Tomomegrie
Erstmals dlrelde . Röntgendiagnose intrakranieller Prozesse
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin WISSENSCHAFT UND PRAXIS
Die Tomometrie, das neue Verfah- ren zur schichtweisen Messung der Gewebsdichte im Schädelinnen- raum, bringt für die Klinik einen Wandel, der ebenso revolutionär ist wie die angewandte Technik selbst. Als theoretisches Konzept 1961 von Oldendorf projektiert, als Röntgenverfahren von der Gruppe unter Hounsfield entwickelt und realisiert, wurde die Tomometrie unter dem Namen Emi-Scan von Ambrose vor zwei Jahren erstmals klinisch erprobt. Bereits die Be- richte von ihm, J. Bull, H. L. Baker, P. New und anderen ließen anneh- men, daß hier eine Neuentwicklung von größter Bedeutung für die ge- samte Röntgendiagnostik im Ent- stehen ist.
Bisher stehen das Gerät von Emi und das von Siemens entwickelte Siretom zur Verfügung.
Ein an der Georgetown-Universität in Washington gebauter Acta-Scan- ner ist für die Untersuchung des
ganzen Körpers ausgelegt. Seine Ergebnisse entsprechen nicht ganz den klinischen Erfordernissen. Un- sere Abteilung arbeitet mit dem Siretom und hat bereits über 1000 Untersuchungen durchgeführt. Alle Geräte arbeiten nach dem gleichen physikalischen Prinzip, allerdings mit unterschiedlicher Technik und einem anderen Rechenprogramm.
In einer transversalen Ebene des Kopfes bewegen sich auf einer Seite eine Röntgenröhre und gegenüber ein Strahlendetektor. Das ausge- sandte dünne Strahlenbündel wird bei Durchtritt durch den Kopf ent- sprechend der Dichte des durch- strahlten Gewebes abgeschwächt und schrittweise gemessen. Dann dreht sich das Gerät um zwei Grad und fährt wieder in der•ansversa- len Ebene über den Kopf, wobei er- neut 100 Einzelmessungen erfol- gen. Insgesamt finden 90 Drehun- gen mit je zwei Grad statt, so daß jeder Punkt aus 90 Richtungen ver- messen wird.
Im Elektronenrechner wird aus die- sen Messungen für jedes Areal von drei mal drei Millimeter die Strah- lenabsorption gemessen, die ihrer- seits von der Gewebsdichte dieser Stelle abhängt. Die Gewebsdichten werden so genau bestimmt, daß ohne weiteres eine Unterscheidung zwischen Liquor, ödematösem Hirngewebe, normalem Hirngewe- be und dichterem Tumorgewebe zu führen ist.
Unmittelbar nach einem Geräteab- lauf von 4,5 Minuten Dauer hat der Computer seine Berechnungen be- endet. Die gemessenen Dichten erscheinen in Kästchen mit 16 Grauabstufungen als Transversal- schichtbild auf einem Fernseh- schirm. Man kann darauf die Li- quorräume, ödematöse Hirnab- schnitte, Fettgewebe, Zysten- und Tumorgewebe, koaguliertes Blut und feinste Verkalkungen deutlich erkennen. Jedes Bild stellt eine Schicht von einem Zentimeter Dik- ke dar. Im allgemeinen reichen acht Schichten, die in vier Geräte- abläufen erzeugt werden, aus.
Eine solche Untersuchung ein- schließlich Patientenwechsel ist in 30 Minuten beendet, so daß eine große Zahl von Kranken untersucht werden kann. In unserer Abteilung werden etwa 50 bis 70 Untersu- chungen pro Woche durchgeführt.
Die Strahlenbelastung der Haut liegt unter zwei Röntgen, entspre- chend einer Schädelaufnahme in zwei Ebenen.
