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Archiv "Zum 150. Todestag Hufelands, des Leibarztes der Königin Luise" (22.08.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Zum 150. Todestag Hufelands, des Leibarztes der Königin Luise

r hatte soeben bei Lichten- berg in Göttingen sein Dok- torexamen bestanden. Unmittel- bar darauf wurde er dringend von seiner Familie in Weimar er- wartet. Des Vaters Augenleiden war so weit vorgeschritten, daß dieser seine umfangreiche Arzt- praxis nicht mehr ausführen konnte. Während all die anderen jungen Doktoren wie üblich in fremde Länder zu anderen Uni- versitäten ausschwärmten, um sich noch zusätzliches medizini- sches Wissen anzueignen, muß- te Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) dem Ruf der Pflicht folgen.

Mit jugendlichem Eifer und in fe- ster Zuversicht, geleitet von der Erfahrung des Vaters, arbeitete sich der junge Doktor in den schweren Dienst eines praktizie- renden Arztes ein. Den gut aus- sehenden, stets höflich, aber be- stimmt auftretenden Hufeland nahm die Bevölkerung vertrau- ensvoll auf. Schon die beiden Großväter waren geachtete Ärz- te, auch Leibärzte an thüringi- schen Fürstenhöfen gewesen, der Vater, Dr. Johann Friedrich Hufeland, stand im Dienste des Herzogtums Sachsen-Weimar- Eisenach.

Bald nach seiner Ankunft in Wei- mar wurde der junge Hufeland an den herzoglichen Hof geru- fen. Man war in größter Sorge:

Die älteste Tochter des Herzogs, eineinhalb Jahre alt, war an ei- nem schweren Asthmaanfall er- krankt. Trotz aufopfernder Be- mühung des jungen Arztes starb das Kind nach drei Tagen. Die Familie verhehlte ihre Enttäu- schung nicht. Kurze Zeit später litt die Mutter des Herzogs an ei-

ner Lungenentzündung. Als Hu- felands Behandlung nicht gleich anschlug, wurde der Herzog mißtrauisch und übertrug die Behandlung Professor Stark aus Jena, der aber auch erst vom elf- ten Tage an die Genesung er- reichte. Zu dem Mißgeschick dieser Fälle gesellte sich noch der Tod eines Ehepaars in Wei- mar, das wegen eines Typhus von Hufeland behandelt worden war. In dem knapp 6000 Seelen zählenden Städtchen sprach sich ein so gehäufter Behand- lungsmißerfolg schnell herum.

Der leicht zur Verzagtheit nei- gende Hufeland geriet in depres- sive Verstimmung. Schließlich wollte er doch hoch hinaus. Und nun mußte er erleben, daß der Herzog ihn nicht zum Leibarzt ernannte, sondern ihn mit dem subalternen Titel Hofmedikus abspeiste, der nur das herzogli-

che Gesinde zu behandeln hatte.

„Der Kummer über diese fehlge- schlagene Hoffnung trug gewiß viel zu des Vaters frühem Tode bei", schrieb Hufeland später in seiner Autobiographie.

Es spannt sich ein gewaltiger Bogen in seiner Lebenskurve von diesem mit unverschuldet bösem Vorzeichen versehenen Anfang der Arzttätigkeit zu der glanzvollen Ehrung an ihrem En- de. Die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin lädt am 24. Juli 1833 zu einem Fest- mahl aus Anlaß des 50jährigen Doktorjubiläums Hufelands ein.

Noch nie ist ein Arzt von einer großen Öffentlichkeit so geehrt worden. Hufeland kann selbst nicht teilnehmen. Er ist an einem fortschreitenden Prostataleiden erkrankt. In dieser Zeit hat er sich mit seiner Familie auf sein schlesisches Gut Marxdorf zu- rückgezogen. Das offizielle Ber- lin, die Ärzteschaft in aller Welt, seine Schüler und Freunde be- reiten ihm trotz seiner Abwesen- heit eine glänzende Feier.

Eine riesige Pergamentrolle wird an einer Wand des Saales ent- rollt. Sie enthält Unterschriften von 3200 Personen. Jeder hat Ort und Datum der Bekannt- schaft mit dem jetzt berühmten Arzt eingetragen, zugleich mit der Angabe einer Spende für die Hufelandsche Stiftung zur Unter- stützung in Not geratener Ärzte.

Der Preußenkönig Friedrich Wil- helm III. zeichnet seinen Leibarzt mit dem „Roten Adlerorden I.

Klasse mit Eichenlaub" aus.

