betroffen sein sollen – ein Vorhaben, das innerhalb der Regierungskoalition nicht unumstritten ist.
Der Göttinger Richter Koller be- grüßte auf der Eickelborner Fach- tagung grundsätzlich eine bundesein- heitliche Regelung zur Sicherungsver- wahrung. „Wir können aber nicht alle Sicherheitsrisiken durch Gesetze aus- schließen“, betont der Richter gegen- über dem DÄ. Bei den Beratungen zu dem BVerfG-Urteil klang seiner An- sicht nach zudem das Kanzlerwort vom
„Wegschließen“ durch. Dass sich selbst Juristen dem in den letzten zehn Jahren zunehmend in den Vordergrund getre- tenen Sicherheitsgedanken nicht völlig entziehen können, liegt nach Ansicht von Sabine Rückert an der „Vermark- tung von Morden“ durch die Medien (siehe DÄ, Heft 12/2003). Die Gerichts- und Kriminalreporterin der Zeitschrift
„Die Zeit“ und Autorin des Buches
„Tote haben keine Lobby“ forderte eine differenziertere und verantwor- tungsbewusstere Darstellung der Me- dien gegenüber den Verurteilten.
Doppelbestrafung:
Ein verhängnisvolles Urteil
Kein Verständnis für die aktuelle Ent- wicklung auf dem Gebiet der Sicherungs- verwahrung zeigte Dr. jur. Helmut Pollähne. Nach Ansicht des Maßregel- vollzugsexperten vom Bremer Institut für Kriminalpolitik handelt es sich bei dem BVerfG-Beschluss um „ein ver- hängnisvolles Urteil“. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei eine „Doppel- bestrafung“ des Patienten, da dieser schließlich schon zu Beginn seiner Straf- tat verurteilt worden sei. Unabhängig von dem ursprünglichen Beschluss würden die Patienten nun noch einmal beurteilt, was nicht zuletzt gegen das Rückwirkungsverbot verstoße, betonte Pollähne. Die von Zypries mit dem Gesetz verbundenen Versprechungen, nachträglich verurteilte Straftäter besser zu stellen als andere Straftäter, indem sie zum Beispiel in separaten Trakten un- tergebracht werden, bessere Kleidung tragen und weitere Privilegien genießen könnten, seien unrealistisch. Der Krimi- nalwissenschaftler: „Die Zunft der Straf- rechtler ist sehr besorgt.“ Martina Merten
P O L I T I K
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A760 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1219. März 2004
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s ist ein strahlend schöner Frühlingsmorgen. Wohlig warm legen sich die frühen Sonnenstrahlen um meine Seele, während ich, gefüllt mit präzisen Diagnosen und treffsicheren Therapien, in die Sprechstunde eile. Meine Helferinnen begrüßen mich freudig. Meine Patienten sind begeistert über die straffe Organisation; sie kommen fast nicht dazu, den frischen Kaffee im War- tezimmer zu genießen. Wartezeiten gibt es nicht, Notfälle werden in Sekun- denfrist versorgt. Die Patienten bedanken sich überschwänglich für die ganz- heitlich tolle Betreuung. Ein Chefarzt ruft an: Er würde gerne die gute Ko- operation intensivieren und bietet mir an, an den Mittwochnachmittagen und Wochenenden in seiner Klinik eine Zusatzbezeichnung zu erwerben. Er habe das schon mit der Kammer besprochen; diese sei völlig einverstanden, schließ- lich wolle man den Weiterbildungswillen der niedergelassenen Ärzte nach Kräften unterstützen. Kurz danach meldet sich der Steuerberater: Das Fi- nanzamt hat alle außergewöhnlichen Belastungen anerkannt; ich könnte nun das Ende der finanziellen Krisen meinem Banker mitteilen. Der wiederum istvöllig begeistert, als ich ihm mitteile, den neu gewonnenen Spielraum für die Einstellung zusätzlicher Auszubildender zu nutzen. Die Kassenärztliche Ver- einigung schreibt mir, dass nicht nur die Zulassungen zu den beantragten neu- en Untersuchungsmethoden bewilligt würden – nein: Man wolle sogar zusätz- liche Mittel bereitstellen, um mich von den Investitionskosten zu entlasten.
Schließlich sollte dieses Risiko nicht gänzlich von den Niedergelassenen, son- dern auch von den Institutionen getragen werden. Das haben sogar die Politi- ker erkannt. Der Leiter des Prüfungsausschusses ruft an und teilt mir mit, dass man sämtliche meiner Therapien als völlig korrekt anerkannt habe; ich bräuchte mich nun keinesfalls mehr vor Regressforderungen zu fürchten . . .
Bevor Sie mich nun verdächtigen, diesen ganz und gar surrealen Tag im Le- ben eines deutschen Arztes mithilfe legaler oder illegaler Drogen entworfen zu haben: Ich habe einfach zwei Fakten mit den daraus folgenden Auswirkungen für unseren Berufsstand nüchtern und trocken, wie das so meine Art ist, be- trachtet. Erstens:Wir haben zu wenig Ärztenachwuchs. Zweitens: Die Lebens- arbeitszeit wird verlängert. Daraus folgt, dass wir uns noch 30 (50?, 70?) Jahre auf den Stationen deutscher Krankenhäuser oder in den Praxen abrackern dürfen. Und mit jedem zusätzlichen Lebensarbeitsjahrzehnt steigt die klitze- kleine Wahrscheinlichkeit, einen solchen Tag einmal erleben zu dürfen. Na gut, vielleicht nicht alles auf einmal. Aber so ein klein bisschen Patientenbegeiste- rung,ein Quäntchen Investitionsentlastung,eine Sekunde Gnade vor dem Prü- fungsausschuss, ein Milligramm wohlwollende Ärztekammer einmal im Jahr- zehnt, das wäre doch was. Ich räume allerdings ein: Beim zweiten Blick ist dies tatsächlich sehr unrealistisch. Aber darauf freuen könnte man sich. In Anbetracht der übri- gen neun Jahre und 364 Tage hat das eventuell einen an- triebssteigernden Effekt, den wir für ebendiese neun Jah- re und 364 Tage brauchen. Die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben, vielleicht erlebe ich wirklich einen solchen Tag. Es soll schließlich auch so etwas wie Wunderheilun- gen geben.Auch in der Medizin. Dr. med. Thomas Böhmeke