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Archiv "Aber nie fehlte eine tröstende Hand" (04.10.1990)

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Gu-Lou-Hospital Nanjing: Altbau (Ausschnitt) und der damals noch nicht bezogene Neubau. - Rechts: Der große Wöchnerinnensaal

Impressionen von einer Famulatur in Nanjing (Provinz Jiangsu)/Volksrepublik China

Während bei uns brüchig gewordene Mauern der Unmenschlich- keit endlich gefallen sind, Deutschland vereint ist, werden viel wei- ter im Osten, als unsere Aufmerksamkeit in dieser Zeit im allgemei- nen reicht, aufgerissene Mauerlücken kleiner Freiheiten wieder geschlossen, neue Mauern aus Schweigen und feindseliger Propa- ganda aufgerichtet. Seit meinem ersten Kontakt mit dem Reich der Mitte während einer Famulatur im Februar/März vor drei Jahren habe ich die dortigen politischen Entwicklungen, Stagnationen und.

Regressionen gespannt verfolgt, im Laufe des dramatischen ver- gangenen Jahres oft genug den Atem angehalten, versucht, das zu- nächst namenlose Entsetzen des 4. Juni 1989 an Örtlichkeiten, Situa- tionen und Stimmen in der persönlichen Erinnerung festzumachen.

Z

u Anfang des nach dem al- ten Mondkalender gerade begonnenen chinesischen Neuen Jahres fragte ich mich nun, wie fröhlich wohl die mehrtägigen Feierlichkeiten diesmal begangen worden sind und ob es ein Zufall ist, daß meine letzten Briefe an unsere chinesische Gastgeberin unbeantwortet geblieben sind .. .

1987 war gerade als das Jahr des (langes Leben versprechenden) Ha- sen angebrochen. Angeregt durch ei- nen Vortrag in der deutsch-chi- nesischen Freundschaftsgesellschaft hatte ich großes Interesse entwickelt und dann auch gemeinsam mit einer befreundeten Kommilitonin die Möglichkeit bekommen, in der Volksrepublik China zu famulieren.

Obgleich die Behörden bereits ab 1984 unter bestimmten Vorausset- zungen auch Einzelreisenden Visa erteilten (die recht großzügige Rege- lung ist inzwischen eingeschränkt worden . . .), wurde das Verfahren durch eine schriftliche Einladung Prof. Meng-mei Lius, der Leiterin

Aber nie fehlte eine

tröstende Hand

Heike Rulffs

der gynäkologischen Abteilung des Gu-Lou-Hospitals in Nanjing, noch beschleunigt; wir hatten sie durch Vermittlung Professor Kempers (Di- rektor des Instituts für Pharmakolo- gie und Toxikologie der Universität Münster) kennengelernt, als sie in der Münsteraner Frauenklinik hos- pitierte.

Bis schließlich der amtliche rote Stempel unter unser Begehr gesetzt

wurde, vergingen allerdings noch ei- nige Wochen, so daß wir erst im Fe- bruar unsere Reise antreten konn- ten. Nach ein paar aufregenden Ta- gen in Peking (die in freudig-erwar- tungsvoller Stimmung geschossenen

„Abschiedsfotos" auf dem Tianan- men-Platz sollten wir uns zwei Jahre später aus bedrückendem Anlaß noch einmal ganz genau ansehen), landeten wir in der Millionenstadt Nanjing am Ostufer des Jangtseki- ang. Am Flughafen holte uns Profes- sor Liu mit ihrem Chauffeur und dem Krankenhaus-Staatsvehikel ab, das einige Parteifunktionäre — wie wir später erfuhren — auch zu weni- ger offiziösen Anlässen, zum Bei- spiel für Familienausflüge am Sonn- tag, zu nutzen pflegten.