Tomometrie:
die direkte Röntgendiagnose von Gehirnerkrankungen
Hans Hacker
Aus dem Zentrum der Radiologie, Abteilung für Neuroradiologie (Leiter: Professor Dr. med. Hans Hacker),
im Klinikum der Universität Frankfurt am Main
Bei dem neuen elektronischen Röntgenschichtverfahren tastet ein dünnes Bündel Röntgenstrahlen eine einen Zentimeter dicke Schicht des Schädels aus verschiedenen Winkeln ab. Ein Computer konstruiert aus den Meßwerten ein Bild der intrakraniellen Gewebs- dichten. Bei 1000 Untersuchungen mit dem ersten derartigen Gerät in Deutschland (Siretom) war die Trefferquote höher als mit her- kömmlichen Untersuchungsverfahren. Intrazerebrale Hämatome und Hirnödeme sind erstmals einer direkten Röntgendiagnostik zugäng- lich. Liquorräume und Tumoren sind ohne Kontrastmittel zu erken- nen. Falsch negative Befunde sind selten.
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Zur Fbrtbildung Aktuelle Medizin Tomometrie
Zur Dokumentation wird ein Pola- roidfoto von einem Fernsehmonitor gemacht. Die Archivierung erfolgt auf einem Video-Magnetband.
Unterschied
zur klassischen Radiologie
Unsere eigenen Erfahrungen basie- ren auf über 1000 mit dem Siretom durchgeführten Untersuchungen.
Bevor auf die wichtigsten, mit der Tomometrie zu erhebenden spezifi- schen Befunde eingegangen wird, soll kurz der Unterschied zur klas- sischen Radiologie dargelegt wer- den:
Ein herkömmliches Röntgenbild des Kopfes zeigt Veränderungen des knöchernen Schädels oder grobe Verkalkungen. Um die Hirn- kammern sehen zu können, war man bisher auf Luftinjektionen in die Liquorräume angewiesen. Für die Abbildung des zerebralen Ge- fäßsystems, das ausgezeichnete Rückschlüsse auf Krankheiten im Schädelinneren gibt, ist eine arte- rielle Kontrastmittelinjektion not- wendig. Diese Kontrastuntersu- chungen — Luftenzephalographie und zerebrale Angiographie — sind schwierig durchzuführen und erfordern einen großen Personal- aufwand; fast immer muß der Pa-
tient stationär aufgenommen wer- den. Über das Gehirngewebe selbst konnte man bisher nur indirekte Auskunft geben. Lediglich die Speicherung von Radioisotopen (Gehirn-Scan) läßt bei Störungen der Blut-Hirn-Schranke durch loka- lisierte lsotopenspeicherung Rück- schlüsse auf Veränderungen im Hirngewebe zu.
Die Tomometrie als Meßverfahren der Gewebsdichte gibt mit sehr großer Empfindlichkeit unter- schiedliche Gewebsdichten, insbe- sondere Gewebsverdichtungen, koaguliertes Blut oder andererseits Flüssigkeitsansammlungen, deut-
Abbildung 1 (links oben): Epidurales Hämatom mit Verschiebung des Ventrikelsystems nach links und Kompression des rech- ten Seitenventrikels — Abbildung 2 (links unten): Zystischer Stammganglientumor links — Abbildung 3 (rechts oben): Fronta- les Meningiom, umgeben von scharf begrenztem Ödem. Hirnventrikel weitgehend komprimiert. Verkalkung der Plexus in den Hinterhörnern — Abbildung 4 (rechts unten): Intraventrikulärer Tumor mit erheblicher Ventrikelerweiterung bei Blockade des Foramen Monroe durch den Tumor
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lieh wieder. Der großen Empfind- lichkeit für verschiedene Dichtezo- nen steht eine verhältnismäßig gro- be räumliche Wiedergabe gegen- über, die vorläufig mit Rasterkäst- chen von drei mal drei Millimeter Kantenlänge arbeitet. Diese ver- hältnismäßig grobe Rasterung ist aber für die Deutung der Bilder nicht sehr hinderlich.
Spezifischer Einsatz der Tomametrie
Einige Befunde lassen sich mit kei- ner anderen Untersuchungsmetho- de erheben:
..,.. Exakte Darstellung intrakraniel- ler Blutkoagel,
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tomametrie
Abbildung 5 (links oben): Okzipitaler Infarkt bei Ver- schluß der A. cerebri posterior - Abbildung 6 (links unten): Erweiterte Hirnfurchen bei hirnatrophischem Pmzeß - Abbildung 7 (rechts oben): Hämatom im Bereich der inneren Kapsel bei einer Patientin nach einem Schlaganfall
..,.. Unterscheidung zwischen soli- den Tumormassen und Tumorzy- sten,
..,.. genaue Abgrenzung intraventri- kulärer Tumoren,
..,.. Darstellung von Hirnödemzo- nen.
