• Keine Ergebnisse gefunden

Horn im Jahre 1901.&#34

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Horn im Jahre 1901.&#34"

Copied!
9
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

- Plagiat oder Fiktion?

Von Christl Catanzaro, München

Am 21. Safar 1290 (19. April 1873) brach Näser ud-din Schah mit zahkeichem Gefolge

zu seiner ersten Europareise auf die viereinhalb Monate dauem und ihn durch Ru߬

land, das Deutsche Reich, Belgien, England, Frankreich, die Schweiz, Italien, Öster¬

reich und das Osmanische Reich führen sollte. Das Reisetagebuch dieser Reise

Safarnäme-ye Näser ud-din säh be farangd wurde noch im selben Jahr den Nationen

vorgelegt, deren Gast der Schah gewesen war. Bereits im folgenden Jahr erschienen

eine enghsche Übersetzung^ sowie Rüznäme. Reisetagebuch des Nasreddin-Schah,^ das

von sich selbst behauptet, die deutsche Übersetzung des Safarnäme zu sein. Ein Ver¬

gleich nach formalen, sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Kriterien zeigt jedoch

schnell, daß das Reisetagebuch apokryph ist. Zu dieser Feststellung kam schon

P. Horn im Jahre 1901." Umso erstaunlicher ist es, daß das Buch 1969 eine Neuauflage erfahren hat* und der Herausgeber H. Leicht, der Orientalistik studiert haben soll,' das Reisetagebuch als historische Quelle präsentiert:

"Vor der historischen Kulisse des europäischen Imperialismus zeichnet Nasreddin den Alltag der Fürstenhöfe, aber auch des Volkes auf, konmientiert, vergleicht mit seiner eigenen Umgebung und stellt kritische Überlegungen an, inwieweit er sich hier Anregun¬

gen für etwaige Reformen in seinem Land, das die SchweUe vom Mittelalter zur Neuzeit noch nicht überschritten hatte, holen kann."'

Damit läßt sich wohl der Inhalt des apokryphen deutschen Reisetagebuchs umschrei¬

ben, das über weite Strecken der Reflexion über in den Augen des Ich-Erzählers

vermeintlich Besonderes und Andersartiges gewidmet ist, nicht jedoch der des persi-

' Näser ud-din §äh: Safarname-ye Näser ud-din Säh be farang. Tehrän 1362.

* = im folgenden: Safarnäme

- }. W. Redhouse: The Diary of H.M. the Shah of Persia, During his Tour Through Europe in A.D.

1873. London 1874.

' Rüznäme. Reisetagebuch des Nasreddin-Schah. (Nach der persischen Handschrift.). Leipzig 1874.*

* = im folgenden: Reisetagehuch

" P. Horn: Geschichte der persischen Litteratur. Leipzig 1901, S. 213.

' H. Leicht (Hrsg.): Ein Harem in Bismarcics Reich. Das ergötzliche Reisetagebuch des Nasreddin Schah. Tübingen und Basel 1969. Das Buch ist laut VLB (Verzeichnis heferbarer Bücher) 95/96 noch immer im Buchhandel erhäldich. Seit 1983 erscheint es jedoch lücht mehr im Erdmann-, sondem im Thienemann-Verlag, Stuttgart.

*■H. D. Leicht (Hrsg.): Ibn Battüta. Reisen ans Ende der Welt 1325-1353. Das größte Abenteuer des Mittelalters. Tübingen 1974, S. 1.

' Ders.: op. cit (Ein Harem in Bismarcks Reich... Anm. 5), S. 8.

(2)

schen Originals, das sich zumeist auf die Schilderung des Besuchsprogramms und recht

stereotype Landschaftsbeschreibungen beschränkt und das H. Leicht nicht gekannt

haben dürfte. Da er an der Universität Teheran gearbeitet' und gelehrt' haben soll, darf

man voraussetzen, daß er mindestens Grundlagenkenntnisse des Persischen besaß.

