A-1929
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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 30, 30. Juli 1999 (1)
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undeskanzler Gerhard Schröder hat sich in den es- kalierenden Streit um die Ausformung der Gesundheitsre- form 2000 zu Beginn der parla- mentarischen Sommerpause ein- geschaltet. Zum zweiten Mal üb- rigens, nachdem sich Bundes- gesundheitsministerin Andrea Fi- scher bereits vor elf Wochen beim Kanzler Rückendeckung für das Reformprojekt und die exakte Einhaltung des straffen Zeitplanes geholt hatte.Bei dem Treffen am 15. Juli in Bonn, bei dem Gesundheitsstaats- sekretär Erwin Jordan, der Prä- sident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hop- pe, und der Vorsitzende der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Winfried Schorre, teil- nahmen, gab es zumindest einen Konsens: Das Bundesgesundheits- ministerium wurde angehalten, die Gespräche mit allen Beteiligten sachorientiert zügig fortzusetzen, und zwar nicht nur bilateral, son- dern mit allen Beteiligten. In ge- meinsamen Gesprächsrunden sol- len für die noch umstrittenen Be- reiche tragfähige Kompromisse er- arbeitet werden. Vorgesehen sind weitere Gespräche mit dem Kanz- leramt und dem Bundesgesund- heitsministerium, aber auch mit den Koalitionsfraktionen bis Ende September. Diese können aller- dings auch bei wohlwollender In-
terpretation nicht als Auftakt für ein harmoniesuchendes „informel- les Bündnis für Gesundheit“ be- zeichnet werden, wie der „Spiegel“
deutete.
In dem Gespräch mit dem Kanzler wurde deutlich: Öffentli- che Protestaktionen – ob im Be- reich der Renten- oder in der Ge- sundheitspolitik – sind mehr als nur atmosphärische Störungen, sie belasten die politische Auseinan- dersetzung. Um Konfliktbereini- gung bemüht, legt Schröder daher Wert auf Konsens auch mit der Ärzteschaft. Der Regierungschef hat Verständnis für deren Posi- tionen gezeigt; er will zumindest der sachlichen Auseinanderset- zung nicht ausweichen.
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er Kanzler hat erkannt und ins Kalkül gezogen, daß die Strukturreform nicht gegen die Beteiligten und die Be- troffenen durchgesetzt werden kann. Der Politik muß klarge- macht werden, daß der Gesetzent- wurf erhebliche Veränderungen und Nachbesserungen erforder- lich macht. Einen ideologischen Schwenk in Richtung mehr Plan- bürokratie und Staatsmedizin be- deutet Gift für das Gesundheits- wesen. Jedwede Reform setzt auch ein hohes Maß an Akzeptanz in der Bevölkerung und bei den Ver- sicherten voraus. Wenn der Ge- setzentwurf allerdings nicht ent-scheidend nachgebessert und in der Richtung verändert wird, führen seine Auswirkungen zu Verschlechterungen der Versor- gungsqualität, wird er „eine Ka- tastrophe“ (so Professor Hoppe in einem Interview).
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ieben neuralgische Punkte sollen in den Gesprächen ausgelotet werden: stärke- re Berücksichtigung des medizini- schen Versorgungsbedarfs bei der Handhabung des Globalbudgets;weitgehende Auflockerung sekto- raler Ausgabenbudgets unter dem gesetzlich bestimmten Globalbud- get; Aufrechterhaltung des Sicher- stellungsauftrages der Kassenärzt- lichen Vereinigungen im Rah- men der „Integrationsversorgung“;
Wahrung des bisherigen Versor- gungsauftrages der Krankenhäu- ser, auch unter den Wettbewerbs- bedingungen der Krankenkassen;
Abbau einer überzogenen Rege- lungsbürokratie insbesondere im Bereich der Qualitätssicherung und Begrenzung des Datenflusses auf das unbedingt notwendige Maß; Aufhebung der getrennten Versorgungsgebiete Ost/West un- ter Einbeziehung der Kranken- kassen (Ost) in einen bundes- weiten Risikostrukturausgleich in einem fünfjährigen Stufenplan;
Überprüfung der Bedarfsplanung für die vertragsärztliche Versor- gung. Dr. Harald Clade