Es war überraschend, festzustellen, wie eng lokalisiert das Hirnödem bei Tumoren des Gehirns sein kann. Leider kann man aus den Bil- dern vorläufig noch nicht sicher die Ursache von Ödemzonen er- kennen. Hirntumoren bilden sich teils als Zonen verdichteten Gewe- bes, teils aber auch als stark was- serhaltiges Gewebe ab. Hier ist dann die Unterscheidung zu Öde- men bei zerebralen Durchblutungs- störungen schwierig. Bei größeren
Raumbeschränkungen wird man aber immer Verlegungen von Ven- trikelabschnitten und Verlagerun- gen des Ventrikelsystems feststel- len können. Da sich feinste Kalk- einlagerungen abbilden, sind die Pinealis und die Verkalkungszonen in dem Plexus der Seitenventrikel leicht zu lokalisieren, auch wenn diese im Röntgenbild nicht zu se- hen sind. Verlagerungen dieser häufig verkalkten Gebilde sind ein- wandfrei zu sehen.
Da sich mit der Tomametrie erwei- terte Hirnfurchen und das Ventri- kelsystem genau darstellen lassen, steht jetzt eine einfache Methode zur Verfügung, um Hirnatrophien, insbesondere auch kortikale, zu diagnostizieren. Auch abnorme Li-
DEUTSCHES ARZTEBLA'IT
Heft 12 vom 20. März 1975 813Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tomometrie
querräume oder Zysten bei Hirn- fehlbildungen sind eindeutig zu er- kennen.
Angiographisch konnte man bei schweren Schädel-Hirn-Trauman bisher nur größere Kontusionsze- nen und Blutungen nachweisen.
Kleinere 'Massenblutungen waren außerordentlich schwer zu diagno- stizieren. Mit der Tomametrie kann man jetzt auch kleine intrazerebrale Blutungen während der Koagula- tionsphase eindeutig darstellen.
Insgesamt sind unsere Ergebnisse mit denjenigen englischer und amerikanischer Arbeitsgruppen vergleichbar, die mit dem Emi- Scanner arbeiten. Die Indikationen zur Tomographie werden mit der Zeit wahrscheinlich sehr weit ge- stellt werden können. Vorläufig be- schränken wir uns auf folgende Untersuchungen:
..,.. Verdacht auf Hirnblutung, ..,.. Hirnabszeß,
..,.. Hirntumor,
..,.. Ventrikelerweiterung und ..,.. schweren organischen Hirn- schaden.
Ausschlußuntersuchungen bei Epi- lepsie, therapieresistenten Kopf- schmerzen und zerebralen Durch- blutungsstörungen stellen wir vor- läufig noch zurück. Nach unseren bisherigen Erfahrungen sind wir nicht überzeugt, ob sich die Toma- metrie für die Frühdiagnose von in- filtrierenden Hirntumoren eignet.
Wir haben bei zwei Patienten, die nach dem Angiogramm mit hoher Wahrscheinlichkeit ein noch relativ kleines Astrozytom haben, mit der Tomametrie keinen beweisenden Befund erheben können. Anderer- seits ist etwa der Nachweis von Metastasen mit der Tomometrie, die ja das gesamte Gehirn in meh- reren Schichten erfaßt, viel einfa- cher als mit der Angiographie, da es sich ja oft um sehr kleine, aber dichte, zellreiche Läsionen handelt.
*} Die Aufstellung eines von der Stiftung Volkswagenwerk finanzierten Gerätes der Emi-Limited in der Neuroradiolo- gischen Abteilung des Universitätskli- nikums München-Großhadern steht un- mittelbar bevor.
