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Archiv "Krebserkrankungen im Kindesalter: 3. Leukämiezahlen erhöht" (14.05.1993)

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Academic year: 2022

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MEDIZIN

1. Eine Beruhigung Als Eltern und Ärzte, die wir in einer Kernkraftwerksregion leben, danken wir Ihnen für diese fundierte, wissenschaftliche Studie. Zwar ist die Thematik viel zu komplex, als daß die Sorge um die Kinder gänzlich ge- nommen werden könnte, doch sind Ihre gewonnenen Erkenntnisse zu- mindest eine Beruhigung.

Was die in Ihrem Epilog ange- deuteten schweren Vorwürfe gegen Ihre Arbeit betrifft, interessiert es Sie vielleicht, daß auf uns auch ein anderes Resultat keinesfalls unseriös gewirkt hätte. Das einzige, was mü- hevoll konzipierte Studien Ihrer Art unseriös und bestechungsfähig macht, ist die Entwicklung, daß lei- der immer mehr inkompetente Leute Positionen innehaben, die ihnen er- lauben, Wissenschaftlern Erfahrung, Engagement und gemeinerweise Be- rufsethos abzusprechen.

Dr. med. Eheleute Bauer Mierendorffstraße 19 W-6140 Bensheim

2. Doch eine Gefahr?

Die Autoren bringen in der Dis- kussion ihrer Ergebnisse ausschließ- lich Argumente zur Relativierung ei- ner möglichen von Kernanlagen aus- gehenden Gefahr, was für eine epi- demiologische Studie sehr unge- wöhnlich ist und dem Leser ein ge- wisses Unbehagen bereitet. Meiner Meinung nach sind zudem einige Ar- gumente wahrscheinlich unkorrekt.

So halten die Autoren eine erhöhte radioaktive Belastung als nächstlie- gende Ursache für unwahrscheinlich, weil in der Verteilung der Risikoer- höhungen keine Systematik in bezug auf Betriebsdauer oder Entfernung der Anlagen bestand. Die „Cluster", an anderer Stelle erörtert als zeitlich oder örtlich begrenzte erhöhte Er- krankungsraten, werden in diesem

DISKUSSION

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med.

Jörg Michaelis und Mitarbeitern in Heft 30/1992

Zusammenhang jedoch nicht disku- tiert.

Die Erhöhung relativer Erkran- kungsrisiken in der Umgebunggeplan- ter Kernanlagen — Hauptaspekt der Autoren gegen eine ursächliche Wir- kung radioaktiver Emissionen — ist, da ohne passend zugeordnete Kontroll- regionen ermittelt, möglicherweise einfach ein Artefakt. Das Argument einer kleinen Fallzahl, sonst von den Autoren oft angeführt, darf man zu- dem hier nicht weglassen: Sie war für die Untergruppe mit der auffälligsten Erhöhung (Faktor 4,16) mit sechs Er- krankungsfällen am kleinsten.

Dr. med. Reinhard Huljus Roonstraße 25

W-2000 Hamburg 20

3. Leukämiezahlen erhöht

In dem Übersichtsartikel „Krebs- erkrankungen im Kindesalter" (DÄ 30 vom 24. 7. 1992) stellen die Auto- ren die Ergebnisse ihrer bundeswei- ten Untersuchung zur Häufigkeit von Tumorerkrankungen in der Umge- bung der westdeutschen Atomkraft- werke vor.

Die sehr präzise durchgeführte Untersuchung weist eindeutig nach, daß es in der Umgebung der west- deutschen kerntechnischen Anlagen keine erhöhten Tumorraten gibt, was von den Autoren immer wieder in den Vordergrund gestellt wird.

Es gibt und gab allerdings auch nie ernsthafte Hinweise darauf, daß durch den Betrieb von Atomkraft- werken gehäuft solide Tumoren bei Kindern hervorgerufen wurden.

Vielmehr weisen viele Studien darauf hin, daß in der Umgebung von Atomanlagen gehäuft Leukämieer- krankungen auftreten. Eine große Untersuchung der Umgebung aller englischen Atomanlagen zeigte, daß dort auch keine erhöhten Tumorra- ten insgesamt zu verzeichnen waren, sondern lediglich Leukämieerkran- kungen bei Kindern gehäuft vorka- men, und zwar am deutlichsten bei Kleinkindern in der näheren Umge- bung der älteren Atomanlagen.

