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Archiv "Leistungsbeeinflussende Substanzen im Breiten- und Freizeitsport: Trainieren mit allen Mitteln" (22.07.2013)

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LEISTUNGSBEEINFLUSSENDE SUBSTANZEN IM BREITEN- UND FREIZEITSPORT

Trainieren mit allen Mitteln

Leistungsverstärker sind nicht nur im Spitzensport, sondern auch un- ter Hobbyathleten verbreitet, die Risiken mangels ärztlicher Kontrolle teilweise höher. Der Hausarzt ist wesentlich für die Prävention.

D

er 17-jährige Turner, ein Amateur, brachte zum Arzt- termin eine Plastiktüte mit, darin mehrere Ampullen, kyrillisch be- schriftet. Ob er ihm davon etwas spritzen könne, fragte der Patient den Sportmediziner Dr. med. Hel- mut Pabst, Inhaber einer Privatpra- xis in Gilching bei München. Es war nicht die einzige Anfrage von Patienten zur Mitwirkung an Do- ping, die Pabst abgelehnt hat.

Er wurde in seiner langjährigen Tätigkeit ebenso wie andere Sport- mediziner vergleichsweise häufig auf das Thema Doping angespro- chen: nicht nur von Profis, sondern auch von Freizeit- und Breitensport- lern. Nach Umfragen aus den ver- gangenen Jahren werden bei Sport- ärzten fast immer Nahrungsergän- zungsmittel thematisiert und häufig – bei 62 bis 72 Prozent – Doping- mittel (1, 2). Doping-Nebenwirkun- gen waren bei jeweils etwa 25 Pro- zent der Ärzte Thema, jeweils 14 Prozent in beiden Studien gaben an, dass Bezugsquellen nachgefragt würden. Dies sind häufig Internetan- bieter, Mitsportler und Bekannte.

Breitensport bildet mit den auf lokaler oder regionaler Ebene orga- nisierten Wettkämpfen die breite Basis, aus der sich Spitzensportler rekrutieren. Freizeitsport ist nicht auf Wettkampf ausgerichtet. Der Begriff Doping beschreibt für den Spitzensport die Anwendung von Substanzen oder Methoden zur Leistungssteigerung, die in der aktuellen Liste der Welt-Anti - doping-Agentur (WADA) verboten sind. Außerdem gibt es Medika- mentenmissbrauch, der nicht unbe- dingt die Dopingdefinition erfüllt.

Frei verkäufliche oder verschrei- bungspflichtige Medikamente wer- den ohne medizinische Indikation angewendet, Analgetika zum Bei- spiel. Sie sollen die Schmerz- schwelle und damit die körperliche Belastbarkeit erhöhen und ermögli- chen offenbar manchem Hobby- sportler überhaupt erst das Trai- ning. „In der ärztlichen Praxis sieht man erstaunlich viele, oft junge Pa- tienten, die die Vorstellung haben:

‚Man nimmt etwas, und dann klappt das schon mit dem Erreichen des Trainingsziels‘“, sagt Pabst.

„Das ist naiv. Dazu ist ein auf die individuellen Möglichkeiten und Ziele abgestimmter fachlich guter Trainingsplan nötig, abgesehen da- von, dass die Patienten zum Teil ho- he Risiken in Kauf nehmen.“

Überforderung bei Nichtprofis Nach der langjährigen Erfahrung von Pabst gehören Patienten, die leistungssteigernde oder schmerzstil- lende Mittel im Rahmen des Brei- tensports anwenden, vor allem zu drei Gruppen: Es sind 15-, 16-Jäh- rige an der Schwelle zum Kader- athleten, bei denen die Steigerung der körperlichen Leistung erstmals ins Stocken geraten ist. Es sind Vierzig-, Fünfzigjährige, beruflich erfolgreich, die in einer guten Amateurklasse Sport treiben und

sich durch Verletzungen oder nach- lassende Leistungsfähigkeit zu- rückfallen sehen. Und es sind am- bitionierte Einsteiger in den Brei- tensport, die sich überfordern, oft in Trendsportarten wie Marathon, Triathlon, Radfahren, aber auch Ballsportarten und Golf.