Die Diagnostik von Hirnerkrankun- gen kommt mit der Tomametrie ei- nen riesigen Schritt voran. Die ge- genwärtig vorhandenen Geräte stellen nur eine erste Entwick- lungsstufe auf dem Gebiet der Ge- webedichtemessung dar. Für For- schung und Krankenversorgung ist zu wünschen, daß auch bald ande- re neuroradiologische Zentren in Deutschland über eine solche An- lage verfügen*). Wenn es auch vor- erst noch darum geht, Grundlagen und Möglichkeiten der Tomametrie zu erforschen, wird es doch in na- her Zukunft möglich sein, das Ver- fahren routinemäßig einzusetzen.
Die Möglichkeit der schichtweisen Messung der Gewebsdichte im Schädelinnenraum ist für Arzt, Pa- tienten und technisches Personal mit erheblichen Vorteilen verbun- den:
..,.. Der Arzt erhält rasche Auskunft über Größe und Form der Hirnkam- mern, Antwort auf die Frage nach Hirnblutungen, Hirnzysten und Ödemen; in vielen Fälten ist auch eine einfache Tumordiagnose mög- lich.
..,.. Der Patient braucht sich nur ei- ner raschen ambulanten Untersu- chung ohne Schmerzen, Injektio- nen und Komplikationsmöglichkei- ten zu unterziehen.
..,.. Der medizinisch-technischen Assistentin steht eine einfach durchzuführende Methode mit nur sehr geringen Fehlermöglichkeiten zur Verfügung.
Die Kosten einer derartigen Appa- ratur sind sehr hoch. Bei Zwei- schichten- und Samstagbetrieb könnten allerdings wöchentlich etwa 120 Patienten untersucht wer- den. Bei einer derartigen Organisa- tion, die dem Betrieb eines Beta- trons entspricht, sind die Kosten pro Patient aber relativ niedrig; An- schaffung sowie Betrieb des Ge- räts sind also volkswirtschaftlich voll zu vertreten.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. H. Hacker 6 Frankfurt a. Main-Niederrad Schleusenweg 7-10
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IN KÜRZE
Diagnostik
Der Hörsturz ist eine plötzliche ln- nenohrschwerhörigkeit oder Taub- heit unbekannter Genese und muß als otologischer Notfall frühzeitig stationär behandelt werden. Als Ur- sache nimmt man meist eine Durchblutungsstörung an, die vor allem durch Gefäßspasmen bedingt sein dürfte. Histologische Befunde ähneln denen von Patienten mit nachgewiesener Viruslabyrinthitis;
auch serologisch gibt es Hinweise auf Virusätiologie. Für Virusinfek- tion und lokale Durchblutungsstö- rung als Entstehungsfaktoren spricht auch die Erfahrung, daß Vi- ruspartikel ödematöse Veränderun- gen in den Endothelzellen mit Lu- meneinengung und Mikrothromben verursachen sowie über eine Hämagglutination zur Verklumpung der Erythrozyten führen können. Die Therapie geht daher fast aus- nahmslos von der Hypothese einer Minderdurchblutung des Innenohrs
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he(Jahnke, V.: Münch. med. Wschr.
116 [1974] 417-420)
Otoskop und einfache Stimmgabel genügen meist, um die Art einer Schwerhörigkeit richtig zu diagno- stizieren. Bei beidseitiger Schwer- hörigkeit oder unklaren Angaben des Patienten gibt nur die Audio- metrie endgültig Aufschluß. Die rei- ne Schallempfindungsschwerhörig- keit kann operativ nicht beeinflußt werden, hier sind Hörgeräte indi- ziert. Bei jeder länger andauernden Schalleitungsschwerhörigkeit hin- gegen lohnt eine frühzeitige otolo- gische Analyse, da sich dann oft das Hörvermögen durch ausgereif- te mikrochirurgische Operations- verfahren im Mittelohr langfristig verbessern läßt. Dies trifft beson- ders für Belüftungsstörungen des Mittelohrs bei intaktem Trommelfell zu, ferner für Otitis media chroni- ca, für die traumatische Schädi- gung des Schalleitungsapparates und für die Otosklerose. he (Naumann, W. H.: Münch. med.
Wschr. 116 [1974] 407-416)