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Archiv "Wilmstumoren bei Kindern" (02.12.1983)

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Heft 48 vom 2. Dezember 1983

Aktuelle Medizin

Wilmstumoren bei Kindern

Aus der Kinderklinik

(Direktor: Professor Dr. med. Jürgen Spranger) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Peter Gutjahr

Trotz hoher Malignität las- sen sich die unter den Mali- gnomen der Kinder häufi- gen, meist zufällig infolge der abdominalen Tumor- schwellung bemerkten Wilmstumoren überwiegend heilen. Die Therapie erfolgt kombiniert und in Abstufung der Intensität nach Maßgabe der individuellen Gefähr- dung durch die Erkrankung, so daß einerseits eine prä- operative Therapie, anderer- seits ein Verzicht auf die Ra- diotherapie sinnvoll sein kann. Eine Heilungsrate von 80 Prozent ist Realität. Die Spätmorbidität läßt sich niedrig halten, Vorausset- zung dafür sind eingehende Kenntnisse des nachbehan- delnden Arztes über die Nachsorgeprobleme. Prä- operativ lassen sich 5 Sta- dien unterscheiden. 1. Tu- morbeschränkung auf eine Niere. 11. Kapseldurchbruch mit und ohne Lymphknoten- befall. III. Intraabdominelle Tumor-Zellaussaat, etwa in- folge intraoperativer Tumor- ruptur. IV. Ausweitung auf Nachbarorgane bis zu pul- monalen Fernmetastasen. V.

Bilaterale Erkrankungen. 10 v. H. der Wilmstumoren wer- den bei Routine-Vorsorge- untersuchungen entdeckt.

Wilmstumoren*) sind biologisch hochmaligne Geschwülste der Niere, die sich überwiegend schon im Vorschulalter klinisch manife- stieren. Sie gehören zu den häu- figsten malignen Tumoren bei Kin- dern, kommen gelegentlich aber auch bei Erwachsenen vor. Durch intensive kombinierte Behandlung ist in der Mehrzahl der Fälle eine Dauerheilung möglich. Infolge der verbesserten Prognose werden immer häufiger niedergelassene Kollegen mit der komplexen Pro- blematik um die Wilmstumoren konfrontiert. Sie bezieht sich auf die Diagnostik (initial und im Ver- lauf), auf die Therapie (ambulante Zytostatika-Behandlung) und die Nachsorge, denn als ehemals on- kologisch Erkrankte sind diese Kinder in vielerlei Hinsicht Risiko- patienten.

Ätiologie

Hinweise auf eine physikalische, chemische oder virale Wilmstu- mor-Genese existieren nicht. Ver- einzelt beschriebenes konnatales Vorkommen unterstreicht die em- bryonale Genese. Eine Assozation mit Aniridie und Hemihypertrophie weist auf genetische Zusammen- hänge in der Entstehung hin. Eine pränatale Fehldifferenzierung re- nalen Gewebes ist der Ursprung der späteren malignen Prolifera- tion. Daher kann auch von einem

„Mißbildungstumor" gesprochen

werden, was die hier engen Bezie- hungen zwischen Teratogenese und Onkogenese betont.

Häufigkeit, Alters-

und Geschlechtsverteilung Die Inzidenz ist weltweit recht kon- stant und hat sich im Laufe der Jahre nicht verändert. Auf 9000 Kinder ist mit einem Wilmstumor zu rechnen. Kinder unter sechs Jahren sind bevorzugt betroffen, danach nimmt die Häufigkeit ste- tig ab. Der Altersdurchschnitt ist 3 bis 4 Jahre. Bilaterale Wilmstumo- ren (10 Prozent) kommen öfter bei jüngeren Kindern vor (im Mittel bei eineinhalb Jahre alten Kindern);

sie können synchron oder meta- chron auftreten, aus diesem Grun- de ist auch die kontralaterale Nie- re später besonders sorgfältig zu beobachten. Mädchen und Kna- ben erkranken gleich oft; linke und rechte Niere sind gleich häu- fig Ursprungsort.