Eigentlich müßte ihm dann auch aufgefallen sein, daß das auf der dem Frontispiz

gegenüberliegenden Seite abgedruckte Titelblatt nicht von dem hier fraglichen Tage¬

buch der ersten Europareise Näser ud-din Schahs, sondem von dem seiner

Kerbelä-Reise stammt. Bleibt zu vermuten, daß es sich hierbei um eine Wahl des

Verlags handelte, auf die der Herausgeber keinen Einfluß hatte.

Es genügt, die ersten Seiten des Reisetagebuchs zu lesen, um zu wissen, daß es

inhaltlich nicht viel mit dem Safarnäme gemein hat: es beginnt mit den Worten

"Alhamdulilah! Ich habe wieder Erde unter und das grausame Giaurenmeer hinter mir.

Waren das Heimsuchungen meines geheiligten Leibes!"'" und schildert im folgenden ausführhch und in den schillerndsten Farben, wie der Schah und seine Reisegefährten auf der Überfahrt über das Kaspische Meer seekrank wurden. Das persische Äquivalent

wird man vergeblich suchen: unter dem Eintrag vom 15. Rabi' ul-avval findet sich

lediglich die nüchteme Feststellung, daß außer dem Schah und wenigen seiner Ge¬

treuen alle seekrank wurden. Und obwohl das Unwetter die ganze Nacht andauerte,

gelang es dem Schah sogar ein wenig zu schlafen." Eine Stelle, die dem Verfasser des

Reisetagebuchs als Vorlage gedient haben könnte, findet sich unter dem Eintrag vom

12. Ragab: auf der Rückfahrt über das Kaspische Meer geriet das Schiff emeut in ein

Unwetter - und dieses Mal wurde auch dem Schah unwohl. Außerdem berichtet er in

diesem Zusammenhang davon, daß sich seine Begleiter, von Brechreiz und Erbrechen

geschwächt, in die nächstbeste Ecke hinwarfen und keine Kraft mehr hatten, wieder

aufzustehen.'^ Zu einer Formuliemng wie der folgenden ist es indes ein weiter Weg:

[man] "führte mich eine Treppe hinab in den Salon des Schiffes. Da lagen schon [...] alle so elenden Zustandes, daß sie ihr "Kurbam schaevem" (Ich will dein Opfer sein) nur in Begleitung der Reisspeisen, die sie kürzlich erst zu sich genommen, aus dem Munde bringen konnten. Unten im Salon kam auch das Elend über mich und Guscht und Pillaw (Reisspeise) machten den Weg, den sie eben in den gesegneten Magen gemacht, wieder¬

um zurück und ich lag hülflos hingesueckt auf dem Teppiche. [... die] schönen Teppiche haben wir ihnen so übel zugerichtet, daß sie wohl bis zur europäischen Reise eines meiner Nachfolger werden zu scheuem haben.""

Ein solch expliziter und minutiöser Vergleich kann und soll hier freilich nicht für jede Stelle geleistet werden. Es geht uns im folgenden vor allem damm, das Reisetagebuch

' Ders.: op. cit. (Ihn Battüta...Anm. 6), S. 1.

' H. Leicht: Heinrich Schliemann. Der Entdecker von Troja und Mykene. München 1990, S. 1.

Reisetagebuch, S. 3.

" Safarnäme. S. 13 f.; REDHOUSE: op. cit (Anm. 2), S. 21.

Safarnäme , S. 250 f ; REDHOUSE: op. cit (Anm. 2), S. 424 f

" Reisetagebuch, S. 4 f und 7.

(3)

und seine Charakteristika vorzustellen. Das Safarnäme soll ledighch als Folie dienen, vor deren Hintergrund das Reisetagebuch betrachtet wird.

Durch einen glücklichen Zufall ist es mir gelungen, den Verfasser des Reisetage¬

buchs, das als vorgebhche Übersetzung anonym erschienen war, zu identifizieren: der

Bibhothekar, der das Buch seinerzeit in der Bayerischen Staatsbibliothek katalogisiert

hat, vermerkte auf dem entsprechenden Quartblatt den Namen des Verfassers. Zwei

Literaturlexika bestätigen diese Angabe: sie verzeichnen das Reisetagebuch als Werk

