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Archiv "Neurowissenschaften: Reizen, steuern, regeln" (12.06.2009)

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K

aum eine Woche vergeht oh- ne eine Veranstaltung zur Ge- hirnforschung. Und die Säle sind voll. Der Nationale Ethikrat beschäf- tigte sich auf seiner Jahrestagung am 28. Mai 2009 in Berlin unter der Schlagzeile „Der steuerbare Mensch?“ mit Konsequenzen für Ethik und Recht. Das Fragezeichen war entbehrlich. Der Mensch ist steuerbar, jedenfalls wenn man den Experten folgt. Fraglich ist dann aber, ob er für sein Handeln verant- wortlich ist. Denn, so die stellvertre- tende Vorsitzende des Gremiums, Christiane Woopen, „ethische Fra- gen haben nur dann einen Sinn, wenn wir davon ausgehen können, dass wir für unser Handeln Verant- wortung übernehmen können“.

Wohlwollen für die Therapie

Im Ethikrat erregte vor allem die Stimulierung des Gehirns zwecks Leistungssteigerung die Gemüter, während die therapeutischen Ansät- ze auf Wohlwollen stießen. Beides hängt zusammen. Denn die Mecha- nismen, die Kranken helfen, kön- nen auch dazu benutzt werden, das Wohlbefinden oder die Leistung von Gesunden zu heben. Letzteres läuft unter dem sperrigen Begriff Neuroenhancement.

Der Bonner Psychiater Thomas Schläpfer stellte dem Ethikrat Er- gebnisse der tiefen Hirnstimulation (THS) vor. Hierbei senden Elektro- den in definierten Hirnpartien an- dauernde Impulse aus, die „etwas“

bewirken; zum Beispiel bringen sie beim Tourette-Syndrom die unwill- kürlichen, heftigen Bewegungen nahezu zum Verschwinden. Schläp- fer demonstrierte das mit einem Vorher-Nachher-Video, das das Pu- blikum ungemein beeindruckte und für solche Art Therapie einnahm.

Standard ist die THS laut Schläpfer bereits bei der Parkinson-Krankheit.

Mit dem Kölner Neurochirurgen Volker Sturm erprobt Schläpfer zur- zeit die Tauglichkeit der Methode bei schwerer Depression. THS sei, versicherte Schläpfer, voll reversi- bel und unterscheide sich daher grundlegend von früherer Psycho- chirurgie wie etwa der Lobotomie.

Die Nebenwirkungen der THS sind aber noch weiter zu beobach- ten, etwa, ob sie zu unerwünschten Veränderungen der Persönlichkeit führt. An sich sei aber die Verän- derung der Persönlichkeit nicht Neben-, sondern die beabsichtigte Hauptwirkung der THS, so Schläp- fer. Das ethische Problem sei viel- mehr, ob die Manipulation als gut oder schlecht zu bewerten sei.

Das Dilemma wird vor allem bei Neuroenhancement deutlich. Denn mit der THS ließe sich auch die Leistung gesunder Hirnregionen dauerhaft steigern. Schläpfer äußer- te sich dazu zurückhaltend. Sein Kollege Volker Sturm hatte sich zu- vor an anderer Stelle (in „Gehirn und Geist“, Heft 11/2008) strikt ge- gen solches Neuroenhancement ausgesprochen: „Ich halte das für kriminell.“

Neuroenhancement mit Medika- menten scheint dagegen üblich zu sein. Auch von Gesunden werden Antidepressiva, Stimulanzien und Antidementiva benutzt. Die Berli- ner Psychiaterin Isabella Heuser sah diesen off-label use auffallend locker. Sie sprach von einer „Ver- schiebung der Normalität“ und ver- wies auf den weitverbreiteten Kon- sum von Prozac in den USA oder die Verschreibungen von Ritalin und Modafinil, die weitaus höher seien, als es der medizinischen Notwen- digkeit entspreche. Heuser erntete aus dem Ethikrat heftigen Wider- spruch, so wurde auf das Suchtpo- tenzial von Psychostimulanzien und -dämpfern hingewiesen.

