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Archiv "Neue Informationen über Dr. Anatolij Korjagin: „Sie quälen mich wegen meiner humanitären Überzeugungen 1“" (15.10.1986)

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Die Deutsche Sektion der In- ternationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM, Kaiserstraße 72, 6000 Frank- furt/Main) hat Mitte dieses Jahres neue Informationen über den sowjetischen Arzt Dr. Anatolij Korjagin erhal- ten. Es sind die nachfolgend wiedergegebenen fragmen- tarischen Aufzeichnungen, die Dr. Korjagin von Herbst 1985 bis Frühjahr 1986 in ei- nem sowjetischen Straflager im Permer Gebiet gemacht hat. — Bis zu seiner Verhaf- tung im Februar 1981 war Dr. Anatolij Korjagin an der Psychiatrischen Klinik in Charow tätig. Er wurde im Ju- ni 1981 zu sieben Jahren Straflager und fünf Jahren Verbannung verurteilt. (Sie- he dazu auch die Berichte im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT, Hefte 48/1982 und 17/1984).

Dr. Anatolij Korjagin

Neue Informationen über Dr. Anatolij Korjagin

,Sie quälen mich wegen meiner humanitären Überzeugungen 1"

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

H

erbst 1985: Ein Jahr und drei Monate — von März 1984 bis Juni 1985 — war ich im Hun- gerstreik, mit dem ich gegen die unmenschliche Behandlung, die Folterungen und Quälereien an den politischen Gefangenen im Gefängnis von Tschistopol prote- stierte. Bei Abbruch meines Hun- gerstreikes hatte ich 40% meines Körpergewichts verloren. Jetzt lie- ge ich in einer Einzelzelle im Kran- kenhausbereich. Die Behandlung und die Verpflegung sind unzurei- chend. Man droht mir, mich hier wieder zu entlassen.

Gegen Ende des vierten Monats des Hungerstreiks im Juli 1984 fol- terte man mich durch das Anbrin- gen schmerzhafter Handschellen.

Mir reichte die Kraft gerade noch,

um meinem sadistischen Folterer ins Gesicht zu spucken. Der Ge- richtsprozeß fand im Januar 1985 statt, im neunten Monat meines Hungerstreiks. Heimlich brachte man mich auf einer Tragbahre in den Gerichtssaal und band mich an einem Stuhl fest. Ich verlor das Bewußtsein. Weder dem Untersu- chungsrichter noch dem Richter sagte ich ein einziges Wort. Das ist ihre Rache für meine Hunger- streiks und meinen Kampf für die Rechte der Gefangenen. Ich habe nichts widerrufen und bin meinen Überzeugungen treu geblieben.

W

inter 1985: Auf internationa- len Foren sollte die sowjeti- sche Regierung immer wie- der auf die Unmenschlichkeit ihrer Innen- und Außenpolitik und Ge-

setze hingewiesen werden und darauf, humanitäre Organisatio- nen ins Leben zu rufen. Die Weige- rung der Sowjets, sich daran zu beteiligen, würde ihre Selbstbloß- stellung bedeuten. Ich stelle mei- nen Namen dafür zur Verfügung.

Dem Kampf um den Frieden sollte ein Streben nach mehr Humanis- mus auf unserem Planeten gegen- übergestellt werden. Dieses Stre- ben müßte, als umfassenderes Ziel, den Kampf um den Frieden mit beinhalten, vorausgesetzt, al- les ist gut und breit organisiert.

In meinem Namen kann ein Appell an alle fortschrittlich denkenden Menschen dieser Erde ergehen — mit der Bitte, das kommende 21.

Jahrhundert zum Beginn einer Ära des Humanismus auf dieser Erde zu erklären.

Diesem edlen Ziel sollte die ge- samte Energie des Verstandes und des Herzens gewidmet werden.

F

rühling 1986: Am 4. April wur- de ich in den Strafisolator ge- worfen, wegen meiner Weige- rung, das Gerichtsurteil anzuer- kennen und mich für schuldig zu erklären, und wegen meiner Kritik an den drakonischen sowjeti- schen Gesetzen. Im Isolator esse

ich nichts. Ich habe sechsund- zwanzig Tage und Nächte gehun- gert. Ich wurde nicht zwangser- nährt. Des Nachts nur kahle Bret- ter und tagsüber nackter, kalter

Fußboden. Physisch ist da einmal die Folter durch Hunger und Schlaflosigkeit und psychisch durch den ungewollten Anblick und Geruch des Essens auf dem Tisch.

Durch eine Funktionsstörung der Herzgefäße, des Magens und des Darmes habe ich zwölf Kilogramm verloren. Ich erhielt keine medizi- nische Behandlung, sondern die für den Karzer übliche karge Ver- pflegung in Form der normalen Menge an Schwarzbrot.

Ich bin ständig hungrig und sehr entkräftet. Erneut nahm man mir, 2850 (34) Heft 42 vom 15. Oktober 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Dr. Anatolij Korjagin FORUM

Bettenabbau und Kostendämpfung Das "Beispiel" Berlin und die Folgen

ohne rechtliche Begründung, das Recht auf Einkauf im Lagerkiosk weg. So sieht ihr Humanismus aus.

Das Ziel des KGB und der Ärzte Lyssenko und Kosyrew ist es, mich wegen meines Engagements zum Krüppel zu machen. Der KGB- Agent Anatolij Semjonow droht mir, mich umzubringen. Sie has- sen und quälen mich so beson- ders grausam wegen meiner hu- manitären Überzeugungen.