„Die Grenzen zwischen Leis- tungs- und Breitensport ver- schwimmen zunehmend“, beobach- tet der Psychiater Dr. med. Valentin Markser aus Köln, der sich mit Sportpsychiatrie beschäftigt. „Ich sehe immer häufiger Patienten, die nichtprofessionell Sport treiben und sich überschätzen – bis hin zum Übertrainingssyndrom, das im Pro- fisport vermieden wird, weil es ei- nen Leistungsknick und depressive Verstimmungen auslösen kann.“

Foto: Fotolia/Aron Amant

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 29–30

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22. Juli 2013 A 1423 Trainingsziel sind mehr Kraft und

Ausdauer, teilweise wird auch ein perfektes äußeres Erscheinungsbild über mehr Muskelmasse angestrebt.

„Freizeit- und Breitensportler, die dopen, haben oft den Hausarzt als einzigen Ansprechpartner für ge- sundheitliche Folgeschäden. Der Hausarzt hat damit eine entschei- dende Rolle für die Prävention“, sagt Dr. med. Michael Fritz, Allge- mein- und Sportmediziner in Vier- sen. Patienten aus seinem prakti- schen Erfahrungsbereich, die offen- sichtlich leistungssteigernde Mittel nehmen, machen vor allem Kraft- training oder Bodybuilding: junge 16- bis 18-jährige Männer mit über- fliegendem Ehrgeiz und wenig Le- benserfahrung auf der Suche nach sozialer Anerkennung.

Insulin als Dopingmittel Anabole androgene Steroide (AAS) wie Testosteron und seine Derivate gehören noch immer zu den „Ren- nern“ unter den Leistungsverstär- kern: bei den Ausdauer- und Kraft- sportarten ebenso wie im Bodybuil- ding, häufig in Kombination mit an- deren Medikamenten. Da der Kör- per AAS zu Östrogenderivaten um- wandelt, werden teilweise Antiös- trogene angewandt, um Wasserein- lagerungen und Gynäkomastie zu verhindern. Auch Wachstumshor- mon, für Profisportler wegen guter Nachweisbarkeit uninteressant, ist bei Hobbyathleten beliebt: Es stei- gert den Muskelzuwachs über die Erhöhung der Proteinsynthese, kann allerdings vorübergehende Spitzen bei den Blutzuckerwerten hervorru- fen. Daher, heißt es in einschlägigen Foren, könnten Wachstumshormone mit Insulin kombiniert werden.

Es soll Blutzuckerspitzen kap- pen, hat einen leicht anabolen Effekt und beschleunigt die Regeneration, indem es den Proteinabbau hemmt und die Glykogensynthese fördert.

Die missbräuchliche Anwendung von Insulin aber kann eine unter Umständen tödliche Hypoglykämie durch Überdosierung zur Folge ha- ben. „Als Nichtdiabetiker wissen die Anwender oft nicht, dass Insulin gefährlicher ist als viele andere leis- tungssteigernde Substanzen“, erläu- tert Priv.-Doz. Dr. med. Dr. rer. nat.

Dr. Sportwiss. Christoph Raschka, Allgemeinmediziner in Hünfeld.

Bislang gab es wenig belastbare Daten zur Häufigkeit der Anwen- dung leistungsbeeinflussender Mit- tel im Freizeitsport. Das Robert- Koch-Institut (RKI) in Berlin stellte zum Stand der Forschung im Jahr 2011 fest, die bislang durchgeführ- ten Studien zu dieser Fragestellung seien entweder regional begrenzt, umfassten nur kleine Stichproben und ermöglichten keine repräsenta- tiven Aussagen (3). „Mein Ein- druck ist, dass die Anwendung leis- tungssteigernder Substanzen im Freizeit- und Breitensport quantita- tiv eher rückläufig ist“, meint der

Sportmediziner Prof. Dr. med. Her- bert Löllgen aus Remscheid.

Prof. Dr. rer. nat. Mario Thevis von der Deutschen Sporthochschu- le (DSHS) in Köln ist skeptisch.

„Ich glaube, dass Doping im Frei- zeit- und Breitensport das Ausmaß im Profibereich sogar übertreffen könnte: weil es keine Kontrollen gibt und die Verfügbarkeit durch weltweite Bezugsquellen über das Internet eher größer geworden ist.“

Generell dürfte bei Umfragen zu leistungsbeeinflussenden Substan- zen und Dopingmitteln von einer hohen Dunkelziffer auszugehen sein: Es handelt sich um nicht über- prüfbare Selbstauskünfte.

