DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
S
chlechterdings unbegreif- lich" nannte es beim 39.Bayerischen Ärztetag der Staatsminister für Arbeit und Sozialordnung, Franz Neu- bauer, daß eine „ärztliche Minderheit" die Fortbildung in Katastrophenmedizin als Kriegsvorbereitung mißver- stehe oder mißverstehen wol- le. Dieser Minderheit erteilten die bayerischen ärztlichen Delegierten in Bad Reichen- hall auch eine klare Absage:
„Seit Jahren bekennt sich die überwiegende Zahl der Ärzte uneingeschränkt zur Ausbil- dung in Katastrophenmedi- zin", heißt es in einer Ent- schließung. Darin wurde auch gefordert, den Ärztlichen Kreisverbänden die Katastro- phenpläne der Behörden zu- gänglich zu machen.
Dies lenkt wieder einmal den Blick darauf, was die Regie- rungen zum Schutz der Bür- ger bei einer etwaigen Kata- strophe unternehmen. Zufäl- lig kann man darüber aus neueren Veröffentlichungen einen bemerkenswerten Zah- lenvergleich anstellen.
Bei einem Fortbildungskon- greß in Wien legte ein schweizerischer Medizinpro- fessor dar, daß die Schweiz
Mangelhaft vorgesorgt
die angestrebte Zahl von ge- schützten Krankenhausbetten nach den Vorschriften des Ka- tastrophen- und Zivilschutzes bereits zu zwei Dritteln er- stellt hat. 88 000 solcher Bet- ten stehen zur Verfügung.
Vorhanden sind unter ande- rem 115 geschützte Opera- tionsstellen und Notspitäler, 400 Operationstische, dazu 770 Sanitätsposten und 300 Sanitätshilfsstellen.
Die entsprechenden Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland: Bei uns gibt es 80 000 Betten in 212 Hilfs- krankenhäusern, wobei aber die Hälfte dieser Betten ober- irdisch und ungeschützt un- tergebracht sind. Strengge- nommen entsprechen bei uns nur 8800 Betten nach Trüm- mer- und Brandsicherheit so- wie ABC-Schutz den Anfor- derungen des Grundschutzes.
Das ist also ein Zehntel der schweizerischen Zahl — und das bei einer etwa zehnmal so großen Bevölkerung!
Was die schweizerischen Ärzte angeht: zweitägige Kurse für Katastrophenmedizin sind schon seit anderthalb Jahr- zehnten für Medizinstudenten der höheren Semester obliga- torisch. Im Staatsexamen ist vor kurzem die Katastrophen- medizin als obligatorisches Teil-Prüfungsfach im Rahmen der Chirurgie eingeführt wor- den. Armee und Zivilschutz können im Bedarfsfall mit bis zu 90 Prozent der schweizeri- schen Ärzte rechnen, die schon jetzt wissen, was sie dann zu tun haben würden, entweder als „Einsatzärzte" oder als
„Triage-Ärzte".
Bei dem Wort „Triage" sträu- ben sich jener „ärztlichen Minderheit" in der Bundesre- publik immer schon die Haa- re. Fälschlicherweise bringen sie ja die Sichtung bei einem Massenanfall von Kranken oder Verletzten mit der Vor- bereitung auf einen Krieg in gedankliche Verbindung. Der traditionsgemäß neutralen Schweiz kann man doch wohl nicht aktive Kriegsvorberei- tung unterstellen. Aber: in welchem Staat besser für die Sicherheit der Bevölkerung gesorgt wird — das kann man an solchen Zahlen ganz ein- deutig ablesen. gb
E
in namhafter deutscher Politiker sagte einmal von einem nicht minder be- kannten Berufskollegen, die- ser wisse nicht, ob 1 Milliarde 100 oder 1000 Millionen sei- en. Tatsächlich tun sich viele schwer, wenn Zahlen in die Millionen oder Milliarden ge- hen. Zum Beispiel: Mehr als 600 Millionen DM werden in der Bundesrepublik Deutsch- land jährlich für soziale Lei- stungen ausgegeben. Stimmt das? Nein. Es sind natürlich 600 Milliarden DM.Über 1000 Milliarden DM, al- so eine Billion, geben die Bundesbürger im Jahr für den privaten Verbrauch aus. Mehr als sechs Billionen DM be-
Wirrwarr um eine Milliarde
trägt das private Vermögen in der Bundesrepublik. Da neh- men sich die 110 Milliarden DM (1986: voraussichtlich 118 Milliarden DM), die die ge- setzlichen Krankenkassen jährlich für die medizinische Heilbehandlung ausgeben, verhältnismäßig gering aus.
Für manchen stellen sich schon sechsstellige Zahlen schlicht als „viel" dar. Ab- strakte Zahlen über eine be- stimmte Größenordnung hin- aus haben daher meist wenig
Aussagekraft. Man muß sie also erst in Beziehung setzen, relativieren. Wer beispiels- weise jeden Tag 1000 DM für irgend etwas bezahlt, hat nach 33 Monaten eine Million DM ausgegeben. Da wird ei- ne Million so recht plastisch.
Vor allem für den Durch- schnittsverdiener. Ein texani- scher Öl-Milliardär hingegen würde nur lässig mit den Schultern zucken: Wenn er je- den Tag 1000 DM unter die Leute bringt, ist die Milliarde erst nach 2738 Jahren ver- braucht. Aber besagter Texa- ner wiederum würde in jenem Fall von einer Billion spre- chen, weil dies eben das US- amerikanische Wort für unse- re Milliarde ist . . . BE
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 45 vom 5. November 1986 (1) 3065