicherung“ die Be- schreibungen zu insgesamt 28 Instrumenten und Verfahren zu fi nden, die von besonderer Bedeutung für die kommunale Praxis sind. Fast alle behandelten Werkzeuge werden mit Bei- spielen aus der kommunalen Praxis sowie an- schaulichen Fotos ergänzt (vgl. Kasten 2).

Drei dieser Instrumente sollen durch Beispiele aus kleineren Städten an dieser Stelle näher vorgestellt werden.

„Denkmalbereichssatzung Euskirchen-Billig“

Denkmalbereichssatzungen werden i.d.R. für Gebiete erlassen, die durch viele Baudenkmale geprägt sind. Sie benennen "Schutzgüter", de- ren Veränderung einer denkmalrechtlichen Er- laubnis bedarf. Es geht dabei um die Wahrung eines einheitlichen Erscheinungsbildes, daher

Werkzeuge der Qualitätssicherung

1. weitsichtig_PLANEN 1.1 Städtisches Leitbild

1.2 Integrierte Stadtentwicklungsplanung 1.3 Fachkonzepte und Regelwerke 1.4 Stadtbildplanung

1.5 Bebauungsplan/Vorhaben-und Erschließungsplan 1.6 Gestaltungssatzungen

1.7 Erhaltungs- und Denkmalbereichssatzungen 1.8 Planungs- und Projektbegleitung

1.9 Ämterkooperation

1.10 Städtebauliche Verträge / Öffentlich-Private Partnerschaften 2. gut_BAUEN

2.1 Vorbildfunktion der Kommune

2.2 Einfl ussnahme auf andere Planungsträger

2.3 Baukulturförderung bei Vergabe kommunaler Grundstücke 2.4 Wettbewerbe

2.5 Gestaltungsbeiräte

2.6 Gestaltungsfi beln und -ratgeber 2.7 Bauberatung

2.8 Behandlung privater Bauvorhaben in der politischen Beratung 3. miteinander_REDEN

3.1 Bürgerbeteiligung und öffentliche Vermittlung 3.2 Entwerfen und Planen öffentlich machen 3.3 Anreize für gute Planung und gutes Bauten 3.4 Interkommunaler Erfahrungsaustausch 3.5 Fachexkursionen mit Politik und Verwaltung 3.6 Auszeichnungen und Preise

3.7 Veröffentlichung „guter“ Bauten und Projekte 3.8 Stadtmarketing und Kampagnen zur Baukultur 3.9 Stadtführungen und -touren

3.10 Orte der Baukultur

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betrifft eine Denkmalbereichssatzung auch die Gestaltung solcher Neubauten, die nicht in unmittelbarer Nähe eines Denkmals errichtet werden sollen. Die in einer Denkmalbereichs- satzung festgesetzten Inhalte hängen in beson- derem Maß vom Bestand ab. Ähnlich wie bei Gestaltungssatzungen, beziehen sich die Rege- lungen typischerweise auf Dacheindeckungen, Einfriedungen, Fassadenmaterial oder Fenster- und Türöffnungen.

Die Kreisstadt Euskirchen hat für den Ortsteil Billig im Juni 2012 die Aufstellung einer Denk- malbereichssatzung beschlossen. Billig ist ein typisches Kirchdorf und weist neben sakralen Baudenkmälern einen ortsprägenden Denkmal- bestand (Hofanlagen, Fachwerkhäuser, Villen, Volksschule etc.) auf. In einer vorausgehenden Dorferneuerungsmaßnahme wurde auf histori- sche Bausubstanz, Wegführung und raumbil- dende Gebäudekanten besondere Rücksicht ge- nommen. Ein homogenes Erscheinungsbild des Ortes und viele private Investitionen waren die Folge. Ziel der Denkmalbereichssatzung ist es nun, die qualitätsvollen Bereiche des Ortes zu schützen bzw. bauliche Entwicklungen weiter positiv zu begleiten. Schützenswerte Bereiche sind der historische Ortsgrundriss, die aufge- hende Bausubstanz, Freifl ächen, Baumbestand, Bewuchs sowie Sichtbezüge und Ortsteilsilhou- ette.

„Vorbildliche Kommune Nettersheim“

Wie ernst es einer Stadt und ihren Tochterunternehmen mit der Baukul- tur ist, sieht man an den Baumaßnahmen der öffentlichen Hand. Städ- tische Neubauvorhaben und energetische Sanierungen des Bestands zeigen das kommunale Baukultur-Engagement ganz konkret. Dies gilt auch für Straßen und Plätze, bei denen fast immer die öffentliche Hand Bauherr ist. Eine vorbildliche, hochwertige Gestaltung des öffentlichen Raums wirkt sich in der Regel positiv auf angrenzende Parzellen aus.

In der Eifel-Gemeinde Nettersheim gibt es ca. 200 denkmalgeschützte Gebäude. Einige der renovierungsbedürftigen Baudenkmäler hat die Ge- meinde in ihr Eigentum übernommen und in Abstimmung mit den Denk- malbehörden beispielhaft saniert. Gemeinsam mit dem Rheinischen Amt für Denkmalpfl ege wurde Informationsmaterial erstellt und Beratung angeboten. Dadurch erfuhr die Bevölkerung eine Sensibilisierung für die historische Baukultur. Die Gemeinde hat den Bürgern aktiv vermittelt,

„wie die Verwandlung von Alt nach Neu vonstattengeht“. Auch ortsan- sässige Handwerksunternehmen und Gewerbebetriebe haben sich auf die Sanierung historischer Gebäude eingestellt und beraten die Eigen- tümer beim Erhalt alter Bausubstanz. (Quelle: www.baukultur-eifel.de) Zu den Maßnahmen in Billig gehört auch eine

Begrünung des Straßenraums.

Das Holzkompetenzzentrum sowie das Naturzentrum in Nettersheim sorgt auch für eine Aufwertung des öffentlichen Raums.

Top Thema | 15

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„Wettbewerb Ortskernentwicklung Verl“

Wettbewerbe werden ausgelobt, um aus ver- schiedenen Alternativen die beste Lösung und das optimale Ergebnis auszuwählen. So sichern sie die Qualität im Hinblick auf Funktion, Wirt- schaftlichkeit und Gestaltung. Wettbewerbe können aber auch eine gute Werbung für ein Projekt und den Bauherrn sein. Außerdem kann der Wettbewerb oft ganz erheblich die Geneh- migung und Umsetzung von Aufgaben erleich- tern und beschleunigen. Bei Vorbereitung und Durchführung eines Wettbewerbes lernen alle Beteiligten durch den gemeinsamen Austausch viel über Baukultur.