Die erste Studie, die auf ein

„größeres Ausmaß“ im Bereich von Fitnessstudios hinweist, wurde 1998 im Deutschen Ärzteblatt pu- bliziert (4). Forscher der Universi- tätsklinik Lübeck befragten knapp 500 Besucher in 24 norddeutschen

Studios, die Rücklaufquote betrug 52 Prozent (n = 255, darunter 51 Frauen). Insgesamt gaben 21 Pro- zent eine aktuelle oder frühere Ein- nahme von anabolen Steroiden zur Unterstützung des Muskelwachs- tums an: 24 Prozent der Männer (49/204) und acht Prozent der Frau- en (4/51), am häufigsten im Alter zwischen 21 und 25 Jahren. Es überwogen orale Präparate mit ei- nem hohen first-pass in der Leber und einer daraus resultierenden er- heblichen Toxizität, vor allem Sta- nozolol, Methandrostenolon, Nan- drolon und Testosteron.

Ein ähnliches Ergebnis hatte eine Umfrage unter elf Fitnessstudios im

Raum Frankfurt/M.: Knapp jeder vierte Nutzer kommerzieller Fitness- studios wendete Dopingmittel an, 28 Prozent der Anwender nannten auch Ärzte als Bezugsquelle (5).

Die 2011 publizierte KOLIBRI- Studie des RKI ist die bislang um- fangreichste epidemiologische Unter- suchung zur Häufigkeit des Konsums leistungsbeeinflussender Mittel in Alltag und Freizeit in Deutschland (3). Gefragt wurde nach der Verwen- dung von verschreibungspflichtigen und frei verkäuflichen Mitteln, die die körperliche Leistungsfähigkeit oder das psychische Wohlbefinden bessern sollen: Mittel zum Muskel- aufbau, zur Leistungssteigerung im engeren Sinne (wie EPO, Betablo- cker, Stimulanzien), zum Abnehmen, Schmerz-, Beruhigungs- und Schlaf- mittel, Vitamin-, Protein- und Mine- ralstoffpräparate, inklusive Substan- zen der WADA-Liste. Die Teilneh- mer waren 19 bis 97 Jahre alt; circa Je häufiger im

Fitnessstudio trai- niert wird, desto höher ist die Wahr- scheinlichkeit für die Anwendung leistungssteigern- der Mittel (modifi- ziert nach [3]).

GRAFIK

Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel beim Trainieren im Fitnessstudio

Männer (n = 2 423)

Frauen (n = 2 849)

0 % 10 % 20 % 30 %

4-mal die Woche oder öfter

Bis zu 3-mal die Woche

Kein Sport im Fitnessstudio

T H E M E N D E R Z E I T

(3)

68 Millionen Einwohner dieser Al- tersgruppe gab es im Befragungs- zeitraum (6). Die Fragebogen von 6 142 Personen konnten ausgewer- tet werden. Danach ergibt sich eine Gesamtprävalenz der Verwendung leistungsbeeinflussender Mittel oh- ne medizinische Notwendigkeit in den letzten zwölf Monaten von 9,5 Prozent: 10,0 Prozent bei den Frau- en, 9,1 Prozent bei den Männern.

Verschreibungspflichtige Medika- mente hatten 5,6 Prozent angewen- det (6,2 Prozent Frauen, 5,0 Prozent Männer) und 3,7 Prozent frei ver- käufliche Präparate (3,6 Prozent Frauen, 3,7 Prozent Männer). In der Gruppe der sportlich Aktiven gaben 7,1 Prozent an, verschreibungs- pflichtige Mittel ohne medizinische Indikation verwendet zu haben, in- klusive Dopingmitteln, vor allem Stimulanzien (Amphetamine).

Trendsportarten mit Risiken

„Die Ergebnisse lassen nicht den Schluss zu, dass ein großer Teil der Bevölkerung oder der Sporttreiben- den regelmäßig zu verschreibungs- pflichtigen, leistungssteigernden Substanzen oder Dopingmitteln greifen würde“, so das Resümee der RKI-Studie. Eine missbräuchliche Anwendung verschreibungspflich- tiger Arzneimittel könne bei circa sechs Prozent vermutet werden. In bestimmten Gruppen, wie Fitness- studiobesuchern, sei die Anwen- dung leistungsbeeinflussender Mit- tel aber deutlich häufiger (Grafik).

