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Archiv "PALLIATIVMEDIZIN: Alle sind aufgerufen" (04.07.1991)

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8152 Feldkirchen

LESERBRIEFE DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

PALLIATIVMEDIZIN

Zu der Vorstellung des Buches

„Der Mensch und sein Tod von Gi- on Condrau in Heft 16/1991:

Alle sind aufgerufen

In unserer Gesellschaft sind Tod und Sterben abge- schoben, Sterbende ebenso wie Geisteskranke, Epilepti- ker, Alte — sie alle passen nicht ins Bild vom jungen, fal- tenlosen, leistungsfähigen, stets gut gelaunten Men- schen, der ein „nützliches"

Mitglied unserer Gesellschaft darstellt (wobei „nützlich"

meist mit der Möglichkeit, Geld zu verdienen, gleichge- setzt wird).

Zirka 90 Prozent der Deutschen sterben nicht zu- hause — 92 Prozent wünschen es sich (67 bis 76 Prozent ster- ben im Krankenhaus, 20 bis 30 Prozent in Alten- und Pfle- geheimen). 15 Prozent erhal- ten weiterhin Besuch von ih- ren Angehörigen. Das heißt,

„Sterbehilfe" wird dem Arzt, vor allem aber dem Pflege- personal zugeschoben, denn Schwestern und Pfleger ver- bringen die meiste Zeit mit den Patienten. Für den Arzt stellt wohl der Umgang mit der Wahrheit dem Schwer- kranken gegenüber das größ- te Problem dar. Ansonsten kommt ihm hauptsächlich die Aufgabe zu, so weit wie mög- lich das körperliche Wohlbe- finden des Sterbenden zu ge- währleisten.

Doch weder Schwestern, Pfleger noch Ärzte sind über- haupt beziehungsweise genü- gend auf die Begleitung Ster- bender vorbereitet. Wenn man weiß, unter welchem zeitlichen Druck Behandeln- de und Pflegende stehen, kann man ermessen, welche Überforderung diese Aufga- be bedeutet. Den Satz von Bernard (1981, 23) würde ich gerne so abändern: „In dieser Situation" (den Tod vor Au- gen) „ist der Sterbende im- mer der Verlierer." Aus Angst, Unsicherheit, Hilflo- sigkeit, Zeitmangel, Gleich- gültigkeit, Verdrängung des Todes und des eigenen Endes

bleibt er immer noch allein mit seinen Ängsten, Nöten und Zweifeln. So sterben vie- le den sozialen vor dem kör- perlichen Tod. Eine andere Möglichkeit der Betreuung Sterbender wollte Dr. Cicely Saunders gewährleistet se- hen: sie gründete „St. Chri- stopher's Hospice" in Lon- don. Doch dafür das Wort

„Sterbeklinik" zu gebrau- chen, wäre falsch. Es handelt sich hier nicht um ein "To- desghetto", sondern um ein offenes Haus, in dem vor al- lem ehrenamtliche Helfer (bei 65 Betten 300 Helfer) da- für sorgen, daß „die Welt draußen" stets gegenwärtig ist. . . .

E. Kübler-Ross schuf auch solche Institutionen, doch sie erweiterte die Betreuung für Sterbende und ihre Angehö- rigen: durch örtliche Hospiz- gruppen, die zu Hause genau- so mithelfen wie im Hospiz, wobei vor allem der psychi- sche Beistand im Vorder- grund steht. Für Alleinste- hende oder Schwerkranke ohne pflegewillige oder -fähi- ge Angehörige sind Hospize eine Notwendigkeit.

Das Hospiz bereitet also den Sterbenden und seine Angehörigen auf die unbe- stritten schwere Zeit zu Hau- se vor. Daß medizinische Be- gleitung auch zuhause nötig ist, hat E. Kübler-Ross nie bestritten, sondern als Vor- aussetzung für ein Sterben daheim bezeichnet, wobei die Schmerzbekämpfung wohl Vorrang hat . . .