Pathologische Anatomie

Ihrer hohen Bösartigkeit entspre- chend, durchbrechen Wilmstumo- ren früh Nieren- und Fettkapsel (Abbildung 1), infiltrieren in Nach- barorgane und metastasieren (lymphogen) in abdominale Lymphknoten und (hämatogen)

*) benannt nach Max Wilms, Chirurg, Heidel- berg, 1867 bis 1918

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 48 vom 2. Dezember 1983 27

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Abbildung 1: Eröffnetes Resektionspräparat eines Wilmstumors Stadium III: Nieren- und Fettkapsel bereits durchbrochen. Tumor-Zellaussaat mit gemischten Gewebean- teilen. Rechts noch gut erkennbare Niere als Ursprungsorgan (dreijähriger Knabe).

Potentiell können Nachbarorgane befallen sein vor allem in die Lunge (pulmonale

Metastasen bei Diagnosestellung bereits in 20 Prozent der Fälle).

Ein bestimmter geweblicher Auf- bau (anaplastisch-sarkomatöse Variante) muß vom klassischen, aus allen drei Keimblättern aufge- bauten Wilmstumor abgegrenzt bzw. differenziert werden, da dies zu therapeutischen Konsequen- zen führt und prognostische Be- deutung hat.

Weitere Nierentumoren bei Kin- dern sind das köngenitale meso- blastische Nephrom (k. m. N.) und der Klarzell-Typ.

Das k. m. N. ist sehr viel gutartiger (Heilung alleine durch Operation) und der Klarzell-Typ sehr viel bös- artiger als ein klassischer Wilms- tumor vom histologischen Stan- dardtyp.

Stadieneinteilung

Ebenso wie die pathohistologi- sche Klassifizierung ist die Aus- dehnung der Tumoren (Stadium) therapeutisch und prognostisch wichtig. In einer speziell für Wilmstumoren gültigen Einteilung unterscheidet man Stadien I—V.

Dabei kennzeichnet das Stadium I den komplett entfernten Wilms- tumor, der auf die Niere be- schränkt war, II den Kapseldurch- bruch mit oder ohne regionalen Lymphknotenbefall, III die intraab- dominelle Tumorzell-Aussaat, z. B. auch infolge intraoperativer Tumor-Ruptur, IV den Nachweis (hämatogener) Fernmetastasen und V die bilaterale Erkrankung.

Das Stadium wird präoperativ nach klinischen Daten festgelegt und intra- und postoperativ an- hand der neugewonnenen Infor- mationen überprüft und gegebe- nenfalls korrigiert (Operations-Si- tus, Pathohistologie einschließlich systematischer Lymphknotenun- tersuchung); die nachfolgende Therapie wird danach ausge- richtet.

Klinik

Regelfall ist die Manifestation oh- ne Schmerz. Am häufigsten wird zufällig eine „Schwellung des Bauches" bemerkt (Abbildung 2a), die anfangs und besonders bei Säuglingen nicht selten als „gutes Gedeihen" verkannt wird (Abbil- dung 2b), da sich die Kinder wohl fühlen.

Im Rahmen einer bundesweiten Wilmstumoren-Studie**) werden etwa 10 Prozent aller Erkrankun- gen anläßlich der Vorsorgeunter- suchungen bei asymptomatischen Kindern der verschiedenen Alters- gruppen entdeckt, was die Bedeu- tung dieser Untersuchungen dem- nach auch aus onkologischer Sicht unterstreicht.

Neben der asymptomatischen Tumorschwellung (50 Prozent) sind weitere Erstsymptome Obsti- pation (20 Prozent), Makrohämat- urie (20 Prozent), Harnwegsinfekt (10 Prozent), Gewichtsabnahme (5 Prozent), selten Atemnot infolge pulmonaler Metastasen; mehrere Erstsymptome sind jeweils gleich- zeitig möglich.

Bei 10 Prozent der Kinder besteht eine Hypertonie; sie ist bei Neuro- blastomen (Malignome aus dem sympathischen Nervensystem) häufiger. Eine Kachexie kommt in- itial kaum vor.

Laborchemisch wegweisende Be- funde sind spärlich; am ehesten sind es normochrome Anämie und BSG-Erhöhung als allgemeine Tumorzeichen.

Ein spezifischer Tumormarker wie das Alpha-1-Fetoprotein bei Tera- tomen und Hepatoblastomen und die Katecholamine bei Neurobla- stomen existiert bei Wilmstumo- ren nicht.