Untergebracht wurden wir nicht im Gu-Lou-Hospital selbst, sondern 15 Gehminuten entfernt im Auslän- derwohnheim der Universität Nan- jing. Dort wohnten wir zu zweit in ei- nem Raum der Größe, wie ihn um die Ecke sechs bis acht chinesische Studenten teilen mußten; wir hatten (ihnen vorenthaltenes) heißes Was- ser zum Duschen — bei anhaltenden Minustemperaturen unser abendli- ches Hauptvergnügen, das sich auch die einheimische Putzkolonne heim- lich gönnte. Und wir „besaßen" ei- nen elektrischen Heizkörper, der täglich einmal für zwei Stunden rum- pelnd kundtat, daß er funktionier- te. Im übrigen Nanjing wurde sonst außer dem Kreißsaal und vermut- lich einigen Funktionärswohnungen nichts beheizt.

Frühmorgens weckten uns Paro- len und Nachrichten aus großen A-2978 (42) Dt. Ärztebl. 87, Heft 40, 4. Oktober 1990

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krächzenden Lautsprechern, die uns abends bei der Heimkehr mit einem Potpourrie aus traditioneller chinesi- scher Musik und „Für Elise" empfin- gen. Die schwärzlich berußten Ge- bäude des weitläufigen Universitäts- geländes wurden durch viele bunte Farbtupfer belebt: überall aus den Fenstern heraushängende gewasche- ne Kleidung und Bettwäsche.

Besucher der Ausländerquartie- re wurden, wie wir rasch feststellten, von Universitätspersonal mehr oder minder unauffällig beobachtet, Be- suche protokolliert. Doch trotz die- ser Erschwernisse entstanden zahl- reiche internationale Freundschaf- ten. Besonders bedauerten wir, nicht all das lesen zu können, was damals jeden Tag aufs Neue von den Stu- denten mit verschiedenfarbiger Krei- de in Windeseile auf das meterlange

„Schwarze Brett" geschrieben wur- de. An diesem traditionsreichen Ort hatten wohl auch in Nanjing zwi- schen Klagen über den „japanischen ökonomischen Militarismus" ab De- zember 1985 die ersten zaghaften Forderungen nach mehr Demokratie und Freiheit im Studium gestan- den. Nun sind sie abgelöst worden durch Suchmeldungen, erzwungene Selbstanklagen, durch Umerzie- hungsparolen, durch Warnungen vor kapitalistischen subversiven Tenden- zen.

Etwa zweimal im Monat (zur Zeit geschieht dies wohl viel häufi- ger . . .) war das Gebäude wie leerge- fegt. Gelegentlich hörte man von fern Marschmusik, sah mal eine Fah- ne; die Rückkehrer erzählten dann mit routinierter Gleichgültigkeit, einmal wieder an einer der Pflicht- Parteiveranstaltungen teilgenommen zu haben.

„Eine, die übers weite Meer fährt . ."

Das Gu-Lou-Hospital (benannt nach dem benachbarten 500jährigen

„Trommelturm") ist ein französi- scher Kolonialbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts (die Franzosen sol- len auch die provencalisch anmuten- den Platanen hier hinterlassen ha- ben) mit langen schmalen Fluren, et- lichen Rampen, einem 30-Betten-

Saal, in dem heute die Wöchnerin- nen untergebracht sind, und zahlrei- chen kleinen Vier-Bett-Zimmern.

(Der moderne Betonneubau, auf den man sehr stolz zu sein schien, stand — damals zu 90 Prozent bezugs- fertig — daneben; vielleicht konnte mittlerweile endlich umgezogen wer- den.) Die vier Operationssäle sind im 1. Stock eines gesonderten Ge- bäudes untergebracht, ebenso die gy- näkologische Poliklinik. Im eiskal-

Studentenwohnheim der Universität Nanjing mit Farbtupfern: aus den Fenstem hängt überall Gewaschenes zum Trocknen

ten, zugigen „Stationszimmer" saßen stets ein paar eifrig schwatzende Chinesinnen vor ihren Teebechern auf den schmalen Holzbänken, um die Mittagszeit mit Blechlöffeln aus einer Blechdose rasch Reis und Ge- müse löffelnd; gelegentlich auch mal ein schüchtern herüberlächelnder asiatischer Kommilitone, ein Lehr- buch abschreibend (unsere farbigen Textmarker riefen neidvolles Inter- esse hervor und blieben denn auch als „Abschiedsgeschenk" da . . .).

