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Archiv "Boris Pasternak: Zwischen den Stühlen" (18.06.2010)

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BORIS PASTERNAK

Zwischen den Stühlen

Vor 50 Jahren starb der Autor des unter anderem auch durch seine Verfilmung weltberühmten Romans „Doktor Schiwago“.

V

on Sir Arthur Conan Doyles Doktor Watson bis zu Doktor Pascal in Emile Zolas gleichnami- gem Roman sind Ärzte in der Lite- ratur zahlreich vertreten. Doch kaum einer berührt so tief wie der von Boris Pasternak geschaffene

„Doktor Schiwago“. David Lean, der das Buch 1965 verfilmte, nann- te es ein „verkapptes Gedicht“. Die Geschichte um den Arzt und Dich- ter Jurij Schiwago macht seinen Autor weltberühmt. Den Roman schreibt Pasternak in einer Art von

„innerem“ Exil. Zweimal steht er kurz davor, Russland zu verlassen.

Nach der Oktoberrevolution emi- grieren seine Eltern und Schwes- tern. Als nach Erscheinen des Ro- mans Teile der Sowjetpresse seine Ausweisung fordern, bittet Paster- nak in einem Brief an Nikita Chruschtschow, ihm ein solches Schicksal zu ersparen.

Dabei ist Jurij Schiwago – wie Pasternak – kein Gegner der Revo- lution. Doch er macht sich nicht ge- mein mit denen, die ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen wollen.

Da mit sitzt er zwischen den Stüh- len: „Den gemäßigten Elementen, de ren Stumpfsinn Schiwago ärger- lich machte, schien der Doktor ge- fährlich zu sein; den politisch Enga- gierten war er nicht rot genug. Er gehörte weder der einen noch der anderen Gruppe an.“

Schiwago ist etwa zur selben Zeit geboren wie sein Autor, der im Jahr 1890 das Licht der Welt er- blickte. Die Handlung des Romans erstreckt sich über fast drei Jahr- zehnte und endet mit Schiwagos frühem Tod 1929. Ein Epilog führt ins Kriegsjahr 1943. Schiwago wächst bei einer Pflegefamilie auf und studiert trotz großer Neigung zu Kunst und Geschichte Medizin:

Doch bereits als Gymnasiast träumt er davon, ein „Buch des Lebens“ zu

schreiben. Seine Gedichte sind dem Roman als Anhang beigefügt. Auf dem Hintergrund der Zeitgeschich- te Russlands schildert Pasternak das bewegende und leidvolle Leben sei- nes Helden. So verknüpft der Ro- man konkret Historisches mit dem Schicksal Schiwagos, das sinnbild- lich für das Schicksal des russi- schen Volkes steht.

Schreibt der Dichter Pasternak zunächst vor allem für einen klei- nen Kreis, zeigt er sich nach eige- nem Bekunden froh darüber, mit

„Doktor Schiwago“ ein jedermann zugängliches Werk geschaffen zu haben – „meine größte und wich- tigste Arbeit (. . .), die einzige, de- ren ich mich nicht schäme (. . .)“, heißt es in seiner Autobiografie.

Dabei liest das Buch sich nicht leicht. Schiwago setzt sich intensiv mit Kunst und Philosophie ausein- ander und bezieht Position. Und es

ist ein trauriges Buch. Doch auch wenn der einzelne scheitert – Trost bietet das Leben selbst mit seiner Fähigkeit zur Selbsterneuerung, das Ideen von gewaltsamer Vervoll- kommnung eine Absage erteilt.

Etwa zehn Jahre arbeitet Paster- nak an seinem einzigen Roman, 1956 ist das Manuskript fertig.

Auch drei Jahre nach Stalins Tod darf das Buch in der Sowjetunion nicht erscheinen. Zu deutlich for- muliert Schiwago/Pasternak seine Kritik an absurden Verkennungen der Realität und gewalttätigen Aus- wüchsen der jungen Revolution.

Schwerer noch wiegen seine Kritik am Marxismus, den er für unwis- senschaftlich hält, und seine sarkas- tische Ablehnung jeder Form von Propaganda: „Ich kenne keine geis- tige Bewegung, die mehr auf sich selber bezogen und weiter entfernt von den Tatsachen wäre als der Marxismus.“ 1957 erscheint „Dok- tor Schiwago“ in Italien, erst unter Michail Gorbatschow wird der Ro- man in der Sowjetunion veröffent- licht. 1958 erhält Pasternak den Li- teratur-Nobelpreis. Er lehnt aller- dings auf Druck der sowjetischen Machthaber die Annahme ab. Den- noch schließt der Moskauer Schrift- stellerverband ihn aus. Von Kind- heit an ist Pasternak der westeuro- päischen Kultur verbunden, über- trägt Goethes „Faust“ und Werke von Kleist, Schiller und Shake- speare ins Russische. Doch er will seine Heimat nicht verlassen. Am 30. Mai 1960 ist Boris Pasternak im Dorf Peredelkino bei Moskau ge-

storben. ■

Christof Goddemeier

Fotos: Picture-Alliance

K U L T U R

Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 24

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18. Juni 2010 A 1215

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