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Archiv "Grenzen der Politikberatung" (16.07.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Grenzen Fritz Beske

der Politikberatung

Eine Epikrise der Enquete-Kommission des Deutschen Bundes- tages „Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung"

Kommission endete jedoch im De- zember 1989.

Zusammengefaßt bedeutete der Auftrag, praktisch die gesamte Struktur der gesetzlichen Kranken- versicherung zu analysieren, Schwä- chen aufzuzeigen und ein Konzept zu entwickeln, das alle von der Enquete-Kommission aufgezeigten oder empfundenen Mängel behebt — ein Auftrag, wie er sich umfassender kaum vorgestellt werden kann.

Vorbemerkung

Der Untertitel dieses Aufsatzes lautet eine Epikrise, nicht Epikrise oder die Epikrise. Damit soll deut- lich gemacht werden, daß es sich um eine Epikrise von mehreren möglichen Epikrisen handelt. Die Epikrise als einzig mögliche abschließende Beur- teilung der Arbeit der Enquete- Kommission des Deutschen Bundes- tages „Strukturreform der gesetzli- chen Krankenversicherung" (im fol- genden kurz „Enquete-Kommissi- on") kann es nicht geben. Jedes Mit- glied der Enquete-Kommission wür- de wahrscheinlich eine andere Epi- krise schreiben.

Auftrag

Auf Antrag der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages vom 20.

Mai 1987 beschloß der Bundestag die Einsetzung einer Enquete-Kom- mission „Strukturreform der gesetz- lichen Krankenversicherung". Im Einsetzungsbeschluß heißt es:

„Die Kommission hat die Aufgabe, 1. die Strukturen unseres Krankenversi- cherungssystems zu analysieren und seine Schwächen und Mängel aufzuzeigen;

2. zu prüfen, ob im System der gesund- heitlichen Versorgung eine Orientierung an gesundheitspolitischen Zielen und Prioritä- ten bisher möglich ist und wer gegebenenfalls Ziele und Prioritäten vorgibt;

3. zu prüfen, ob die Aufgabenwahrneh- mung der Krankenversicherung im Hinblick auf die Erreichung solcher Ziele und die Ein- haltung von Prioritäten ausreichend steuer- bar ist;

4. zu untersuchen, ob die Träger der ge- setzlichen Krankenversicherung bei vertragli- chen Regelungen die Interessen ihrer Mit- glieder in gleichem Maße zur Geltung brin- gen können, wie der Erbringer von Gesund- heitsleistungen;

5. zu prüfen, ob der rechtliche Rahmen für die Selbstverwaltung und die praktische Anwendung ihrer Prinzipien in den verschie-

denen Bereichen den Anforderungen ent- spricht, die an eine leistungsfähige und mit- gliederorientierte Selbstverwaltung gestellt werden müssen;

6. die Bedingungen zu definieren, die das Prinzip der Solidarität in einem leistungsfähi- gen Krankenversicherungssystem garantiert;

7. zu untersuchen, in welchem Umfang im Leistungs-, Beitrags-, Mitgliedschaft- und Vertragsrecht mit der Leistungserbringersei- te für die verschiedenen Kassenarten unter- schiedliches Recht besteht und gleiche Tatbe- stände unterschiedlich behandelt werden;

8. Vor- und Nachteile eines Sachlei- stungssystems aufzuzeigen, sie denen eines Kostenerstattungssystems gegenüberstellen und insgesamt unter den Erfordernissen ei- ner sozialen Krankenversicherung zu bewer- ten."

Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der so festgelegten Aufgaben hatte die Kom- mission bis 30. September 1988 Vorschläge für eine Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung vorzulegen, die das Krankenversicherungsrecht im Sozialgesetz- buch kodifizieren.

Auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 27. Okto- ber 1988 wurde der Antrag an die Enquete-Kommission wie folgt er- weitert:

„1. Der Bundestag hat am 4. 6. 1987 eine Enquete-Kommission ,Strukturreform der ge- setzlichen Krankenversicherung' nach § 56 der Geschäftsordnung eingesetzt mit der Auf- gabe, Vorschläge für eine Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung, die das Krankenversicherungsrecht im Sozialgesetz- buch kodifiziert, bis zum 30. 9. 1988 vorzule- gen.