Mit auf unseren Vornamen ba- sierenden Namensschildern verse- hen (aus Heike wurde erstaunlicher- weise „eine, die übers weite Meer fährt"), durften wir in der Klinik so- fort an allem teilhaben („come, let's bear a child!", laßt uns ein Kind ge-

bären). Nach einer Englisch-Abfra- gestunde der wesentlichen geburts- hilflichen „facts" mit Hilfe einer Pla- stikpuppe konnten wir unter Auf- sicht einer Hebamme vielen kleinen Chinesen auf die Welt helfen, nach Herzenslust unter Anleitung recto- vaginale Untersuchungen, Episioto- mien und ähnliches durchführen.

Ein ständiges sorgfältiges Abhö- ren der kindlichen Herztöne war die Regel, ein Wehenschreiber kam nur selten zum Einsatz; eine Anästhesie (abgesehen von der Lokalanästhesie für die Episiotomie) sahen wir im Kreißsaal nicht. Selbst schwierigste Lagen wurden ohne Sectio bewältigt (wobei man uns sozusagen noch um Entschuldigung bat, daß man uns auch hier nicht wie sonst den Vor- tritt ließ). Den jeweils gleichzeitig gebärenden drei Frauen wurde zur Kräftigung Tee eingeflößt und Scho- kolade verabreicht, während ihre Ehemänner draußen auf Holzbän- ken ausharrten: Sie hereinzulassen, wäre undenkbar gewesen.

[I Kaum Eininalartikel irrt operativen Bereich

Überhaupt waren in der Gynä- kologie fast ausschließlich Ärztinnen tätig. Unsere erstaunte diesbezüg- liche Frage wurde verblüffend ein- fach beantwortet: „Wenn die Frauen es doch so lieber haben? . . ." Hebam- men, Ärztinnen und Schwestern wa- ren für uns äußerlich kaum unter- scheidbar; es herrschte ein fröhlich- kameradschaftlicher Ton. Bei einem sehr guten Arzt-Patienten-Schlüssel schien es weder Arbeitslosigkeit noch Überstunden zu geben und für den einzelnen relativ wenig Dienste.

(Die oft rücksichtslose Zwangs-Stel- lenzuweisung nach Bedarfsplan kam allerdings nicht zur Sprache.) Unsere Englischkenntnisse aus der Volks- hochschule stellten sich als allenfalls ausreichend zum Grüßen und Dan- ken heraus; die Chinesen hielten sich mit ihren Englischkenntnissen schüchtern zurück. Dennoch funk- tionierte die Kommunikation mit Zeigen, Pantomime, Lächeln und Ki- chern recht gut.

Im operativen Bereich gab es kaum Einmalartikel; selbst die Dt. Ärztebl. 87, Heft 40, 4. Oktober 1990 (45) A-2979

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Oben: Fahrräder, Fahr- räder . . . Der Parkplatz vor dem Gu-Lou-Hos- pital, das nach dem benachbarten 500jähri- gen „Trommelturm"

benannt wurde. - Rechts: Das „Stations- zimmer" der gynäkolo- gischen Abteilung

Fotos (5): Verfasserin Handschuhe wurden zu anderweiti-

gem Gebrauch ausgewaschen. Auch moderne Narkosegeräte waren rar, so daß hauptsächlich unter Peri- duralanästhesie operiert wurde. Ei- ne reine Akupunkturanästhesie sa- hen wir — im Gegensatz zu landläufi- gen Vorstellungen — nicht, allenfalls eine Kombination mit Nadeln oder das gängige Massieren der Akupunk- turpunkte bei Nachlassen der Anal- gesie.

