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Archiv "Katastrophenmedizin: Sichtungskategorien und deren Dokumentation" (04.08.2003)

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K

rieg, Pestilenz und Katastrophen- ereignisse erheischen nur so lange Interesse, wie sie bestehen“, warn- te schon der berühmte Chirurg Billroth.

Spätestens seit dem 11. September 2001 und nachfolgenden Terroranschlägen ist die Sorge vor Katastrophen bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung allgegenwärtig (5). Mit der Perspektive, einheitliche und pragmatisch handhab- bare Sichtungskategorien sowie einen minimalen Datensatz für die Sichtungs- dokumentation in der Katastrophen- medizin zu konsentieren, trafen sich notfall- und katastrophenmedizinische Experten aus Deutschland sowie eini- gen europäischen Staaten auf Einla- dung der Schutzkommission beim Bun- desminister des Innern an der Akade- mie für Krisenmanagement, Notfallpla- nung und Zivilschutz in Bad Neuenahr- Ahrweiler.

Bei Katastrophen mit fehlender In- frastruktur und einer teils unüberseh- baren Vielzahl von Verletzten oder Er- krankten besteht ein Missverhältnis

von objektiven Therapie-Notwendig- keiten und realen Therapie-Möglich- keiten. Die ärztlich geleitete Sichtung soll gewährleisten, dass möglichst viele Patienten „das Richtige zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ erhalten (3). Ziel der Sichtung in der Katastrophenme- dizin ist eine möglichst lange Aufrecht- erhaltung beziehungsweise möglichst schnelle Wiederherstellung individual- medizinischer Versorgungsstrukturen für eine Vielzahl Geschädigter. Auch bei einem Massenanfall von Verletz- ten/Erkrankten mit einer vorüberge- henden Einschränkung der individual- medizinischen Versorgung ist eine Sich- tung Voraussetzung für die Erstellung eines Behandlungskonzeptes. Konsens bestand darin, die Sichtungskategorien und ihre Behandlungskonsequenzen wie in Tabelle 1 einheitlich für beide Be- reiche zu definieren.

Bei der Diskussion des Problems der Zuordnung zur Sichtungskategorie IV konnten die differenten konträren Stel- lungnahmen einzelner Teilnehmer nicht

angenähert werden. Einmal sollten in diese Gruppe Schwerverletzte und Schwererkrankte mit wenig Überle- bensaussichten eingeordnet werden, während andere in diese Gruppe nur Sterbende oder klinisch Tote eingrup- pieren wollten. Auch bezüglich der Konsequenzen aus der Zuteilung zu dieser Gruppe bestanden zunächst dif- ferente Ansichten.

Juristische Gesichtspunkte sind nachgeordnet

Die Behandlung der Schwerverletzten in IV sollte erst dann beginnen, wenn alle anderen bereits versorgt wurden.

Dies sei rechtsmedizinisch in Öster- reich abgesichert, wie von notfallmedi- zinischen Experten des Nachbarlan- des betont wurde. Einig war man sich allerdings, dass in dieser Phase juristi- sche Gesichtspunkte nicht entschei- dend sein können. Inwieweit der Begriff „abwartende Behandlung“ zur Konsequenz einer späteren oder nur betreuenden Behandlung führt, hängt von den jeweiligen Ressourcen ab, die in einer Katastrophe entsprechend dem (Zeit-)Ablauf zur Verfügung stehen.

Bisher war es teils geübte Praxis, dass in der Sichtungskategorie IV einerseits noch Lebende, andererseits Tote einge- ordnet wurden. Es bestand Einigkeit un- ter den Teilnehmern der Konsensus- Konferenz, dass eine derartige Zusam- menfassung zweier medizinischer Zu- stände in einer Gruppe mit den daraus T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 31–324. August 2003 AA2057

Katastrophenmedizin

Sichtungskategorien und deren Dokumentation

Einigung von Experten aus Deutschland sowie einigen europäischen Staaten

Peter Sefrin Johann Wilhelm Weidringer

1

Wolfgang Weiss

2

´ Tabelle 1 ´

Sichtungskategorien und ihre Behandlungskonsequenzen

Sichtungskategorie Beschreibung Konsequenz

I Akute, vitale Bedrohung Sofortbehandlung

II Schwerverletzt / erkrankt Aufgeschobene

Behandlungsdringlichkeit

III Leicht verletzt / erkrankt Spätere (ambulante)

Behandlung

IV Ohne Überlebenschance Betreuende (abwartende)

Behandlung

Tote Kennzeichnung

Meist findet hierbei das so genannte Ampel-Schema für die vier Sichtungsgruppen Verwendung (je nach verwendeter Grundfarbe des Dokumentationssystems):

rot = Sichtungsgruppe I; gelb = Sichtungsgruppe II; grün = Sichtungsgruppe III;

grau oder blau oder schwarz = Sichtungsgruppe IV

1Bayerische Landesärztekammer, Mühlbaurstraße 16, 81677 München

2Schutzkommission beim Bundesminister des Innern, c/o Bundesamt für Strahlenschutz, Rosastraße 9, 79098 Freiburg

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resultierenden therapeutischen Konse- quenzen nicht möglich ist. So wurde eine weitere Kategorie für Tote eingeführt, das heißt für Betroffene, bei denen zum Zeitpunkt der Sichtung ein Ausfall der Vitalfunktionen festgestellt wurde.

