DA EDITORIAL
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Dysphagie
Hans-Georg Boenninghaus
chluckstörungen (Dysphagien) ha- ben vielfältige Ursachen. In den mei- sten Fällen ist die Beeinträchtigung des normalen Schluckaktes von der Mundhöhle bis in den oberen Öso- phagus als neurogene oder myogene Funktions- störung aufzufassen. Sie führt nicht zu örtlichen Schmerzen. In der nachstehenden Arbeit gehen die Autoren Malin und Schliack aus neurologi- scher Sicht auf dieses Thema und die zugrunde liegenden Krankheitsbilder ein.
Die gefährlichste Folge einer Schluckstö- rung ist der fehlerhafte Transport der Nahrungs- mittel mit dem „Verschlucken", das heißt der Aspiration von Speichel oder Nahrung in Luft- röhre und Bronchien, und das Entstehen einer Aspirationspneumonie. Ist das Verschlucken durch Hirnstamm- oder Himnervenläsionen, vorwiegend des N. glossopharyngeus und des N.
vagus, ausgelöst und kommt es dadurch zu einer einseitigen Schlucklähmung mit einem irrever- siblen mangelnden Abschluß von Larynx und Trachea, so sind auf chirurgischem Weg Rehabi- litationsmaßnahmen möglich, wie der Otolaryn- gologe Denecke 1957 gezeigt hat. Sie bestehen in einer Resektion der paralytischen, ausgesackten Pharynxwand dieser Seite mit Durchtrennung der Pars fundiformis des M. cricopharyngeus (Schleudermuskel). Außerdem wird das gelähm- te Stimmband durch Knorpeleinpflanzung in Medianstellung gebracht.
Dysphagien kommen außer bei neurologi- schen Krankheiten auch aus anderer Ursache — vor allem bei Erkrankungen im HNO-Gebiet — vor. Örtliche, mitunter im Anfangsstadium schwer erkennbare organische Erkrankungen sind Tumoren im Oro- und Hypopharynx oder Kehlkopf, nach denen bei Schluckstörungen in erster Linie gefahndet werden muß. Auch an ein Zenkersches Hypopharynxdivertikel muß bei Schluckstörungen gedacht werden.
Einfacher sind durch entzündliche Erkran- kungen ausgelöste Schluckschmerzen, die eben- falls die Nahrungsaufnahme behindern können,
ursächlich abzuklären. Pharyngitiden, Tonsilliti- den, Seitenstranganginen und anderes lassen sich durch einfache Inspektion erkennen und er- folgreich behandeln.
Die allgemeine Bezeichnung Schluckbe- schwerden sollte für zunächst unklare Mißemp- findungen beim Schlucken, sowohl bei der Nah- rungsaufnahme als auch beim Leerschlucken, vorbehalten bleiben. Nach Ausschluß der eben erwähnten örtlichen organischen oder entzünd- lich ausgelösten Dysphagien und den in der fol- genden Arbeit ausführlich geschilderten neuro- genen Schluckstörungen bleibt differentialdia- gnostisch das vielfach als psychogene Störung aufgefaßte sogenannte „Globusgefühl" (Globus pharyngis) zu erwähnen. Die Beschwerden be- stehen in Kloßgefühl oder Druck im Hals, Trok- kenheits- oder Fremdkörpergefühl und Schmer- zen beim Leerschlucken. Eine psychosomatische Reaktion, eine depressive Verstimmung, die hor- monelle Umstellung nach der Menopause oder eine Karzinophobie mögen ein Globusgefühl auslösen. Durch eine gründliche Ausschlußun- tersuchung kann mancher sich krank Fühlende beruhigt und den unter einer Karzinophobie lei- denden Patienten geholfen werden.
Dysphagien, die auf Erkrankungen unter- halb des ösophagopharyngealen Sphincters durch Ösophaguserkrankungen selbst bedingt sind, wie Spasmen, Motilitätsstörungen, gutarti- ge und bösartige Tumoren, Strikturen oder Re- fluxösophagitis bedürfen einer eingehenden in- ternistischen Untersuchung unter Zuhilfenahme bildgebender Verfahren.
Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -3315 [Heft 41]
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Hans-Georg Boenninghaus Universitäts-Hals-Nasen-Ohren-Klinik Im Neuenheimer Feld 400
W-6900 Heidelberg 1
Dt. Ärztebl. 89, Heft 41, 9. Oktober 1992 (39) A1-3315