Fitnessstudios ermöglichen wet- terunabhängig das selektive Trainie- ren von Muskelgruppen, die Durch- lässigkeit zum Wettkampfsport ist gegeben. Seit Anfang der 80er Jahre hat sich die Zahl der Fitnessstudios in Deutschland mehr als versechs- facht (7). Andere Trendsportarten wie Rennradfahren, Triathlon, Ma- rathon und Halbmarathon haben zwischen April und September Hochkonjunktur. Viele haben inzwi- schen internationalen Wettkampf- charakter und ziehen Profis und am- bitionierte Amateure gleichermaßen an. Der Bonn-Marathon/Halbmara- thon im April dieses Jahres zum Beispiel brachte circa 12 000 Läufer auf die Beine, beim Berlin-Mara- thon waren es zuletzt circa dreimal

so viele. Bei höher platzierten Sportlern werden Dopingkontrollen gemacht. Um eine gute Zeit laufen zu können, müsse man einige Jahre trainieren, sagt Pabst. Seiner Ein- schätzung nach wenden circa zehn Prozent der ambitionierten Läufer Erythropoetin an zur Erhöhung der Ausdauerleistung und/oder AAS zum Muskelaufbau.

AAS sind in vielen westlichen Ländern über den Profisport hinaus verbreitet. Fallbeschreibungen und kleinere Kohortenstudien weisen auf eine geringere Stressbelas- tungsfähigkeit des Herzens nach AAS-Anwendung durch eine höhe- re Herz- und Gefäßwandsteifigkeit hin sowie auf ein erhöhtes Myokard - infarktrisiko (8). Linksherzhyper- trophie mit verminderter linksven-

trikulärer Funktion und eine erhöh- te Neigung zu Schlaganfall, arte- riellen Thrombosen und pulmona- len Embolien wurden beobachtet.

Weitere Risiken ergeben sich bei der Anwendung von Leistungsver- stärkern aus der Herkunft der Mit- tel: „Der Schwarzmarkt floriert, be- günstigt durch das Internet“, erläu- tert Thevis. Am Institut für Bioche- mie der DSHS werden vom Zoll be- schlagnahmte Präparate und Proben aus eigenen Testkäufen analysiert.

Ergebnis für AAS: Bei circa 40 Pro- zent der analysierten Präparate ent-

sprachen Dosierungen oder Inhalts- stoffe nicht den Angaben. Statt Tes- tosteron sei zum Beispiel das deut- lich stärker leberschädigende Me- thyltestosteron enthalten gewesen.

Als Muskelaufbaupräparate ausge- wiesene Mittel hätten weder Wachstumshormon noch Anaboli- ka, sondern Insulin enthalten.

„Gesundheitsrisiken sind bei Do- ping im Freizeit- und Breitensport vermutlich deutlich höher als im Profisport, weil es weniger medizi- nische Betreuung gibt, weniger Qualitätskontrollen der Substanzen und Präparate und keine zuverlässi- gen Daten zu Risiken und Neben- wirkungen der unterschiedlichsten Rezepturen“, sagt Thevis.

Bei regelmäßigen Testkäufen stel- len er und seine Mitarbeiter fest: Das meiste, was die Forscher an Doping- mitteln vermuten, ist auf dem Markt erhältlich. Darunter ein ausdauerleis- tungsförderndes Medikament, das zuerst im Profiradsport gefunden und für die Indikation metabolisches Syndrom klinisch geprüft wurde.

Weger erhöhter Tumorrisiken wurde die klinische Prüfung abgebrochen.

Auch neue Substanzen mit unkla- rem Nebenwirkungsprofil sind er- hältlich: der den Stoffwechsel anre- gende nukleäre Transkriptionsfaktor PPAR delta etwa oder der modifi- zierte insulinähnliche Wachstums- faktor LongR3, für den Spitzensport wegen langer Nachweisbarkeit un- geeignet.