Ist nach Inspektion und Palpation der Verdacht auf einen malignen Abdominaltumor entstanden, sind differentialdiagnostisch andere Erkrankungen, auch gutartige, auszuschließen (Tabelle 1).

Diagnostik

Sonogramm, i. v. Urogramm und abdominale Computertomogra- phie (CT) sind die wesentlichen Untersuchungsverfahren. Sono- graphisch läßt sich die Organzu-

**) Ähnliche Studien für andere maligne Neo- plasien im Kindesalter liegen der Gesell- schaft für Pädiatrische Onkologie e. V. vor.

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Abbildung 2a (links): Sechsjähriger Junge mit asymptomatischer Schwellung des Abdomens (Mutter: „Die Hose war nicht mehr zuzuknöpfen") infolge Wilmstumors rechts, Stadium III; Patient seit sieben Jahren geheilt — Abbildung 2b (rechts):

Eingezeichneter Palpationsbefund bei elf Monate altem weiblichen Säugling, Wilms- tumor Stadium II. Die Tumorschwellung wurde anfangs als „besonders gutes Gedei- hen" fehlgedeutet. Seit vier Jahren tumorfrei

gehörigkeit der Tumoren meist eindeutig festlegen. Es können Angaben zur Konsistenz (solide oder zystisch) gemacht werden;

die Tumorabgrenzung gegen Nachbarorgane wird beschrieben (Leber, Milz, Pankreas; Lymph- knotenvergrößerung? Kontralate- rale Niere?).

Das Tumorvolumen wird bestimmt (Volumen [V] in cm 3 nach einer Ellipsoidformel: V = Länge (cm) x Breite (cm) x Tiefe (cm) x 0,52).

Im Mittel ist das Volumen der Wilmstumoren 500 cm 3 mit einem

Streuungsbereich zwischen 50 cm 3 und 3500 cm 3 (!); eine norma- le Niere hat beim sechsjährigen Kind zum Vergleich 50 bis 55 cm 3 . Das Sonogramm ist bei abdomi- nellen Raumforderungen im Kin- desalter obligat, ebenso das i. v.

Urogramm bei Wilmstumor-Ver- dacht.

Im i. v. Urogramm kann sich eine

„stumme Niere" finden oder eine verzögerte Kontrastmittelaus- scheidung. Das typische Bild zeigt die Raumforderung schon in der

Leeraufnahme, gelegentlich mit kalkdichten Einlagerungen. Das Nierenbecken-Kelchsystem ist ge- spreizt und verzerrt.

Die kontralaterale Niere ist zu be- achten. Eine Hydronephrose läßt sich durch i. v. Urographie oft nicht hinreichend sicher gegen ei- nen soliden Nierentumor abgren- zen; hier hilft die Sonographie weiter.

Die Röntgenaufnahme des Thorax ist notwendig, um pulmonale Me- tastasen ausschließen bzw. nach- weisen zu können.

Das abdominelle CT kann die er- hobenen Befunde bestätigen oder erweitern. Soll ein Wilmstumor- Verdacht bei geplanter präoperati- ver Zytostatikabehandlung so si- cher wie möglich erhärtet werden, ist das CT unabdingbar.

Nur wenn alle drei genannten Ver- fahren im Verdacht übereinstim- men, ist eine Vorbehandlung ge- rechtfertigt, was 20 Prozent der Kinder betrifft.

Die früher übliche Aortographie oder selektive Renovasographie ist heute nur mehr ganz besonde- ren Fragestellungen vorbehalten, kann aber für den Operateur zur Beurteilung der Vaskularisation wichtig sein.

Das CT des Hirnschädels und die Knochenszintigraphie werden ge- zielt bei histologisch verifizierten Subtypen der Wilmstumoren ein- gesetzt.

Umfangreiche laborchemische Untersuchungen sind notwendig, und zwar im Hinblick auf eventuell bestehende unabhängige Zweiter- krankungen oder alleine zur Doku- mentation vor einer späteren Ra- dio- und Chemotherapie. Aus dem gleichen Grunde ist es ratsam, ein EKG zu dokumentieren.

Blutdruckmessungen und Ermitt- lung des Harnstatus gehören zur Initial- und später regelmäßig zur Verlaufsdiagnostik.