Selbstverständlich ist es schwer, einen geliebten Men- schen körperlich verfallen zu sehen, egal ob zu Hause oder im Krankenhaus. Im letztge- nannten Fall ist die Erholung leichter — das stimmt. Doch zu Hause gibt es auch Mög- lichkeiten, Freiräume für sich selbst zu schaffen. Dies ist ei- ne Frage der Organisation und der Fähigkeit, Hilfen von außen in Anspruch zu neh- men. Als Hilfen sollten beste- hen: Hausarzt, Schwestern und Pfleger von Sozial- oder Diakoniestationen, Nachbar- schaftshilfe, Seelsorger, Nachbarn, Freunde, weitere A-2342 (6) Dt. Ärztebl. 88, Heft 27, 4. Juli 1991

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Familienangehörige, Hospiz- gruppen (mit vor allem eh- renamtlichen Helfern), Ur- laubspflegeplätze in Alten- heimen, Sitzwachengruppen.

Es hat sich herausgestellt, daß Hinterbliebene weniger Schuldgefühle haben, daß sie ein gut Teil ihrer Trauerar- beit schon geleistet haben, wenn sie sich der Betreuung ihres Angehörigen gewidmet haben. Hospizgruppen be- treuen die Hinterbliebenen auch noch nach dem Tod des Familienangehörigen.

Zitat: „ . . . begleiten kann man niemand in den Tod — . . ." Warum nicht

„Sterbebegleitung" statt

„Sterbehilfe"? Wir begleiten

nicht in den Tod, denn jeder stirbt allein, individuell, un- wiederholbar! Aber auf der letzten Wegstrecke bin ich begleitend da, bis zum letzten Abschied. Und Sterbebeglei- tung bezieht sich nicht nur auf den eigentlichen Sterbe- vorgang, sondern möchte da einsetzen, wo jemand die Wahrheit über seine in abseh- barer Zeit beendete Zukunft erfährt.

Ein Lehrfach „Sterbehil- fe" wird es hoffentlich nie ge- ben! Doch über ein Lehrfach

„Sterbebegleitung" sollten so- wohl Ärzte wie auch Angehö-

rige welcher Pflegeberufe auch immer froh sein und sich dafür einsetzen...

Gleichgültig ob Arzt, Pfle- ger, Pfarrer oder ehrenamtli- cher Helfer — nur wenn ich selbst ein Stück weit meinen eigenen Tod und seine Be- deutung für mein Leben ge- klärt habe, bin ich in der La- ge, einem Sterbenden of- fen zu begegnen und den Schmerz auszuhalten, den auch die Begleitung eines bis dato fremden Menschen be- deutet.

Daß ich einen mir nahe- stehenden Menschen in den letzten Tagen und Stunden an meinem Bett wünsche, ist ein selbstverständlicher

Wunsch. Doch wie steht es bei alleinstehenden Men- schen, bei Menschen, für de- ren Angehörige sie schon lan- ge „gestorben" sind vor ihrem eigentlichen Tod? Für Ange- hörige und den Sterbenden kann ein Außenstehender oft Anstöße und Hilfen bringen — ich habe es selbst erlebt.

Daß es schwierig ist, in un- serer Gesellschaft menschen- würdig zu sterben, ist Tatsa- che; daß Sterben zu Hause für die Familie sehr schwer ist, bleibt unbestritten; daß eine andere Einstellung zu Tod und Sterben in unserer

Industriegesellschaft vonnö- ten ist, trifft den Kern der Sa- che: Wir alle sind aufgerufen, tätig zu werden, denn Sterben wird jeder von uns!

Wenn es genügend „kran- kenhausexterne, fachkundige Pflegeeinrichtungen" gäbe, könnten mehr Patienten „in völligem Frieden und ohne je- de Resignation" (E. Kübler- Ross) sterben. Nur wenn ein Zahnrad ins andere greift, kann ein Sterbender mit sei- nen Angehörigen wählen, wo, mit wem und unter welchen Umständen der letzte Teil des Lebensweges gemeinsam er- lebt wird. Nur dann ist Ster- ben menschenwürdiges Ster- ben!

Ulla Dreßel, „Schmetter- ling" Begleitung Sterbender und ihrer Angehörigen, Rö- testraße 25, W-7274 Haiter- bach 2

Bedauerliche Defizite

Der Auszug enthält einige seit längerem überholte, aber auch unzutreffende Informa- tionen, deren Richtigstellung dringend geboten ist, um ins- besondere die englischen Hospize nicht in einem völlig falschen Licht erscheinen zu lassen.

I> Angeblich nimmt das Hospiz St. Christopher nur Patienten mit einer Lebenser- wartung von etwa zwei Wo- chen auf, kein Patient wisse, daß er sich in einer „Sterbe- klinik" aufhalte, das Wort

„Krebs" werde nie ausgespro- chen.