Auch während der Kulturrevo- lution, so hörten wir, habe man trotz der vorgeschriebenen „Rückbesin- nung" auf ausschließlich eigene tra- ditionelle Methoden die Nadeln nur bei Gefahr einer drohenden „In- spektion" zum Schein gesteckt und zusätzlich konventionell narkotisiert.

Ansonsten war das chirurgische Instrumentarium ähnlich dem unse- ren (abgesehen von der Zutat Flie- genklatsche, die im Winter nicht zum Einsatz kam). Die chirurgische Fin- gerfertigkeit zum Beispiel beim Re- anastomisieren durchtrennter Eilei- ter beeindruckte uns sehr, ebenso das rasche, ruhige und effiziente Handeln im Notfall. So wurde bei massivem Volumenverlust das aus der Bauchhöhle abgesaugte Blut kurzerhand über einen Filter re- infundiert. Besonders häufig sahen wir monströse kiloschwere Ovarialky- stome — es muß schon sehr schlimm kommen, bevor man den weiten Weg aus der Provinz macht — leider auch weit fortgeschrittene Karzinome. Nie aber fehlte eine tröstende Hand am Kopf der Patientinnen.

Mir selbst wurden im Nacht- dienst mit heißem Wasser gefüllte Infusionsflaschen ins Bett gelegt, nachdem ich unhöflicherweise zuge- geben hatte zu frieren. Da wir auf die Frage, was uns in diesem Lande denn nun besonders gut schmecke, die in Sojasud gekochten „Tee-Eier"

angegeben hatten, war ein täglicher geschenkter Ei-Segen nicht mehr aufzuhalten .. .

In der gynäkologischen Polikli- nik sahen wir Frauen, die sich nicht nur im Stil ihrer meist bunten, bis zu siebenschichtigen Kleidung und im Gesichtsschnitt, sondern auch in ih- rer Sprache so stark unterschieden, daß die Behandelnden oft große Mü- he hatten, zu verstehen, worum es ei-

gentlich jeweils bei den Patientinnen ging. Diese lebendigen Zeugen für die immense Weite des Landes ka- men mir später wieder in den Sinn, als vor allem die Größe Chinas und der Analphabetismus, die Unwissen- heit und das gänzliche Fehlen eines irgendwie gearteten „demokrati- schen" Bewußtseins für das Schei- tern des „Pekinger Frühlings" ver- antwortlich gemacht wurden.

[

-

I Abtreibungen

in Massenabfertigung

Wir, die großäugigen „Langna- sen", wurden von den Patientinnen bereitwillig an sich herangelassen;

nur eine werdende Mutter hatte bei Berührung von Fremdenhand aber- gläubische Sorge um ihre Leibes- frucht — wo es doch der ersehnte Junge war, wie man mit dem recht guten Ultraschallgerät der Klinik hatte feststellen können. Der viel zu teure hormonelle Schwangerschafts- nachweis war durch eine frühe gründliche klinische Untersuchung ersetzt worden.

Als uns vor allem wohl wegen der relativ modernen Medizintech- nik eine Hysteroskopie vorgeführt wurde, ahnte man wohl nicht, daß

uns das Geschehen auf den benach- barten Untersuchungsliegen viel mehr fesseln würde: Hier wurde an halb entkleideten jungen Frauen, die schon mit Prostaglandinzäpfchen versehen und mit einer neuen saube- ren Unterlage in der Hand herein ka- men, Abtreibungen vorgenommen — nach dem Aussehen des Entfernten wohl ohne Zeitlimit, wobei die Schwangeren offensichtlich weniger aus Angst und Schmerz als vielmehr aus Trauer um das meist nicht von ihnen, sondern von „der Gesell- schaft" unerwünschte Kind schrien und weinten. Über unsere Frage nach den Einzelschicksalen hinter solcher blutigen Massenabfertigung wurde hinweggehört. Wir erfuhren nur, daß ein zweites und drittes Kind nicht direkt „verboten", wohl aber deren Geburt mit äußerst unange- nehmen Sanktionen belegt sei.