Michael Klapps.'" Dieser wurde am 15. Februar 1834 in Prag geboren'.' Nach dem

Studium der Philosophie in Prag ging er 1855 nach Wien." In den Jahren 1856 bis

1859 war er Theaterreferent der "Theater-Zeitung"," von 1860 bis 1866 Redakteur des Feuilletons der "Ostdeutschen Post".'* 1867 ging er als Korrespondent der "Garten¬

laube" zur Weltausstellung nach Paris, 1868 als Spezialkorrespondent der "Neuen Freien Presse" nach Spanien." 1870, nach seiner Rückkehr nach Wien, war er Mit¬

begründer der "Montags-Revue", deren Redaktion er bis 1877 leiten sollte.^" Bis zu seinem Tod am 26. Februar 1888 lebte er als freier Schriftsteller in Wien.^' Sein Erst¬

lingswerk Komische Geschichten aus dem jüdischen Volksleben von 1859" und der

1870 erschienene Band Zweierlei Juden" legen Zeugnis ab von seiner jüdischen

Abstammung.'" Die Bilder vom Marsfelde von 1868^' und die Revolutionsbilder aus

Spanien aus dem darauffolgenden Jahr^* sind im Anschluß an seine Reisen nach Paris

bzw. Spanien entstanden. Ob er auch das Wissen zu den Büchem, die sich mit dem

Deutschen Reich,^' Venedig,^* Rom,^' England und Irland'" beschäftigen, durch eigene Anschauung gewinnen konnte, ist mir leider nicht bekannt, darf aber mit hoher Wahr¬

scheinhchkeit angenommen werden. Zu seinem größten Erfolg wurde sein letztes Werk

'" A. HINRICHSEN: Das literarische Deutschland. "1891 (laut Deut.iches Biographisches Archiv 655, 78);

F. Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Bd. IIL Leipzig '1913, S. 476.

" HlNRlCHSEN: op. cit (Anm. 14).

F. BRÜMMER: Deutsches Dichter-Lexikon. Bd. I. Eichstätt u. Stuttgart 1876, S. 436.

" C. VON Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich. Bd. 12. Wien 1864, S. 10.

BRÜMMER: op. cit. (Deutsches Dichter-Lexikon ... Anm. 16), S. 436.

" Ibid

-° Ders.: op. cit (Lexikon der deutschen Dichter... Anm. 14), S. 476.

Ibid

" M. KLAPP: Komische Geschichten aus dem jüdischen Volksleben. Berhn 1859.

Ders.: Zweierlei Juden. Erzählungen. Wien 1870.

Wurzbach: op. cit (Anm. 17), S. 10.

^ M. KLAPP: Bilder vom Marsfelde. Blätter der Erinnerung, allen Besuchern der Industrie-Ausstellung zu Paris im Jahre 1867 gewidmet. Troppau 1868.

-'Ders.: Revolutionsbilder aus Spanien. Hannover 1869.

" Ders.. Vom grünen Tisch. Bilder, Figuren und Geschichten aus den deutschen Spielbädern. Berlin 1866.

Ders.: Aus dem befreiten Venedig. Tagebuch aus der Zeit der Königsfeste. Berlin 1867.

Ders.: Aus der Stadt des Concils. Bilder ohne Heiligenschein. Berlin 1870.

Ders.: In London und unter den Feniern. Englische und irische Bildchen. Troppau 1869.

(4)

Rosenkranz und Güldenstem, ein Lustspiel in vier Aufzügen," das am 3. Dezember 1878 am Burgtheater uraufgeführt wurde" und bis 1888 ein Repertoirestück dieser Bühne blieb."

Ob Klapp das Safarnäme, dessen englische Übersetzung oder den Bericht SCHÖN-

FELDs^ kannte, kaim nicht eindeutig entschieden werden. Um sich über die Reiseroute

und den Ablauf des Besuchs- und Besichtigungsprogramms zu informieren, dürfte

Klapp nicht auf fremde Quellen angewiesen gewesen sein. Schließhch war er Zeitge¬

nosse des Geschehens, und es mag ihm über weite Strecken die ausführliche Lektüre

der verschiedenen Tageszeitungen für die Kompilation seines Werkes genügt haben."