Das Gegenteil trifft zu:

Oberstes Gebot im Hospiz ist die offene und wahrhafte Kommunikation mit den Pa- tienten. Gerade Dame Cicely Saunders, Gründerin von St.

Christopher, gibt durchdach- te und praktikable Leitlinien zum Umgang mit der Wahr- heit am Krankenbett. Leider werden die Patienten häufig von zuweisenden Kliniken über ihren Zustand nicht auf- geklärt; die speziell dafür ge- schulten Mitarbeiter des Hos- pizes bieten jedoch jedem einzelnen an, in einer Atmo- sphäre der Zuwendung und des Geborgenseins den wah-

ren Zustand zu erfassen. In einer Studie, die Sterbende in verschiedenen Institutionen erfaßt, zeigen Patienten im Hospiz am wenigsten Depres- sivität und Angst und schät- zen die hier angebotene ehrli- che Kommunikation. Da ge- rade Hospize um die unzu- treffenden Voraussagen zur noch verbleibenden Lebens- spanne wissen, werden keine fixen Lebenserwartungsvor- gaben zur Aufnahme heran- gezogen. Die Lebenserwar- tung liegt im Bereich von Wo- chen und Monaten; aufge- nommen wird, wer die beson- deren Kenntnisse des Hospi- zes benötigt, um mit seiner Si- tuation zurechtzukommen.

> Die vor 20 Jahren zu- nächst verwendete Bromp- ton-Mixtur wird in Hospizen inzwischen von Morphin ab- gelöst, seitdem nachgewiesen ist, daß Morphin und Bromp- ton Mixtur die gleiche Schmerzreduktion bewirken.

Die Patienten bleiben übri- gens nicht immer „bis zu ih- rem Tod" im Hospiz. Ziel der Hospize ist es, das Sterben dort zu ermöglichen, wo es der Patient wünscht, also in der Mehrzahl der Fälle zu Hause, weswegen Hospize weltweit überwiegend als am- bulante Versorgungsgruppen existieren und stationäre Hospize über eine Hausbe- treuung verfügen: Somit wer- den die Patienten aus dem stationären Hospiz, wenn möglich, nach Hause entlas- sen.

Im Sir Michael Sobell House, einem Hospiz in Ox- ford, enden 51 Prozent aller Aufnahmen mit Entlassun- gen; zirka 40 Prozent der be- treuten Patienten können zu Hause sterben. Dies gelingt natürlich nur, weil sachkundi- ge medizinische und pflegeri- sche Betreuung auch daheim gewährleistet ist, die in der Regel ohne Sauerstoffflasche oder andere Apparaturen auskommt: In der möglichst nicht-invasiven und nicht-ap- parativen Symptomkontrolle besteht gerade die Kunst der von Hospizen praktizierten Palliativmedizin. Daß Ster- ben nicht mit langem Siech-

Zu Leserbriefen:

Leserbriefe sind uns immer willkommen; sie werden von Autoren und Redaktion sehr beachtet. Das gilt für kurze und lange Briefe. Die Veröffentlichungsmöglich- keiten freilich sind beschränkt; der Redaktion bleibt oft keine andere Wahl, als unter der Vielzahl der Zuschrif- ten eine Auswahl zu treffen. Die Chance, ins Heft zu kommen, ist um so größer, je kürzer der Brief ist. Die Redaktion muß sich zudem eine — selbstverständlich sinnwahrende — Kürzung vorbehalten.

Für Leserbriefe, die den medizinisch-wissenschaftli- chen Teil betreffen, gilt zusätzlich: Zuschriften zu Bei- trägen in diesem Teil — Editorials, Kongreßberichte und Zeitschriftenreferate ausgenommen — können grund- sätzlich in der Rubrik „Diskussion" zusammen mit ei- nem dem Autoren zustehenden Schlußwort veröffent- licht werden, wenn sie innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen der betreffenden Publikation bei der Medizi- nisch-Wissenschaftlichen Redaktion eingehen und bei einem Umfang von höchstens zwei weitzeilig beschriebe- nen Schreibmaschinenseiten wissenschaftlich begründe- te Ergänzungen oder Widersprüche enthalten. DÄ

A-2344 (8) Dt. Ärztebl. 88, Heft 27, 4. Juli 1991

Referenzen

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