30 Heft 48 vom 2. Dezember 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Maligne Raumforderungen Benigne Raumforderungen Neuroblastom

Phäochromozytom Rhabdomyosarkom Hypernephrom Hepatoblastom malignes Teratom malignes

Non-Hodgkin-Lymphom Leukämie

Polyzystische Nieren Hydronephrose Dysplastische Nieren Nierenkarbunkel Fibromatose

Nebennierenblutung Nierenvenenthrombose kongenitales mesoblastisches Nephrom

Tabelle 1: Abdominale Raumforderungen in der Differentialdiagnose des Wilms- tumors (Auswahl der häufigsten Fehldiagnosen)

Therapie

Zur wirksamen Behandlung ste- hen zur Verfügung: Operation, Ra- diotherapie und Zytostatika.

In großen Therapiestudien konnte während der vergangenen Jahre ein individuelles Risiko für den Pa- tienten durch den Tumor festge- legt werden, in dessen Berech- nung der histologische Subtyp, der Befund an den regionalen Lymphknoten und das Stadium der Erkrankung eingehen, so daß die Therapie nach Vorliegen der- artiger detaillierter Klassifikations- merkmale abgestuft werden kann.

Wilmstumoren werden optimal therapiert, wenn die Behandlung so aggressiv wie nötig und so schonend wie möglich ist.

Ein einheitlicher Behandlungs- plan existiert nicht mehr, sondern das Vorgehen ist individualisiert worden. Dazu drei Beispiele:

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Ein Wilmstumor des Stadium I wird operativ entfernt (Tumorne- phrektomie nach meist querer Oberbauchlaparotomie). Eine postoperative Radiotherapie er- folgt nicht.

Über sechs Monate wird dann — beginnend am 3. bis 4. postopera- tiven Tag — eine zytostatische Be- handlung mit Vincristin (Vincri- stin®) und Actinomycin D (Lyovac- Cosmegen®) durchgeführt.

Mit einer Dauerheilung kann bei dieser Situation in 90 Prozent der Fälle gerechnet werden.

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Ein Wilmstumor des Stadium III vom histologischen Standardtyp wird durch Operation, postopera- tive Radiotherapie (30 Gy Herddo- sis in 3 bis 4 Wochen) und eine zytostatische Drei-Mittel-Kombi- nation behandelt, wobei Adriamy- cin (Adriblastin®) hier als dritte Substanz hinzukommt.

Die Dauer der Langzeit-Chemo- therapie ist neun Monate; mit Hei- lung kann in 70 Prozent der Fälle gerechnet werden.

Ist diese Situation bei einem Kind unter zwei Jahren gegeben oder liegt eine histologische Variante vor, so muß das beschriebene Vor- gehen modifiziert, d. h. abge- schwächt oder intensiviert wer- den, was Radiotherapie und Che- motherapie unterschiedlich be- treffen kann.

Bei anaplastisch-sarkomatösen Wilmstumoren kommt dem Cyclo- phosphamid (Endoxon®) eine zu- sätzliche Bedeutung zu.

Bestehen primär multiple pul- monale Metastasen, so empfiehlt sich eine präoperative Therapie.

Nach 2- bis 3wöchiger Behand- lung kann beim histologischen Standardtyp mit einer Reduktion auf 50 Prozent des Tumor-Aus- gangsvolumens gerechnet wer- den, was den Wert dieser Therapie kennzeichnet.

Ein derart vorbehandelter Tumor ist oft verhältnismäßig leicht zu entfernen und läßt äußerlich ei- nen hochmalignen Prozeß kaum noch vermuten; nach Eröffnung finden sich neben nekrotischen aber immer noch aktive, in ihrer Menge aber reduzierte Tumorge- webe.

Eine Heilung bei metastatischen Wilmstumoren kann in 50 bis 60 Prozent der Fälle erzielt werden.

20 Prozent der Kinder werden vor- behandelt; eine generelle präope- rative Therapie ist nicht angezeigt, wie andererseits nicht immer eine primäre Operation erzwungen werden sollte.

Unter Vorbehandlung wird lau- fend (z. B. alle 2 bis 3 Tage) eine Ultraschallkontrolle durchgeführt, die über ein Ansprechen des Tu- mors Auskunft gibt (Volumenab- nahme, Strukturveränderung) was innerhalb von 3 bis 6 Tagen erwar- tet werden darf.