Die Stadt Verl hat für die Neugestaltung des Ortskerns einen Realisierungswettbewerb nach RAW 2004 ausgelobt. Dem Wettbewerb vor- ausgegangen war eine Bürgerwerkstatt, deren Ergebnisse in die Auslobung übernommen wur- den. Neben der Umgestaltung eines Hauptstra- ßenzuges wurden auch wichtige Freiraum- bzw.

Platzbereiche in die Aufgabenstellung mit ein- bezogen. Das Angebot an Grün- und Entspan- nungsfl ächen im Kernbereich sollte erweitert werden. Darüber hinaus sollte nach Möglichkeit durch die Anlage von Grünzügen eine fußläufi - ge Verbindung in angrenzende Naherholungs- gebiete geschaffen werden. Die im Rahmen des Wettbewerbs erzielten Ergebnisse (1.Preis:

Bischof Hermansdorfer Architekten BDA) ver- deutlichen die Vielfalt guter und umsetzbarer Ideen. (Weitere Informationen: www.verl.de)

REICHT EIN „WERKZEUGKASTEN“ AUS?

Was hilft ein gut bestückter Werkzeugkasten, wenn nicht ein handwerklich versierter Mensch ihn öffnet und die Werkzeuge kreativ und ziel- sicher einsetzt? Sicher nicht viel. Das heißt, der Werkzeugkasten muss in die richtigen Hände gelangen. Er richtet sich an Verwaltungsmitar- beiter, an Politik sowie an interessierte Bürger und die Fachöffentlichkeit.

Erfolgsfaktoren

Die positiven Beispiele im Werkzeugkasten zei- gen, dass ein gutes Zusammenwirken der Ak- teure zu sehr gelungenen Projekten und Prozes- sen führt. Verschiedene Rahmenbedingungen haben sich als besonders förderlich für kommu- nale Baukultur herauskristallisiert:

• Im Idealfall hat man in der Kommune „Über- zeugungstäter“, die sich das Thema Baukul- tur zu eigen machen.

• Notwendig sind ein fester kommunalpoliti- scher Wille und eine Verankerung durch po- litische Grundsatzbeschlüsse.

• Zur Umsetzung notwendig ist eine qualifi - zierte Verwaltung mit „langem Atem“ und Kontinuität in der Arbeit und ebenso eine weitsichtige Personalpolitik, die auch Wei- terbildung beinhaltet.

• Eine lokale Anerkennungskultur befördert die Diskussion über Baukultur und steigert die Motivation für gutes qualitätsvolles Pla- nen und Bauen.

Tina Hörmann

ist Architektin und seit 2008 Mitarbeiterin des Büros HJPplaner Aachen. Seit vielen Jahren ist sie in verschiedenen Forschungszusammenhängen tätig und hat an mehreren Projekten, u.a. für das BMVBS und das BBSR, maßgeblich mitgearbeitet. Seit 2004 ist sie Mitglied im Rat der Stadt Aachen.

In Verl wird sich in den nächsten Jahren einiges verändern. Bei der Jurysitzung zum Wettbewerb für die Ortskernentwicklung wurden erste Weichen gestellt.

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• Planungsprozesse müssen von Transparenz, Kommunikation und fachübergreifender Ko- operation geprägt sein.

• Ein vertrauensvoller Umgang von Verwal- tung, Politik, Fachleuten, Investoren und Öf- fentlichkeit trägt ebenfalls zu guten Ergeb- nissen bei.

Fazit

Angesichts der Situation in der deutschen Bau- und Planungspraxis haben die Autoren zum Abschluss des Forschungsprojektes festgestellt, dass die Erarbeitung eines Werkzeugkastens

„notwendig, aber keinesfalls hinreichend“ ist.

Zusammenfassend drücken dies folgende The- sen aus:

• Baukultur ist kein Selbstzweck, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Anspruchs und Teil der Lebenskultur, bei der ein Un- terschied zwischen Alltags- und Hochkul- tur besteht. Beide Aspekte sind wichtig und müssen beachtet werden. Baukultur darf nicht nur an historischen und herausragen- den Objekten festgemacht werden, sondern muss auch Maßstab für „durchschnittliche“

Bauvorhaben sein.

• Das Bild vom „Werkzeugkasten“ weist auch darauf hin, dass Baukultur keine Kunst ist, sondern Handwerk. Ein gutes Handwerks- stück ist aber nicht nur vom Talent abhän- gig, ein Handwerk kann und muss erlernt werden.

• Da die Hoch- und Freiraumprojekte und ihre Umsetzung komplexer geworden sind, müs- sen Kommunen zukünftig strategisch noch aktiver werden; baukulturelles Handeln und Planen muss „Normalität werden“ und im alltäglichen Handeln selbstverständlich sein.

• Die Vielschichtigkeit des Baukulturbegriffs kann nicht oft genug bekräftigt werden:

Qualität, Nutzen und Wirtschaftlichkeit, Er- gebnis und Prozess sind gleichermaßen von Belang. Dies erfordert eine intensive Aufklä- rungsarbeit, die gezielt auf die Öffentlich- keit, die Presse etc. zugeht.

• Baukultur kann man nicht alleine machen – auch nicht als guter Architekt oder Planer.

Es gehören, neben der Öffentlichkeit, insbe- sondere Verwaltung und Politik dazu. Das ist der Grund, warum sich der „Werkzeugkasten der Qualitätssicherung“ explizit an all diese Gruppen wendet.

Tina Hörmann, Frank Pfl üger

Die Broschüre »Werkzeugkasten der Quali- tätssicherung« ist kostenfrei zu beziehen un- ter: modellvorhaben-baukultur@bbr.bund.de, Stichwort: Kommunale Kompetenz Baukultur.

Dr.-Ing. Frank Pfl üger

ist Partner bei Heinz Jahnen Pfl üger (HJPplaner), Aachen und widmet sich als freiberuf- licher Architekt und Stadtpla- ner in Praxis und Forschung der qualitätvollen Entwicklung unserer gebauten Umwelt.