In Wien ist er schheßlich selbst Augenzeuge von des Schahs und seiner Begleiter

Gebaren geworden.'* Indes erweist er sich auch auf Gebieten, die in der damaligen Presse üt)erhaupt nicht behandelt, verzerrt oder falsch dargestellt wurden oder lediglich Verständnislosigkeit hervorriefen, als Kenner persischer Kultur und Sitte. Anhand der gelegenthch eingestreuten persischen Begriffe, die offensichthch der Authentifizierung des Reisetagebuchs dienen sollten, läßt sich eindeutig beweisen, daß er die fraglichen

Informationen den 1865 erschienenen landeskundlichen Notizen JAKOB Eduard

" Ders.: Rosenicranz unä Güldenstem. Lustspiel in 4 Aufzügen. Wien 1885 (die Östenreichische Nationalbibliothek, Spezialsamnüung Theatermuseum, besitzt ein Textbuch mit handschrifüichen Korrekturen des Autors).

" H. VON Sonnenthal (Hrsg.): Adolf von Sonnenthals Briefwechsel. Bd. L Stuttgart u. Berlin 1912, S. 193, Anm. 3.

" W. KOSCH: Deutsches Literatur-Lexikon. Bd. IL Bern" 1953, S. 1284; laut R. LOTHAR: Das Wiener Burgtheater (Ort und Jahr sind mir leider unbekannt, da mir nur eine Photokopie vorliegt, die mir das Wiener Burgtheater freundlicherweise hat zukommen lassen), S. 241, wurde das Stück zum letzten Mal am 7. Oktober 1908 aufgeführt und erlebte insgesamt 116 Aufführungen.

" Ein Mitglied der österreichischen Suite, die dem Schah bei seinem dortigen Aufenthalt beigestellt worden war, verfaßte ein offizielles Tagebuch: Nasr-ed-din's des Schah von Persien Aufenthalt in Österreich im Hochsommer 1873. Tagebuch, gefuhrt von einem Augenzeugen (handschrifüiche Kladde, im Besitz des Insütuts für Geschichte und Kultur des Nahen Orients der Ludwig-Maximilians-Uni¬

versität München).* Die von E. Krüger (Die Reisetagebücher Näsir ad-Dins - ein autobiographisches Zeugnis? In: WI 14 (1973), S. 171-191) aufgestellte Vermutung, Generalmajor Freiherr von Schönfeld sei der Autor dieses Berichts gewesen (S. 176), läßt sich weiter erhärten, wenn nicht beweisen: der Ich-Erzähler wurde dem Schah in Franzensfeste unmittelbar nach Graf de CrennevUle, dem Leiter der Suite, vorgestellt. Nach ihm kam Major Kriz an die Reihe (unter dem Eintrag vom 28. Juli; das Tage¬

buch weist keine Seitenzählung auO. Die Aufstellung der zur Suite befohlenen Herren (zu Beginn des Tagebuchs, noch ohne Daüerung) bringt Generalmajor Freiherr von Schönfeld an zweiter Stelle, nach Graf de Crenneville. Ihm folgt zwar in der Hierarchie zunächst Major Fürst Lobkowitz, doch dieser trat, wie im Anschluß an die Aufstellung erklärt wird, seinen Dienst erst in Laxenburg an. Als nächster rangiert Major Krii, der in Abwesenheit Lobkowitz' bei der Vorstellung gleich nach Schönfeld an die Reihe kam. Als Graf de Crenneville die Suite am 1. August verließ, übemahm der Ich-Erzähler "das Commando". Diese Tatsache liefert nicht nur einen weiteren Beweis dafür, daß er den zweithöchsten Rang innehatte, also mit Generalmajor Freiherr von Schönfeld zu identifizieren ist, sondem erklärt auch, warum der Bericht von ihm und nicht vom Leiter der Suite verfaßt wurde.

* = im folgenden Schönfeld

" Im Reisetagebuch finden sich Hinweise darauf, daß er den Schah-Besuch tatsächlich anhand von Zeitungen verfolgt hat. So liefert er konkrete Informationen über die Berichterstattung in den Peters¬

burger (S. 20), Londoner (S. 146 u. 160 f ), Pariser (S. 181) und Schweizer (S. 225) Medien.

