• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Probleme mit Querulanten" (02.02.1989)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Probleme mit Querulanten" (02.02.1989)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Probleme

mit Querulanten

Rainer Tölle

gto

uerulanten beschäfti- gen und belästigen Gerichte und Behör- den — und auch Ärz- te. Unter ihnen gel- ten die Rentenquerulanten als crux medici. Mit anderen Querulanten hat sich der Arzt als Gutachter zu befassen; er gilt als medizinisch-psy- chopathologischer Sachverständiger für diese Menschen. In dieser Situa- tion sind die Probleme mit Queru- lanten besonders groß, allein schon weil die wissenschaftlichen Kennt- nisse noch sehr lückenhaft sind.

Der Begriff Querulant wurde nicht in der Psychiatrie entwickelt, sondern er ist juristischer Herkunft.

In der allgemeinen Preußischen Ge- richtsordnung von 1795 heißt es:

„Diejenigen Parteien, welche sich der vorgeschriebenen Ordnung nicht unterwerfen, sondern entweder die Kollegia oder deren Vorgesetzte mit offenbar grundlosen und widerrecht- lichen Beschwerden gegen bessere Wissenschaft und Überzeugung be- lästigen . . . , sollen als mutwillige oder boshafte Querulanten angese- hen, denen der Prozeß gemacht und über ihre Bestrafung rechtlich er- kannt werden" (abgekürzt zitiert nach K. Peters 1987).

Eigentlich heißt queri klagen, somit bedeutet Querulant Kläger.

Gemeint ist aber ein Mensch, der zu viel, grundlos oder „boshaft" be- klagt und dadurch lästig wird; vulgär spricht man vom Prozeßhansel, Streithammel oder auch Stänkerer.

Querulanten nehmen Juristen und Ärzte außerordentlich in Anspruch, Querulanz beschäftigt die Rechts- wissenschaft wie die Psychiatrie. Ein historisches Beispiel aus dem sech- zehnten Jahrhundert ist der Berliner Kaufmann Michael Kohlhase, be- kannt geworden durch Kleists Dich- Prof. Dr. jur. Dr. h. c. Karl Peters, Mün- ster, zum 85. Geburtstag gewidmet.

Was kennzeichnet Queru- lanten? Wie ist dieses pro- blematische Verhalten zu verstehen? Wie begegnet man ihm am besten? Diese Fragen stellen sich dem.

Arzt, wenn ein Rentenque- rulant in die Praxis kommt oder wenn ein Gutachten zu erstellen ist.

tung, ein anderes der Freiherr von Hausen (Pseudonym), über den der Psychiater Wetzel und der Jurist Endemann 1920 gemeinsam berich- teten; von Hausen war an 304 Pro- zessen beteiligt, von denen er 156 selbst in Gang gebracht hatte; hinzu kamen 299 Beschwerden gegen Be- hörden und Gerichte.

Vom Psychiater wird eine Cha- rakterisierung der Persönlichkeit und eine Erklärung des Verhaltens von Querulanten erwartet. Wie weit das gelingt, soll hier gezeigt werden.

Definition

Im Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie von U. H. Peters (1984) ist unter dem Stichwort „Querulant" zu lesen:

„Rechthaber. Mißtrauische, nörgel- süchtige Persönlichkeit, die sich je- dem vernünftigen Vorschlag wider- setzt, sich ständig über falsches Ver- halten Anderer beklagt und sich leicht erregt und stets mit den gege- benen Verhältnissen unzufrieden ist ... " Ähnlich klingt die Defini- tion im amerikanischen Psychiatric Dictionary von Hinsie und Campbell (1981): „Querulent. Ever suspici- ous, always opposing any sugges- tion, complaining of illtreatment and of being slighted or misunderstood, easily enraged, and dissatisfied with conditions as they exist."

Die Hauptmerkmale sind dem- nach: rechthaberisch, fanatisch, un- belehrbar, verbissen, verbohrt, hu- morlos, verwundbar. So werden Querulanten in der juristischen und medizinisch-psychologischen Litera- tur beschrieben. Das klingt wie ein Katalog schlechter Eigenschaften und wird nur wenig gemildert durch gelegentliche Zusätze wie: empfind- lich, verwundbar, verletzlich.

