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Meine sehr geehrten Damen und Herren,

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Eröffnung der Ausstellung „Hundert Jahre Bonatzbau Leibniz-Gymnasium 1912- 2012“ Fotografien von Rose Hajdu von Bauten von Paul Bonatz

am 21. April 2012 im Leibniz-Gymnasium in Stuttgart-Feuerbach Dr. Marc Hirschfell

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich habe die ehrenvolle Aufgabe, Sie heute Abend mit ein paar Gedanken zu den Foto- grafien von Rose Hajdu und zu den Bauten von Paul Bonatz, insbesondere seine Feu- erbacher Bauten, auf diese Ausstellung einzustimmen.

Rose Hajdu ist freie Fotografin mit den Schwerpunkten Architekturfotografie, Denkmal- pflege, Archäologie und Kunst. Von 1978 - 81 war sie Amtsfotografin des Landesdenk- malamts Baden-Württemberg und übernimmt seitdem immer noch Aufträge des Lan- desamts für Denkmalpflege (wie es heute heißt) zur Dokumentation von Baudenkmalen.

So hatte Sie die Aufgabe, den Stuttgarter Hauptbahnhof vor dem Umbau für das Projekt Stuttgart 21 zu dokumentieren, damit die Nachwelt im Archiv des Denkmalamts den ur- sprünglichen Zustand dieses Baudenkmals einigermaßen nachvollziehen kann. Das be- traf nicht nur die Bauteile, die bereits komplett abgerissen worden sind (wie die Seiten- flügel) oder noch abgerissen werden (wie die Gleisdächer) sondern alle Bauteile und Räume, denn durch den Umbau werden fast alle Bereiche, die äußerlich bestehen blei- ben im Inneren verändert, und allein durch die Sanierung überarbeitet und umgestaltet.

Daraus ergab sich als Nebeneffekt nicht nur ein schönes Buch über den Stuttgarter Hauptbahnhof. Vielmehr wurde Rose Hajdu eine Liebhaberin der Architektur von Bonatz. Allein schon an den Details der Innenräume und Treppenhäuser der Seitenflü- gel des Bahnhofs entwickelte Rose Hajdu eine Kenntnis und einen Blick für die Hand- schrift von Bonatz, der ihre – man kann sagen Begeisterung für die Architektur begrün- dete und zugleich ihre Empörung über den Verlust dieses einmaligen und unersetzli- chen kulturhistorischen Erbes … und die Leichtfertigkeit, mit der die Projektträger und letztlich leider auch die Mehrheit der Öffentlichkeit über diesen kulturellen Skandal hin- weg gegangen sind.

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Und dabei handelte es sich bei den Seitenflügeln nur um Bauteile, die für den internen Gebrauch, für Büros und technische Nutzungen dienten und die somit nicht für eine re- präsentative Wirkung auf die Öffentlichkeit hin konzipiert worden waren. Doch die Trep- penführungen, die Treppengeländer, die Handläufe, die Türen und Fenster, die Raum- proportionen dieser scheinbar banalen Verkehrsflächen zeugen … zeugten von einer Liebe zum Detail, von einem besonderen Gefühl für Fläche und Raum, von einem eige- nen feinfühligen Kontrast zwischen Ausschmückung und Nüchternheit. Frau Hajdu hat dies erkannt, erfasst, nachempfunden und die Lust bekommen, diese Atmosphäre ein weiteren Bauwerken von Bonatz zu erkunden. Daraus erfolgte die Fotografie von weite- ren Bauten für die Bonatz-Ausstellung im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt und den begleitenden Katalog. Rose Hajdu dabei hat mehrere Schulgebäude von Bonatz besucht und deren Besonderheiten und wiederkehrenden Motive für sich ent- deckt. Insbesondere die in den Eingangshallen, Treppenhäusern und Fluren kon- zentrierten, geradezu lyrischen Baudetails hat sie in ihren Fotos in deren räumlichen Zusammenhang gesetzt.

Und gerade mit diesem Blick auf die Details öffnet Rose Hajdu uns die Augen, lenkt un- seren Blick auf bestimmte Motive, und verschafft uns im Wiedererkennen von Motiv- serien und deren Varianten Aha-Effekte. Denn das Motiv und seine Variation kann man bei Bonatz fast so ausgeprägt beobachten wie man es in den Fugen der Kompositionen von Johann Sebastian Bach hören kann.

Das lässt sich hier an den Fotos des Leibniz-Gymnasiums wunderbar nachvollziehen.