Ein entsprechendes Ergebnis findet sich nun auch in der Studie des Mainzer Kinderkrebsregisters. Bei allen Malignomen liegen die Fallzah- len sowohl in den Studienregionen als auch in den Vergleichsgebieten unter dem Bundesdurchschnitt, was auch zu erwarten war, da die Inzi- denzen in derartigen ländlichen Ge- bieten relativ niedrig sind.

Auffällig sind aber die Fallzah- len der Leukämien, und zwar vor al- lem bei Kleinkindern.

In der direkten Umgebung der kerntechnischen Anlagen ist die Leukämierate bei Kindern bis zu vier Jahren dreimal so hoch wie in den Vergleichsregionen und liegt auch deutlich über dem Bundesdurch- schnitt. In der Umgebung der älte- sten Atomanlagen ist das relative Ri- siko für Kleinkinder sogar siebenmal höher als in den Vergleichregionen.

Diese Zahlen ähneln denen der Untersuchungen aus England. Auch dort fanden sich erhöhte Leukämie- raten vor allem bei den jüngeren Kin- dern, und zwar ebenfalls am auffäl- ligsten in der direkten Umgebung der ältesten Atomanlagen.

Bei der Präsentation der Studi- energebnisse gehen die Leukämie- fallzahlen, denen eigentlich das Hauptinteresse gilt, allenfalls in eini- gen Nebensätzen unter.

Man hat fast den Eindruck, als wollten die Autoren nichts sehen, was eigentlich nicht sein darf. Denn schon in früheren Untersuchungen des Mainzer Kinderkrebsregisters wurde immer wieder darauf hinge- wiesen, daß erhöhte Leukämieinzi-

Krebserkrankungen im Kindesalter

A1 -1442 (66) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 19, 14. Mai 1993

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MEDIZIN

denzen um Atomanlagen gar nicht durch Strahlung hervorgerufen sein können, da die Strahlenbelastung viel zu niedrig sei.

Bei einer objektiven Bewertung der eigenen Daten hätten die Auto- ren zu dem Schluß kommen müssen, daß generell keine erhöhte Tumorra- te um die westdeutschen Kernkraft- werke zu verzeichnen ist. Das Leuk- ämierisiko insbesondere für Klein- kinder ist aber deutlich erhöht.

Matthias Demuth Kinderarzt

Wilhelmshöher Allee 262 W-3500 Kassel

4. Hypothesen-Umbau Die überaus sorgfältig geplante Untersuchung verliert ihren Sinn, wenn in methodisch anfechtbarer Weise nachträglich die Hypothesen- stellung umgebaut wird.

Fragestellung war, ob in der Um- gebung von kerntechnischen Anlagen im Vergleich zu definierten Ver- gleichsregionen statistisch gesichert vermehrt Krebsfälle bei Kindern auf- treten.

Nach den Ergebnissen muß dies für akute Leukämien bei Kindern von null bis vier Jahren bejaht wer- den. Leukämien gelten als sensible Indikatorerkrankungen für Strahlen- schäden (DT. ÄRZTEBL. 88, Heft 25/26, 24. 6. 91). Desgleichen ist be- kannt, daß besonders Kinder strah- lensensibel sind. Das Ergebnis ist in- sofern stimmig. Es kann nicht über- raschen, daß die Krebsrate allgemein und für Erwachsene nicht erhöht ist.

Offenbar handelt es sich um Schäden im Grenzbereich. Dies sind gestützte Hypothesen, da nicht alle Ursachen kontrolliert werden können.

Immerhin wurde eine Verstär- kung des Effektes bei einem Wohn- ort der Kinder in größerer Nähe der kerntechnischen Anlagen festge- stellt. Auch ergab sich eine beson- ders hohe Leukämie-Inzidenz in der Umgebung um besonders alte Anla- gen. All dies könnte auf einen Dosis- Wirkungseffekt hinweisen.

Ist das Ergebnis unerwünscht, daß plötzlich vom Studiendesign ab- gewichen wird? Doch nicht ohne

DISKUSSION

Grund wurde statt mit dem Durch- schnitt der Bundesrepublik mit einer sorgfältig ausgewählten Vergleichs- region verglichen. Schließlich gibt es ein Stadt-Landgefälle für Krebser- krankungen. Die niedrigen Krebsra- ten in der ländlichen Vergleichsregi- on dürfen nicht verwundern.