Die Erhebung in den erblichen Adelsstand hat Hufeland zuvor nachdrücklich abgelehnt. Die er- Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 34/35 vom 22. August 1986 (61) 2311

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hufelands Gesundheitspolitik

ste Unterschrift auf der Gratula- tionsrolle hat der Kronprinz Friedrich Wilhelm geleistet, ge- folgt von seinen Brüdern Wil- helm, Karl und August. In der Li- ste finden sich auch die Namen der Brüder von Humboldt. Über- häuft wird Hufeland mit Ehrun- gen vieler Universitäten, durch Aufstellung eines erzenen Standbildes und eine Marmor- büste, die in der Universität an- gebracht wird. Berlin und sein Geburtsort Langensalza ernen- nen ihn zu ihrem Ehrenbürger.

Polnische Ärzte schicken ihm ei- nen Silberpokal, und eine be- sondere Ehrung hat sich die Leopoldinische Akademie zu Halle ausgedacht: Eine neue Pflanze erhält den Namen „Hufe- landia".

Kümmerlicher Anfang, feier- licher Ausklang — es muß schon etwas Bedeutungsvolles dazwi- schen gelegen haben!

Gegenüber all den Theorien, die zu seiner Zeit durch die Hirne der deutschen Ärzte geistern, bildet sich in Hufeland allmäh- lich ein ganz einfacher Grund- satz aus, von dem er sein Leben lang nicht mehr abweicht. Ein ty- pisches Schlüsselerlebnis ist das, was er aus Zeitschriften und persönlichen Berichten über Mesmer und den Magnetismus hört: In Wien und Paris schau- kelt sich eine Begeisterungswel- le um diesen Arzt hoch, der seine Anhängerschaft durch magneti- sche Einflüsse bezaubert. Der aber nicht erfüllen kann, was sei- ne Fans von ihm erwarten.

Der Abgang dieser kometenhaf- ten Erscheinung ist für Hufeland der Beweis für die Richtigkeit seines eigenen Grundsatzes:

„Wertvoll für die Medizin ist nur das, was sich am Krankenbett immer wieder und auf Dauer be- währt!" Der noch junge Prakti- kus sieht in dem „Mesmeris- mus" eine Gefahr und greift zur Feder. In Weimar bietet ihm der verehrte Dichter Chr. M. Wieland seinen inzwischen zur führen-

den deutschen Literaturzeit- schrift gewordenen „Teutschen Merkur" zur Veröffentlichung seines Artikels gegen das un- seriöse Treiben Mesmers an. Die gebildeten Kreise in Deutsch- land horchen auf. Geist und Stil des Aufsatzes sind bemerkens- wert. Auch in Weimar gilt Hufe- land plötzlich mehr. Und als er sogar Monographien heraus- bringt — darunter eine über das erste Leichenschauhaus in Deutschland, das er in Weimar bauen ließ —, gehört er zum Establishment. Goethe lädt ihn zu seiner Freitagsgesellschaft ein und bittet ihn um einen Vor- trag. Herzog und Herzoginmut- ter sind anwesend. Hufeland be- eindruckt seine Zuhörer mit phi- losophischen Gedanken über Leben und Lebensbedingungen in Tier-, Pflanzen- und Men- schenwelt im Sinne einer zu er- strebenden Verlängerung des menschlichen Lebens. Der Her- zog ist begeistert, nimmt Goethe beiseite und sagt zu ihm: „Den Hufeland, den mache ich zu ei- nem Professor."

Es hat dann nicht lange gedau- ert, und Hufeland hat in Jena vor einer vielhundertköpfigen Stu- dentenschar Vorlesungen gehal- ten. Schließlich faßte er dann al- le Gedanken, die sich in den letzten Jahren um das Thema der Lebensverlängerung herum- rankten, in einer Art Philosophie zusammen, die 1797 als Buch unter dem Titel: „Die Kunst, das menschliche Leben zu verlän- gern", später mit dem Obertitel

„Makrobiotik" versehen, heraus- kam.

Hufeland breitet in diesem Buch ein naturwissenschaftliches Pan- orama vor seinen Lesern aus, das alle Erkenntnisse damaliger Zeit berücksichtigt. Immer neue Auflagen wurden benötigt, in al- le europäischen Sprachen und ins Chinesische wurde das Buch übersetzt. Nach der „Makrobio- tik" legte Hufeland noch eine Reihe dickleibiger medizinischer Handbücher vor. Berühmte Uni-

versitäten warben um ihn: Kiel, Leipzig, Pavia, Petersburg. In Berlin fand er, was er suchte: Ein großes Krankenhaus, die Chari- te, der er als Direktor vorstand, eine Königsfamilie, für die er als Leibarzt verantwortlich war, und überdies die leitende Funktion im staatlichen Gesundheitswe- sen als preußischer Staatsrat.