Selbst Architekturhistoriker und Kenner des Oeuvres von Paul Bonatz konnten dadurch Entdeckungen machen und neue Erkenntnisse gewinnen. So fordere ich Sie auf: bege- ben Sie sich auf diese komprimierte Entdeckungsreise und erleben Sie diesen ästheti- schen Erkenntnisgewinn, gehen Sie bereichert aus dieser Ausstellung hervor indem Sie selbst diese Vergleiche nachvollziehen, die man allein schon zwischen den Schulge- bäuden von Bonatz, der Lerchenrainschule in Stuttgart und den Schulen in Göppingen und Rottweil machen kann. Es geht beispielsweise darum, wie und wo Bonatz gezielt Materialien und Farben einsetzt, welche verschiedenen Fensterformen gleichzeitig in den Blick geraten. Ich hoffe, dass diejenigen von Ihnen, die das Leibniz-Gymnasium aus eigener Anschauung kennen, und sich vielleicht in der alltäglichen Nutzung an diese

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Bauelemente gewöhnt haben sie plötzlich mit neuen Augen sehen und sich ganz frisch an ihnen erfreuen können. Achten Sie insbesondere auf die fensterartigen Durchblicke in den Treppenhäusern, auf die Formen der Balluster der Geländer oder die ornamenta- len Fenstergitter; Achten Sie darauf, wie Geländer unvermittelt hart an die Wand an- schließen, wie klare Kanten mit subtilen Rundungen kontrastieren. Und Sie werden se- hen, dass das alles nicht konventionell und langweilig-normal ist, sondern in einem un- aufdringlichen, leisen Duktus ungewöhnlich, unkonventionell, originell ist und ihr Auge und Formempfinden frech kitzeln wird, wenn Sie sich darauf einlassen.

Ein paar Hinweise möchte ich Ihnen zu den Besonderheiten der Schulbauten von Bonatz geben:

Bonatz war ein Schüler des Münchner Architekten Theodor Fischer, dessen Mitarbeiter er ab 1900 auch war. Als Fischer eine Professur an der Hochschule in Stuttgart antrat holte er Bonatz 1902 als seinen Assistenten nach. Und Bonatz wurde hier im Jahr 1907 selbst Professor, als er die Nachfolge Fischers auf diesem Lehrstuhl antrat.

Die um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20 Jahrhundert aufkommende Reformpä- dagogik führte zu einer sogenannten Münchner Schulreform und Theodor Fischer war einer der Protagonisten: Er baute allein 5 Schulen in München von den 1890er Jahren bis1904.

Die Heusteigschule von 1905-06 war Fischers erstes öffentliches Gebäude in Stuttgart und in dieser Hinsicht für Württemberg schulbildend:

- Langgestreckter Mitteltrakt mit pavillonartigen Kopfbauten an beiden Enden.

- Ausgeprägt modellierte Dachlandschaft

- Einfache verputzte Fassade, punktueller Bauschmuck (an Eingang, Brunnen, Dachskulpturen)

Der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht durch den Stuttgarter Hauptbahnhof berühmt gewordene Bonatz hat im Zeitraum vor einhundert Jahren einige Schulen in Württem- berg gebaut, denn damals wurde auch im Königreich Württemberg eine Schulreform umgesetzt, die zu einem beträchtlichen Baubedarf führte. So kommt es, dass viele

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Schulen nun in diesem Jahrzehnt ihr Jubiläum feiern können. Das Leibniz-Gymnasium von 1911-12 ist bereits eine der späteren dieser Reformschulen. An ihm lässt sich aber nicht nur exemplarisch das in ein Raumprogramm und in Baukunst umgesetzte pädago- gische Programm zu Beginn des 20. Jahrhunderts studieren, sondern auch die beson- dere Handschrift und Gestaltungsweise, die Bonatz für diese Bauaufgabe entwickelte und die er an weiteren Schulen variierte.

Rottweil 1904

Stuttgart (Lerchenrainschule) 1907-09 Göppingen 1909-11

Aalen 1910-12 Feuerbach 1911-12

Die Grundpfeiler dieser Reformschulgebäude waren zunächst einmal eine Abkehr von der bisherigen Baupraxis: Man wollte weg vom Palastbau mit seinen prächtigen und damit teuren Fassaden, der in einer einfachen Ausprägung einem Kasernentypus glich.

Dafür hin zu Zweckmäßigkeit, Natürlichkeit, Einfachheit mit wohnlichem Charakter ohne Schwellenangst vor autoritärem Eindruck.

Neues Problembewusstsein für Hygiene und Gesundheit führte zu einem erweiterten Raumprogramm unter anderem der Anlage von Sporthallen, Sportplätzen.

Neues Bewusstsein für die ästhetische Erziehung führte zu Räumen für Kunstunterricht, Werken

Dadurch auch vorbildliche räumliche und haptische Erfahrbarkeit in der ganzen Architek- tur des Schulgebäudes

Konkrete Richtwerte dieser Konzeption sind:

Angemessene Dimensionen von Vorplätzen, Treppen, Fluren;

Die Konzentration der Ausschmückung auf einzelne Punkte wie Vorräume, Treppe, Be- gegnungsorte an Flurkreuzungen, damit nicht alle Munition in der Eingangshalle oder im Bauschmuck der Fassade verpulvert wird.