Grund hierfür ist auch, dass eine Er- weiterung der Sichtungskategorien vor dem Hintergrund der international angewandten vier Sichtungsgruppen (farblich zugeordnet dem bereits er- wähnten Ampel-Schema) nicht möglich erscheint, sodass die Sichtungskatego- rie IV ausschließlich für Patienten vor- zusehen ist, die aufgrund ihrer Schädi- gung keine Überlebenschancen unter den besonderen Bedingungen einer Ka- tastrophe und den aktuell zur Verfü- gung stehenden Versorgungsmöglich- keiten haben. Tote werden demzufolge nicht in einer gesonderten Sichtungska- tegorie geführt, sondern, nachdem der Tod von einem Sichtungsarzt festge- stellt wurde, gesondert gekennzeichnet.

Es wurde übereinstimmend festge- stellt, dass die Entscheidung, wann ein Transport durchzuführen ist, erst nach Durchführung der Sichtung und nach der ersten Therapie am Notfallort ge- fällt werden kann. Damit stellt die Transportentscheidung einen weiteren getrennten Schritt nach Zuordnung der Behandlungspriorität dar.

Der zuständige Leitende Notarzt entscheidet

Es bestand Konsens darüber, dass in Analogie zu der in Österreich etablier- ten Kennzeichnung eine

a) hohe Transportpriorität und b) niedrige Transportpriorität als Entscheidungsgrundlage verwen- det werden sollten. Ausschließlich bei einem länger andauernden Missver- hältnis von Therapienotwendigkeiten einerseits und Therapiemöglichkeiten andererseits entscheidet der zuständige Leitende Notarzt über die Anwendung der Kriterien für die Sichtung.

Es existiert aus unterschiedlichen Gründen eine Vielzahl von Dokumen- tationssystemen für die Sichtung. Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe formulierte die aufgeführten, in der Folge konsentier- ten Anforderungen an eine Sichtungs- dokumentation:

> Einfache Primärerfassung

> Eindeutige Patientenkennzeich- nung (Patienten-Identifikations- nummer)

> Nacherfassung weiterer Daten, so- wohl vor Ort als auch dezentral bei Verknüpfungsmöglichkeit mit an- deren Systemen

> Datenabgleich

> Patientenrecherche.

Der in Tabelle 2 aufgeführte obli- gate Mindestdatensatz zur Sichtungs- dokumentation wurde konsentiert. Des Weiteren sollen im Mindestdatensatz die (durchgeführte) Therapie (diese Daten in Kurzfassung durch Ankreuz- felder dokumentiert), das (Transport-) Fahrzeug, die Zielklinik sowie ein freies Feld für die Dokumentation von Be-

sonderheiten verbindlich für den Be- reich des Rettungsdienstes und des Ka- tastrophenschutzes vorhanden sein.

Es bestand Einigkeit darüber, dass diese Dokumentation auch zum Zwecke des Suchdienstes verwendet werden kann und hierzu – wenn Name und Vorname des Patienten zunächst nicht eruiert werden können – zumin- dest die Identifikation männlich oder weiblich enthalten sein sollte, weiterhin das Alter (möglichst Geburtsdatum) so- wie die Nationalität.

Die Farbcodierung sollte zur besse- ren Lesbarkeit in Deutsch beziehungs- weise der jeweiligen Landessprache, für Helfer mit Farbenfehlsichtigkeit oder Farbenschwächen sowie wegen der er- schwerten Erkennbarkeit von Farben bei ungünstigen Beleuchtungsverhält- nissen zusätzlich aufgedruckt die Sich- tungskategorien aufweisen. Bezüglich (radioaktiv) kontaminierter Patienten wurde angeregt, diese – wie in Öster- reich realisiert – mit einem reflektieren- den gelben Dreieck zu markieren.

Bezüglich der funktionellen Anfor- derungen an die Dokumentationssy- steme wurden folgende Postulate,

(nicht im Sinne von Ausschreibungskri- terien) konsentiert:

> wetterfest (auch bei Extremtem- peraturen)

> wasserfest

> stabil, widerstandsfähig

> sicherer Kontakt mit dem Patienten

> Patientennummer mehrfach vor- handen (zum Beispiel Aufkleber )

> dauerhaft beschriftbar.

Diese Anforderungen sind nicht im Sinne von Ausschreibungskriterien für Firmen gedacht. Zur Gestaltung des Dokumentationsinstrumentes wurde konsentiert, dass hierzu eine beschrift- bare Tasche verwendet werden soll; als Vorteil einer Tasche wurde gesehen, dass in diese weitere Papiere (zum Bei- spiel Notarztprotokoll, Personalaus-

weis, Patientenpass) aufgenommen werden können.

Ein möglichst hoher Verbreitungs- grad sowie eine möglichst gute Kennt- nis der in der oben genannten Tabelle dargestellten Grundlagen für die Sich- tung und deren Dokumentation in der Katastrophenmedizin soll eine gemein- same Basis bilden helfen für die medizi- nische Versorgung für Patienten, wenn präventive Maßnahmen nicht ausge- reicht haben und eine Katastrophensi- tuation gegeben ist.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 2057–2058 [Heft 31–32]

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Peter Sefrin

Leiter der Sektion Präklinische Notfallmedizin Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie der Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 2 97080 Würzburg

E-Mail: sefrin_p@klinik.uni-wuerzburg.de

Die Autoren haben den Beitrag stellvertretend für die Teilnehmer der Konsensus-Konferenzen verfasst. Die Teil- nehmerliste ist im Internet unter www.aerzteblatt.de/

plus3103, das Literaturverzeichnis unter www.aerzte blatt.de/lit3103 abrufbar.

T H E M E N D E R Z E I T

A

A2058 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 31–324. August 2003

´ Tabelle 2CC´

Mindestdatensatz zur Sichtungsdokumentation

Patientennummer unverwechselbare Identifikationsnummer Sichtungskategorie farbcodiert nach in römischen Zahlen Ampel-Schema

Kurz-Diagnose einschließlich „Strichmännchen“

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