Fehlen Zeichen einer Tumorre- gression oder Strukturverände-

rung (palpatorisch nimmt als er- stes die Konsistenz des Tumors ab), ist das Behandlungskonzept neu zu überdenken.

Die Wilmstumor-Operation ist kein Notfalleingriff, sondern sollte in je- dem Fall unter den bestmöglichen Bedingungen vorgenommen wer- den.

Operateur (in der Regel Kinder- chirurg oder Kinderurologe), Ra- diotherapeut und pädiatrischer Onkologe sollten das Vorgehen vor jeglicher Therapie gemeinsam besprechen.

Der Eingriff dient der Tumorne- phrektomie und einem genauen Staging.

Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 48 vom 2. Dezember 1983 31

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Stadium I Tag 1 2 3 4

D D D D V

5 D*) V**)

Wiederholung des S-Tages-Zyklus alle 6 Wochen für 6 Monate. Beginn am 3. bis 4. postoperativen Tag

Stadium II

Tag 1 8 15 22 29 36 43 47

DDDDD DDDDD*)

V V V V V V V V**)

Dosierung wie in Stadium I. Von Tag 47 an folgt ein S-Tages-Zyklus entsprechend Stadium I alle 6 Wochen bis zu einer Gesamtdauer der Therapie von 9 Monaten. Beachte erforderliche Supportivmaß- nahmen(!)

Stadium 111-V

Tag 1 8 15 22 29 36 43 50 57 64 71

DDDDD DDDDD*) wie Tag 1

V V V V V

-

A A A A (=Beginn 2. Zyklus) Dosierung wie in Stadium I. Zusätzlich Adriamycin (A), 1 mg/kg KG pro dosi streng i. v.

.,.. Die hier gemachten Angaben entbinden nicht von einem genauen Studium der Wilmstumorbehandlung, z. B. nach Maßgabe eines der derzeit gültigen Behandlungsprotokolle, vor allem auch wegen mögli- eher Therapienebenwirkungen. Modifikationen können bei histologi- sehen Varianten notwendig sein.

*) D = Actinomycin D, 15 1-19/kg KG pro dosi streng i. v.

**) V = Vincristin, 0,05 mg/kg KG pro dosi streng i. v.

Tabelle 2: Zytostatische Behandlung von Kmdern be1 W1lmstumoren Die Situation der Lymphknoten ist

sorgfältig festzustellen, was die hi- stologische Untersuchung der an bestimmten Stellen zu entnehmen- den Knoten einschließt. Eine intra- operative Ruptur sollte vermieden werden; eine Biopsie des Wilms- tumors kommt nicht in Frage.

Die Radiotherapie- wenn indiziert - beginnt spätestens am 14. Tag postoperativ, während die zyto- statische Behandlung früher ein- setzt.

Die potenzierende Wirkung des Actinomycin D auf die Strahlenef- fekte ist zu bedenken. Ein gültiges

zytostatisches Behandlungssche- ma für die verschiedenen Stadien zeigt Tabelle 2.

Je nach Stadium der Erkrankung dauert die Langzeitbehandlung 6-12 Monate.

Der stationäre Aufenthalt dauert mindestens 14 Tage (Stadium I, Operation, keine Radiotherapie, Einleitung der Chemoterapie), kann sich bei erforderlicher prä- operativer Behandlung, Opera- tion, postoperativer Großfeldbe- strahlung und intensivierter Che- motherapie aber bis auf 12 Wo- chen ausdehnen.

Mit gesteigerter Behandlungsin- tensität erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit von Komplika- tionen.

Dazu zählen strahlenbedingte und zytostatikabedingte wie Rötung und Bräunung der Haut, Enteritis, Epitheliolyse, Übelkeit, Erbrechen, Knochenmarksdepression, erhöh- te lnfektionsgefahr, Schleimhaut- ulzera, Haarausfall.