Der Bundestag stellt fest, daß dieser Auf- trag von der Enquete-Kommission bis zu die- sem Termin nicht abschließend erfüllt wer- den konnte.

Die Enquete-Kommission wird beauf- tragt, bis zum 30. 6. 1989 Vorschläge für die Organisationsstrukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung und für eine sachge- rechte Lösung der Überkapazitäten in der ge- setzlichen Krankenversicherung einschließ- lich des Krankenhausbereiches zu erarbei- ten."

Der Abgabetermin wurde dann einschließlich der letzten Lesung bis zum 28. Februar 1990 verlängert.

Die eigentliche Arbeit der Enquete-

Zusammensetzung der Kommission

Nach dem Beschluß des Deut- schen Bundestages setzte sich die Enquete-Kommission aus neun Ab- geordneten des Deutschen Bundes- tages, entsprechend dem Verhältnis der Fraktionen, also 4:3:1:1, und neun, nicht dem Deutschen Bundes- tag, der Bundes- oder einer Landes- regierung angehörenden Sachver- ständigen zusammen. Dabei sollten unter anderem Vertreter aus den Bereichen der Wirtschaftswissen- schaften, der Sozialwissenschaften, der Rechtswissenschaften und der medizinischen, zahnmedizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft Berücksichtigung finden.

Die Sachverständigen wurden vom Deutschen Bundestag auf Vor- schlag der Fraktionen und damit ebenfalls im Verhältnis 4:3:1:1 ge- wählt. Sie setzten sich aus drei V er- tretern der Wirtschaftswissenschaf- ten, zwei Vertretern der Rechtswis- senschaften, einem Vertreter der So- zialwissenschaften, zwei Vertretern der medizinischen Wissenschaft und einem ehemaligen Bundestagsabge- ordneten mit umfassenden Kennt- nissen im Krankenversicherungs- und Sozialrecht zusammen.

Beurteilung

Von Beginn der Kommissionsar- beit an wurde deutlich, daß ein Auf- trag dieses Umfanges in der für die Kommissionsarbeit zur Verfügung stehenden Zeit nicht bewältigt wer- den konnte.

Unabhängig jedoch von dem für die Kommissionsarbeit zur Verfü- Dt. Ärztebl. 87, Heft 28/29, 16. Juli 1990 (27) A-2215

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gung stehenden Zeitrahmen muß festgestellt werden, daß ein so um- fangreiches und zudem politisch um- strittenes Thema wohl von keiner Enquete-Kommission zufriedenstel- lend bearbeitet werden kann. Im Sinne einer wohlverstandenen Poli- tikberatung — und dies war der Auf- trag der Enquete-Kommission -- hät- te eine detaillierte Analyse aller Teilbereiche der gesundheitlichen Versorgung und des Zusammenwir- kens dieser Teilbereiche im Gesamt- system vorgelegt werden müssen, ge- folgt von einer Mängelbeschreibung und schließlich von alternativen Ent- scheidungsmöglichkeiten — jeweils mit Begründung, Darstellung von Vor- und Nachteilen des jeweiligen Lösungsvorschlages und Aufzeigung der Konsequenzen. Dies konnte nicht geleistet werden. Allerdings hat es die Mehrheit der Kommission auch abgelehnt, begründete Alterna- tiven mit der Darstellung von Vor- und Nachteilen und Konsequenzen aufzuzeigen.

Heterogenität der Mitglieder

Ein weiteres Problem der Korn- missionsarbeit war die Heterogenität ihrer Mitglieder, nicht etwa, weil es sich sowohl um Bundestagsabgeord- nete als auch um Sachverständige handelte, und auch nicht, weil unter- schiedliche Wissenschaftsbereiche vertreten waren (das kann nur be- grüßt werden), sondern weil politi- sche Grundpositionen bei den Vor- schlägen bereits bei der analytischen Darstellung nicht aufgegeben wur- den und letztlich auch nicht aufgege- ben werden konnten. Politiker kön- nen ihre Grundpositionen im Rah- men der Arbeit einer Enquete-Kom- mission nicht aufgeben. Sie werden, trotz aller Kompromißbereitschaft, weiter versuchen, ihre Grundpositio- nen im Endbericht verwirklicht zu sehen. Ist das nicht erreichbar, wer- den Vorschläge mit Mehrheits- und Minderheitsvoten verabschiedet. So auch im Endbericht der Enquete- Kommission.