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Ihre Ansprechpartnerin: Karina Heidenreich E-Mail: karina.heidenreich@tuev-sued.de

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Seminar für Spielplatzprüfer

Ausbildung nach DIN SPEC 79161

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Cittàslo w – mehr als nur ein Label

Von Null auf 160 in 14 Jahren – auch wenn es eigentlich um Entschleunigung geht, ist das alles andere als ein schlechter Schnitt. Jedes Jahr kommen neue Städte hinzu und mittler- weile wächst auf vielen Kontinenten das Inte- resse daran, Cittàslow zu werden. Was 1986 zunächst als Aufstand gegen Fast Food in Rom begann, hat sich zu einer namhaften, internati- onalen Bewegung für mehr Lebensqualität ent- wickelt. Die zentralen Sätze im Gründungsma- nifest der Slow-Food-Bewegung von 1989 sind heute noch so aktuell wie damals: „Als Antwort auf die Verfl achung durch Fastfood entdecken wir die geschmackliche Vielfalt der lokalen Ge- richte. Fast Life hat im Namen von Produktivi- tät und Rendite unser Leben verändert und be- droht unsere Umwelt. Slow Food ist die richtige Antwort darauf. In der Entwicklung des Ge- schmacks, und nicht in seiner Verarmung liegt die wahre Kultur. Und hier kann der Fortschritt dank einem internationalen Austausch von Ge-

schichten, Wissen und Projekten seinen Anfang nehmen.“ Schnell zeichnete sich ab, dass in den Ideen über Lebensmittel und Kochen hinaus ein großes Potential steckt. So war es zur Gründung der Cittàslow-Bewegung eigentlich nur ein kleiner Schritt. 1999 machten vier italienische Städte den Anfang und bekannten sich zu einer Stadtentwicklung, die eine Verbesserung der Lebensqualität konsequent in den Mittelpunkt jeder Planung stellt. Auch wenn lokale Identität und eine nachhaltige Ökonomie wichtige Prin- zipien sind, legt man doch großen Wert darauf, nicht fortschritts- und technikfeindlich zu sein.

Pier Giorgio Oliveti, Direktor der Cittàslow-Ver- einigung, betont, dass die Städte sich durch die Suche nach der eigenen guten Vergangenheit in Kombination mit der Anwendung moderns- ter Technologien positionieren sollen. Slow ja, rückwärtsgewandt nein. Irgendwie kokettiert das „Slow“ im Namen aber zugleich mit Vorur- teilen, die durch fest defi nierte Werte zu einem

Was haben Levanger in Norwegen, Katoomba in Australien,

Yesan County in Südkorea und Bad Schussenried sowie zehn

weitere deutsche Kommunen gemeinsam? Als Cittàslow

nehmen sie Tempo aus dem Alltag und bekennen sich zu

mehr Freiraumqualität und Nachhaltigkeit.

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Die Kinderkrippe im Klosterbau am Schussenrieder Törle lockt mit ihrem Kleinkinderspielplatz junge Familien in den Ortskern.

Prädikat und gelebten Standortvorteil werden - für Kommunen in aller Welt. Es sind Stadtvisi- onen, die auf Traditionen und das Ursprüngliche einer jeden Stadt bauen. Die im gleichen Zug den Kampf aufnehmen, gegen alles, was die Identität der Orte schwächt, wie zum Beispiel Leerstand oder Defi zite in der Infrastruktur. Und die Probleme der Kommunen sind gewaltig: So stellt der Handelsverband Bayern fest, dass in den 90er Jahren in Innenstädten einzelne Be- triebe betroffen waren, heute dagegen vieler- orts die gesamte Innenstadt als Einzelhandels- standort in Gefahr sei.

Erfolge im Zeichen der Schnecke

Das Logo von Cittàslow ist eine Schnecke, ein Wappentier, das in verschiedener Hinsicht Sinn macht. Es ist zum einen die Entdeckung der Langsamkeit für mehr Lebensqualität. Da es aber bei allen Entwicklungen um nach- haltige Veränderungen geht, sind es vielfach auch Prozesse, die ihre Zeit brauchen. Genau darum ging es dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das 2012 eine Studie aufgelegt hat, um am Beispiel der deutschen Cittàslow-Städte die Kriterien und Erfolgsfaktoren nachhaltiger Stadtentwicklung herauszuarbeiten. „Ausgangpunkt war die Fra- ge, was wir außerhalb dieses Netzwerkes von den Erfahrungen lernen können“, erklärt Man- fred Fuhrich, der beim BBSR für das Projekt zu- ständig ist und aus dessen Sicht kleinere Städte in der Stadtforschung viel zu häufi g noch ein blinder Fleck sind. Die Beauftragung der Studie als anwendungsorientierte Forschung versteht sich als ein weiterer Beitrag des Bundes, die

Stadtentwicklungspolitik in kleineren Städten zu stärken. Ariane Sept hat als wissenschaft- liche Mitarbeiterin des Planungsbüros loca- tion³ an den Fallstudien zu den elf deutschen Städten des Netzwerks mitgewirkt und fasst ihre Eindrücke zusammen: „Wir haben bei den Besuchen vor Ort schnell verstanden, dass sich durch Cittàslow insgesamt die Haltung ändert.

Durch den Status ergeben sich Argumenta- tionshilfen und jeder einzelne Schritt wird an Cittàslow gemessen. Es funktioniert aber auch umgekehrt: Manche Dinge, die schon lange so gemacht wurden, passen einfach unter dieses Dach. Insgesamt lässt sich außerdem ein grö- ßeres Qualitätsbewusstsein feststellen.“

Nachhaltigkeit – auch in der Freiraum- gestaltung

Weil sich aus den vielen Prinzipien und Themen letztendlich eine integrierte Stadtent- wicklungspolitik ergibt, wirkt sich das Engagement natürlich auch auf den öffentlichen Frei- raum in den Städten und die dortigen Angebote für alle Bevölkerungs- gruppen aus. Ariane Sept kennt viele Bei- spiele, die das Gesicht der Städte verändert haben: „In Deidesheim und Bad Schussenried wurde zum Beispiel die ganze Innenstadt barrierefrei gestaltet. Au- ßerdem hat man sich dort

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bewusst dagegen entscheiden, immer mehr Touristen in die Stadt zu holen. Qualität vor Quantität ist in Deides- heim deshalb ein wichtiges Ziel geworden. Auch in Wald- kirch hat man das Cittàslow-sein verinnerlicht. Die im Einzugsgebiet von Freiburg liegende Kommune hat sich bewusst gegen ein zu schnelles Wachstum entschieden, denn man will nicht zu einer Schlafstadt der Pendler wer- den. Es geht um die Gleichzeitigkeit von mehr Arbeitsplät- zen und Wohnangeboten. Ein schönes Projekt dort ist die Umgestaltung und Reaktivierung eines Marktplatzes, der die Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessert hat.“ Auch wenn es kein Cittàslow-Rezept gibt, denn jede Stadt soll ja von der eigenen Geschichte und Identität ausgehen, sind die beiden Beispiele schon auch „typische“ Verände- rungen. Die Fokussierung auf regionale Produkte verlangt schöne Plätze für deren Verkauf. Explizit geht es immer auch um die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen, so dass Barrierefreiheit eine wichtige Voraussetzung ist. Hin- zu kommt, dass auch für viele der elf Städte der demo- grafi sche Wandel zu den großen Herausforderungen zählt.