Querulantenverhalten, näher betrachtet

Es fällt auf, daß es dem Que- rulanten bald nicht mehr um den ursprünglichen Rechtsgegenstand geht, sondern um das Rechtbekom- men an sich. Er will Recht, sein Recht. Er erkennt das allgemeine Recht an, soweit es sein Recht ist.

Er nimmt sozusagen zugleich die Funktionen des Klägers und Rich- ters ein. Wenn er Recht respektiert, so mehr in einem formalen Sinne;

weniger kümmert es ihn, ob auch andere zu ihrem Recht kommen.

Das allerdings sieht und versteht der Querulant selbst nicht so, er ist ganz befangen in seinem Rechtsdenken und -kämpfen. Diese Einstellung wei- tet sich aus. Er kämpft schließlich ge- gen die Verhältnisse und die Gesell- schaft, jedoch nicht mit Gewalt (wie der Kriminelle), allenfalls mit verba- len Beleidigungen, hauptsächlich aber mit scheinbar legalen Mitteln, al- so mit Gesetzesauslegungen, schrift- lichen Eingaben etc. Dabei handelt er jedoch oft ohne die sozial gebotene Rücksicht auf andere.

Querulanten sind meist höflich (abgesehen von Zuständen der Erre- gung), aber von einer formalen und kühlen Höflichkeit, wie sie sich überhaupt meist distanziert verhal- ten und nähere Kontakte scheuen.>

Klinik für Psychiatrie (Direktor: Professor Dr.

med. Rainer Tölle) der Westfälischen Wil- helms-Universität, Münster

A-260 (56) Dt. Ärztebl. 86, Heft 5, 2. Februar 1989

(2)

- eine Krankheit?

Wie dieses eigentümliche Ver- halten bezeichnet werden und wel- chen Platz es im System psychischer Störungen erhalten soll, war lange umstritten. Um die Jahrhundertwen- de setzte sich die Auffassung durch, Querulanten gehörten zu den psycho- pathischen oder abnormen Persön- lichkeiten.

Mehr wissenschaftliche Auf- merksamkeit fand der Querulanten- wahn, der die extreme Steigerung des Querulantenverhaltens darstellt.

Diesen eindeutig krankhaften Stö- rungen wurde das Interesse um so mehr zugewandt, als, von der Krankheitsdiagnose ausgehend, die gutachterliche Beurteilung leichter erschien. Bemerkenswert aber ist, daß es zwischen dem querulatori- schen Verhalten und dem Querulan- tenwahn keine scharfe Grenze gibt, vielmehr entwickelt sich die Wahn- krankheit aus dem Querulantenver- halten, mit dem wir uns insbesonde- re befassen müssen.

Abgrenzung

Auf der einen Seite ist, wie ge- sagt, die Grenze zum Querulanten- wahn fließend. Auf der anderen Sei- te grenzt querulatorisches Verhalten an manche Verhaltensweisen, die wir als normal bezeichnen. Sind nicht Prinzipientreue, Unbedingt- heit und Zähigkeit beim Durchset- zen bestimmter Ziele sozial er- wünschte Eigenschaften? Allerdings kann das „normale" Verhalten ein Stück hierüber hinausgehen, zumin- dest in Redensarten wie: Wenn mir Unrecht geschieht, kenne ich nichts mehr/Koste es, was es wolle/Da ge- he ich über Leichen/Da lasse ich nicht mit mir reden/Da kann mir ei- ner sagen, was er will/Jetzt geht es ums Prinzip. Dabei bleibt es nicht immer bei der Redensart, zuweilen beginnt einer den querulatorischen Kampf — aber die meisten geben bald wieder auf, weil sie die Einsei- tigkeit oder zumindest die Nutzlosig- keit des Verhaltens erkennen. Sie schaffen den „Überstieg" zu einer besonnenen, mehr realitätsbezoge- nen Einstellung. Hierdurch unter- scheiden sie sich vom „Querulan- ten" , der nicht mehr von der einmal

eingenommenen Position und dem eingeschlagenen Weg ablassen kann.

