Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 45|
6. November 2009 A 2255 gerne die Chance und wechselt alsArzt in den Sanitätsdienst der Wehrmacht. Er zieht mit Hitler in den Krieg, erfährt 1942 in der Ukraine gerüchteweise von den Massenerschießungen der Juden in Rowno. E. H. habe nun – so glaubt sein Sohn – die Judenvernichtung als ein Faktum begriffen und dass er einem verbrecherischen Regime verfallen sei. Seiner Schuld durch Duldung sei er sich später – das zeigten Tagebuchaufzeichnungen – durchaus bewusst gewesen. Aller- dings sei dieser Konflikt nie nach außen getragen worden.
Der Werdegang seines Vaters er- scheint Christian Holland beispiel- haft für viele Hunderttausende In- tellektuelle in dieser Zeit. „Aber man vermisst Äußerungen in den Tagebucheinträgen nach 1945, dass er sich dieser Gesinnung in der Vergangenheit geschämt hat“, sagt Holland. Er dagegen trage die Last dieser Vergangenheit mit sich, und es komme auch heute durch- aus noch vor, dass er bei Gesprä- chen über die deutsche NS-Ver- gangenheit die Fassung verliere.
„Mein Vater war ja kein bedeu- tender Mann“, bemerkt Holland noch. „Aber dadurch, dass er über diesen ganzen Zeitraum seine Ge- danken zu Papier gebracht hat, ge- winnt er eine exemplarische zeitge- schichtliche Bedeutung. Ich möch- te, dass gerade junge Menschen er- fahren, wie ernste und nachdenkli- che Menschen einer Ideologie ver- fallen können.“
Christian Holland, noch in der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärzte- kammer Nordrhein und als Gutach- ter vor Gericht ärztlich tätig, hat nach Abschluss der Tagebuchediti- on mehr Zeit für ein anderes Pro- jekt. Mit anderen Kunstliebhabern will er die frühere Sichtachse über den Niederrhein vom Barockgarten in Kleve auf die Sankt-Vitus-Kirche in Hochelten mit zwölf Skulpturen international bekannter Künstler besetzen. Die beiden ersten Skulp- turen können bald realisiert werden.
„Das ganze Projekt ist auf 30 bis 40 Jahre angelegt – das kann mich
ruhig überdauern.“ ■
Thomas Gerst
Christian Holland:
E.H. 1901–1972. Ein deutsches Leben.
Skulpturen-Achse, Emmerich 2009, 368 Seiten, kartoniert, 25 Euro, Bestellung nur über den Verlag Skulpturen-Achse, Amselweg 11, 46446 Emmerich
FILMKRITIK
„Man wird es früh genug erfahren“
R
ichard liegt auf der Isolierstation.Seine Eltern tragen ei- nen Mundschutz, als sie ihn umarmen. An der Wand hängen seine Fußballmedaillen. Len- nie bestaunt den Baby- bauch seiner Mutter und hört ihn aufgeregt mit einem Stethoskop ab.
Unter Lennies Pullover schauen Schläuche hervor. Pauline will Schauspielerin werden und probt eine Szene aus der Zauberflöte. Es gebe kein Richtig oder Falsch, nur ein Hier und Jetzt, schreibt sie in ihr Tagebuch.
Richard, Lennie und Pauline ha- ben Blutkrebs. Der mehrfach preis- gekrönte Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer begleitet sie und ihre Familien in seinem Film „Seelenvö- gel“ durch ihren Alltag aus Angst,
Tapferkeit und inniger Lebensliebe. Behutsam und in fließenden Bil- dern zeigt er den Men- schen als Wanderer durch ein traurig schönes, wun- dersames und geheim- nisvolles Dasein.
„Seelenvögel“ ist ein zutiefst bewegender Film über den Tod und das Leben, der hinter dem Weltlichen eine Poesie des Menschseins im Zusammenklang mit der Natur in zarten Bildern erspürt und ein we- nig die Angst vor dem Ende zer- streut. Nach dem Tod, sinniert Ri- chard einmal, kommt vielleicht ein ewiger Schlaf, vielleicht der Him- mel oder ein Weiterleben in den Herzen anderer Menschen. Und er resümiert: „Man wird es schon früh
genug erfahren.“ ■
Falk Osterloh
DRESDEN
Konzerthausstreit
U
nverdrossen wirbt die Interes- sengemeinschaft Neues Kon- zerthaus Dresden (Goetheallee 53 A, 01309 Dresden) für den Neubau ei- nes Konzerthauses in der Sächsi- schen Hauptstadt, das die Sächsi- sche Staatskapelle und die Dresde- ner Philharmonie beheimaten soll.Die Initiative geht wesentlich von zwei Ärzten aus, dem ehemaligen und dem gegenwärtigen Präsidenten der Sächsischen Landesärztekam- mer, Prof. Dr. med. habil. Heinz Diettrich beziehungsweise Prof. Dr.
med. habil. Jan Schulze, und wird von prominenten Künstlern, von Ar- chitekten und Kulturmanagern un- terstützt. An der Finanzierung könn- te sich, so die Idee der Initiatoren, auch die Ärzteversorgung beteiligen.
Bisher spielen die Staatskapelle in der Semperoper und die Philharmo- nie im ehemaligen Kulturpalast (heute „Kulturhaus“), beide für Kon-
zertaufführungen akustisch proble- matisch. Die Stadt hatte sich deshalb 2008 darauf festgelegt, das Kultur- haus aus DDR-Zeiten für die Phil- harmonie umzubauen. Die Interes- sengemeinschaft der Konzertfreunde favorisiert hingegen einen Neubau mit Konzert- und Kammermusiksaal an repräsentativer Stelle, etwa am Elbufer, um dem europäischen Rang der Orchester gerecht zu werden; der wurde kürzlich noch unterstrichen, als bekannt wurde, dass Christian Thielemann 2012 von München als Chefdirigent zur Staatskapelle nach Dresden wechselt.
Über die Um- oder Neubaupläne wird seit Monaten in Dresden mit wechselnden Koalitionen heftig ge- stritten. Die Stadt plant indes unver- drossen am Umbau des alten Kul- turpalastes. Im November soll der Stadtrat dazu beschließen. ■
Norbert Jachertz