Wenn wenig Pfl egeeinrichtungen zur Verfügung stehen, ist es umso wichtiger, dass die alten Menschen lange ei- genständig wohnen, sich versorgen und ohne Einschrän- kung in den Städten bewegen und aufhalten können.

Beispiel: Bad Schussenried

Auch für Bad Schussenried im Alpenvorland sind dies vor- dringliche Themen. Die Stadt mit knapp 8.500 Einwohnern ist seit 2010 Cittàslow. Bürgermeister Achim Deinet weist darauf hin, dass ein weiteres Zertifi kat für die Entwicklung der Stadt besonders wichtig ist. “Wir sind seit November 2012 mit dem European Energy Award in Gold ausgezeich- net, der unser Engagement in Sachen Klimaschutz beson- ders würdigt. Beide Zertifi kate defi nieren für uns einen klaren Handlungsrahmen, der bei allen Entscheidungen im Stadt- und Gemeinderat maßgeblich und kontrollierbar ist.“ Die Veränderungen in der Stadt sind für alle Bürger

Die Kriterien zur Bewertung der cittàslow:

Umweltpolitik

Nutzung alternativer und/oder regenerativer Energien; Recycling Konzept, u.a.

Infrastrukturpolitik

Behindertengerecht, Bürgernähe, Grünanlagen, Naherholungsgebiet u.a.

Urbane Qualität (urban, lat.; "städtisch") Stadtentwicklung, Denkmalpfl ege, Müllkonzept, u.a.

Aufwertung der autochthonen Erzeugnisse (autochthon, griech.; "einheimisch") Regionale Wochenmärkte, Pfl ege heimischen Brauchtums, u.a.

Gastfreundschaft

Pfl ege von Städtepartnerschaften, Touristinformation, u.a.

(cittàslow-) Bewusstsein

PR-Arbeit für cittàslow, Öffentlichkeitsarbeit, u.a.

Neu hinzu kommt bald der Bereich der sozialen Kohäsion, bei dem es zum Beispiel um Angebote für Kinder oder auch das Vereinswesen in der Stadt geht.

Bei manchen Projekten greifen die Leitideen von Cittàslow und dem European Energy Award perfekt ineinander:

Zum Beispiel beim Beleuchtungskonzept für die Wilhelm-Schussen-Straße in Bad Schussenried.

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sichtbar und wirken sich auf das tägliche Le- ben aus: Barrierefreiheit, neue Gestaltungen der Ortskerne mit neuer Stadtmöblierung und einheitlichen Materialien. Angestrebt werden Elektro-Mobilitäts-Ladestellen und eine Ver- langsamung des Verkehrs durch eine entspre- chende Verkehrslenkung. Insgesamt geht es darum, die Aufenthaltsqualität zu verbessern und durch eine strenge Infrastrukturpolitik die Ortskerne zu stärken. „Wir möchten das Zen- trum auch als Wohnquartier interessant ma- chen. Dazu gehört Versorgungssicherheit für ältere Menschen, um den Schritt zu betreutem Wohnen möglichst lange heraus zu zögern. Na- türlich möchten wir alle Generationen anspre- chen, deshalb haben wir zum Beispiel eine KiTa im Kloster in sehr zentraler, aber verkehrsbe- ruhigter Lage eingerichtet. Eltern, die ihre Kin- der abholen und bringen, kaufen auch in den Innenstadt-Geschäften ein oder überlegen viel- leicht auch, dort zu wohnen.“ Neben dieser Ori- entierung an den Bürgern geht es auch darum, Bad Schussenried für Touristen aufzuwerten.

Die barocke Kirchen- und Klosterarchitektur lockt jährlich circa 120.000 Besucher an. Der öffentliche Raum und die Gebäude im Ortskern sollen entsprechend eine Attraktivität zeigen, die zum Aufenthalt dort einlädt.

Muss man für solche Prozesse Cittàslow sein?

Betrachtet man die im Rahmen der BBSR- Studie erstellten Steckbriefe der elf Städte mit ihren jeweiligen Schwerpunkten und Aktionen, dann fi nden sich natürlich viele Maßnahmen, die auch in anderen Städte ohne Label reali-

siert werden. Was ist also der konkrete Nutzen

Links

» www.cittaslow.org

» www.citta-slow.de

» www.bbsr.bund.de Der neue Erlebnisgarten in Deidesheim bietet

einheimischen Kindern und den Besuchern der Stadt attraktive Aufenthalts- und Spielangebote.

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oder die Besonderheit? Ariane Sept sieht sie in der Verknüpfung von ganz unterschiedlichen Themenfeldern unter einem gedanklichen Dach.

In der Auswertung der BBSR-Studie heißt es: „Cittàslow mit seinem Kriterienkatalog hat keine neuen Themen, sondern vielmehr neue Ver- knüpfungen von Themenfeldern generiert, die man vorher so nicht mit- einander in Verbindung gebracht hat.“ Und das ist auch der Grund, wa- rum die Cittàslow-Ideen vor allem für kleine Städte optimal sind. Hier können engagierte Akteure sowohl aus der Verwaltung als auch aus der Bürgerschaft verschiedene Themen miteinander verknüpfen, die in größeren Städten aus organisatorischen Gründen gar nicht zusammen- hängen. Auch wenn es natürlich Kritikpunkte innerhalb des Netzwerks gibt, zum Beispiel, dass der Austausch und das Voneinanderlernen bes- ser sein könnte, vielleicht auch eine stärkere Länderorientierung beim Kriterienkatalog zur Zertifi zierung sinnvoll wäre, so hat Ariane Sept in allen Städten überwiegend Zufriedenheit mit dem Netzwerk erfahren.