Der bekannten Schlichtheit Friedrich Wilhelms III., der be- zaubernden Anmut der vom Volk verehrten Königin Luise und de-

ren beider ernster Religiosität gelang es schnell, ein festes Ver- trauensverhältnis zu ihrem Leib- arzt zu finden. Als die napoleoni- schen Truppen sich Berlin nä- herten, brach die durch jährliche Schwangerschaften geschwäch- te Königin Luise beschleunigt zur Flucht nach dem Osten des Landes auf und bat Hufeland dringend um seine Begleitung.

Innerhalb von vier Stunden saß er reisefertig im Wagen. Auch in den Jahren des Exils hat er sich um die Königsfamilie als Arzt und Berater verdient gemacht.

Wieder in Berlin, steckte H. vol- ler Aufbaupläne. Er war einer der ersten deutschen Ärzte, die die Pockenimpfung in großem Um- fang durchführten. Nicht zuletzt durch seinen Einfluß auf den Kö- nig ist als Standort für die neue Universität Berlin gewählt wor- den, wo er 1810 Dekan der Medi- zinischen Fakultät wurde. In die- sem Bereich wirkte sich seine or- ganisatorische Produktivität voll aus. Hufeland schuf eine absolut neuartige Einrichtung: Eine Po- liklinik, in der jedermann von den Dozenten der Universität un- entgeltlich behandelt wurde.

Das gab es noch nirgendwo. Da- mit nicht genug: Er sammelte ei- nen Fonds, aus dem für völlig Unbemittelte die Arzneien in der neuen Universitätsapotheke ver- billigt bezogen werden konnten.

Im Blick auf soziale Notwendig- keiten stellte Hufeland auch Ver-

• Fortsetzung auf Seite 2314

2312 (62) Heft 34/35 vom 22. August 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FEUILLETON

Günter von Mach: „Madras im Monsun", Öl auf Leinwand, 75x60 getragene Schirme bringen eine un- terschwellige Komik in die bedroh- liche Atmosphäre ein.

Schlaglichter auf eine Ausstellung

Frohwein, von Mach und Quante in München

Nachdem dieses Benn-Jahr den Schreibern der Haute Culture schon zur Menge Anlaß gab, sich über das Wirken doppelbegabter Wesen, ge- nannt Künstlerärzte, auszulassen, stellt sich einmal mehr Gelegenheit dazu ein: eine Gemeinschaftsaus- stellung der Doktoren K. R. Froh- wein, Günter von Mach und Wolf- gang A. Quante in der Münchner Bank, Brienner Straße 53. Das vor- weggenommene Resümee der Aus- stellung erbringt das Ausmachen ei- nes weiten Feldes zwischen „nur"

freizeitlicher Kompensation eines gemeinhin fordernden Berufes und dessen Verarbeitung und Umset- zung. Alter und Alphabet lassen uns unsere Augen zunächst auf die Skulpturen des Münchner Gynäko- logen Dr. K. R. Frohwein richten: Als 1918er Jahrgang hat er seine ärzt- liche Tätigkeit 1979 aufgegeben, um sich der Herstellung von Bronze- und Keramik-Miniaturen zu widmen.

Mögen ihm seine Tierdarstellungen (z. B. eines Stieres mit zum Angriff gesenktem Haupt) vor allem zum Er- lernen kunsthandwerklicher Tech- nik gedient haben, so gibt sein Men- schenbild Grund zur Erwähnung.

Als Beispiel diene hier ein weitvari- iertes Paarmotiv: Ausgehend von ei- nem etwa 30 cm hohen „Tanzpaar", das sich achsensymmetrisch durch- dringt und dessen länglich abstra- hierte Gliedmaßen symbolische Herzformen und vielfältige Raumbe- züge bewirken, gelangt man über Zwischenstufen größerer Abstrak- tion (des ästhetischen Formselbst- zwecks wegen) und stärkerer Ge- schlechtsdifferenzierung zur Rodin- lichen Akt-Bronze eines „Liebespaa- res", das sowohl in der Form als auch durch die personen-ungebun- denen Farben (lila-metallic/braun- schwarz-marmoriert) zur harmoni- schen Verschmelzung gelangt. Auch sonst tragen blaß-hautfarben-brü- chige und schwarz-golden-schim- mernde Glasuren sehr zur Augenfäl- ligkeit seiner Werke bei.