Schließlich mag man auch eine Voreingenommenheit darin zu er- kennen, wenn in der Arbeit argu- mentiert wird, die erhöhten Erkran- kungsraten könnten nicht auf radio- aktive Emissionen zurückgeführt werden, weil die Emissionen „nicht dazu geeignet sind, epidemiologisch erkennbare Erkrankungshäufungen zu bewirken". Das sollte doch wohl gerade untersucht werden.

Alles in allem also eine höchst interessante Untersuchung, die man aber so lesen muß, wie sie ursprüng- lich gemeint ist.

Dr. med. Roland Knebusch Facharzt für Psychiatrie und Neurologie

U. N. UM.

Hauptstraße 41 W-7640 Kehl

Schlußwort

Die Diskussionsbeiträge zu un- serer Arbeit geben Anlaß, auf die grundsätzlichen Unterschiede ver- schiedener Planungs- und Auswer- tungsansätze von epidemiologischen Studien und darauf basierender Schlußfolgerungsmöglichkeiten hin- zuweisen:

Bei konfirmativen Analysen wird vor Studienbeginn aufgrund theore- tischer Überlegungen oder auch an- derweitiger Beobachtungen eine be- stimmte Hypothese festgelegt, die dann mit Hilfe der Studie überprüft werden kann. Hier ist die Aussagefä- higkeit von Ergebnissen am größten, da eine vorgegebene Irrtumswahr- scheinlichkeit („Signifikanzniveau") berücksichtigt werden kann. Die Zahl konfirmativ untersuchbarer Fragestellungen in einer Studie muß immer relativ stark begrenzt werden, um ein interessierendes Ergebnis mit hinreichend großer Wahrscheinlich- keit („power") beobachten zu kön- nen.

Um ein mit großem Aufwand er- hobenes Datenmaterial über die kon- firmativen Analysen hinaus noch wei- ter auszuschöpfen, kann man an- schließend systematisch explorative Analysen durchführen. Hier sind Aussagen nicht mit definierter Irr- tumswahrscheinlichkeit zu erhalten, mit der Zahl der durchgeführten ex- plorativen Untersuchungen steigt auch die Zahl der lediglich zufallsbe- dingt als auffällig zu erwartenden Er- gebnisse. Das Verfahren wird vor al- lem dazu eingesetzt, neue Sachhypo- thesen zu generieren, die dann in un- abhängigen Studien konfirmatorisch überprüft werden müssen.

Schließlich nehmen einige Un- tersucher datengesteuerte Analysen vor, die aus einem erhobenen Daten- bestand gewisse, nicht zuvor definier- te Zusammenhangsstrukturen „her- ausprojizieren". Dieses Vorgehen ist in der Regel ohne jegliche Aussage- kraft, weil hierbei vorwiegend zufalls- mäßig realisierte Konstellationen gleichsam mit der Lupe vergrößert werden.

McMahon (3) hat kürzlich in ei- ner kritischen Ubersicht dargestellt, daß in vielen der englischen Studien, auf die auch in den vorstehenden Zu- schriften Bezug genommen wurde, die Definition von Untergruppen, die Definition der Umgebungsregionen um einzelne Kernkraftwerke und die Zusammenfassung verschiedener Regionen datengesteuert vorgenom- men wurden und daß damit die oben- genannten Einschränkungen gelten.

Unsere Studie war in ihrer kon- firmatorischen Fragestellung und dem methodischen Ansatz eng ange- lehnt an die größte, zu der Thematik systematisch durchgeführte englische Studie (1). In dieser Studie war ledig- lich ein erhöhtes relatives Risiko für Leukämien und Morbus Hodgkin bei Kindern und Jugendlichen für eine etwa 15 km-Umgebung um kerntech- nische Anlagen festgestellt worden.

Das beobachtete relative Risiko war nicht ausdrücklich auf besonders jun- ge Kinder oder besonders kleine Ab- standsregionen beschränkt. Diese Ergebnisse konnten in unserer Un- tersuchung nicht bestätigt werden;

dies ist die statistisch abgesicherte Hauptaussage unserer Studie. Eine

„nachträgliche Hypothesenumstel- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 19, 14. Mai 1993 (67) A1-1443

Referenzen

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