Als Fazit heißt es auf der Website des BBSR: „Über die Elemente ei- ner integrierten Stadtentwicklungspolitik hinaus geht die starke Beto- nung der regionalen Produktion, wobei als regionale Produkte lokale Spezialitäten genauso verstanden werden wie traditionelle Materialien oder typische architektonische Merkmale. Durch eine Förderung dieser lokalen Besonderheiten können sich kleine Städte nicht nur Marktni- schen erobern, sondern auch vor Ort Arbeitsplätze schaffen und ihre Attraktivität für Bewohnerinnen und Bewohner sowie Gäste steigern.

Insgesamt bleibt Cittàslow aber vor allem eine bestimmte Haltung in der Stadtentwicklung, die eine nachhaltige Entwicklung mit dem Ziel einer hohen Lebens- und Aufenthaltsqualität für Bewohnerinnen und Bewohner sowie Gäste gleichermaßen anstrebt.“

Dr. Anke Münster

Cittàslow wird von den elf Mitgliedstädten eingesetzt als:

• Langfristige unterstützende Stadtmarketing- Strategie und Alleinstellungsmerkmal

• Alleinstellungsmerkmal für Bevölkerung und Tourismus

• Element für strategische Bündelung von Vernetzungsaktivitäten und Programmen

• Dauerhaftes Leitbild für Ortsentwicklung und qualitatives Stadtmarketing

• Stadtprofi l und strategische Argumentationshilfe in der Stadtpolitik

• Qualitätssiegel für kleinstädtisches Wohnen und Einkaufen

• Türöffner zu Fördermitteln und Anstoß zu Engagement

• Element zur Stärkung regionalen Bewusstseins und touristisches Konzept

• Auszeichnung bzw. Inwertsetzung vorhandener Qualitäten

• Vehikel für nachhaltige Stadtentwicklung und Stadtmarketing-Strategie

• Markenzeichen für behutsames kleinteiliges Vorgehen

(Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)

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Qualitätsoffensive

Spielfl ächen

In Witten zeigen die Stadt, Kinder und Jugendliche sowie Unternehmen gemeinsam viel Initiative, um Spielfl ächen zu verbessern – obwohl mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, wie in anderen Kommunen auch, eigentlich nur der Abbau von Spielplätzen möglich ist.

Gut gestaltete Spielfl ächen in einer Kommune tragen wesentlich zur Lebensqualität von Fami- lien und Kindern bei. Besonders für die jüngsten Stadtbewohner hängt das Wohlfühlen in ihrer näheren Umgebung von den Spielangeboten ab.

In zentralen, dicht bebauten Stadtteilen, in de- nen das Angebot an Bewegungsräumen natur- gemäß geringer ist, besitzen Kinderspielfl ächen gerade in der heutigen Zeit besondere Bedeu- tung. Denn immer mehr Kinder verbringen ihre Zeit ausschließlich mit Computer, Fernseher, Smartphone oder Spielkonsole. Von daher ist es fatal, dass viele Kommunen aufgrund ihrer Haushaltssituation immer mehr Spielfl ächen zurückbauen.

Gegensteuern durch offensives Konzept

Auch in Witten mussten in den letzten Jahren alte Spielgeräte in großem Umfang auf den öf- fentlichen Spielfl ächen aus Sicherheitsgründen abgebaut werden. Aufgrund der Haushalts- situation der Stadt konnten die Geräte nur begrenzt ersetzt werden. Notwendige, kom- plette Neugestaltungen von Spielfl ächen wur- den aufgeschoben oder waren nur in wenigen Einzelfällen über Fördermaßnahmen möglich.

So stellten sich viele Spielfl ächen im Laufe der Zeit als Heimat eines einsamen Wippetieres oder einer verwaisten Rutsche dar. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, sind das Amt für Jugendhilfe und Schule und der Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt in die Offensive gegangen und haben gerade in dieser Situation ein neues Spielfl ächenkonzept für Witten ent- wickelt. Das gemeinsam mit einer ämterüber- greifenden Arbeitsgruppe und dem Planungs- büro Hoff aus Essen erarbeitete neue Konzept hat der Jugendhilfe- und Schulausschuss im Juni 2012 einstimmig beschlossen.

Ziel des Konzeptes ist es, sich auf die für die Kinder wichtigen Spielfl ächen zu konzentrieren und nicht mehr benötigte Standorte aufzuge- ben. Die aufgegebenen Standorte sollen zum Teil vermarktet und ein Teil der Vermarktungs- erlöse für die Neugestaltung der verbleibenden

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Flächen eingesetzt werden. In jedem Spielraum soll so eine attraktive Mittelpunktsspielfl äche entstehen.

Neben der fachlichen Bewertung war die Einschätzung der Kinder die wesentliche Grundlage des neuen Konzeptes. Die Kinder entschieden also in erster Linie selbst, welche Spielfl ä- chen für sie wichtig sind und auf welche Flächen sie am ehes- ten verzichten können. Die Ergebnisse der Kinderbeteiligung haben das neue Spielfl ächenkonzept maßgeblich bestimmt.

Kinder waren als „Jury“ gefragt

Die Kinderbeteiligung wurde in allen 18 Hauptspielräumen, in die das Stadtgebiet eingeteilt wurde, durchgeführt. Das rest- liche Stadtgebiet besteht aus Spielräumen mit sehr geringer Kinderzahl und ländlichem Charakter. Insgesamt fanden 28 Kinderbeteiligungen an den 17 Wittener Grundschulen, die auch den Ausgangspunkt für die Einteilung der Spielräume bildeten, statt. Bei Spielräumen mit höheren Kinderzahlen (ab 500 Kinder) gab es zwei Beteiligungen.

Durchgeführt wurden die Beteiligungen in der Jahrgangsstu- fe drei. Bei einem Streifzug über sämtliche Spielfl ächen ihres jeweiligen Spielraumes konnten sich die Kinder noch einmal intensiv mit ihren Spielmöglichkeiten auseinandersetzen. An- schließend bewerteten die Kinder über ein Punktesystem den Ist–Zustand der Spielfl ächen und kennzeichneten die Flächen, auf denen sie spielen. In einer zweiten Runde entschied sich jedes Kind jeweils für die wichtigste Spielfl äche im Spielraum und für Flächen, auf die es verzichten kann.

Insgesamt sind die Fragestellungen und die Zielsetzung der Beteiligung von den Kindern bis auf wenige Einzelfälle gut verstanden worden. Generell war die Bereitschaft der Kinder groß, Mittelpunktsfl ächen, d. h. Spielfl ächen, die für alle Kin- der im Spielraum eine große Bedeutung haben, auszuwählen.