Dr. Dr. med. Günter von Mach (si- gnierend „Jungnickel"), 1937 in Ber- lin geboren, leitet seit 1976 die Ab-

Ausschnitt eines Ölbildes des in Düsseldorf praktizierenden Ortho- päden Dr. Wolfgang A. Quante

teilung für ästhetisch-plastische Chirurgie der Kurklinik Wiedemann in Meersburg. Das heterogene Bild- werk dieser impulsiven Persönlich- keit ist durch ausdrucksstarke Farb- igkeit geprägt. In den späten Sechzi- gern auf Reisen entstandene Ölkrei- dezeichnungen (zumeist Halbmeter- Formate und mit Tempera akzen- tuiert) bieten — ganz sonntagsmale- risch — rasch hingeworfene Moment- aufnahmen und südfranzösische Naturimpressionen, überraschend durch grelle Kontraste und fröhliche Spontanität, verlangend nach natür- lichem Sonnenlicht. Den besinn- lichen Gegenakzent in seinem CEu- vre setzt Mach hier vor allem durch das expressionistisch-dunkle „Ma- dras im Monsun": Diese Straßen- szene zeigt vor einem violett-brau- nen Hintergrund mit weißen Hem- den bekleidete Gestalten; stereotyp

In enge Beziehung treten die beiden Seelen des Künstlerarztes in den surrealistischen Bildern von Dr.

Wolfgang A. Quante: Der 1953 gebo- rene Orthopäde verarbeitet seine in der Chirurgie gewonnenen Erfah- rungen, wie auch seine eigenen Ge- dichte. Handwerklich sehr begabt, bezieht er sich technisch auf den Münchner Maler Bak. Ähnlich Dali konstruiert er symbolgefüllte Wü- stenlandschaften, die sich allerdings nicht ins Unendliche verlieren, son- dern die traumhaften Assoziationen in den Bildvordergrund rücken, zum Relief werden lassen, wobei ihm Schrift genauso als Requisit dienen kann wie Tarok-Kelche oder stilisier- te Mitosen. So wie seine Naturele- mente ornamental werden, wird auch der Mensch zur zumindest schlafenden Statue, zum versteiner- ten Abbild eines Künders prä- und posthistorischer Welten. Inhaltlich- keit drängt sich auf: Auf „Zeit" (180 x 100, Öl auf Leinwand) finden sich die Brustportraits zweier sich gleich- ender Männer, der linke aber jünger, mit nacktem, kraftvollem Oberkör- per, der rechte älter, in ein Gewand verhüllt, seine architektonisch an- mutende Physiognomie mühsam ei- nen Totenschädel verdeckend. Man spürt, das ist die Arbeit eines Künst-

lers. Manuel Bonik

Dr. Dr.

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 34/35 vom 22. August 1986 (63) 2313

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hufelands Gesundheitspolitik DER KOMMENTAR

Endlosschleife

„Große Empfindlichkeit, leichte Er- kältung, Kopfschmerzen, schwache Augen, Hitzblattern, Podagra, Gicht, Hämorrhoiden, Engbrüstig- keit, Schlagflüsse, Lungenknoten, geschwächte Verdauung, Verstop- fung der Eingeweide, Nerven- schwäche, Migräne, Epilepsie, Hy- pochondrie, Melancholie; unsere Lebenssäfte stocken und faulen;

häßliche Leidenschaften: Traurig- keit, Unwillen, Mißvergnügen, Ei- fersucht und Neid, Trotz und Eigen- dünkel, Müßiggang und Unzucht."

Dies ist ein Zitat aus dem Buch „Ap- pell an meine Nation über Aufklä- rung und Aufklärer. Über die Pest der deutschen Literatur." Johann Georg Heinzmann veröffentlichte es 1795 in Bern als Streitschrift ge- gen die Leseexplosion im späten

18. Jahrhundert. Verführung über- all, Heinzmann äußerte sich ent- setzt über die zunehmende Lang- samkeit, über Müßiggang, Be- quemlichkeit, allerdings auch über das Gegensatzpaar „Lernsucht und Nichtsthun" vornehmlich bei den jungen Leuten. Die Entfesselung des Lesens, der Phantasie und des Mitreden-Wollens drohte die intak- te und harmonische Ständeordnung zu zerstören.

Mit der zunehmenden „Lesewut"

immer breiterer Bevölkerungs- schichten sind damals soziale und politische Umwälzungen in Gang gekommen. Welchem Neuen wir uns im Zeitalter der Telekommuni- kation, der Informationsexplosio- nen, der an den Bildschirm ange- schlossenen Computer zu stellen haben, ist noch gar nicht abzu- schätzen.