" Die von M. BClapp und J. Herzog in Wien herausgegebene "Montags-Revue" berichtete in insgesamt drei Artikeln über den Schah-Besuch, einer der Artikel ("Montags-Revue" rV./32 vom 11. August 1873, S. 2-4) wurde von KLAPP verfaßt.

(5)

POLAKs, des vormaligen Leibarztes Näser ud-din Schahs, entnommen hat.

Das Reisetagebuch zeichnet ein wohl größtenteils realistisches Bild Näser ud-din

Schahs und seiner Zeit. Die Hoffnungen, der Schah könnte aus den europäischen

Verhältnissen lemen und, wieder nach Hause zurückgekehrt, entsprechende Reformen

anstrengen, wurden enttäuscht. Die europäischen Beobachter sahen sich einem Mann

gegenüber, der diese Reise, die durchaus Möghchkeiten zum Auf- und Ausbau diplo¬

matischer Beziehungen geboten hätte, als Vergnügungsreise betrachtete, von Protokoll und Etikette noch nie etwas gehört zu haben schien imd sich auch sonst recht eigentüm¬

lich benahm. Klapp läßt gar den Eindmek entstehen, der Schah habe sich manchmal

absichthch daneben benommen. Vor allem beim Essen genießt sein Ich-Erzähler die -

kindliche - Freude am Entsetzen der anderen:

"Ich heß die Stech- und Stoßwerkzeuge, mit welchen sie sich bewaffnen, sein liegen und führte meine geübten Finger [...] in die Kaebek- (Rebhuhn), Murgabi- (Enten) und Kizilulu- (Forellen) Schüssel ganz ungenirt. [...] und ich tupfte mit Vergnügen zuerst an all dem hemm, ehe ich es mit den Fingem zerriß und zum Munde führte. Wie sie mich alle ansahen nüt weitgeöffneten Augen! Es war sehr drollig! [...] Sie essen so spaßhaft gravitätisch, diese Giaurengroßen, haben, anstatt in voller Bequemlichkeit sich dem Genüsse hinzugeben, eine Unmasse von Orden auf der Bmst und dem Magen liegen, stecken in Uniformen, die sie beengen, und sitzen unvortheilhaft [...] auf langlehnigen Stühlen, die ein Muster von Tapezierarbeit, aber auch ein Muster von Unbequemlichkeit, wahre Körperquäler sind."'*

Zunächst scheint sich Klapp hier nur über Näser ud-din Schah lustig zu machen,

genauer betrachtet ist aber das Verhalten der europäischen Gastgeber nicht minder

erheiternd. Im Gegensatz zu den meist recht einseitigen Darstellungen in den Zeitungen

der Zeit mag seine Sichtweise manchen Leser dazu angeregt haben, darüber nach¬

zudenken, ob europäische Sitten und Gebräuche dem Schah nicht genauso exotisch

erscheinen mußten, wie er es für die Europäer war.

Das Verhältnis des Schahs zu Frauen - im Safarnäme stillschweigend übergangen

- war nicht nur Lieblingsthema der damaligen Presse, sondem wurde auch im Reise¬

tagebuch ausführhch behandelt. Immer wieder betont der Ich-Erzähler, daß Frauen für

Orientalen nur Ausgangspunkt sinnhcher Freuden seien, in den Harem gehörten und in

der Öffenthchkeit nichts zu suchen hätten. Die europäischen Frauen sind so beständig Anlaß zu Kritik: daß sie doch überall dabei sein müssen und, was ihn noch mehr ärgert, überall mitreden müssen. Nur vordergründig stört er sich hingegen an ihrer Freizügig¬

keit: auf dem Ball, der zu seinen Ehren in Petersburg veranstaltet wurde, sah er

"Frauen, die ihre "Zierde" durchaus nicht zu verbergen suchten. [...] An Beschauem fehlt es diesen gezeigten Reizen natürhch rücht, nnd [sie!] die Märmer haben Recht, wenn sie

" J. E. POLAK: Persien. Das Land und seine Bewohner. Leipzig 1865. In dem genannten Arükel in der

"Montagsrevue" (Anm. 36) bezeichnet Klapp das Buch als "Uefflich" (S. 3, untere Hälfte, rechte Spalte) und dessen Autor als seinen "wackeren Freund" (S. 2, untere Hälfte, rechte Spalte), er könnte also seine bei der Lektüre gewonnenen Erkennmisse im Gespräch vertieft haben.