Wenn aber auch ein gefestigter Mensch gelegentlich querulatorisch reagieren kann, liegt ein Grund hier- für darin, daß in keiner Gesellschaft Unrecht und Verletzung des Rechts- gefühls absolut vermeidbar sind.

Keine Rechtsordnung kann gewähr- leisten, daß jedem in jeder Situation volles Recht zukommt. Das Recht in Form von Gesetzen und dessen Handhabung im Sinne von Prozeß- ordnungen können nicht immer mit dem Rechtsempfinden des einzelnen im Sinne des gesunden Menschen- verstandes übereinstimmen. Diese Inkongruenz ist aber auch Ursprung der „Sehnsucht nach der Gerechtig- keit, nach der Verwirklichung des Rechts, das mit uns geboren ist, und nach der Umsetzung des positiven Rechts im Hinblick auf seine Grund- prinzipien" (K. Peters 1987). Die Sehnsucht nach dem Recht zeigt sich vielleicht nirgends stärker als in dem unbedingten und unbeirrten Rechts- kampf des Querulanten.

Entwicklung

Es gibt kaum systematische Un- tersuchungen. Über Querulanten ist im Grunde wenig bekannt. Jedoch weisen einige unübersehbare Merk- male auf Wesentliches hin. Zunächst fällt auf, daß es sich fast ausschließ- lich um Männer handelt. Es ist also nach spezifischen Bedingungen der Geschlechterrolle zu fragen. So- dann: Querulanten sind nie junge Männer, sondern stehen im mittle- ren oder fortgeschrittenen Lebensal- ter. Querulatorische Fehlhaltung entwickelt sich also erst im Laufe des Erwachsenenalters. Was ist über diese Entwicklung bekannt?

Diese Menschen sind keines- wegs, wie man zunächst denken könnte, besonders robust und vital, sondern eher asthenisch und sensi- bel, empfindlich und verletzbar. Ei- ne Kränkung des Rechtsempfindens steht meist am Anfang der Entwick- lung, wie alle Berichte zeigen. Wie- weit es sich dabei objektiv um Un- recht handelte, kann nachträglich nicht immer herausgefunden wer- den, ist aber psychologisch wenig er- heblich; denn es kommt mehr auf

das subjektive Erleben des Unrechts an. Deshalb heißt es in der einschlä- gigen Literatur „wirkliches oder vermeintliches Unrecht" .

Hierfür ein Beispiel: Ein 47jähriger Mann klagt gegen einen seiner Mieter, es war das erste Rechtsverfahren, das er anstrengte. Materiell ging es um wenig, aber er bereitete sich — entsprechend sei- ner genauen Wesensart und seinem Rechtssinn — sehr sorgfältig vor. Mit mehreren Aktenordnern erschien er bei Gericht. Er hatte sein Material kaum ausgebreitet, als der Richter eintrat und in wenigen Sätzen den Sachverhalt dar- stellte. Der Beschluß des Gerichtes er- ging, nachdem der Kläger kaum zu Wor- te kam, geschweige denn seinen vorbe- reiteten Vortrag hätte halten können.

Für den Richter handelte es sich um eine leicht überschaubare Routinesache, und er bemerkte anscheinend nicht die Ent- täuschung und Kränkung des Klägers.

Vom Richterspruch war der Kläger ent- täuscht (er hatte mehr zu seinen Gun- sten erwartet), noch mehr aber kränkte ihn der Ablauf, aus dem er folgerte: Ich erhielt nicht ausreichend Gehör, mir ist Unrecht geschehen, das Urteil ist unge- recht. Von diesem Erlebnis nahm eine querulatorische Entwicklung ihren Aus- gang.

Nicht immer ist das Schlüsseler- lebnis nachträglich auszumachen, zumal die Betroffenen eine Unzahl solcher Erlebnisse schildern und die Einseitigkeit des Berichtens kaum je eine Beurteilung der Situation er- möglicht. Die erlittene Kränkung steigert das Rechtsstreben, Mißer- folge verstärken den Rechtskampf, die querulatorische Entwicklung setzt sich fort.