Wir befinden uns im Übergang von einer schriftbestimmten zu einer bildbestimmten Kultur. Und es wird wie immer lamentiert - Lamentie- ren als Kulturkritik wird zur Endlos- schleife: „Wir amüsieren uns zu To- de", warnt Neil Postman, promi- nenter Kritiker der „Fernsehepide- mie", gar „Fernsehseuche", heut- zutage . . Hartmut Kraft

• Fortsetzung von Seite 2312 gleiche zwischen teuren auslän- dischen und billigen einheimi- schen Heilpflanzen an. Für die überwiegende Menge der Pa- tienten wurde jede längere Krankheit zu einer erheblichen finanziellen Belastung. Unter diesem Gesichtspunkt arbeitete er an der Herausgabe eines Bu- ches, das er die „Armenpharma- kopöe" nannte, und das für alle wesentlichen Krankheiten er- probte Rezepturen mit Preisan- gabe enthielt. Hufeland schreibt im Vorwort: „Die Sorge, unsere Kranken durch unsere Kur nicht auch arm zu machen, sey uns ei- ne der wichtigsten . . . Wie oft sah ich solche Kranke eben so niedergedrückt als durch die Krankheit selbst, und wie oft wurde die ganze Freude über die Wiederherstellung verbittert durch die nun einlaufende unge- heure Apothekenrechnung ..."

Es ist das erste Mal, daß ein Arzt sich dieser sozialen Nöte öffent- lich annimmt.

Es ist auch das erste Mal, daß im Gesundheitswesen solche Kostenprobleme angesprochen werden. Hufeland legt Wert auf die Verarbeitung möglichst in- ländischer Ingredenzien und weist darauf hin — genau so, wie es dem heutigen Kassenarzt vor- geschrieben ist —, daß alle „un- nützen und überflüssigen Zusät- ze, die mehr dem Geschmack"

dienen, vermieden werden sol- len, wie „wohlschmeckende Sy- rupe, aromatische Wässer". Ge- nau so, wie es heute wieder aktu- ell ist, empfiehlt er statt der teu- ren Pillen die pulverförmigen Medikamente, die ebenso wirk- sam seien. Man gebe die Fla- schen und Töpfe der Apotheke zur neuen Verwendung zurück.

Der Arzt möge keine zu große Menge auf einmal verschreiben und wechsle nicht zu oft grund- los das Mittel!

Als die „Pharmakopöe" bekannt wurde, war der preußische Staat schnell zur Stelle. Das unter Na-

poleon ausgepowerte Land ver- fügte 1813, daß die Ärzte in der Armenpraxis und in den Kran- kenhäusern sich dieser Rezeptu- ren — als einer „Positiven Liste"

— zu bedienen hätten. Reste die- ser Standardrezepturen existie- ren noch heute, allerdings mo- dernisiert, als sogenannte Reichsformeln (RF).

Hufeland widmete der vielfach auch von Ärzten angefeindeten Pockenimpfung bis zuletzt seine ganze Kraft, förderte als Direktor der Charite deren internationale Bedeutung, das noch brach lie- gende Badewesen unterstützte er ständig durch Buchveröffent- lichungen und persönliche Ku- ren. Zu den Aufgaben eines Staatsrates gehörte auch die Neugliederung des medizini- schen Studiums und Staatsex- amens.

Hufeland hat sich in leiden- schaftlichem, aber vornehmem Kampf stets gegen das verwir- rende Vordringen vieler einseiti- ger, spekulativer Theorien ge- wandt. Dazu dienten ihm zwei Publikationsorgane, die von den meisten deutschen Ärzten gele- sen wurden: „Journal der practi- schen Arzneikunde" und die da- zugehörige „Practische Biblio- thek". Durch zahlreiche Origi- nalartikel und Kommentare be- wies Hufeland, daß er auf der Hö- he seiner Zeit stand, unmittelbar vor dem explosiven Beginn der modernen Naturwissenschaft. In seinem Aufsatz über „Atmo- sphärische Krankheiten" findet man einen überraschend ah- nungsvollen Satz: „So gut wie das Wasser muß auch die Atmo- sphäre ihre lt-Aschen haben, die freilich jetzt noch unsichtbar sind, vielleicht aber dereinst un- ter einem noch zu erfindenden Mikroskop sichtbar werden."

Welch eine grandiose Prophe- zeiung!

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Helmut Busse Sturmbäume 17

3410 Northeim 1

2314 (64) Heft 34/35 vom 22. August 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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nischen Bürgerkrieges nicht sein, also floh der Vater, ein Gymnasiallehrer, mit seiner Familie nach Argentinien.. Schon ein