Auch der Sachverständige ist nicht frei von politischen Grundvor- stellungen. Eine völlig vorurteilsfreie

Beurteilung insbesondere im politi- schen Bereich, und das Gesundheits- wesen ist ein politischer Bereich, kann auch der Sachverständige, oft ein Wissenschaftler, nicht geben.

Wenn auch die Kompromißbereit- schaft wegen des nicht vorhandenen Zwanges, sich in seiner Fraktion, sei- ner Partei oder seinem Wahlvolk für die von ihm vertretene Auffassung rechtfertigen zu müssen, nicht gege- ben ist, so wird doch in Grundsatz- fragen kein Sachverständiger anders entscheiden, als es seiner politischen Grundauffassung entspricht. Ein an der Marktwirtschaft orientierter Ökonom wird sich nicht bereit fin- den, in einem Enquetebericht Grundsätzen der Planwirtschaft zu- zustimmen. Ein planwirtschaftlich orientierter Sachverständiger wird nicht bereit sein, seine Position zu- gunsten einer marktwirtschaftlichen Betrachtungsweise aufzugeben. Von daher kann eine Enquete-Kommis- sion so, wie sie durch den Bundestag zusammengesetzt worden war, nicht zu einer in sich geschlossenen Auf- fassung über die Analyse, die Män- gel und die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung kommen.

Konzeptionen, die für einen Teilbereich des gesellschaftlichen Lebens, in diesem Falle des Gesund- heitswesens, eine in die Zukunft ge- richtete Bedeutung haben, können daher nur von Einzelpersonen erar- beitet werden oder von Personen- gruppen, die eine gemeinsame politi- sche Grundauffassung haben. Selbst dann ist ein Kompromiß im einzel- nen schwer zu finden.

Sekretariat

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Der Enquete-Kommission stand ein Sekretariat zur Verfügung. Die- ses Sekretariat konnte verständli- cherweise erst im Laufe von Mona- ten besetzt werden, wobei die Zahl der im Sekretariat zur Verfügung stehenden Mitarbeiter nach Auffas- sung der Kommissionsmitglieder zu keiner Zeit ausgereicht hat, um die Aufgaben der Enquete-Kommission zügig zu unterstützen. Das traf ins- besondere für wissenschaftliche Mit- arbeiter zu.

Zur Arbeit

der Kommission

Die Enquete-Kommission hat unter der geschickten und objektiven Leitung ihres Vorsitzenden im allge- meinen harmonisch, mit gegenseiti- gem Verständnis und mit viel Zeit- aufwand gearbeitet. Das Sekretariat ist bis an die Grenzen seiner Lei- stungsfähigkeit gefordert worden.

Die Tatsache, daß der Endbericht in wesentlichen Teilen kontrovers ver- abschiedet worden ist und auch für viele Teilgebiete nicht die von der Enquete-Kommission erhofften Vor- schläge oder alternativen Entschei- dungsmöglichkeiten enthält, kann nicht den Mitgliedern der Enquete- Kommission angelastet werden.

Es bleibt die Erkenntnis, daß Kommissionen, die so wie diese En- quete-Kommission zusammengesetzt sind, nicht in der Lage sind, einen derart umfassenden, politisch be- frachteten Auftrag zufriedenstellend zu erledigen.

Konsequenzen

Der Deutsche Bundestag wäre gut beraten, wenn er in Zukunft auf solche umfassenden Aufträge an Enquete-Kommissionen verzichten würde. Themen, die solchen Kom- missionen überwiesen werden, soll- ten begrenzt und möglichst klar defi- niert sein. Enquete-Kommissionen sollten die für den Auftrag erforder- liche Zeit und die für die Arbeit der Enquete-Kommission unentbehr- liche Hilfe durch ein dem Auftrag angemessenes Sekretariat zur Verfü- gung gestellt werden. Unter diesen Voraussetzungen haben Enquete- Kommissionen als Mittel der Politik- beratung auch in Zukunft ihre Be- deutung.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Fritz Beske, M.P.H.

Institut für Gesundheits- System-Forschung

Weimarer Straße 8, 23 Kiel-Wik

Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kom- mission des Deutschen Bundestages zur Strukturreform der gesetzlichen Kranken- versicherung

A-2216 (28) Dt. Ärztebl. 87, Heft 28/29, 16. Juli 1990

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