Auch hierzu ein Beispiel: Dieser in- zwischen 56jährige Mann hatte wegen zahlreicher Rechtsstreitigkeiten Prozes- se geführt, in denen er meist unterlegen war. Als er eine neue Wohnung bezog, mietete er den zugehörigen Abstellplatz vor dem Hause mit dazu, obwohl er we- der Auto noch Führerschein besaß. Wie zu erwarten, fiel mit der Zeit auf, daß dieser Parkplatz, obwohl bezeichnet, leer blieb, und er wurde zuweilen von anderen benutzt — rechtswidrig, wie der Besitzer nun sagte und jeden Parker an- zeigte, was in mehreren Fällen zu Ge- richtsverfahren führte. Es schien, als ob er diese Gelegenheiten geradezu ge- sucht bzw. herbeigeführt hätte, die ge- eignet waren, nun einmal sein Recht er- folgreich zu verfechten.

Dt. Ärztebl. 86, Heft 5, 2. Februar 1989 (57) A-261

(3)

Rentenquerulanten

Entsprechendes gilt für die Pa- tienten, die als Rentenquerulanten bezeichnet werden. Man spricht auch von Rentenneurose, Renten- begehren, Unfallneurose oder trau- matischer Neurose.

Auch diese Menschen sind im allgemeinen empfindsam und kränk- bar. Sie kämpfen um einen Befund, der in manchen Fällen unerheblich oder zweifelhaft ist, in anderen aber vom Arzt in seiner Bedeutung für Leistungsfähigkeit und Wohlempfin- den unterschätzt wurde. Ein wirk- liches oder vermeintliches Unrecht bei der ärztlichen Untersuchung oder/und bei der Rentengewährung steht am Anfang dieser Fehlentwick- lung. Nicht selten wurde neben an- deren Unfallfolgen eine gewisse Hirnschädigung übersehen, die zu einer psychischen Leistungsminde- rung und damit zum Risiko psychi- scher Fehlentwicklungen führte. In anderen Fällen sind es vorausgegan- gene Lebensschwierigkeiten und Konflikte, die zu Reaktionen ren- tenneurotischer Art beitragen. Je- weils ist also die persönliche Vorge- schichte zu berücksichtigen.

In den wesentlichen Merkmalen verläuft die Entwicklung der Ren- tenneurose ähnlich wie die der Rechtsquerulanz. Analog sind auch die Reaktionen der anderen Betei- ligten, die stets zu beachten sind.

Die andere Seite

Von der Wechselwirkung zwi- schen Mißerfolg — Kränkung — ver- stärktem Querulieren usw. war schon die Rede. In diesen Reak- tionskreis ist aber auch die andere Seite einbezogen: Behörde, Gerich- te und ärztliche Stellen handeln nicht fehlerfrei, wie die Beispiele zeigten. Nicht selten paßt formali- stisch bürokratisches Reagieren der Instanzen zum Querulieren des Be- troffenen wie das Schloß zum, Schlüssel. Je intensiver das Queru- lieren, desto heftiger die Abwehr der anderen. Je voreingenommener und ungeduldiger der Arzt bei der wiederholten Untersuchung des querulatorischen Patienten ist, desto eher findet dieser Anlaß zu Kritik

und erneutem Rentenkampf. So kann sich eine ablehnend aggressive Haltung des Arztes entwickeln, ana- log dem „Gegenangriff der Justiz`

Peters 1987). In diesen Fällen begegnen sich Querulant und In- stanz auf gleicher Ebene. Aber nicht mit gleichen Waffen: die Rechtsor- gane wehren sich mit professionellen Mitteln, der Arzt ist schon aufgrund seiner Rolle der Überlegene.

Aber es geht hier nicht um Vor- würfe gegen die „andere Seite" , noch weniger um Schuldzuweisun- gen. Aus diesen Beobachtungen ist vielmehr zu folgern: was hier ab- läuft, kann nur systemisch verstan- den werden. Die Systemtheorie lehrt, daß es stets darauf ankommt, die Abläufe in ihrer Ganzheit zu er- fassen. Anstatt die Einzelheiten ge- trennt zu betrachten, sollen die Be- ziehungen der Vorgänge zueinander erfaßt werden. Es zeigt sich, daß das System gestört ist, insbesondere das Kommunikationssystem, in dem ei- nes das andere bedingt und dieses wiederum das eine. Das querulatori- sche Verhalten ist paradigmatisch für ein System in diesem Sinne.

