Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 31–324. August 2003 AA2041
S E I T E E I N S
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rste Erfahrungen mit dem neuen Entgeltsystem für die Kranken- häuser stützen die These, dass die Ab- rechnung nach Fallpauschalen zwar die Liegezeiten verkürzt, aber nicht die Kosten senkt. Offenbar setzt die Pauschalvergütung nach Diagnosis Related Groups (DRGs) in den Kran- kenhäusern Anreize, die Patienten schneller durchzuschleusen und sie dafür mehrmals einzubestellen.Zwar rechnen erst seit Anfang des Jahres die ersten Kliniken nach DRGs ab, als Mischsystem mit Sonderent- gelten und Abteilungspflegesätzen gibt es die Fallpauschalen aber bereits seit 1996 – wenn auch nur im geringen Ausmaß.Vor diesem Hintergrund hat die Gmünder ErsatzKasse (GEK)
Mitgliederdaten seit 1990 ausgewer- tet und Patienten befragt. Die Un- tersuchung ermögliche eine Aussage über Tendenzen, die mit dem endgül- tigen Umstieg auf Fallpauschalen in 2004 noch verstärkt würden, betont der GEK-Vorsitzende Dieter Hebel.
Die GEK schlussfolgert für den Beobachtungszeitraum, dass der durch die Fallpauschalen hervorge- rufene Erfolg verkürzter Liegezei- ten mit einer erhöhten Anzahl an Krankenhausaufenthalten erkauft wurde. Waren es im Jahr 1990 noch neun Prozent der Patienten, die nach zehn Tagen wieder stationär aufgenommen wurden, so stieg der Anteil bis 2002 auf 17 Prozent. Mit Einführung der ersten Fallpauscha-
len in 1996 stieg die Rehospitalisie- rungsrate deutlich: Die Anzahl der Aufenthalte je GEK-Mitglied in sta- tionärer Behandlung in Akut-Kran- kenhäusern erhöhte sich seitdem von 0,21 auf 0,3.
Die Umstellung auf diagnoseba- sierte Fallpauschalen verlagert das wirtschaftliche Risiko eines „Fal- les“ von den Krankenkassen auf die Krankenhäuser. Deren Gewinn hängt somit davon ab, wie schnell der Fall abgeschlossen wird, wie vie- le neue Fälle rekrutiert werden und wie „teuer“ die Diagnose ist, die der Arzt stellt. Dieser Logik folgend, wäre die Qualität der medizinischen Versorgung nachrangig. Ob die Pati- enten das auch so sehen? Lasse Maiß
Krankenhäuser
Kommen und Gehen D
ie Assoziationskette ist bekanntund auf den ersten Blick so schlüs- sig, dass sie kaum noch jemand hin- terfragt: Die wegen der „Kostenex- plosion“ im Gesundheitswesen stei- genden Beitragssätze in der Gesetz- lichen Krankenversicherung (GKV) führen zu höheren Lohnneben- kosten und damit zu einer sinken- den Wettbewerbsfähigkeit der deut- schen Wirtschaft. Daraus resultiert ein sinkendes Wirtschaftswachstum und eine Kapitalflucht ins Ausland.
Am Ende des Prozesses steht der Verlust von Arbeitsplätzen. Aber kann diese Variante der Standort- Deutschland-These wirklich so ohne weiteres akzeptiert werden? Nein.
Denn eine „Kostenexplosion“ hat es im Gesundheitswesen nie gegeben.
Darüber hinaus ist der Einfluss der GKV-Beiträge auf die Lohnneben- kosten vergleichsweise gering.
Ausschlaggebend für die GKV- Beitragssatzsteigerungen der letzten
Jahre war nicht die Ausgaben-, son- dern die Einnahmenseite. Ein Blick auf die Entwicklung des Anteils der GKV-Ausgaben am Bruttoinlands- produkt (BIP) zeigt, dass seit 1980 jährlich ein gleich bleibender Teil (⫾sechs Prozent) des gesellschaftli- chen Wohlstands für die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversiche- rung aufgebracht wurde. Der Knack- punkt: Die GKV-Beiträge sind nicht Prozentsätze des BIP, sondern der beitragspflichtigen Löhne, Gehälter und Sozialeinkommen. Sinkt der Lohnanteil am BIP (die Lohnquote), so müssen die Beitragssätze auch bei konstantem Ausgabenanteil steigen.
Das ist seit 1982 der Fall. Hauptgrund dafür ist, dass die Zahl der sozial- versicherungspflichtigen Beschäftig- ten und damit der Hauptbeitragszah- ler in der GKV abgenommen hat.
Überschätzt wird der Einfluss der GKV-Beiträge auf die Lohnneben- kosten. Belastender für die Arbeit-
geber sind die Beiträge zur Renten- versicherung und vor allem die tarif- vertraglichen Vereinbarungen wie das Urlaubsgeld oder das 13. Monats- gehalt. Gesundheitsexperte Prof. Dr.
Fritz Beske rechnet vor, dass die Lohnnebenkosten in den alten Bun- desländern nur von 43,6 auf 43,3 Pro- zent sinken würden, wenn es gelänge, die GKV-Beiträge um einen Beitrags- satzpunkt zu reduzieren. Dabei ent- spricht ein Beitragssatzpunkt ziem- lich genau jenen 9,9 Milliarden Euro, die Regierung und Opposition gemäß den Eckpunkten zur Gesundheitsre- form im Jahr 2004 einsparen wollen.
In jenem Eckpunktepapier findet sich übrigens auch wieder die Stand- ort-Deutschland-These: „Ausgewo- gene Sparbeiträge aller sind erforder- lich, um den Beitragssatz auf 13 Pro- zent nachhaltig zu senken, die Lohn- nebenkosten zu entlasten und wieder mehr Beschäftigung zu ermöglichen“, heißt es in der Einleitung. Jens Flintrop