Auf dem Gebiet der traditionel- len chinesischen Medizin (Nanjing ist neben Peking und Shanghai eines der drei großen, auf Initiative der Weltgesundheitsorganisation ge- gründeten internationalen Ausbil- dungszentren für Akupunktur) sa- hen wir Akupunkturbehandlungen vor allem von Fazialisparesen und Trigeminusneuralgien. Heilkräuter und Pflanzen sind in die Pharma- A-2980 (46) Dt. Ärztebl. 87, Heft 40, 4. Oktober 1990

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

R KOMMENTAR

kotherapie voll integriert, bei den häufigen Atemwegsinfekten (die das für unsere europäischen Ohren oh- nehin ungewohnte Spucken auch mal neben den Spucknapf noch ge- räuschvoller gestalteten) wurde zu- nächst zum Naturheilmittel und erst bei Komplikationen zum teuren An- tibiotikum gegriffen.

Inzwischen hat China mit — sonst seltener gewordenen — Klassen- kampfparolen (und noch in Anwesen- heit des damaligen Ehrengastes Egon Krenz) seinen 40. Jahrestag began- gen, sind inhaftierte Studentenführer in Schauprozessen abgeurteilt wor- den, wird nach Ablauf einer halbjähri- gen „Schamfrist" an die alten, vor al- lem zunächst wirtschaftlichen Kon- takte wieder angeknüpft, geht vieles wieder den alten Gang. Auf der ande- ren Seite erhielt aber der Dalai Lama den Friedensnobelpreis, hat sich im September 1989 in Paris unter geflo- henen Dissidenten und Präsident Yan Jiaqi die offen opponierende FDC („Föderation für die Demokra- tie in China") formiert, stehen der greise Deng Xiaoping und seine wechselnden Nachfolger nach dem Tode Ceausescus zunehmend isoliert da. Die viel gebeutelten Intellektuel- len im Lande aber halten sich zurück und warten einstweilen ab, eine Hal- tung, die ihnen in westlichen Publi- kationen — zu Recht? — oftmals als resignierend, opportunistisch oder gar feige angekreidet wird.

Für die trotz allem bewunderns- wert zufriedene Gelassenheit unse- rer liebenswürdigen chinesischen Gastgeberin, die kaum über die dra- matischen und traurigen Ereignisse ihrer Lebensgeschichte sprach (wohl nur ihrer hohen Kompetenz und Un- entbehrlichkeit hat sie es zu verdan- ken, daß sie mit einer befristeten Landverschickung davonkam und heute noch an dieser Stelle ihrer Tä- tigkeit nachgehen kann), die in ihrer kleinen Stadtwohnung mit Sohn, Schwiegertochter und vergöttertem Enkelkind wohnt und vielleicht noch auf andere Zeiten hofft, empfinde ich jedenfalls große Hochachtung.

Anschrift der Verfasserin

Heike Rulffs

Wulfertstraße 59, 4400 Münster

AiP, alles klar?

Tja, es wird Zeit ein erstes Resü- mee zu ziehen, meine 18 Monate AiP sind vorbei. Ende gut, alles gut?

Einem AiP passieren so merk- würdige Dinge. Dieser Mensch ar- beitet bis zu 80 Stunden in der Wo- che, finanziell (ein Jahr rund 1000 DM netto) er kann sich schlecht et- was leisten (wozu auch?), und seine Meinung soll er auch nicht allzu laut sagen, er will ja schließlich nach sei- nen 18 Monaten weiter arbeiten dür- fen.

Einmal global betrachtet: Es be- stehen unterschiedliche Regelungen in verschiedenen Krankenhäusern.

Das AiP-Gesetz ist subjektiv ausleg- bar, wie es jedem paßt, wie die Ver- waltung es will; neues Motto: Wie spart man noch mehr Geld? Die glei- che Arbeit, unterschiedliche Bezah- lung sowohl für den Stationsdienst als auch für die Nachtdienste. Es le- be das Grundgesetz! Überstunden?