Aus diesem Regelkreis oder Teufelskreis herauszufinden ist die Aufgabe der „anderen Seite" , also der Beamten, Richter, Ärzte und sonstigen Beteiligten. Denn der in der querulatorischen Fehlhaltung befangene Mensch kann diesen Überstieg nicht oder zumindest nicht allein leisten. „Die andere Sei- te" ist hier also nicht nur im Sinne von audiatur et altera pars zu verste- hen. Gemeint ist includatur et altera pars: die anderen sind mit einzube- ziehen, wenn das Geschehen ver- ständlich werden soll. Diese Art des Beteiligtseins ist Ärzten und Juristen noch wenig vertraut. Sich mit dem eigenen Beteiligtsein selbst zu befas- sen, kann aber bei der Bewältigung dieser Probleme helfen.

Zur Psychodynamik

Was über die Psychodynamik bekannt ist, weist darauf hin, daß es sich bei Querulanten um eine Cha- rakterneurose handeln dürfte. Un- verkennbar ist die Problematik des Über-Ich, des Gewissens. Der Que- rulant ist ein „Superrechtsanwalt in

seiner eigenen Rechtfertigung" (H.

Dietrich 1973). Das läßt Schuldge- fühle vermuten, die abgewehrt wer- den sollen. Das Querulieren um be- stimmte, gar nicht so wesentlich er- scheinende Dinge kann als der Ver- such verstanden werden, sich selbst von persönlichem, unbewußtem oder uneingestandenem Unrecht ab- zulenken. Die Lebensgeschichte mancher Querulanten legt diese Deutung nahe. Zuweilen ist auch ei- ne Überkompensation bei Schwä- chen in anderen Lebensbereichen zu erkennen. Wenn manches nicht be- wältigt wurde und nicht gelungen ist, scheint der Rechtskampf ein Mit- tel der Selbstbestätigung zu sein.

Solche Reaktionsweisen stellen in unserer Gesellschaft eine bevor- zugt männliche Problematik dar.

Dementsprechend sind fast alle Querulanten Männer. Auf den Kon- fliktbereich Mannhaftigkeit weisen verschiedene Beobachtungen hin, nicht nur sexuelle Schwierigkeiten, sondern auch die ausgesprochene Tendenz vieler Querulanten, in der Ehe und Familie eine patriarchali- sche Rolle einzunehmen. Dabei kann sich die Ehefrau so sehr mit dem Mann und mit seinen querula- torischen Einstellungen identifizie- ren, daß sie geradezu induziert wer- den (J. E. Meyer 1963).

Nicht wenige dieser Menschen sind Einzelgänger, die vertrauliche Kontakte meiden und Distanz wah- ren, wozu ihnen auch das querulato- rische Verhalten dienlich sein kann.

Es gibt weitere Beobachtungen und Interpretationen, aber keine auch nur annähernd vollständige tiefen- psychologische Interpretation des querulatorischen Verhaltens. Die Kenntnisse sind so lückenhaft, weil der Psychiater dem Querulanten fast nur in Begutachtungssituationen be- gegnet, wenn er wenig aufgeschlos- sen ist. Längere Psychotherapien, die mehr Einblicke gewähren wür- den, kommen kaum je zustande.

Die bisherigen Befunde weisen aber in eine bestimmte Richtung.

Bei den beschriebenen Persönlich- keitsmerkmalen und Reaktionsbe- reitschaften des Betroffenen ist die querulatorische Entwicklung als ein Prozeß immer wieder mißlingender Versuche der Selbstfindung und Da- A-262 (58) Dt. Ärztebl. 86, Heft 5, 2. Februar 1989

(4)

seinsbewältigung zu verstehen. Die- se Auseinandersetzung geschieht im

„System" psychosozialer Verflech- tungen. Daher sollen nicht nur die Verhaltensweisen des Querulieren- den untersucht werden, sondern auch die hierauf erfolgenden Reak- tionen der anderen Beteiligten.