Ergebnisse

80 Prozent aller Kinder mit Wilms- tumoren sind dauerhaft heilbar.

Durch Operation alleine war eine Heilung in 30 Prozent möglich, durch zusätzliche Radiotherapie in 60 Prozent, alle Erkrankungen zusammengenommen. Die zyto- statische Behandlung hat zur heu- tigen Heilungsrate demnach ganz wesentlich beigetragen. Abgese- hen davon erlaubten die Zyto- statika eine Reduktion oder (Sta- dium I) den gänzlichen Verzicht auf eine Bestrahlung, was sich in einer verringerten Spätmorbidität niederschlägt.

Für die einzelnen Stadien sind die Resultate unterschiedlich: 90 Pro- zent Heilungen im Stadium I, 85 Prozent im Stadium II, 70 Prozent in Stadium 111 und 60 Prozent in Stadium IV und V. Auch die Pro- gnose bilateraler Wilmstumoren ist somit recht günstig, so daß ei- ne Nierentransplantation primär nicht zu diskutieren ist. Ein abdo- mineller Lymphknotenbefall und ein anaplastisch-sarkomatöser Subtyp verschlechtern die Pro- gnose ganz erheblich.

Nachsorge

ln die Nachsorge der an Zahl stetig zunehmenden ehemaligen Wilms- tumorpatienten ist der niederge- lassene Arzt wesentlich einbezo- gen. Bei unkompliziertem Verlauf sind regelmäßige Untersuchungen erforderlich (Tabelle 3). Folgende Überlegungen sind leitend: Es handelt sich um ehemals onkolo- 32 Heft 48 vom 2. Dezember 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

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Untersuchung Frequenz im

Urinstatus 12x 8x 4x 4x 2x 1x

Clearance 2x 2x 1x lx lx 1x

Blutdruck 12x 8x 4x 4x 4x 1x

1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr 6. Jahr usw.

Eingehende körperliche Untersuchung Labordiagnostik (einschließlich Leberenzyme, Gesamteiweiß, Gerinnung, Krea- tinin, Harnsäure, Elektrolyte, Immunglobulin

16x 12x 6x 3-4 x 2-3 x 1x

4x 4x 2x 2x 2x 1x

Ultraschall (Nie- re, Leber, Milz, Lymphknoten)

16x 8x 8x 4x 2x 1x

Röntgen-Thorax 16x 8x 4x Computer-

tomographie

i. v. Urogramm 4x 2x

Tabelle 3: Untersuchungen in der Langzeitbetreuung von Wilmstumorpatienten (zusätzliche Untersuchungen je nach Indikation)

gisch Erkrankte, um Uninephrek- tomierte, um Kinder nach Radio- therapie (in 70 Prozent der Fälle;

30 Prozent benötigen keine Be- strahlung), um Kinder unter oder nach zytostatischer Behandlung.

Bei der Untersuchung ist daher immer auf ein eventuell rezidivie- rendes bzw. neues Tumorleiden zu achten (Metastasen treten überwiegend pulmonal auf, zweit- häufig sind Lokalrezidive) und zu- nächst engmaschig das Abdomen zu palpieren; gegebenenfalls ist eine Sonographie des Abdomens und eine Röntgenaufnahme des Thorax durchzuführen.

Die Untersuchung muß das ge- samte Kind umfassen. Blutbild- kontrollen erfolgen, zudem unter Chemotherapie, wie die vorge- nannten Untersuchungen im er- sten Jahr alle drei Wochen (Tabel- le 3). Der verbliebenen, rasch hy-

pertrophierenden Niere gilt be- sondere Aufmerksamkeit (Sono- gramm, Blutdruck, Harnstatus)!

Nach erfolgter Radiotherapie ist die Wirbelsäule auf eine Skoliose zu untersuchen. Beckendefor- mitäten können später Geburts- hindernisse bei den nicht grund- sätzlich infertilen Mädchen wer- den. Die Beurteilung der allgemei- nen körperlichen Entwicklung be- zieht gegebenenfalls endokrinolo- gische Spezialuntersuchungen ein. Eine krankengymnastische Behandlung kann sinnvoll sein, wenn Skoliosen möglich oder Weichteilatrophien wahrschein- lich sind. Die Herzfunktion ist zu überwachen, wenn der Thorax be- strahlt wurde oder Adriamycin zur Anwendung kam.