" Reisetagebuch, S. 28 f ; vgl. auch S. 19.

(6)

der ertheilten Aufforderung gründlich nachkommen, und so sah ich sie auch zumeist dort, wo die Formationen einladend waren, die tiefsten Blicke thun. Mir widerstrebte es anfangs, das Gleiche zu thun, bald aber nahm auch ich meine Lorgnette und that es den Andern wacker nach."''

Nun wissen wir von Schönfeld, daß der Schah Frauen durchaus nicht abgeneigt war

und sie wirklich eingehend, nachgerade frech, zu mustem pflegte. Sogar die Tatsache, daß er dabei von seiner Sehfiilfe Gebrauch machte, findet sich bei Schönfeld belegt.""

An anderer Stelle widerspricht er hingegen ganz explizit einigen Gerüchten über den Schah, die von der Sensationspresse in die Welt gesetzt wurden. Klapp verteidigt Näser ud-din Schah zwar nicht konkret gegen die über ihn verbreiteten Gerüchte, aber er übt allgemein scharfe Kritik an der Praxis seiner Journalisten-Kollegen, die - so läßt er den Eindmek entstehen - oft von Dingen berichteten, die sie überhaupt nicht wissen konnten:

"Was diese Aehle Kaelaem (Leute von der Feder) nicht Alles wissen! Sie haben gezählt, was ich an Geld mitgebracht [...], kennen den Werth eines jeden meiner Steine und wissen, was ich zu ihrem Herrscher auf der Eisenbahn gesagt habe - Alles, Alles ist ihnen kund geworden. Sie haben sogar das Regiment Soldaten gesehen, das ich von Teheran nicht mitgebracht, und meine Weiber, die ich zu Hause gelassen.""'

Die Wiener Presse schreibe besonders "viel des Unsinnigen und Unwahren", vor allem über des Schahs Verhältnis zu den Frauen:

"Die einen wissen, daß ich eine Tänzerin der Frengishauptstadt Paris in meinem Gefolge habe und daß diese als Gulambetscheh (Page) einhergehe. Andere wieder sehen zwei verschleierte Frauen sich zu mir allabendhch ins Schloß schleichen. Die dritten wissen sogar, daß ich an einer Tochter Laxenburgs Gefallen gefunden und diese mit mir in mein Enderun nach Iran zu nehmen gedenke.""^

Auch Schönfeld weiß von "Skandal und Hetz", die von den "Wiener=Blätter[n]

minderer Sorte, die bekannthch mit den fremden Gästen nicht sehr glimpflich umgin¬

gen," verbreitet wurden."'

Die Berichte in der von Klapp mitherausgegebenen "Montags-Revue" heben sich von den Berichten der übrigen Presse ab. Anstatt über die kleinen und großen Skandale

im Zusammenhang mit dem Schahbesuch wird der Leser über den desolaten Zustand

des Landes informiert, das "nicht einmal den Vergleich mit einem der Staaten dritten Ranges in Europa aushält"."" Entsprechend lautet auch das Resümee des ersten Artikels

" Ibid., S. 46 f.

"° Schönfeld (Anm. 34), Eintrag vom 28. Juh.

Reisetagebuch, S. 20.

*- Ibid, S.261.

" Schönfeld (Anm. 34), Einuag vom 1. August. Ein Gerücht über eine Liebesnacht des Schahs mit einer Wiener Prostituierten sollte J. ROTH als Stoff für seinen Roman Die Geschichte von der 1002.

Nacht (Bilthoven 1939, Neuauflage Amsterdam und Köln 1981) dienen.

*■ "Montags-Revue" (Anm. 36) 1V./31 (4. August 1873), S. 2, hnke Spalte.

(7)

vom 4. August 1873: "die orientalische Pracht in der Erscheinung des Schah darf nicht täuschen über den wirklichen Zustand Persiens.""' In einem zweiten Artikel vom 11.