Reaktionen auf Querulanten

Wie die Justizorgane sich der Querulanten erwehren, zeigt eine Formulierung in der eingangs zitier- ten preußischen Gerichtsordnung:

diejenigen, die sich in dieser Weise verhalten, „sollen" als Querulanten angesehen werden. Mit anderen Worten, das Verhalten wird defi- niert, die Betreffenden werden be- zeichnet, Verhalten und Personen werden pejorisiert ( „mutwillige oder boshafte Querulanten"), so daß ihnen „der Prozeß gemacht`

kann. So entsteht ein „Tä- tertyp" wie K. Peters (1987) an- merkt, der auch die Auffassung, Ju- stizkritik sei typisch für den Queru- lanten, kritisch beleuchtet. Die Ju- stizkritik sei nicht abwegig, da auch die Justiz wie jede Ausübung öffent- licher Gewalt kritischer Beurteilung unterliegen müsse.

Es sollte bedacht werden, daß Querulanten zwar lästig werden können, aber doch so gut wie nie ge- fährlich. Sie sind von vornherein die Unterlegenen. „Queruliert wird im- mer nur von unten nach oben" (H.

Dietrich 1973). Querulanten sind grundsätzlich die Schwächeren, die Angegriffenen sind institutionell überlegen und sollten auch überle- gen reagieren.

Entsprechendes gilt für Reak- tionsweisen der Ärzte. Sie begegnen dem querulatorischen Verhalten von vornherein mit jenem wissenschaft- lichen Relativieren, das schon in der Beschreibung des Querulanten zum Ausdruck kommt: es wird zwar ein- geräumt, daß ein Unrecht voraus- gegangen ist, jedoch folgt die Ein- schränkung: wirklich oder vermeint- lich. Ein älterer Autor fügt noch hin- zu: oder angeblich (E. Kahn 1928).

„Angeblich" klingt nach Täu- schungsabsicht durch Querulanten,

„vermeintlich" nach bloßem Irr-

tum. Beide Versionen sprechen dem.

Betroffenen Rechtmäßigkeit per de- finitionem ab. Aber nicht um den Tatbestand sollte es dem Psychiater gehen, sondern um die innere Ver- fassung des Querulanten, sein Erle- ben. Insbesondere in Begutach- tungssituationen erlebt der Queru- lant den Arzt als mächtig und über- legen, er sieht ihn auf der Seite der Instanzen, die das Gutachten in Auftrag gaben. Der Querulant ist immer „unten".

Prävention

Die ausgeprägte querulatorische Fehlhaltung ist therapeutisch kaum mehr beeinflußbar. Um so mehr kommt es auf die Prävention an.

Möglichkeiten der Vorbeugung sind aus den vorausgehenden Abschnit- ten abzuleiten. Zumindest muß ver- sucht werden, die querulatorische Entwicklung nicht prozeßhaft zu för- dern, um persönlichem und sozialem Ruin des Betroffenen vorzubeugen und Katastrophen zu vermeiden (Michael Kohlhase starb auf dem Rad, Freiherr von Hausen durch Suizid).

Vorzubeugen ist auch der Ent- wicklung des Querulantenwahns aus der querulatorischen Fehlhaltung.

Zwei Fragen ergeben sich aus die- sem Zusammenhang, eine an den Juristen, die andere an den Psychia- ter. Juristisch ist zu fragen, ob es an- gebracht ist, querulatorisches Ver- halten strafrechtlich zu verfolgen.

Ärztlich gesehen sollte folgende Fra- ge diskutiert werden:

Querulant -

ein unnötiger Begriff?

Mehrere Argumente können ge- gen die Bezeichnung „Querulant`

werden: es handelt sich weniger um einen Persönlichkeitsty- pus als um ein Verhalten; die her- kömmliche Konzeption Querulant ist wissenschaftlich nicht ausrei- chend begründet; der Begriff etiket- tiert und pejorisiert diese Menschen in unzulässiger Weise; querulatori- sches Verhalten kann nicht, wie bis- lang üblich, aus sich allein definiert werden, sondern nur in systemi- schen Bezügen erfaßt werden.