Während der zytostatischen Be- handlung ist das Immunsystem

kompromittiert. Infektionen mit oft ungewöhnlich bedrohlichen Erre- gern (gramnegative Bakterien, Pil- ze wie Candida albicans oder Cryptococcus neoformans, Viren wie das Zytomegalie-Virus, das Varizellen-Zoster-Virus) sind zu bedenken. Antibiotika dürfen nur gezielt eingesetzt werden, meist gleichzeitig mit oralen Antimykoti- ka. Hyperimmunglobuline stehen bei Exposition gegenüber dem He- patitis-B-Virus, Zytomegalie und Varizellen zur Verfügung.

Bei derartigen Komplikationen stehen heute regionale pädia- trisch-onkologische Zentren im- mer zur Beratung bereit.

Aktive Immunisierungen sind wäh- rend der zytostatischen Behand- lung kontraindiziert (Ausnahme:

Hepatitis B). Tetanus- und Diph- therievakzination ist hingegen un- bedenklich. 3 bis 6 Monate nach Ende der zytostatischen Behand- lung können alle Impfungen wie- der durchgeführt werden (Masern, Mumps, Röteln, Tuberkulose und Polio).

Die Kinder können meist bereits 3 bis 6 Wochen nach Entlassung Schule oder Kindergarten wieder besuchen. Die Ernährung ist nicht eingeschränkt, eine besondere Diät nicht erforderlich. Die Nah- rung sollte vitamin- und eiweiß- reich sein.

Die Erziehung sollte ebenfalls nor- mal sein, d. h. besondere Rück- sichten oder Vergünstigungen sollten nach dem Durchgemach- ten möglichst bald wieder abge- baut werden, um spätere Entglei- sungen oder Verhaltensstörungen zu vermeiden. Das ist auch mit Rücksicht auf Geschwister not- wendig.

Sportliche Aktivitäten sollten ge- fördert werden; harte Zweikampf- sportarten sind mit Rücksicht auf die Verletzungsgefahr der Einzel- niere zu umgehen.

Familiäres Wilmstumorvorkom- men ist so selten, daß Fragen in 34 Heft 48 vom 2. Dezember 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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diese Richtung verneint werden können, mit Ausnahme vielleicht bei bilateraler Erkrankung. Hier empfiehlt sich eine genetische Be- ratu ng.

Diese sollte auch bei allen ehema- ligen Wilmstumorpatienten durch- geführt werden, wenn sie das re- produktive Alter erreicht haben.

Nach immer größer werdenden Abständen zwischen den Kontroll- untersuchungen sollten die Kinder auch als Erwachsene nie ganz aus der Nachsorge entlassen werden (mindestens eine Untersuchung jährlich).

Sie gelten aufgrund des überstan- denen Neoplasmas lebenslang als Risikopatienten.

Noch ist sicher nicht alles über die Langzeitverläufe bekannt, wenn man die erste und zweite Filialge- neration in diese Überlegungen einbezieht. Ständig mögliche Kon- sultation von Haus- und Kinderarzt sowie von regionalem Tumorzen- trum soll helfen, diese Patienten über neue Erkenntnisse zu infor- mieren, weiter sollte durch Berich- te von ihnen selbst dort Erfahrung und Wissen kumuliert werden, was zukünftigen Patienten zugute kommt. Diese Wechselbeziehung zu realisieren ist auch für andere onkologische Erkrankungen von größter Wichtigkeit.

(Für die Überlassung der Abbil- dung 1 danken wir Herrn Profes- sor Dr. Thoenes, Direktor des Insti- tutes für Pathologie, Universitäts- klinikum Mainz.)

Literatur

Ein Verzeichnis der aktuellen Literatur zum Wilmstumor steht auf Anfrage beim Verfasser zur Verfügung.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Peter Gutjahr Oberarzt

Kinderklinik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Postfach 39 60

6500 Mainz

Apolipoprotein A-I als Marker für

angiographisch gesicherte koronare Herzkrankheit

Die Identifizierung eines Lipopro- teins oder Apolipoproteins als spezifischer und sensitiver Mar- ker für das Risiko, an Koronar- sklerose zu erkranken, ist seit lan- gem ein Ziel der Lipoproteinfor- schung. Vor allem aus epidemio- logischen Studien gibt es Hinwei- se auf eine Assoziation zwischen niedrigen Spiegeln von HDL-Cho- lesterin (HDL — High Density Li- poprotein) und erhöhtem Risiko für koronare Herzkrankheit (KHK).