August 1873 mit dem Titel "Der Schah, England und die Concession des Baron

Reuter" wird die These aufgestellt, die Europareise des Schahs sei eine "Geschäfts¬

reise" gewesen, er sei "nach England gekommen, um eine starke Reclame für die Concession und den Concessionär zu machen", was allerdings "nicht [...] sonderlich geglückt sei". Zur Begründung heißt es, daß eben "heutzutage Persien nicht das vor¬

züghchste der Länder unter dem Besten der Herrscher sei"."' Ein dritter Artikel, ebenfalls vom 11. August 1873, stammt aus der Feder Klapps und beschäftigt sich mit

der Person Näser ud-din Schahs. Er kommt zu dem Schluß, daß man den Schah "auf

[der] Weltausstellung, auf [der] Juwelenabtheilung derselben" hätte ausstellen sollen.

"Daß [sie!] wäre besser gewesen, als ihn als Potentaten [...] reisen zu lassen. Seien wir offen: weder haben wu eine Freude an ihn [sie!], noch er seine Freude an uns haben können.""'

Das Reisetagebuch läßt den Eindruck entstehen, daß daran weniger der Schah als

vielmehr seine europäischen Gastgeber schuld waren. In oft seitenlangen Exkursen

werden, für gewöhnlich ausgehend von einem konkreten Ereignis, allgemeine Be¬

obachtungen, An- und Einsichten des Ich-Erzählers dargestellt. Dabei fehlt ein Ver¬

gleich der europäischen mit den in Iran herrschenden Verhältnissen so gut wie nie. Für den naiven Leser, der das Reisetagebuch tatsächlich für ein Werk Näser ud-din Schahs hält, sieht es so aus, als ob der Schah den Vergleich benutze, um an der Lage in Iran Kritik zu üben. In Wirklichkeit ist es Klapp, der den Vergleich benutzt, um die Zustän¬

de in Europa, namentlich den Klerus, allen voran den Papst, und die Regierungs¬

systeme der unterschiedlichen, vom Schah bereisten Länder lächerlich zu machen und

zu kritisieren. Lediglich mit Kritik an seinem eigenen Land hält er sich zurück. Wie recht er mit seiner Vorsicht hatte, zeigt die Tatsache, daß er sich bei Hofe durch einen

Artikel über ein Mitglied des Kaiserhauses so unbeliebt machen sollte, daß er sein

Theaterstück Rosenkranz und Güldenstem anonym beim Burgtheater einreichen mußte

und während der gesamten Spielzeit sein Name nicht genannt wurde, selbst nach

seinem Tode nicht."* Ein anderes Lustspiel lehnte das Wiener Burgtheater mit der

folgenden Begründung ab:

"Ich bedauere, Ihnen, geehrter Herr, das beim k. k. Hofburgtheater eingereichte Lustspiel als zur Aufführung ungeeignet zurückschicken zu müssen. Sie selbst haben sich gewiß im Emst dessen Armahme nicht versprochen, da eine Saüre auf die Diplomaüe, gespickt mit zahlreichen persönüchen Anspielungen [...] und mit Karikaturen, deren Originale mit

"'ftid .S. 3, linke Spalte.

"Montags-Revue" (Anm. 36) IV./32 (11. August 1873), S. 2, linke Spalte-S. 2, rechte Spalte.

"' Ibid., S. 2, untere Hälfte, linke Spalte.

Lothar: op. cit (Anm. 33), S. 241. Laut KoscH: op cit (Anm. 33), S. 1284, handelte es sich um einen "seinerzeit vielbeachteten Artikel über die Kaiserin Ehsabeüi", der ihn zur persona ingrata werden ließ.

(8)

Händen zu greifen sind, auf dem Burgtheater selbstverständlich zu den Unmöglichkeiten gehört.'""

Unter solchen Umständen war ein fiktives Tagebuch natürlich hervorragend dazu

geeignet, Gesellschaftssatire zu üben und sich dabei jedweder Verantwortung für das Gesagte zu entziehen.