Analgetika beim Marathon Unter den Läufern sind allerdings Analgetika vermutlich die am häu- figsten angewandten leistungsbe- einflussenden Mittel. „Viele der ambitionierten Läufer, die ich in meiner Praxis berate, meinen, ohne Schmerzmittel nicht mehr auszu- kommen“, berichtet Löllgen. „Sie riskieren nicht nur Schäden an inne- ren Organen, sondern auch, dass sie vorzeitig eine Hüftendoprothese oder ein künstliches Kniegelenk be- nötigen. Eine wichtige Prävention wäre stattdessen, Gelenkfehlstel- lungen auszugleichen.“

In Bezug auf Analgetika fehle es an Problembewusstsein, konstatie- ren auch Forscher vom Schmerz- zentrum DGS in Bonn-Bad Godes- Von einem jungen Mann, einem meiner

Patienten, berichtete die Mutter über Verhaltensänderungen und hochrotem Kopf. Seit einiger Zeit trainiere er in ei- nem Fitnessstudio und lasse sich Vita- mintabletten schicken. Als ich den Pa- tienten sah und untersuchte, drängte sich der Verdacht ei- nes Anabolikamissbrauchs wegen eines veränderten Er- scheinungsbilds auf: deutliche Zunahme an Muskelmasse, hochrotes Gesicht, stark erhöhter systolischer und diastoli- scher Blutdruck und Akne, vermutlich eine Steroidakne.

Weitere sichtbare Zeichen eines Anabolikamiss- brauchs, die ich bei Patienten beobachtet habe, sind Se- borrhö, Alopezie und Gynäkomastie. Auch wenn ein Ana- bolikagebrauch nicht bestätigt wird, informiere ich über Risiken, darunter Hodenhypotrophie und Infertilität, die sich schon nach vergleichsweise kurzer Zeit entwickeln können. Priv.-Doz. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. Sportwiss.

Christoph Raschka, Allgemeinmediziner in Hünfeld (Hessen)

ANZEICHEN FÜR DOPING

(4)

Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 29–30

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22. Juli 2013 A 1425 berg und vom Institut für Experi-

mentelle und Klinische Pharmako- logie und Toxikologie der Universi- tät Erlangen (9, 10). In einer aktuell publizierten prospektiven Kohorten- studie (11) haben sie untersucht, wie hoch der Prozentsatz der Teilnehmer des Bonn-Marathon/Halbmarathons 2010 war, der vor dem Lauf Schmerzmittel eingenommen hatte, und ob die Einnahme mit akuten Nebenwirkungen korrelierte.

3 913 von 7 048 befragten Teil- nehmern hatten die Fragen kom- plett beantwortet. Die Männer wa- ren durchschnittlich 40, die Frauen 39 Jahre alt. 49 Prozent (n = 1 931) gaben an, vor dem Start Analgetika genommen zu haben, um Schmer- zen während des Laufs oder da- nach zu reduzieren, davon waren 54 Prozent der Substanzen nicht verschrieben. 1 982 Teilnehmer ohne Analgetikaeinnahme (51 Pro- zent) bildeten die Kontrollgruppe.

Hohe Nebenwirkungsrate In der Analgetikagruppe wurde am häufigsten Diclofenac eingenom- men (47 Prozent), von elf Prozent in höherer Einzeldosierung als für den rezeptfreien Gebrauch empfohlen.

Am zweithäufigsten gewählt wurde Ibuprofen (37 Prozent), wobei 43 Prozent der Anwender 800 mg oder mehr einnahmen, also mindestens das Doppelte der rezeptfrei empfoh- lenen Einzeldosis. Acetylsalicylsäu- re wurde seltener und meist niedrig dosiert angewandt.

Gastrointestinale Krämpfe mach- ten mit 14 Prozent in der Verum- gruppe die häufigste Nebenwirkung aus (< ein Prozent in der Kontroll- gruppe); vier Teilnehmer, die vor dem Start Analgetika genommen hatten, berichteten über stationäre Aufnahmen wegen gastrointestina- ler Blutungen, darunter ein bluten- des Ulcus. Es gab eine Korrelation zwischen Dosis und Nebenwirkung.

Neun Prozent der Analgetikaan- wender gaben kardiovaskuläre Er- eignisse an, darunter zwei schwere Fälle mit Angina pectoris, Arrhyth- mien und Herzinfarkt nach dem Lauf. Beide Sportler erholten sich.