Die Entscheidungen der Kinder für eine Mittelpunktsfl äche sind in zwei Drittel der Hauptspielräume eindeutig. In diesen Hauptspielräumen entscheiden sich jeweils ca. 80 bis 100 Pro- zent der beteiligten Kinder für die gleiche Fläche.

Ähnlich sieht es aus Sicht der Kinder bei den aufzugebenden Flächen aus. In den meisten Hauptspielräumen haben 60 bis 100 Prozent der Kinder die gleichen Flächen als verzichtbar eingestuft.

Zentrale, attraktive Spielfl ächen

Künftig wird jeder Hauptspielraum mit einer zentralen Fläche ausgestattet, die attraktive Spielmöglichkeiten für drei- bis zwölfjährige Kinder bieten soll. Auch bei der Gestaltung wer- den die Kinder aus dem Spielraum wieder einbezogen, so dass es keine Standardgestaltung für die Mittelpunktsfl ächen gibt.

Vielmehr wird jeder Spielplatz abhängig von den örtlichen Ge- gebenheiten und den Vorstellungen der Kinder geplant.

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In Witten haben die Kinder und Jugendlichen mit darüber entschieden, welche Spielplätze aufgewertet werden und auf welche man verzichten kann.

Gerd Kinski

beschäftigt sich seit 1997 mit der Planung von Spielfl ächen.

Er ist Diplomsozialpädagoge und war nach seinem Studium in verschiedenen Bereichen der Kinder- und Jugendförderung tätig. Seit 1997 ist er Kinder- und Jugendbeauftragter der Stadt Witten.

Weitere Funktionsfl ächen wie kleinere Spiel- fl ächen für den näheren Einzugsbereich, Bolz- plätze und gestaltete Schulhöfe runden das Spielangebot in jeden Hauptspielraum ab.

Kleinere Spielfl ächen werden zum Beispiel als Funktionsfl ächen erhalten, wenn zur Mittel- punktsfl äche Barrieren wie Bahnlinien oder Hauptverkehrsstraßen bestehen oder die Mit- telpunktsfl äche am anderen Ende des Spielrau- mes liegt. In der Praxis fi ndet so die überwie- gende Zahl der Kinder in den Hauptspielräumen eine Spielmöglichkeit in einer Entfernung von maximal 500 Metern. Zudem wird jeder Stadt- teil mit einem Außentreffpunkt für Jugendliche versehen.

Projektzeitraum und Finanzierung

Die Umsetzung des Konzeptes ist auf die Dauer von zehn Jahren ausgelegt. Jährlich sollen zwei bis drei Flächen neu gestaltet oder überarbeitet werden. Der lange Zeitraum ergibt sich, da ne- ben den sicherlich im Vordergrund stehenden Mittelpunktsfl ächen auch die Funktionsfl ächen und Außentreffpunkte für Jugendliche einzube- ziehen sind.

Bei Umsetzung sämtlicher Ziele des Konzep- tes besteht eine jährliche Unterfi nanzierung von bis zu 200.000 Euro. In Witten lässt man sich dadurch aber nicht entmutigen und hat

die ersten beiden (fi nanzierten) Mittelpunkts- fl ächen in Angriff genommen. Durch Verkaufs- erlöse, Fördergelder und Sponsoren soll die Unterfi nanzierung aufgefangen werden. An dieser Stelle ist es natürlich hilfreich, wenn eine Kommune ein funktionierendes und ak- tives Kinder- und Jugendparlament besitzt.

Das Wittener Kinder- und Jugendparlament hat sich das Projekt zu eigen gemacht und vor allem Wittener Unternehmen zu einer großen Spendenkampagne unter dem Motto „Schöner spielen in Witten“ aufgerufen, die erfolgreich angelaufen ist. Innerhalb eines Monats sind schon 26.000 an Spendengeldern zusammen- gekommen und weitere Termine zur Präsenta- tion des Projektes stehen für die Vertreter des Kinder- und Jugendparlamentes an. In Witten blickt man optimistisch in die Zukunft, denn es wird nicht nur der Mangel verwaltet, sondern aktiv an der Kinder- und Jugendfreundlichkeit der Stadt gearbeitet.

Gerd Kinski

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FIBO Innovation Award 2013

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Das grüne Wunder von Andernach

In Andernach wachsen Boh- nen, Kartoffeln und Pfi rsiche mitten in der Stadt – und je- der darf davon ernten. Eine Idee, die Schule macht.

Es ist eine dieser Geschichten, bei denen man denkt: Warum ist eigentlich niemand früher darauf gekommen? So auch in Andernach, denn in dieser Stadt passiert etwas ganz Wunderba- res: Fette Kohlköpfe, leuchtende Tomaten und rotstieliger Mangold wachsen mitten in der Stadt. Johannisbeersträucher schmiegen sich an die Stadtmauer, Bohnen ranken vorm Stadt- schloss in die Höhe, Kohlrabi gedeiht im Stadt- park. Auf dem Weg zur Arbeit können die Ein- wohner zusehen, wie das Stadtgemüse wächst und gedeiht. Sind die Zucchini schon reif? Trägt der Feigenbaum schon Früchte? Doch damit noch nicht genug: Andernachs Bürger dürfen den Pfl anzen nicht nur beim Wachsen zusehen, sondern sich auch daran bedienen!

Seit 2010 ist der Ort am Rhein mit knapp 30.000 Einwohnern eine „Essbare Stadt“. Im Auftrag der Stadt bepfl anzen sechs Bürgerar- beiter unter Anleitung eines Gärtners öffentli- che Grünfl ächen mit Obst und Gemüse, das von den Bürgern kostenlos geerntet werden kann.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Schilder mit der Aufschrift „Betreten der Rasenfl äche verboten“

zum Alltag gehörten. Stattdessen gilt: Betre- ten erlaubt, Pfl ücken erlaubt – und sogar er- wünscht! In Andernach trifft man alte Damen, die sich ihren Kohlrabi fürs Mittagessen an der Stadtmauer pfl ücken. Oder Schüler, die auf dem Nachhauseweg ein Salatblatt naschen. Die Idee ist so simpel und unspektakulär, dass sie schon wieder eine Sensation ist.

