1 Reibungspunkte
Dieser Artikel spricht den klas- sischen Konflikt Individuum vs. Ge- sellschaft an, dem jeder Richter und (in Grenzen) jeder sozialmedizinisch tätige Gutachter ausgesetzt ist.
Ich erlebe als Rentengutachter nur sehr wenige Menschen, die ohne einen triftigen Grund Rentenantrag stellen. Fast alle haben große exi- stenzielle Sorgen und sehen in einer Rente die einzige Lösung. Die juri- stischen Voraussetzungen für eine vorzeitige Berentung wegen Berufs-/
Erwerbsunfähigkeit erfüllt aber nur, wer „infolge von Krankheit oder an- deren Gebrechen oder von Schwä- che seiner körperlichen oder geisti- gen Kräfte" (§§ 1246 und 1247 RVO) seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen kann Zahlreiche andere Gründe, die in der Person, in den Lebensumständen, in der Aus- bildung, im Arbeitsmarkt usw. liegen können, werden vom Gesetz nicht oder nur am Rande berücksichtigt.
Das kann man einem Menschen in einer Notlage aus begreiflichen Gründen aber kaum vermitteln.
Ein verständiger Gutachter wird seinem Patienten a priori Glauben schenken und ihn als Individuum ak- zeptieren — andererseits muß er ab- strahieren von der persönlichen In- teraktion und einen Menschen unter allen sozialrechtlich bedeutsamen Aspekten beschreiben und bewer- ten, selbst wenn diese seinem spe- ziellen Problem gar nicht gerecht werden. Hier reiben sich ständig der juristische Gleichheitsgrundsatz und die empirische Ungleichheit der Menschen.
Eine allgemein befriedigende Lösung dieses Konflikts gibt es wohl nicht. Ich freue mich aber, daß die-
ses Problem in so kompetenter Wei- se im Deutschen Ärzteblatt ange- sprochen wird, und hoffe auf eine breitere Diskussion dieses Themas.
Dr. med. Peter Conrad Internist
Alemannenstraße 6 7500 Karlsruhe 1 2 Heilung nicht möglich Bei allem schuldigen Respekt vor der fachlichen Kompetenz von Herrn Professor Tölle stellt sich dem Internisten aus der Erfahrung in Kli- nik und Praxis „der" Querulant et- was weniger differenziert und etwa so dar:
Der Querulant, wie wir ihn ken- nen, muß prozessieren oder queru- lieren. Er verschafft sich meist subti- le Kenntnis, um dann mit meist nur ungenügend verhohlener Befriedi- gung den Fachmann oder die Behör- den mit seiner unumstößlichen Mei- nung, und oft auch nur schwer sofort erkennbarer oder widerlegbarer Pseudologik, ins Unrecht zu setzen.
Er ist unheilbar, weil er gar nicht ge- heilt werden will und darf. Oft wird ihm schießlich, und sicher nicht „im ersten Durchgang", eine Verständi- gung angeboten. Die aber will er nie, genießt aber sichtbar die Versuche der „Gegenpartei". Er ist der gebore- ne Rechthaber, dem man es und dem niemand es rechtmachen kann. Ver- einfacht gesagt, ist er mit extrem überwertigem — und demnach stets verletztem — Selbstwertgefühl ausge- stattet, nimmt sich also über jedes Maß hinaus wichtig. Trifft er aller- dings (und wo findet sich die?) auf absolute Konsequenz und Abwehr, so gibt er meist auf — natürlich nicht seine Meinung.
Ob es eben daran gerade im Umgang fehlt, und oft auch unnötig fehlt, letztlich zum allgemeinen Be- sten? Heilung ist ja nicht möglich, wie die Beispiele wohl beweisen. Wie ja Herr Professor Tölle darlegt, ist die Grenze zum Normalen unscharf.
Es scheint — sogar berufstypische — vergleichsweise harmlosere „Mini- Formen" nicht ganz selten zu geben.