Weitere vier Prozent berichteten über Hämaturien (0 in der Kontroll- gruppe), drei Teilnehmer, die Ibu-

profen genommen hatten, wurden wegen akuten Nierenversagens (re- versibel) stationär behandelt. Insge- samt war das Risiko für Neben - wirkungen unter Analgetika um das Fünffache erhöht, die Number Need ed to Harm betrug acht. 93 Pro- zent der Gesamtgruppe berichteten, über die besonderen Risiken von

Schmerzmitteln bei hoher Ausdau- erleistung nicht informiert gewesen zu sein.

Zyklooxygenasehemmer wie Di- clofenac oder Ibuprofen wirken während der Anstrengung nur mä- ßig und verhindern nach dem Sport nicht zuverlässig Muskel- oder Ge- lenkschmerzen, konstatieren der Erlanger Pharmakologe Prof. em.

Dr. med. Kay Brune und Kollegen (10). Diese Analgetika sollten, wenn überhaupt, nach der Belas- tung und nur nach ausreichender Flüssigkeits- und Salzzufuhr einge- nommen werden. Generell sollte nur so viel Sport betrieben werden, wie der Körper schmerzmittelfrei verkrafte.

Wie aber soll der Arzt mit Pa- tienten umgehen, von denen er ver- mutet, dass sie dopen oder andere leistungsbeeinflussende Substanzen anwenden? „Der Patient ist meist von der Sorge um Nebenwirkungen getrieben, und das ist ein wichtiger

Ansatzpunkt, einen Kontakt herzu- stellen und zu halten mit einem prä- ventiven Ziel“, sagt Fritz. Meist würden Doping oder Medikamen- tenmissbrauch geleugnet. Stattdes- sen gäben Patienten Vorzeigebe- schwerden an, mit dem Ziel, dass der Arzt sie durch Überwachung vor möglichen Schäden schützt.

„Typische Vorzeigebeschwerden bei Doping zum Muskelaufbau sind Leistungsabfall, Schlaflosigkeit, de- pressive Verstimmung, Wassereinla- gerungen in den Beinen, Arrhyth- mien, Luftnot, heller Stuhl. Sie sol- len bewirken, dass Blutbild, Schild- drüsenfunktion, Elektrolythaushalt und Laborwerte kontrolliert, ein Ul- traschall von Herz und Leber und ein Belastungs-EKG gemacht wer- den“, berichtet Fritz. Vergleichbar dem Abusus anderer Substanzen, sei der Arzt verpflichtet zu behandeln.

Ob es insgesamt eine zunehmen- de Bereitschaft zur Steigerung von Fitness und Körperbild mit fremden Mitteln gibt oder das negative Vor- bild Spitzensport in den Breiten- und Freizeitsport hineinwirkt, lässt sich schwer ermessen. Der Staat je- denfalls möchte Doping auch mit den Mitteln des Rechts bekämpfen.

Wie wirksam dies geschieht, ist umstritten. Kürzlich wurden die ersten fünf Jahre des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport bilanziert: Die Gutachter machten rechtliche Lü- cken aus (12).

Neue Gesetzesbestimmungen Im Juni nun hat der Deutsche Bun- destag beschlossen, das Gesetz zu ändern: Es ist künftig nicht nur der Besitz, sondern auch der Erwerb von Substanzen in nicht geringen Men- gen strafbewehrt mit bis zu drei Jah- ren Freiheits- oder Geldstrafe (13).

Der Staat will ein Zeichen setzen für Fair Play und Gesundheit im Sport.

Er fördert schließlich nicht nur den Spitzen-, sondern auch den Breiten- und Freizeitsport. Einigkeit besteht darin, dass Prävention wichtiger ist als Strafe. Für die Prävention haben Ärzte eine wesentliche Funktion.

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit2913 Dopen hat einen suchtähnlichen Cha-

rakter, oft kombiniert mit einem gewis- sen Narzissmus und einem gestörten Körperbild. Einer meiner Patienten macht Bodybuilding, sein Körperbau hat ihm eine berufliche Nische erschlossen.