Die Keimzelle der essbaren Stadt befi ndet sich jedoch nicht im Zentrum, sondern ein Stück au- ßerhalb, im Stadtteil Eich. Seit dem Jahr 2008 befi ndet sich hier ein Permakulturgarten, also eine Anlage, die auf nachhaltige, naturnahe Kreisläufe zielt. Auf 14 Hektar wird hier Öko- Gemüse gezogen, werden gefährdete Nutztiere wie die schwäbisch-hällischen Landschweine gehalten. Rund zwanzig Langzeitarbeitslose, die bei der städtischen Beschäftigungsinitiative

„Perspektive“ angestellt sind, kümmern sich um Tiere und Pfl anzen. Innerhalb von einem Jahr werden die Beschäftigten zu Permakultur-As- sistenten ausgebildet; viele von ihnen schaffen danach den Sprung auf den ersten Arbeits- markt.

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Das sozial-ökologische Projekt lief so erfolg- reich, dass Andernachs Geoökologe Lutz Kosack sich irgendwann fragte: Warum soll so etwas nur am Stadtrand passieren? Wieso holen wir das Gemüse nicht mitten hinein, zu uns ins Zentrum? „Hier drin die Stadt, da draußen die Natur – dieses Schubladendenken wollte ich aufbrechen und die Natur zurückholen“, sagt Kosack. Im Jahr 2010 bestellte er 101 verschie- dene und zum Teil vom Aussterben bedrohte Tomatensorten und pfl anzte sie mitten in die Stadt. „Es wird Zeit, dass die Menschen wieder einen Bezug zu Nahrungsmitteln bekommen, dass sie die Natur im jahreszeitlichen Rhyth- mus erleben.“ Als die Pfl anzen reif sind, feiern die Andernacher ein Tomatenfest – dies ist der Startschuss für die Essbare Stadt.

Stadt wird wieder zum Lebensmittel- Punkt

Begonnen haben Lutz Kosack und die Pfl an- zenexpertin Heike Boomgarden vom SWR, der das Projekt von Anfang an begleitet hat, am Stadtgraben. Einst gehörte die Straße ent- lang der mittelalterlichen Stadtmauer zu den schmuddeligsten Ecken der Stadt. Wo früher hauptsächlich Glasscherben, Hundekot und Unkraut zu fi nden waren, wachsen heute dank mildem Rheinklima und der südexponierten Lage Feigenbäume, Mispeln und Bitterorangen.

Neben solch exotischen Attraktionen liegt der Schwerpunkt der Essbaren Stadt aber vor allem auf alten, vom Aussterben bedrohten Gemüse- und Obstsorten. Deshalb folgte auf das Jahr der Tomaten 2011 das Jahr der Bohnen. 2012 stand im Zeichen der Kartoffel- und Zwiebelgewäch- se, und im laufenden Jahr sind die Kohlsorten dran. „Wir ermuntern die Bürger, sich einen Setzling mit nach Hause zu nehmen und in ih- ren Garten einzupfl anzen. So kann jeder einen Beitrag zur Artenvielfalt leisten“, so Kosack. Er verweist auch auf die pädagogische Wirkung seines Projekts: Dass Gemüse nicht im Super- markt wächst, können Stadtkinder jetzt auch mit eigenen Augen beobachten. Sie dürfen die Pfl anzen anfassen, beobachten – und schme- cken.

Die anfänglichen Hemmungen der Anwohner, in der Stadt ihren Salat fürs Mittagessen zu ernten, sind inzwischen abgebaut, genau wie ihre Skepsis. „Viele Bürger hatten Bedenken, als in den Beeten plötzlich Brokkoli anstelle der üblichen Zierpfl anzen wuchs“, erinnert sich Kosack. Doch die Zweifel wichen bald einhelli- ger Begeisterung, was auch mit dem hübschen

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Erscheinungsbild zu tun hat. Kosack und die Gartenbauingenieurin Heike Boomgarden ach- ten nicht nur auf kulinarischen, sondern auch auf optischen Genuss und kombinieren Ess- mit Blühpfl anzen. „So schön war Andernach noch nie“, schreiben entzückte Bürger an die Stadt- verwaltung. „Die Menschen gehen häufi ger raus, um zu schauen, was der Mangold macht oder das Spalierobst“, berichtet Kosack. Die öf- fentlichen Mülleimer müssen seit einiger Zeit mindestens doppelt so oft geleert werden – für die Stadtverwaltung ein untrügliches Zeichen, dass die Einwohner sich öfter und länger drau- ßen aufhalten. „Die Stadt ist wieder zum Le- bensmittelpunkt geworden“, sagt Kosack und freut sich über den doppelten Wortsinn seiner Aussage. So hat ein Projekt, das eigentlich nur etwas mehr Natur in die Stadt zurückholen wollte, zugleich den öffentlichen Raum gerade- zu revolutioniert.

Inzwischen wächst das Gemüse nicht nur am Stadtgraben, sondern nimmt insgesamt einen Hektar der städtischen Grünfl ächen ein – und jedes Jahr kommt neues Terrain hinzu. „Die ess- bare Stadt wächst nur langsam. Wir müssen ja auch darauf achten, dass alles gepfl egt wird.“

Neben den Langzeitarbeitslosen kümmern sich zunehmend auch freiwillige Helfer um das Stadtgemüse. Mancher entpuppt sich als über- eifriger Bürgergärtner: „Wir hatten schon den Fall, dass Passanten die Kartoffeln aus der Erde gezogen haben, um nachzusehen, ob die schon reif sind.“ Kleine Ampeln aus Holz schaffen nun Abhilfe: Rot signalisiert „unreif“, orange: „fast reif“ und grün: „darf geerntet werden“.

Gegenentwurf zum Guerilla Gardening – die Verwaltung überzeugt den Bürger

Doch abgesehen von solch kleinen Problemen freuen Kosack und seine Mitstreiter sich na- türlich, wenn die Anwohner mithelfen wollen.

Denn im Gegensatz zu den zahlreichen Urban Gardening-Initiativen in Deutschland, die von engagierten Bürgern ausgehen, ist die Essba- re Stadt ein Top-Down-Projekt. Die innovative Idee kam aus der Verwaltung, und der Bürger musste erst überzeugt werden.

Nun ist es nicht so, als bestünde die Ander- nacher Kommune nur aus Visionären und Ma- cher-Typen. Die Aktion mit den 101 Tomaten- pfl anzen zog Lutz Kosack deshalb im Alleingang durch. „Hätte ich immer schön gewartet, bis jeder einzelne Schritt in der Verwaltung durch- gesetzt ist, gäbe es das Projekt heute nicht.“ -

„Steuerverschwendung!“, rief da mancher Po-

litiker, weil Kosack die Setzlinge für 1,50 Euro pro Stück von Steuergeldern gekauft hatte.