Dr: med. Helmut Iske Internist
Bergstraße 27 4444 Bad Bentheim
3 Andere Ursachen
Viele Geschädigte, die Behör- den wie Gerichte seit Jahren ständig mit der Behauptung belästigten, das Gutachten sei falsch, habe ich an 3.
oder 4. Stelle in gerichtlichem Auf- trag nachbegutachten dürfen.
Der medizinische Befund war immer zutreffend und nie falsch, nur die Akten waren nicht sorgfältig ge- nug studiert. Wenn dann der 2. Gut- achter gleichfalls den oft nur auf ei- nem kleinen Zettel fast unleser- lichen, handgeschriebenen Hinweis übersah, war der Geschädigte schon halb gekennzeichnet. Dem Kläger selbst als medizinischem wie juristi- schem Laien war es unmöglich, den Fehler zu entdecken.
Ähnliches findet sich seit eini- gen Jahren in der Rechtsprechung.
Die Gerichte klagen über eine stän- dig wachsende Prozeßflut. Es ist aber abwegig anzunehmen, daß Hunderttausende oder gar Millionen plötzlich dem Querulantenwahn ver- fallen sind. Die unbestrittene Tatsa- che der Prozeßflut muß andere Ursa- chen haben.
Dr. med. Eckart Knaul Arzt für HNO-Krankheiten und Arbeitsmedizin
Benediktenwandstraße 4 8127 Iffeldorf-Osterseen
4 Mehr Empathie gefordert
Ich habe Ihren bemerkenswer- ten Artikel über „Querulanten" mit viel Interesse und auch in der Hoff-
Probleme
mit Querulanten
Zu dem Beitrag von
Prof. Dr. med. Rainer Tölle in Heft 5/1989
A-2864 (72) Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5 • Oktober 1989
nung gelesen, daß Ihr Aufruf zur Empathie auch diesen schwierigen Patienten gegenüber möglichst vie- len Kollegen auch anderer Fachrich- tungen nun etwas näher gebracht wird.
Im Rahmen meiner regelmäßi- gen Gutachtertätigkeit (insbesonde- re Sozialgericht), aber auch als The- rapeutin, habe ich recht häufig mit dieser Problematik zu tun. Derzeit behandele ich einen 40jährigen Pa- tienten mit einer beginnenden que- rulatorischen Entwicklung auf dem Boden einer narzißtischen Persön- lichkeitsstörung; im bisherigen Ver- lauf (25 Sitzungen) kam es zu einer, auch für mich unerwartet, raschen Besserung, wobei die Veränderun- gen bislang vorwiegend die Verhal- tensebene betreffen — weniger die Aufarbeitung unbewußter Prozesse, welche scheinbar auf erheblichen Widerstand stieß.
Daneben führe ich mit einigen
„querulatorischen" Patienten soge- nannte stützende Gespräche, wobei ich allmählich erkannte, daß es ins- besondere auf die Herstellung einer konstanten therapeutischen Bezie- hung, auf Empathie und Aufrichtig- keit ankommt Leider ist auch unter Fachkollegen immer wieder die Ten- denz zu beobachten, daß diese Pa- tienten unter der Zuordnung zu ei- ner schweren Charakterneurose als therapieresistent abgestempelt und somit auf ihrem langen Leidensweg allein gelassen werden.
In Anbetracht dieser Erfahrun- gen halte ich Ihren Artikel, der für mich persönlich auch eine Bestäti- gung meiner Vorgehens- und Ver- stehensweise bedeutet, für sehr be- achtenswert.
Dr. med. Klara Fekete Ärztin für Psychiatrie Psychotherapie Leopoldstraße 206 8000 München 40
5 Hans Kohlhase
Zu Ihrer Arbeit ein Hinweis: Sie erwähnen den Berliner Kaufmann Michael Kohlhase. Die historische Person, nach der Heinrich von Kleist seine Novelle „Michael Kohlhaas"
geschrieben hat, hieß Hans Kohlha-
se, Kaufmann aus Cölln an der Spree, der am 22. März 1540 in Ber- lin gerädert wurde. Seine Geschichte hat der Berliner Lehrer Hafftitz auf- gezeichnet.