Abschließen möchte ich nicht wie E. Krüger mit der "Wamung vor einem schlech¬

ten Doppelgänger",'" sondem vielmehr einladen zur Lektüre dieses Buches, das, um zumindestens insofem H. Leicht recht zu geben, ergötzhch zu lesen ist und unter dem richtigen Winkel betrachtet durchaus interessante Informationen über die damahge Zeit enthält.

F. VON DINGELSTEDT: Aus der Briejmappe eines Burgtheaterdirektors. Wien 1925, S. 297.

Krüger; op. cit (Anm. 34), S. 190.

(9)

Leitung: ERIKA Taube (Leipzig)

Folgende Vorträge wurden in der Fachgruppe gehalten:

Nejat GöYÜNg (Istanbul): Einige osmanisch-türkische Urkunden über die Abü RI§e, eine 5e>'Ö-Fainilie der Mawäli im 16. Jh.

BÖRTE Sagaster (Berlin): Ein Fürstenwalder Türke: Achmed Talib. Die türkische Schüler- und Lehrlingsverschickung nach Deutschland im 1. Weltkrieg.

Claudia Römer (Wien): Zu widersprüchlichen Beurteilungen eines Rechtsstreits durch die Kanzlei des Beglerbegi von Buda, Arslan Paäa, im Jahr 1565.

Slobodan Ilic (Heidelberg): Mulhid Wahdati, ein bosnischer Ketzer des 16. Jh.s.

Christoph K. Neumann (Istanbul): illel und Hilal - Die Vornamen der Istanbuler Minder¬

heiten.

KÄTHE Uray-Köhalmi (Budapest): Biugen und Lager der zentralasiatischen Nomaden.

Per Sörensen (Leipzig): Die Bewahrung des schriftlichen Erbes von Bhutan.

Klaus-Dieter Mathes (Kathmandu): Vordergründige imd höchste Wahrheit im g^n stori- Madhyamaka.

Erika Taube (Leipzig): Die mongolischsprachigen Brarmtweinlieder in der Tradition der Tuwiner von Cengel.

Claus Schönig (Istanbul): Zum Aufbau des Babur-name (Haidarabad-Kodex).

WoLFGANG-E. Scharlipp (Nikosia): NaUir und Umwelt im Werke des türkischen Schrift¬

stellers Sait Faik.

Dieter Maue (Gießen): Noch einmal zur Datierung von TT VIII P.

Jens-Peter Laut (Berlin): Stand und Perspektiven der Katalogisierung türkischer Hand¬

schriften.

Sabine Prätor (München): §ehbal - ein herausragendes Beispiel früher türkischer Magazin¬

presse.

Armin Bassarak (Berlin): Türkische Klitika zwdschen Morphologie und Syntax.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die neu geschaffene Mög- lichkeit, einen Arzt oder eine Ärztin der gleichen Fachrich- tung im überversorgten Pla- nungsbereich als Partner in die Praxis aufzunehmen (sie- he auch

Falls eine solche Stellungnahme ausbleibe, müsse davon ausgegangen werden, daß sich gegen Vorstand und Präsident der Kammer aufge- kommene Verdachtsmomente nicht erhärten

Foreign capital inflows (FCI), Foreign Aid, Economic Development, Foreign Economic Assistance, Official Development Assistance (ODA), Foreign Debt Burden, Aid and Growth, Trends

Galler Infektiologe hielt es daher für gerechtfertigt, in der Praxis auch weiterhin eine empirische Initialbehandlung bei akuter Zystitis mit Cotrimoxazol zu be- ginnen, da selbst

Auf der Suche nach einer L¨osung f¨ur dieses Problem greifen wir im abschließenden Schritt auf das Konzept der ¨ Ubersetzung zur¨uck und zeigen, wie dies als Scharnier

Das Wald Bündnis fordert hierzu, die Investitionen in stabile Mischwälder für die öffentlichen Wälder zu erhöhen, während nach der Forstreform dazu kein Geld mehr zur

Dies bedeutet, dass wir in den nächsten Jahren nicht nur mit neuen Symbolen konfrontiert werden, sondern auch mit neu formulierten Gefahren- und

Using local indicators of spatial autocorrelation, this paper has found evidence in support of the presence of spatial clustering among high wealth inequality contiguous