„Wird eh zerstört!“ Heute beklagt sich jedoch niemand mehr. Die essbare Stadt überzeugt nämlich nicht nur in ökologischer, sondern auch ökonomischer Hinsicht: In der Pfl ege sind ist Gemüse weniger aufwendig als Zierpfl an- zen. Und für den optischen Genuss sorgen vor allem langlebige Staudenpfl anzen, die im Per- makulturgarten vorgezogen werden. Auch von Vandalismus fi ndet sich übrigens keine Spur.

Kosack vermutet, es gebe so etwas wie einen archaischen Respekt vor Lebensmitteln. „Aber ich mache mir auch keine Illusionen: Es muss nur einmal eine Horde betrunkener Jugendli- cher durch die Beete ziehen, und schon ist der Spuk vorbei.“

Andernach hat mit seinem Projekt hat bereits mehrere Preise gewonnen, darunter zweimal die Goldmedaille beim Bundeswettbewerb En- tente Florale. 2012 wurde Andernach außer- dem von der Deutschen Umwelthilfe und der Stiftung „Lebendige Stadt“ als „Lebenswerte Stadt“ ausgezeichnet. Kein Wunder, dass an- dere Städte dem Andernacher Vorbild folgen möchten. „Etwa 50 Kommunen sind inzwischen an uns herangetreten, von kleinen Ortschaften bis zu Großstädten wie Frankfurt, München, Duisburg“, so Kosack. Vom 13.-14. Juni dieses Jahres veranstalten er und seine Mitstreiter deshalb einen großen Kongress für interessier- te Kommunen und Privatpersonen, auf dem sie ihr Konzept vorstellen und übertragbar machen wollen.

So viel kann der Geoökologe aus seiner Erfah- rung aber jetzt schon sagen: „Um ein solches Projekt in seiner Kommune durchzusetzen, braucht es keine Stadtratvorlage, sondern Mut und Kreativität.“ Nur, wer frisch zur Tat schrei- tet, kann notorische Zweifl er überzeugen. Man darf gespannt sein, was die einstigen Skeptiker in Andernach zu Kosacks neuestem Plan sagen.

Nach dem Gemüse will er nämlich bald auch Nutztiere in die Stadt zurückholen. Im Moment suche man eine Fläche zur Ziegenhaltung, auch Hühner sollen bald mitten im Zentrum gackern.

Vielleicht suhlen sich sogar irgendwann Haus- schweine an der Stadtmauer. Kosack: „Bisher trauen wir uns das noch nicht, aber stellen Sie sich das mal vor. Das würde jawohl Aufsehen erregen!“

Anne Meyer

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Ein Ruck geht dur chs Dor f Wie man ländliche Gebiete aus ihrem Dornröschenschlaf wecken kann, zeigt die Bürgerstiftung Pfalz. Eine große Rolle spielt dabei die Umgestaltung von Freiräumen

Die Pfalz in Südwestdeutschland ist mit einem milden Klima, schönen Weinbergen und einer besonderen Kultur der Gemütlichkeit gesegnet.

Dennoch schrumpfen viele pfälzische Dörfer und Kleinstädte. Erst macht die Post zu, dann verschwindet die Polizei und die Grundschule schließt. In den Dörfern gibt es oft nicht ein- mal mehr einen Nahversorger. Die jungen, gut ausgebildeten Dörfl er haben schon lange das Weite gesucht, doch auch die Alten können nicht mehr bleiben, sobald sie Pfl ege benötigen und diese nicht privat erhalten. Ist eine solche Entwicklung einmal angestoßen, kann man sie nur schwer wieder aufhalten. Die schrumpfen- den Orte bieten dann einen traurigen Anblick:

Die leer stehenden Häuser verfallen, oft pfl egt auch niemand mehr den Dorfplatz. Mit den Einwohnern ist auch das Gemeinschaftsgefühl verschwunden.

Diesem Problem widmet sich die Bürgerstiftung Pfalz – neben anderen Projekten im Bereich Bil- dungschancen, Alternatives Wirtschaften und Kultur. Obwohl die Stiftung erst wenige Jahre alt ist, beschäftigt sie in ihren Projekten bereits 45 haupt- und 500 ehrenamtliche Mitarbeiter.

Ihr Ziel: Der Region durch Hilfe zur Selbsthilfe neue Impulse geben.

„Oft gibt ein leerstehendes Gebäude den An- stoß, dass Bürger sich für ihren Ort engagieren“, so Christiane Steinmetz, erste Vorsitzende und Mitgründerin der Stiftung. Auch die Bürger- stiftung selbst ist beim Einsatz für ein Gebäu- de entstanden: Im Jahr 2004 las Steinmetz in

der Zeitung, dass die Kirche das Stiftsgut Key- sermühle in ihrem Heimatort Klingenmünster verkaufen wolle. Zu dem Gut gehört ein ausge- dehnter Park, der jedoch der Öffentlichkeit bis dato nicht zugänglich war. „Daraus könnte man doch etwas machen“, dachte sich Steinmetz.

Etwas wie ein Kultur- und Begegnungszentrum, von dem die ganze Region etwas hat. Schnell fand sich eine Gruppe von etwa zwanzig Leuten zusammen, die der Kirche ein Angebot machte.

Doch die war skeptisch, der Kauf kam zunächst nicht zustande.

Doch die Gruppe ließ sich nicht beirren. Chris- tiane Steinmetz, die von Beruf Fundraiserin ist, schlug schließlich vor: Lassen wir die Immobilie doch erst einmal außen vor und gründen eine Bürgerstiftung, so können wir der Region am besten helfen! Das besondere an dieser Stif- tungsform: Hinter ihr steckt nicht ein einzel- ner, vermögender Wohltäter, sondern sehr viele Stifter, die sich bereits mit sehr kleinen Beträ- gen einbringen können – normale Bürger eben.

So können auch Menschen mit bescheidenem Vermögen nicht nur spenden, sondern ihr Geld auch in eine Stiftung stecken. Das kann sehr nachhaltig sein, weil gestiftetes Kapital lang- fristig angelegt werden kann – im Gegensatz zur Spende, die in kurzer Zeit verwendet wer- den muss. Aus den Erträgen des Stiftskapitals werden dann die Projekte fi nanziert – und weil die wiederum vor der eigenen Haustür stattfi n- den, beteiligen sich auch Menschen, die zuvor noch nie gespendet oder gar gestiftet haben.

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