Dr. med Hans Runge Nervenarzt
Harzburger Straße 19 3300 Braunschweig
6 Beispiel verfehlt
Das ist wohl etwas zu einseitig psychosopathisch gesehen, allein schon das Beispiel Michael Kohlhaas stimmt nicht, denn diesem Mann war schweres Unrecht geschehen, und es lagen schlimme Rechtsverstöße vor, zuletzt wurde ihm ja auch vom Kai- ser Recht gegeben, auf dem Rad starb er wegen seiner zu radikalen Selbsthilfe. Also so einfach ist das nicht; was tut der Staat dem Recht an, dessen Gewaltmonopol den Bür- ger schützen soll, wenn er den Bür- ger nicht vor unrechtmäßigen Über- griffen schützt?
Dr. med. Konstantin Röser Praktischer Arzt
Mittelstraße 88
5483 Bad Neuenahr-Ahrweiler
7 Wert der Prävention
Im Laufe der Jahre habe ich ei- ne ganze Reihe von Artikeln und Aufsätzen von Herrn Prof. Tölle im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT mit Gewinn gelesen, auch wenn für mich als Kinderarzt die Problematik oft mehr am Rande interessant und be- langvoll war. Zu dem Übersichtsarti- kel über „Probleme mit Querulan- ten" möchte ich aber doch einmal meine Meinung äußern und eigent- lich auch ganz besonders meinen Dank für diese Übersicht. Gerade die Tatsache, daß die Grenze zwi- schen einem Verteidigen seines gu- ten Rechtes und einem Querulan- tenwahn fließend sein kann, scheint mir sehr wesentlich. Jeder Mensch wird wohl für sein gutes Recht ein- treten und dies auch für richtig und sozial verständlich halten. Wieviele von uns, die sich für gerechtigkeits- liebend halten, verdanken es wohl mehr einem gütigen Schicksal, das
ihnen unverdientes Unrecht erspar- te, als ihrer eigenen seelischen Stabi- lität, daß sie nicht diese Grenze überschreiten mußten?
Der bekannte Publizist Dale Carnegie zitiert einen bekannten amerikanischen Millionär (wenn ich mich nicht irre, war es sein Namens- vetter Andrew Carnegie, der Stahl- magnat), der einen herabgekomme- nen, betrunkenen, in der Gosse tau- melnden Stadtstreicher betrachtet mit den Worten: "There but for the grace of God go I", was man frei viel- leicht allgemeiner übersetzen könnte mit den Worten „ohne die Gnade Gottes könnte ich dies sein".
Professor Tölle betont zu Recht, daß eine wirklich allgemein akzep- tierte Definition des Querulanten nicht existiert, und daß lediglich die unangenehmen Begleiterscheinun- gen, die nun einmal beim Querulan- tentum (was dies auch sein mag) be- obachtet werden, zur Beschreibung herangezogen werden. Die Reaktion der Mitmenschen, insbesondere aber der von Berufs wegen mit diesen Menschen befaßten Ärzte und Juri- sten, zeigt auch die Hilflosigkeit im Umgang mit „Querulanten". Man kann es dann daher nur besonders dankbar begrüßen, daß der Wert der Prävention einer solchen Entwick- lung von Tölle so hervorgehoben wird. Das letzte Zitat, die Äußerung von K. Peters über dieses Problem, verdient unseren Dank, weil es uns auf unsere Aufgabe als Ärzte und Mitmenschen zurückverweist und uns erinnert, daß wir unserem Mit- menschen eben „mit dem Hauch der Liebe" entgegentreten sollten. Daß dies nicht selten sehr schwierig sein kann, ist uns wohl allen bewußt. Um so eher sollten wir diesem Anspruch an uns gerecht zu werden versuchen.
Dr. med. Raimo Ritter Leitender Oberarzt der Kinderklinik
Städtische Krankenanstalten Lutherplatz 40
4150 Krefeld
Schlußwort
Die lebhafte Reaktion und die zahlreichen Zuschriften von Kolle- gen verschiedener Fächer bestätigen Dt. Ärztebl. 86, Heft 40, 5. Oktober 1989 (75) A-2867