Die Referentin hielt immerhin ei- nen gesellschaftlichen Diskurs für dringend geboten. Damit stand sie beim Ethikrat nicht allein. Der Phi- losoph Ludger Honnefelder, zurzeit Berlin, forderte eine Verständigung über die Ziele: „Was betrachten wir als konstitutive Güter menschlichen Gelingens?“ Der Tübinger Theolo- ge Dietmar Mieth empfahl, eine

„Angebotsethik“ zu entwickeln und nicht alles der „Nachfrage“ zu über- lassen. Der Strafrechtler Henning Rosenau riet, zunächst die ethische Debatte abzuwarten und keine vor- schnellen Entscheidungen zu treffen – vor allem keine restriktiven. Denn ein Verbot mentaler Optimierung verstieße „gegen die Entwicklung des Menschen selbst“. Damit war er dem Soziologen Wolfgang van den Daele aus Berlin nahe; der möchte

„die Frage, wie sollten wir leben, dem Einzelnen freigeben“.

Eine Woche später, am 3. Juni widmete die Charité – Universitäts- medizin Berlin eine der Ringvorle- sungen anlässlich ihres 300-jähri- gen Bestehens gleichfalls dem Ge- hirn. Schwerpunkt dieser Veranstal- tung war die Frage, ob die biologi- schen Strukturen des Gehirns und die Abläufe im Gehirn den freien Willen nicht obsolet erscheinen las- sen. Der Mannheimer Psychiater Andreas Meyer-Lindenberg berich- tet anhand des Williams-Beuren- Syndroms und des „Aggressions- gens“ MAO-A über die genetische Determiniertheit menschlichen Ver- haltens. John-Dylan Haynes, Neuro- biologe und Psychologe aus Berlin, führte wie zuvor schon beim Ethikrat vor Augen, dass vermeintliche Wil- lensentscheidungen nicht frei sind, sondern im Gehirn „angebahnt“ wer- den. Mit der Magnetresonanztomo- grafie können Haynes und Kollegen den Ablauf einfacher Entweder- oder-Entscheidungen sichtbar ma- chen („Brain Reading“) so wie Meyer-Lindenberg Erregungsände- rungen der Amygdala.

Noch mit aller Gelassenheit

Die Neurowissenschaftler gaben sich bei der Charité zurückhaltender als der Strafrechtler und der Philosoph.

Meyer-Lindenberg verwies darauf, dass das Verhalten zu vielleicht

A1230 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 24⏐⏐12. Juni 2009

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NEUROWISSENSCHAFTEN

Reizen, steuern, regeln

Stimulierungen des Gehirns können Kranken helfen und Gesunden zur

Leistungssteigerung verhelfen. Einblicke ins Gehirn lassen am freien

Willen zweifeln. Brauchen wir neue Normen für Forscher und Richter?

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 24⏐⏐12. Juni 2009 A1231

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40 Prozent genetisch bestimmt sei, aber durch Lebenserfahrungen mo- duliert werde. Haynes schränkte ein, dass die Neuroforschung den Ablauf komplexer Entscheidungen noch nicht durchschaue. Auch sei zu klären, ob die sich anbahnenden Entscheidungen im Gehirn noch rückgängig gemacht werden könn- ten. So nebenbei erinnerte Haynes daran, dass Hirnforschung sich zu- meist mit Re-Aktion beschäftige:

Man setze einen Reiz und sehe, was passiere. Vernachlässigt werde hin- gegen das proaktive Handeln.

Der Bonner Rechtswissenschaft- ler Tade Matthias Spranger hatte beim Ethikrat für Gelassenheit plä- diert; die bestehenden rechtlichen Kategorien seien auch auf die Neuro- forschung anzuwenden, akut zu re- geln sei lediglich das Forscher-Pro- banden-Verhältnis. Auf dem Charité- Podium sprach sich hingegen der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel („Ich bin Neurodeterminist“) kühn schon jetzt für eine Änderung von § 20 Strafgesetzbuch aus. Dieser geht bisher vom freien Willen des Täters aus. Was aber, wenn dessen Handeln biologisch vorherbestimmt ist? Das Strafrecht schütze die ge- sellschaftlichen Normen, belehrte Merkel. Würden die verletzt, müsse bestraft werden, selbst wenn der Tä- ter für sein konkretes Handeln nichts könne. Merkel gestand jedoch zu, dass seine Lösung nicht voll befrie- dige, doch damit müsse man leben.