Sollte aus diesen Gründen der Begriff „Querulant" aufgegeben werden? Diese Frage ist in der Psychiatrie noch nicht ernsthaft ge- nug geprüft worden. Zwar fehlt

„Querulant" in den beiden interna- tional gebräuchlichen psychiatri- schen Klassifikationsschemen (ICD und DMS), nach wie vor aber ist

„Querulant" eine häufige Diagnose insbesondere in der Verständigung zwischen Juristen und Medizinern.

Wodurch sollte Querulant ersetzt werden? Einen anderen Terminus einzuführen würde nicht weiterhel- fen, denn auch dieser könnte kaum mehr als eine Etikettierung bedeu- ten, zudem würde er bald in gleicher Weise pejorisiert.

Konsequenter wäre es, in diesen Fällen das individuelle Verhalten und die konkrete Persönlichkeit mög- lichst genau zu untersuchen und zu beschreiben und gleichzeitig die Re- aktionsweisen der anderen Beteilig- ten zu berücksichtigen, um so im Ein- zelfall Fehlentwicklungen abzuhel- fen, anstatt einen Begriff zu prägen.

„Das Querulantenproblem wäre wei- terhin entschärft, wenn die Inhaber der Gewalt den vor ihnen stehenden Menschen maßvoll, sachlich, ruhig und menschlich, eben ein wenig mit dem Hauch der Liebe entgegentreten würden" (K. Peters 1987).

Literatur

1. Dietrich, H.: Querulanten. Stuttgart: Enke (1973)

2. Hinsie, L. E., Campbell, R. J.: Psychiatric dictionary. 4. Edit. New York: Oxford Uni- versity Press (1977)

3. Kahn, E.: Die psychopathischen Persönlich- keiten. In: Bumke, 0. (Hrsg.): Handbuch der Geisteskrankheiten. Band V. Berlin:

Springer (1928)

4. Meyer, J.-E.: Das Sozialverhalten des Que- rulanten. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsrerm 46 (1963) 250-257 5. Peters, Karl: Zur Problematik des Begriffs

„Querulant" aus strafprozessualer Sicht. In:

Just, M. et al. (Hrsg.): Recht und Rechtsbe- sinnung. Berlin: Duncker und Humblot (1987)

6. Peters, U. H.: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. 3. Auflage.

München: Urban und Schwartzenberg (1984)

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Rainer Tölle

Klinik für Psychiatrie der Universität

Albert-Schweitzer-Straße 11 4400 Münster

Dt. Ärztebl. 86, Heft 5, 2. Februar 1989 (59) A-263

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Christen wurden, wie auch Jesus selbst, verfolgt, festgenommen und teilweise getötet. Men- schen starben, weil sie von Jesus begeistert waren. Trotzdem hörten die Christen

Schwer wiegt dann nicht nur die Tatsache, daß wieder eine Gruppe Kinder nicht geimpft werden konnte, sondern auch der psychologische Schaden im Sinne des Vertrauens-

Gegenüber 1984 stieg die Zahl der Privat- haushalte, in denen zwei oder mehr Pkw zur Verfügung stehen, von 15 auf 22 Prozent An- fang 1990 an.. Weitere 54 Prozent der Befrag-

Die Beiträge (Prämien) zur üblichen Lebensversiche- rung haben generell drei Be- standteile: Einen Teil, der der Risikoabsicherung für den Todesfall gilt, einen Teil , der

58 Prozent der Antworter plädierten für die „Allround-Helferin“, 40 Prozent wünschten fakultative zusätzliche (zer- tifizierte) Spezialkenntnisse, und 38 Prozent votierten

Professor Tölle betont zu Recht, daß eine wirklich allgemein akzep- tierte Definition des Querulanten nicht existiert, und daß lediglich die unangenehmen Begleiterscheinun- gen,

Professor Tölle betont zu Recht, daß eine wirklich allgemein akzep- tierte Definition des Querulanten nicht existiert, und daß lediglich die unangenehmen Begleiterscheinun- gen,

Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und