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Archiv "Gesprächskreis der Friedrich-Ebert-Stiftung: Würdig und ohne Schmerzen sterben" (19.05.1995)

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THEMEN DER ZEIT

Der Philosoph Jan P. Beckmann brachte es auf den Punkt . Ist Sterben eine Krankheit oder nur eine andere Variante menschlichen Seins? Muß die Definition von Descartes über Geist und Körper im postindustriel- len Zeitalter geändert werden?

Spricht man besser von verleiblich- tem Geist und vergeistigtem Körper, wenn es um neue Konzepte von Medi- zin und Gesellschaft für ein men- schenwürdiges Sterben geht? Diese theoretischen Betrachtungen erschei- nen nur vordergründig rein seman- tisch. Tatsächlich haben sie enorme praktische Bedeutung für die Beant- wortung der Frage: Welche und wie- viel Mittel muß die Gesellschaft für die letzten Lebensabschnitte ihrer Bürger aufwenden?

In Vorträgen und Diskussionen während eines Gesprächkreises der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn im März bemühten sich elf Referenten und circa 150 Teilnehmer unter- schiedlichen Alters um das aktuelle, jedermann angehende Thema.

Konzept der Hospize

Das Hauptreferat wurde von Paul Becker, Bingen, von der Interna- tionalen Gesellschaft für Sterbebe- gleitung gehalten, der über eine 40jährige Klinikerfahrung verfügt. Er begann treffend mit der Anrede „Ver- ehrte Sterbliche". Früher seien Le- bens- und Sterbeort meist gleich ge- wesen, erinnerte Becker. Heute stür- ben in den Ballungsgebieten 90 Pro- zent, auf dem Lande 60 Prozent der Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen. Da sich die Zahl der Singlehaushalte von 1957 bis 1993 um 210 Prozent vermehrt hat, sei dies nicht verwunderlich. Gleichwohl gebe es Bemühungen engagierter Geistli- cher, die Patienten für den Abschied

TAGUNGSBERICHT

„heimzuholen". Fast alle Menschen wollten lieber zu Hause sterben.

Der Wortschatz beim Umgang mit Sterbenden sei bedauerlich karg, beklagte Becker. Dies begünstige die Flucht in medizinisches High-Tech.

Ein Anästhesist wurde zitiert, den Becker einmal sagen hörte: „Ich halte nichts vom Händchenhalten."

Sterben solle man würdig und oh- ne Schmerzen können, meinten die Teilnehmer des Gesprächskreises. 90 Prozent aller Patienten könnten schmerzfrei sterben. Tatsächlich kom- men aber verschiedenen Untersu- chungen zufolge nur 15 bis 20 Prozent in den Genuß aller schmerztherapeu- tischen Möglichkeiten. Hier besteht ein ärztliches Ausbildungsdefizit, wo- bei auch die erhöhten administrativen Hürden für die Opiatverschreibung mehrfach angesprochen wurden.

Sterbende würden nicht süchtig, wur- de betont. Wenn sie abhängig werden, sei dies nichts anderes, als wenn ein Schwachsichtiger eine Brille oder ein Diabetiker Insulin braucht.

Breiter Raum wurde dem 1967 in London zuerst entwickelten Hos- pizgedanken gewidmet. Schon nach zwei Jahren habe sich damals in Eng- land aber gezeigt, daß das Konzept der Hospize ohne die Verbreiterung in den häuslichen Raum hinein unzu- reichend sei. Für Deutschland be- richteten Rauterberg, Bundesmini- sterium für Gesundheit, sowie Pet- rich vom Bundessozialministerium von öffentlichen Förderungen. Seit 1991 sind 18 Palliativstationen mit insgesamt 20 Millionen DM geför- dert worden, davon fünf in den neu- en Ländern. Der durchschnittliche Aufenthalt betrug 17 Tage. 60 Pro- zent der Patienten seien wegen der Schmerzen, 30 Prozent wegen Ernährungsschwierigkeiten und 25 Prozent aus sozialen Gründen aufge- nommen worden. Zur Zeit werden fünf neue Hospize gebaut, die im Mai

eröffnet werden sollen. Die Über- nahme der laufenden Kosten (Mittel der Kranken-, der Pflegeversiche- rung oder private Finanzierung?) ist nach wie vor strittig.

Gerd Glaeske vom Verband der Angestellten- und Arbeiterersatzkas- sen ging das Thema über den § 70 Abs. 2 des Gesundheits-Reformgeset- zes an: „Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben durch ge- eignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicher- ten hinzuwirken." Die Diskussion zeigte freilich, wie unterschiedlich die verschiedenen Interessengruppen Humanität definieren. So hielt es ein Vertreter der AIDS-Hilfe für men- schenverachtend, wenn in Kranken- zimmern konfessioneller Häuser nächtlicher Homosex Todkranker durch Nachtwachen und Verwal- tungsangestellte beanstandet würde.

Er propagierte das Motto: „Mein Le- ben war immer eine Party, so soll auch der Tod sein."

Hausarzt und Gesundheitszentren

Mehr auf das Gemeinwohl bezo- gen, wies Glaeske darauf hin, daß 20 Prozent aller Kassenaufwendungen für die letzten zwei Lebensjahre auf- gewendet würden, die nicht immer von mehr Lebensqualität erfüllt sei- en. Er verspricht sich auch im Hin- blick auf die Bedürfnisse von Sterben- den mehr von einer strukturierenden Gebührenordnung, in der er auf Hausarzt und Gesundheitszentren setzt. Nicht erwähnt wurde, daß zum Beispiel in Frankreich solche Ge- sundheitszentren enorm kostentrei- bend waren und deshalb reduziert wurden.

So sehr alle diese Bemühungen zu loben sind, so sehr beschleicht den Beobachter das ungute Gefühl, daß die riesige Gesundheitsbürokratie zu sehr in den allerprivatesten Bereich eindringt, in dem das Individuum sei- nen Frieden mit der Ewigkeit machen muß.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Karl-Heinz Weber Parkstraße 8

45478 Mülheim

Ges

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rächskreis der Friedrich-Ebert-Stiftung

Würdig und ohne Schmerzen sterben

A-1436 (38) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 20, 19. Mai 1995

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