Tja, wenn man sich schon überwun- den hatte, die auf ein akzeptables Maß heruntergeschminkten Über- stunden dem Chef vorzulegen, dann landen die weißen Zettel bei der Verwaltung in dem Ordner „Einfach Vergessen". AiP arbeitet billig, schnell, fleißig, unterwürfig und vor allem immer ideologisch positiv, er will ja noch ein richtiger Arzt wer- den. In manchen Häusern darf er es nicht so schnell, denn die Nachtdien- ste oder bestimmte Tätigkeiten sind in manchen Häusern „Normalappro- bationssache".

Inzwischen streiten sich die Ob- rigkeiten über die weitere Anerken- nung der AiP-Zeiten auf die Weiter- bildung, wieviel Monate?, wieviel mehr?, wieviel weniger? Auch von Kammer zu Kammer bestehen un- terschiedliche Regelungen (manch- mal werden Nachtdienste verlangt, manchmal nicht, um die 18 Monate sich voll anrechnen zu lassen)! Es bleibt nur abzuwarten, wie die Wirk- lichkeit später bei der Antragstel- lung für die etwaige Facharztaner- kennung aussieht.

Und trotzdem: Obwohl die ge- setzlichen Regelungen für den klini- schen Alltag von AiP total schwam-

mig sind (bzw. die Umsetzung), und obwohl die Ausbildung unter dem AiP-Gesetz nur leidet (subjektive Regelung der Verantwortung); ich habe jede Menge gelernt (auch ge- sundheitspolitisch) und mir den Spaß am Beruf nicht vermiesen las- sen. Im Gegenteil: Jetzt erst recht!

Nur eines möchte ich den netten älteren Kollegen mitteilen, die sich zu Wort melden: Bitte erfreuen Sie die Nachwelt nicht so oft mit den Hymnen: „Früher war es noch stren- ger, und wir mußten dies und jenes'".

Unsere Generation muß und kann auch arbeiten, es geht auch gar nicht um die Bezahlung, es geht um eine klare allgemeingültige Rege- lung.

Trotz vielfältiger Erklärungen:

Der AiP ist gesetzlich für den Alltag wirklich ungenügend geregelt, mit ei- nem zu großen subjektiven Spiel- raum für die Vorgesetzten, Chefs und die Verwaltungen. Auch die Be- zeichnung ist fast beleidigend („PJ-ler", „AiP-ler"). Die Situation ließe sich verbessern, wenn von mir aus die Bezahlung bleibt (obwohl sie der Leistung, der Ausbildung, auch im Vergleich mit anderen Berufen, nun wirklich nicht angemessen ist), aber der Name müßte mindestens

„Medizinalassistent" heißen. Und würde dann eine „normale" Appro- bation erteilt werden, dann wären die Chefärzte von der juristischen Mutterrolle des AiP befreit, und die

„neuen Medizinalassistenten" dürf- ten sich in allen Häusern juristisch emanzipieren.

Diese Ärzte wären auch „glück- licher", sich als normale Ärzte be- zeichnen zu dürfen und nicht jedem zu erklären, daß ein AiP-ler ein ko- mischer ärztlicher Zwitter ist: Ein Opfertier auf dem Tisch der Ge- sundheitspolitik, der falsch verstan- denen Konkurrenz, und ein Spiel- zeug des Pleitegeiers im Gesund- heitswesen. Vielleicht würden dann manche Kollegen den AiP-ler (den Medizinalassistenten) aus Sentimen- talität sogar lieben lernen, er würde (S)sie an die eigene Vergangenheit (un)angenehm erinnern, und die

„schöne Neue Welt" des deutschen Arztes wäre endlich ganz hippokra- tisch, romantisch und konkurrenz- mäßig gut — oder etwa nicht? R. L.

Dt. Ärztebl. 87, Heft 40, 4. Oktober 1990 (49) A-2981

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