Er wendet Anabolika an und hat Phasen, in denen er die Substanzen wegen unerwünschter Wirkungen reduzieren oder absetzen möchte. Der Patient hat mir von seiner psy- chischen Abhängigkeit berichtet: von einem Hochgefühl, wenn er merkt, wie der Körper aus einem Trainingstief auf das Spritzen von Anabolika mit Muskelaufbau reagiert.

Es entwickelt sich bei ihm ein Gefühl von Stärke, von Unbesiegbarkeit. Dieser Patient hat aber als Nebenwir- kung auch schwere Aggressionszustände entwickelt bis hin zur Notwendigkeit einer Einweisung in die Psychiatrie.

Es ist wichtig, die Arzt-Patienten-Beziehung trotz Kenntnis von Doping aufrechtzuerhalten und weiter zu behandeln, ohne sich als Arzt instrumentalisieren zu lassen.

Dr. med. Michael Fritz, Allgemein- und Sportmediziner in Viersen

DOPEN ÄHNELT EINER SUCHT

T H E M E N D E R Z E I T

(5)

1. Raschka C, Ziegler R, Grebe W, Venne- mann N, Schmidt-Saloff S, Tusk I: Doping 2012 – eine aktuelle Befragung hessi- scher SportmedizinerInnen zur Erfahrung mit Doping. Prävention und Rehabilitation 2013; 25: 25–9

2. Peters C, Selg PJ, Schulz T, Pabst H, Michna H: Die Dopingproblematik aus Sicht des Sportmediziners: Erfahrungen von deutschen Verbandsärzten und baye- rischen Sportmedizinern. Dtsch Z Sport- med 2007; 58: 160–77

3. Hoebel J, Kamtsiuris P, Lange C, Müters S, Schilling R, von der Lippe E: Kolibri – Stu- die zum Konsum leistungsbeeinflussender Mittel im Alltag und Freizeit. Ergebnisbe- richt. Robert-Koch-Institut Berlin, 2011 4. Boos C, Wulff P, Kujath P, Bruch HP: Medi-

kamentenmißbrauch beim Freizeitsportler im Fitnessbereich. Dtsch Arztebl 1998;

95: A 953–7

5. Raschka C, Chmiel C, Preiß, R, Boos K:

Wie verbreitet ist Doping bei Freizeitsport- lern? MMW 2013; 12: im Druck 6. Bundesamt für Statistik, Altersstruktur am

31.12.2010

7. Müller-Platz C, Boos C, Müller RK: Doping beim Freizeit- und Breitensport. Gesund- heitsberichterstattung des Bundes, Ro- bert-Koch-Institut Berlin 2006

8. Angell P, Chester N, Green D, Somauroo J, Whyte G, George K: Anabolic steroids and cardiovascular risk. Sports Med 2012; 42:

1–16

9. Brune K, Niederweis U, Krämer BK: Sport und Schmerzmittel. Unheilige Allianz zum Schaden der Niere. Dtsch Arztebl 2008;

37: A 1894–7

10. Brune K, Niederweis U, Küster M, Renner B:

Laien- und Leistungssport. Geht nichts mehr ohne Schmerzmittel? Dtsch Arztebl 2009; 46: A 2302–4

11. Küster M, Renner B, Oppel P. Niederweis U, Brune K: Consumption of analgetics be - fore a marathon and the incidence of car- diovascular, gastrointestinal, and renal problems. BMJ Open 2013; doi:

10.1136/bmjopen-2012-002090 12. Bericht der Bundesregierung zur Evaluati-

on des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport. Bun- desministerium des Innern, Bundesminis- terium für Gesundheit. September 2012.

www.bmi.bund.de

13. Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode;

Drucksache 17/13770

14. Weitere Quellen: Raschka C, Nowacki PE, Zichner L, May R: Doping. Klinik, Wirkstof-

fe, Methoden, Prävention. Schattauer Ver- lag Stuttgart 2010

15. Clasing D ( Hrsg.): Doping und seine Wirk- stoffe – verbotene Arzneimittel im Sport.

Spitta Verlag Balingen 2006

Trainieren mit allen Mitteln

Leistungsverstärker sind nicht nur im Spitzensport, sondern auch unter Hobbyathle- ten verbreitet, die Risiken mangels ärztlicher Kontrolle teilweise höher. Der Hausarzt ist wesentlich für die Prävention.

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