Dr. Anatolij Korjagin"

Die Hilfsaktion „Ärzte in Not"

zur Rettung von Dr. Korjagin ist von vielen deutschen Kolle- gen auch finanziell unterstützt worden. Diese Spenden ha- ben es unter anderem möglich gemacht, zwei Vertreter der IGFM zur Verleihung des Frie- densnobelpreises an die IPPNW nach Oslo zu entsen- den, um den sowjetischen Re- präsentanten dieser Organisa- tion, den stellvertretenden Ge- sundheitsminister und Mit- glied des Zentralkomitees der KPdSU, Professor Ischasow, vor Zeugen um Hilfe für Dr.

Korjagin zu bitten — bisher oh- ne Erfolg. Die IGFM setzt ihre Bemühungen für Dr. Korjagin unverändert fort. Spenden- konto Deutsche Bank Frank- furt/Main, IGFM-Sonderkonto

„Ärzte in Not" 4 052 031-02.

Polen: 24 000 neue Krankenhausbetten

Im letzten Fünfjahrplan Polens sind insgesamt 24 000 neue Kran- kenhausbetten übergeben wor- den, wie Gesundheitsminister Mi- roslaw Cybulko anläßlich eines DDR-Besuchs mitteilte. Im laufen- den Jahr sollen weitere 2200 Bet- ten hinzukommen. Das von der Polnischen Vereinigten Arbeiter- partei gesetzte Ziel für das Jahr 2000 —100 Krankenhausbetten für je 10 000 Einwohner — erfordere, daß bis dahin noch 23 Kranken- häuser mit je 600 bis 800 Betten errichtet werden. gb

Im Spätsommer 1985 wurden in Berlin Pläne des Gesundheitsse- nators Ulf Fink (CDU) und der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) bekannt, die bereits erheb- lich reduzierten Akutbetten der Krankenhäuser um weitere 10 bis 15 Prozent abzubauen. In einer Anhörung vor dem Gesundheits- ausschuß am 20. Januar 1986 wur- de berichtet, daß es in Berlin pro 10 000 Einwohner durchschnitt- lich 121,8 Akutbetten gäbe (Bun- desdurchschnitt: 75,6).

Schlüsselt man die Krankenhaus- betten getrennt nach einzelnen Fachabteilungen auf, so stellt man fest, daß in der Zahl der Akutbet- ten Berlins ein Anteil von Sonder- betten') von 24,0 Prozent verbor- gen ist (bundesweit = 2,8 Pro- zent). Außerdem ergibt sich, daß Berlin bereits 1983 mit der Anzahl der Allgemein- und Unfallchirurgi- schen Betten unter dem Bundes- durchschnitt liegt, mit der Zahl der Gynäkologischen Betten aber so- gar an vorletzter Stelle der Bun- desstatistik (Reduzierung von 1980 zu 1983 um 10,5 Prozent).

Folgen für die Bevölkerung Die starken Bettenreduzierungen der jüngsten Zeit haben bereits jetzt schwerwiegende Folgen für die Berliner Bevölkerung:

1983 liegt die Sterblichkeit an ausgewählten allgemein-chirurgi- schen Erkrankungen (Eingriffe und Komplikationen) weit über

1) Sonderbetten: In Berlin vorwiegend Betten für psychisch und für chronisch Kranke.

Von den 15 396 Betten für chronisch Kran- ke der Bundesrepublik Deutschland befin- den sich 10 037 in Berlin (West). Die Kosten übernimmt nicht die gesetzliche Kranken- versicherung, sondern der Patient muß selbst zahlen. Folgen: häufig Verlust von Wohnung und jedem persönlichen Eigen- tum für Alleinstehende; finanzielle Not für Angehörige beispielsweise von jungen Kar- zinompatienten.

dem Bundesdurchschnitt (Tabelle auf Seite 2852).

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Bei den über 65jährigen trat in- folge der hohen Sterblichkeit in Berlin ein starker Rückgang der absoluten Zahlen der Rentner von 1971 zur 1983 ein, so daß die Über- alterung der Berliner Bevölkerung gegenüber dem Bundesgebiet er- heblich zurückging.

Beispiel: In Berlin Rückgang um 76 000 Personen = — 17 Prozent;

in Bayern Zunahme um 190 000 Personen = + 14 Prozent. Im Ver- gleich zu anderen Bundesländern ist es dadurch in Berlin zu einer beträchtlichen „Entlastung" der Versicherungsträger, insbesonde-

re der AOK, und der Sozialämter gekommen.

• Die seit Mitte der siebziger Jah- re international erzielten Fort- schritte der Medizin und der Un- fallverhütung, welche bundesweit zu einer Senkung der Sterblichkeit aller Altersgruppen geführt haben, sind in Berlin wesentlich weniger spürbar als im Bundesgebiet. In verschiedenen Altersgruppen nahm die Sterblichkeit im Zeit- raum von 1972 bis 1983 sogar zu.

Das betrifft nicht nur Hochbetagte, sondern zum Beispiel bei Män- nern auch die Altersgruppen 35 bis 40 Jahre und 50 bis 55 Jahre.

• Die Sterblichkeit der Neugebo- renen gilt als Gradmesser für die Güte der medizinischen Versor- gung eines Landes. Bis 1978 war Berlin in der Betreuung der Neu- geborenen eines der führenden Bundesländer. Seit 1981/82 gehört Berlin zu den Bundesländern mit der höchsten Neugeborenensterb- lichkeit. — Das kann eine signifi- kante Folge der Einsparung gynä- kologischer Krankenhausbetten sein.

Nicht erst seit 1980, sondern be- reits seit 1975 wird in Berlin die Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 42 vom 15. Oktober 1986 (35) 2851

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