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S P E K T R U M AKUT
(4) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 13, 27. März 1998
Auf historischen Spuren von HIV
Erste Infektionen in den 50er Jahren
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aß die Immunschwäche AIDS erstmals in Afrika auftrat, war anhand der Ähnlichkeit des Retrovirus mit Affenviren lange vermu- tet worden. Wann und wo das Virus zum „Sprung“zur Spezies Mensch ansetzte, war jedoch unklar. Die Chancen, dieses archetypische AIDS-Virus zu ent- decken, wurden als gering eingestuft. Afrika ist kein Forschungsschwerpunkt, und es gibt nur wenige alte Serumproben, die man man heute noch untersuchen könnte. Das älteste bisher bekannte HI-Virus wurde denn auch in Europa gefunden: Bei einer norwegi- schen Familie, die sich vor 1971 infiziert hatte. Völlig überraschend meldete dann 1986 der amerikanische Virologe André Nahmias (Emory-Universität, At- lanta), er habe eine HIV-positive Serumprobe aus dem Jahr 1959 entdeckt.
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ie stammt von einem Mann aus Leopoldville (heute Kinshasa), einer von 1 200 Teilneh- mern einer Studie zur Genetik des Immunsy- stems, die in verschiedenen Regionen Afrikas durch- geführt worden war. Die Nachricht stieß damals auf Skepsis, zumal Nahmias es ablehnte, die Serumprobe für weitere Untersuchungen zur Verfügung zu stel- len. Im letzten Jahr konnte der renommierte AIDS- Forscher David Ho (Aaron Diamond AIDS Research Center, New York) Nahmias dann doch überreden, ihn mit einer PCR-Gensonde nach Virus- genen suchen zu lassen. Wie die Forscher jetzt in Nature (1998; 391: 594) berichten, gelang es ihnen, Virusgene aufzuspüren – allerdings in sehr geringen Mengen: Verteilt auf vier Abschnitte, wurden etwa 15 Prozent des HIV-Genoms gefunden. Die Sequen- zierung zeigte, daß „ZR59“ mit drei von sieben bekannten HIV-Subtypen verwandt ist.G
efunden wurde also nicht das „Ur“-HIV, wohl aber ein enger Verwandter. Aus dem Ver- gleich der Virussequenzen schließen die Wis- senschaftler, daß sich Menschen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – vermutlich in den 50er Jahren – erstmals infizierten. Der Fund ist mehr als eine histo- rische Fußnote. Der Vergleich mit heutigen Viren zeigt den Forschern, welche Abschnitte des Virus sich bis heute am wenigsten verändert haben. Diese, in der Evolution des AIDS-Erregers „konservier- ten“, Gene könnten die Grundlage für einen Impf- stoff abgeben. Er würde eine Immunität gegen ein breites Spektrum gegenwärtiger HIV-Subtypen ge- währen und würde auch bei zukünftigen genetischen Veränderungen des Virus nicht gleich wirkungsloswerden. Rüdiger Meyer