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Die romantische, pittoreske Formensprache seines Lehrers Fischer übernahm Bonatz nicht 1:1, sondern entwickelte seinen eigenen Stil. In seiner damaligen Werkphase und je nach Bauaufgabe setzte er mehr auf klassizistische Elemente. Sie sehen das hier an der Decke am Klötzchenfries oder an den Fotos der Fassade am Kranzgesims, an den Pilastern mit den Kapitellen (d.h. an den nur angedeuteten in die Wand eingebundenen Pfeilern). Und doch sind diese Elemente leicht abstrahiert, flächig zurückgenommen, auch im Wandaufbau isoliert. Die Pilaster tragen keine klassisch ausformulierten Archi- trave (horizontale, lastende Bauglieder), sondern einfach einen verputzten Wandab- schnitt. Bonatz hat ein Faible für liegende, breitgelagerte, gemütliche Baukörper, mit großen Walmdächern, ohne überfrachtende Aufbauten, die damit einen gemütlichen Landhaus-Charakter ausstrahlen. Die Festhalle ist das beste Beispiel dafür. Hier domi- niert deutlich die horizontale Gliederung und auch der ausgeprägte Schwung am Dach- fuß leitet in die Horizontlinie des Bodens über. So entsteht der Eindruck einer satten Erdverbundenheit, eines Baus, der auf dem Boden der Tatsachen steht. Das höhere Schulgebäude hat dagegen eine städtischere Anmutung durch die drei aufstrebenden Giebel als vertikalen Gegenakzent.

Die Innenaufnahme der Festhalle zeigt übrigens gut die Gestalt der Holzdecke, die für uns Architekturhistoriker von besonderer Bedeutung ist. Schauen Sie sich diese dezent mit Ornamenten bemalte Decke beim nächsten Mal genauer an, wenn Sie in der Fest- halle sind. So ähnlich sahen nämlich die hölzernen Decken des Stuttgarter Hauptbahn- hofs aus, die im zweiten Weltkrieg leider zerstört wurden. Damit habe ich den Bogen wieder zurück zum Bahnhof geschlagen. Man kann nicht, man darf einfach nicht in die- sen Tagen schön über Bonatz reden oder eine solche Ausstellung feierlich eröffnen, und so tun als ob uns in Sachen dieses großartigen architektonischen Werks kein Wässer- chen trüben könnte. Die Verstümmelung des Hauptbahnhofs ist eine schreckliche Kul- turschande, und das sage ich Ihnen als Fachmann für die Architekturgeschichte des 20.

Jahrhunderts. Das werden uns die nächsten Generationen noch vorhalten und es wird später einmal niemand verstehen können, warum man nicht diese Bahnstrecke realisiert hat, … auch mit dem so-genannten, vermeintlichen, Tiefbahnhof, indem man den

Bonatzbau komplett erhalten hat. Denn das wäre technisch möglich gewesen, wenn man nur gewollt hätte. Es war auch ursprünglich von der Bahn so geplant und in Skiz-

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zen in Werbebroschüren kommuniziert, so dass man sich als Bürger dieser Stadt zu- mindest in diesem Punkt der Wertschätzung eines unter Schutz stehenden Kulturdenk- mals lange in trügerischer Sicherheit wähnte. Die Volksabstimmung wäre noch einmal eine Gelegenheit gewesen, diese Fehlplanung zu korrigieren. Im Zentrum Stuttgarts wa- ren sich die Bürger in dieser Sache mehrheitlich einig: 52 % stimmten dort gegen Stutt- gart 21. Aber alle Bezirke außen um den Kessel herum haben mehrheitlich für diese Realisierung des Bahnprojekts gestimmt und damit, so interpretiere ich es einfach mal etwas provokativ, eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte und der Bau- kultur der Innenstadt dokumentiert. Ich habe es für Sie extra nachgeschlagen: in Feuer- bach haben nur 46 % gegen S 21 gestimmt. Ich persönlich lese in diesem lokalen Er- gebnis der Volksabstimmung eine Spaltung zwischen Innenstadtbewohnern und Vorort- bewohnern. Dabei wäre es wünschenswert, in Zukunft das Bewusstsein für eine ge- meinsame Identität als Stadtbürger zu entwickeln, überzeugte, stolze Stuttgarter die an einem Strang ziehen, und für die Erhaltung der wichtigsten, das Stadtbild prägenden und Identität stiftenden Baudenkmale eintreten. Nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen bei der Betrachtung dieser schönen Ausstellung. Ich wünsche Ihnen dabei auch viel Er- bauung und Erkenntnisgewinn. Denn Bonatz´ Architektur vermittelt uns immer noch Bot- schaften über lokale und regionale Identität, über das Spannungsverhältnis zwischen Zurückhaltung und Bescheidenheit auf der einen Seite und Selbstbewusstsein auf der anderen Seite. Vielen Dank.

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