Eine zufriedenstellende Diskrimi- nierung ist durch diesen Parame- ter jedoch nicht möglich. In der vorliegenden Studie wurden die Lipidparameter, insbesondere der Apolipoprotein-A-I-Spiegel, von 108 Patienten bestimmt, die an der Mayo-Klinik koronarangiogra- phiert wurden. Bei 83 Patienten fanden sich klinisch relevante Ste- nosen (>50 Prozent). Bei dieser Gruppe war sowohl das HDL-Cho- lesterin mit 31,9 mg% als auch das Apo A-I mit 96,7 mg% signifikant niedriger als bei den Patienten ohne KHK (45,9 bzw. 146,9 mg%).

Apo A-I erwies sich jedoch als we- sentlich besserer Diskriminator (Fehlklassifizierung 12,9 Prozent) als HDL-Cholesterin (Fehlklassifi- zierung 21,3 Prozent). Eine Korre- lation zwischen der Höhe des Apo-A-I-Spiegels und dem Schweregrad der KHK, bestimmt nach dem Gensini-score, fand sich nicht. Keine signifikanten Un- terschiede ergaben sich bei Ge- samtcholesterin, Gesamttriglyze- riden, Alter und Rauchgewohn- heiten. Nach der in einem Edito- rial geäußerten Meinung von H.

Blackburn ist die in der vorliegen- den Studie aufgezeigte Assozia- tion zwischen Apolipoprotein-A-l- Spiegeln und dem Bestehen einer Koronarsklerose so stark, daß ein kausaler Zusammenhang nahe- liegt. Das untersuchte Kollektiv

sei jedoch nicht repräsentativ. Für die Inzidenz in der Gesamtbevöl- kerung gelte weiter der LDL-Spie- gel als gewichtigster Faktor. Pro- spektive Studien in Bevölkerun- gen mit hohem LDL-Cholesterin und hoher Inzidenz für KHK soll- ten zeigen, ob der Apoprotein-A-I- Spiegel geeignet ist, die Entwick- lung einer Koronarsklerose bei in- dividuellen Patienten vorauszusa- gen. she

Maciejko, J. J.; Holmes, D. R.; Kottke, B. A.; et al.: Apolipoprotein A-I as a marker of angiogra- phically assessed coronary artery disease, The New Engl. J. Med. 309 (1983) 385-389; Dr. Ma- ciejko, Dept. of Int. Med., Div. of Cardiovasc.

Dis. Mayo Clinic and Foundation, Rochester, MN 55905, U.S.A.

Stimulation der

alveolären Makrophagen bei Asthma-Patienten

Während einer bronchoalveolaren Spülung wurde bei sieben Patien- ten mit Asthma allergischer Gene- se Dermatophagoides pteronyssi- nus-Allergen in den Alveolarraum instilliert. Die ß-Glukuronidase- Konzentration in der bronchoal- veolaren Flüssigkeit der Lunge stieg deutlich höher an als die in der Lunge der Kontrollpatienten (3,90 ± 1,88 nmol/h zu 0,86 ± 0,55). Der intrazelluläre ß-Glukuro- nidase-Spiegel in den alveolären Makrophagen der Asthmatiker- Lungen lag 40,3 Prozent unter dem der Kontroll-Lungen. Bei den drei Kontrollpatienten waren die intrazellulären ß-Glukuronidase- Konzentrationen vor und nach dem Allergen-Test ähnlich, und in der bronchoalveolaren Spülflüs- sigkeit konnte keine Enzymtätig- keit nachgewiesen werden. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß eine alveoläre Allergeninstilla- tion bei Asthmapatienten die al- veolären Makrophagen schnell sti- muliert, mit unmittelbaren Hyper- sensitivitätsreaktionen. dpe

Tonnel, A. B., et al.: Stimulation of Alveolar Macrophages in Asthmatic Patients after Local Provocation Test, The Lancet I (1983) 1406-1408, Dr. A. B. Tonnel, Centre d'Immuno- logie et de Biologie Parasitaire, Institut Pa- steur, B. P. 245, 59019-Lille Cödex, Frankreich

Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 48 vom 2. Dezember 1983 37

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