Der Mainzer Philosoph Thomas Metzinger, der von den manipulati- ven Möglichkeiten, die die Hirnfor- schung eröffnet, überzeugt ist, for- derte, ähnlich wie die theologischen Philosophen beim Ethikrat, „rech- zeitiges Nachdenken über positive Zielvorstellungen“ und plädierte für Normen, welche Bewusstseinzu- stände gefördert werden und welche illegal sein sollen. Metzinger dräng- te: Die Lage sei dramatischer als viele dächten. Ist sie das?

Drängen bei den einen, Gelassen- heit bei den anderen. Viel work in progress. Der Ethikrat will so bald keine Stellungnahme verfassen. Er richtet sich auf einen längeren Diskurs ein – und liegt damit wohl

richtig. I

Norbert Jachertz

M

edizinische Fachangestellte (MFA) erhalten ab dem 1.

Juli 2009 ein fünf Prozent höheres Gehalt. Der Tarifvertrag zwischen der Arbeitsgemeinschaft zur Rege- lung der Arbeitsbedingungen der MFA und dem Verband medizini- scher Fachberufe trat nach Ablauf der Einspruchsfrist am 20. Mai rück- wirkend zum 1. Januar 2009 in Kraft.

Außer der fünfprozentigen Gehalts- erhöhung sieht der Abschluss eine Einmalzahlung für das erste Halb- jahr 2009 in Höhe von 330 Euro für Vollzeitbeschäftigte, anteilig für Teilzeitbeschäftigte vor. Die Ausbil- dungsvergütungen werden ab Juli in allen Ausbildungsjahren um einheit- lich 50 Euro auf nunmehr 531 Euro im ersten Ausbildungsjahr, 572 Euro im zweiten Ausbildungsjahr und 616 Euro im dritten Ausbildungsjahr er- höht. Der Vertrag hat eine 24-mona- tige Laufzeit bis Ende des Jahres 2010. Der Gehaltstarifvertrag vom November 2007 war fristgerecht bereits zum 31. Dezember 2008 ge- kündigt worden. Die Vertragspartner hatten sich aber in Vorgesprächen im

Herbst 2008 darauf verständigt, die Auswirkungen der ärztlichen Ho- norarreform zu Beginn des Jahres 2009 zunächst abzuwarten.

Am Honorarplus teilhaben

Erstmalig spielte bei den Tarifver- handlungen der frühere Richtwert der Grundlohnsummensteigerung eine untergeordnete Rolle. Stattdes- sen wurden die 2,7 Milliarden Euro, die zusätzlich zwischen 2007 und 2009 in die ambulante Versorgung geflossen waren, als Orientierungs- rahmen herangezogen. Bereits in den abschließenden Tarifrunden im Herbst 2007 hatten die Fachange- stellten ihre Erwartung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass von den zu- sätzlichen Finanzmitteln auch das Praxispersonal angemessen profitie- ren solle. Die Arbeitgeberseite si- gnalisierte damals die grundsätzliche Bereitschaft, den Beitrag der MFA an der Leistungserbringung in den Praxen stärker zu honorieren. Dabei spielte die politisch motivierte Dis- kussion um eine stärkere Einbezie- hung nicht ärztlicher Gesundheits-

TABELLE

Gehaltstabelle für vollzeitbeschäftigte Medizinische Fachangestellte/Arzthelferinnen

Berufsjahr Tätigkeits- Tätigkeits- Tätigkeits- Tätigkeits- gruppe I gruppe II gruppe III gruppe IV

(Euro) (Euro) (Euro) (Euro)

1.–3. 1 424 1 495 – –

4.–6. 1 554 1 632 1 709 1 865

7.–10. 1 685 1 770 1 854 2 022

11.–16. 1 783 1 872 1 962 2 140

17.–22. 1 897 1 992 2 087 2 277

23.–29. 2 013 2 114 2 214 2 416

ab dem 30. 2 131 2 237 2 344 2 557

MEDIZINISCHE FACHANGESTELLTE

Deutlich mehr Honorar nach langer Durststrecke

Um fünf Prozent soll das Gehalt der Medizinischen Fachangestellten ab dem 1. Juli erhöht werden.

Der Beruf muss für den Nachwuchs attraktiver werden.

Referenzen

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