DIE GLOSSE
Mein
neuer Job
Letzte Woche besuchte ich mei- nen Neffen Domenicus Kummer- speck. Domenicus hatte in seiner frühen Kindheit schon davon ge- träumt, die gesamte Menschheit zu beglücken, und da er sich nach Abschluß des Abiturs auch weiter- hin lieber am Wunschdenken als an Realitäten orientierte, begann er Medizin zu studieren. „Guten Tag, Onkel", rief er begeistert aus, als er mich erblickte, „gut, daß du kommst!" Der herzliche Ton in sei- ner Stimme ließ nichts Gutes erah- nen. So freundlich grüßte mein Neffe nur, wenn er wieder einmal Geld brauchte. Ich erwiderte sei- nen Gruß deshalb ziemlich reser- viert und setzte schon zu einer vä- terlichen Strafpredigt an, als er mich schnell unterbrach: „Aber nein, Onkelchen. Kein Geld. Dies- mal fehlt mir ganz einfach ein Un- tersuchungsobjekt." „Ein Unter- suchungsobjekt?", fragte ich er- staunt. „Ja. Wir Studenten sehen die Patienten nur aus weiter Fer- ne. Ans Untersuchen ist bei die- sem Andrang gar nicht zu denken.
Also sei kein Spielverderber, und hilf deinem armen Neffen aus der Klemme!"
Domenicus stand mitten im Ex- amen, und da es ihm an Routine ermangelte, untersuchte er ver- zweifelt einen jeden, der ihm unter die Finger kam. Kürzlich hätte er beinahe auch die Hauswirtin un- tersucht, doch ihr Ehemann hatte etwas dagegen. Mir war die ganze Angelegenheit offen gestanden sehr peinlich. Wer zeigt schon gern anderen seine Blöße, aber Domenicus bat mich so inständig, daß ich schließlich einwilligte.
Was tut man nicht alles der Wis- senschaft zuliebe . . . Er nutzte denn auch die Gelegenheit, um al- les an mir auszuprobieren, was man ihm theoretisch beigebracht hatte.
„Du bist großartig, Onkelchen", sagte er schließlich, „eine wahre Fundgrube. Endlich mal kein Nor-
malmensch!" Die Worte meines Neffen machten mich ganz kon- fus. Mein Sportlehrer hatte früher wohl immer behauptet, ich hätte nicht nur zwei linke Arme, sondern auch ebensolche Beine, aber er war dabei keineswegs begeistert, während sich dieser halbgare Springinsfeld gar nicht genug tun konnte. Wie soll ich das verstehen:
kein Normalmensch und trotzdem großartig?" — „Ganz einfach. Man kann an dir so vieles entdecken:
das rechte Bein etwas kürzer, Si- chelfüße, ein Sitzbuckel, eine ge- ringe Gaumenspalte . . ." — „Um Gottes willen!", unterbrach ich,
„hast du etwa auch einen Herzfeh- ler entdeckt? Mich sticht es neuer- dings des öfteren hier, wenn ich mich anstrenge!" — „Aber nein, Onkelchen", beruhigte er mich,
„du bist kerngesund. Alles nur kleine, interessante Abweichun- gen von der Norm, die einem das Untersuchen schmackhaft ma- chen."
Nachdem Domenicus so viele in- teressante Details an mir entdeckt hatte, wurde ich plötzlich, sozusa- gen über Nacht, zu einem begehr- ten Untersuchungsobjekt. Tag und Nacht klingelte das Telefon bei mir, und irgendein examens- geplagter Medizinstudent bat, flehte oder beschwor mich, ihm meinen Körper für eine Untersu- chung zur Verfügung zu stellen.
Einer drohte mir sogar, meine Kin- der zu entführen, falls ich ihm die Erlaubnis verweigerte. Schließlich wurde die Zahl der Wissensdursti- gen immer länger und meine Nachtruhe immer kürzer, und so entschloß ich mich zu Gegenmaß- nahmen. Einige Tage später er- schien in sämtlichen Studenten- zeitungen folgendes Inserat:
„Stelle mich gegen Entgelt als Un- tersuchungsobjekt zur Verfügung.
Gut hörbare Herz- und Lungenge- räusche, Giemen und Brummen kann auf Verlangen nachgeahmt werden. Viele kleine Überraschun- gen. Beste Empfehlungen.
Sprechstunden nur nach vorheri- ger Vereinbarung."
Dr. med. Mathias Recktenwald
Kaffee
unter Verdacht
Der gute alte Kaffee war schon bald nach seiner Einführung be- hördlichen Beschränkungen oder Verboten unterworfen, da er an- geblich die Gesundheit schädige.
Später wurde er rehabilitiert, und sogar ein ganzer Pharmakologen- kongreß konnte (1938) nichts Schädliches über den Kaffee aus- sagen, das heißt genauer genom- men über den im Kaffee enthalte- nen Wirkstoff Koffein.
Koffein ist nicht nur im Kaffee ent- halten, sondern auch im Tee, in vielen Erfrischungsgetränken und, nicht zu vergessen, in einer gan- zen Reihe von Arzneimitteln, vor- nehmlich in Kopfschmerzmitteln.
Jetzt ist jedoch Koffein wieder un- ter Verdacht geraten, schädlich zu sein. Diesmal wird diskutiert, ob Koffeingenuß während der Schwangerschaft zu Mißbildun- gen beim Neugeborenen führen kann. Wie das Gesundheitsmini- sterium der USA kürzlich mitteilte, haben Versuche an trächtigen Ratten ergeben, daß hohe Dosen von Koffein zu Mißbildungen bei neugeborenen Ratten führen. So- gar bei niedrigeren Dosen von Koffein wurde noch eine verzöger- te Skelettentwicklung nach der Geburt beobachtet. Daraufhin hat die Food and Drug Administration (FDA) Koffein von der Liste der als sicher geltenden Substanzen ge- strichen. Das US Gesundheitsmi- nisterium hat dennoch darauf ver- zichtet, ausdrücklich vor Koffein zu warnen; es hat sich lediglich auf eine Mitteilung über die Ver- suchsergebnisse beschränkt. Das Ergebnis der Tierversuche ist An- laß zu erhöhter Aufmerksamkeit, aber kein Grund zur Beunruhi- gung. Es spricht nämlich einiges dagegen, daß die Befunde an der Ratte auf den Menschen übertra- gen werden können. Der Stoff- wechsel von Koffein verläuft offen- sichtlich beim Menschen ganz an- ders als bei allen gewöhnlich be- nutzten Versuchstieren, ein- schließlich der Ratte. HO
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 44 vom 30. Oktober 1980 2589