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Archiv "Alt Rehse: Verschworene Gemeinschaft im Dienste der NS-Gesundheitspolitik" (02.06.1995)

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Bei der Eröffnung der Führerschule am 1. Juni 1935 erklangen Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied. Die ge- samte Veranstaltung zeugte von der engen Verbindung der Führerschule zur NSDAP und zum NSD-Ärztebund.

Cyl CP.

E

THEMEN DER ZEIT AUFSÄTZE

Alt Rehse Verschworene Gemeinschaft im

Thomas Dienste der NS-Gesundheitspolitik

Gerst Die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft"

Vor 60 Jahren, am 1. Juni 1935, wurde im mecklenburgi- schen Alt-Rehse die „Führerschule der Deutschen Ärzte- schaft" feierlich eröffnet. Rückschlüsse auf die große Be- deutung, die diesem Ereignis durch das NS-Regime beige- messen wurde, erlaubt das Verzeichnis der Gäste, ange- führt vom Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, in Be- gleitung seines Stableiters Martin Bormann. Über alle deutschen Radiosender wurde die Eröffnungsfeier direkt übertragen. Konzipiert war die ärztliche Führerschule als

nationalsozialistische Kaderschmiede vor allem für NS-Ge- sundheitsfunktionäre und linientreue Jungärzte. In zwei- bis vierwöchigen Kursen sollten die Teilnehmer, „nach- dem sie vorher schon durch die weltanschauliche Schulung der Partei gegangen sind, zusätzlich auf den Gebieten geschult werden, die sie als ärztliche Führer unbedingt beherrschen müssen". (1) Dazu gehörten nicht zuletzt

„Rassenhygiene" und „Erbgesundheitspflege", zwei zen- trale Themen nationalsozialistischer Gesundheitspolitik.

Es steht zwischen Elbe und Oder In norddeutscher Heide ein Haus, Dort schult man der Ärzte Garde Und bildet als Führer sie aus. (2)

Die Idee zu einer Schulungsstätte für den nationalsozialistischen Arzt stammte von Hans Deuschl, seit 1931 Geschäftsführer des Nationalsoziali- stischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB), nach 1933 dessen stellver- tretender Leiter. Offenbar bereits un- mittelbar nach der Gleichschaltung der ärztlichen Spitzenorganisationen wurden die ersten Schritte unternom- men, um ein solches Projekt zu ver- wirklichen. Als geeignetes Gelände wurde der landschaftlich äußerst reiz- voll gelegene Hauffsche Gutsbesitz Alt-Rehse in Mecklenburg auserko- ren. Die Gutsherrin stimmte bereit- willig dem Verkauf ihres rund 500 Hektar großen Besitzes zu, aber der Einspruch eines Familienmitglieds blockierte das Geschäft. So bedurfte es eines Telegramms aus dem Führer- hauptquartier an die Landesverwal- tung, um die Angelegenheit im Sinne der NS-Ärzteführung zu regeln. Im öffentlichen Interesse wurde der Gutsbesitz gegen Entschädigung ent- eignet; neuer Eigentümer wurde der Hartmannbund, in dessen Rechts- nachfolge wenig später die Kas- senärztliche Vereinigung Deutsch- lands (KVD) eintrat. Die Gelder, die

zum Erwerb des Gutsbesitzes aufge- bracht wurden, stammten aus einer Zwangsumlage, die 1930 von den Mit- gliedern des Hartmannbundes erho- ben worden war, um mit diesem soge- nannten „Kampffonds" ein parteipo- litisches Engagement ärztlicher Stan- desvertreter zu unterstützen.

Bereits im Sommer 1934 konnte mit den ersten Baumaßnahmen in Alt-Rehse begonnen werden; der mit der Leitung der künftigen „Führer-

schule" betraute Deuschl siedelte nach Alt-Rehse über, um den Fort- gang der Arbeiten zu überwachen.

Errichtet wurden drei komfortable Schlafhäuser für jeweils 32 Schulungs- teilnehmer sowie ein 42 X 16 Meter großes Gemeinschaftshaus („ Hier herrscht Wikingergeist, der Geist des weiten Ausgriffs, nordischer Geist".

(3), wo der kombinierte Unterrichts- und Speiseraum, Küche, Leseraum und Räume für das Dienstpersonal

A-1588 (46) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 22, 2. Juni 1995

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THEMEN DER ZEIT

untergebracht waren. Als Unterkunft für die Leitung und für die Dozenten der „Führerschule" diente das soge- nannte „Neue Schloß" — Wohnsitz der ehemaligen Besitzer von Alt-Rehse das man im Innern recht luxuriös aus- gebaut hatte. Hierzu hatte man den einzelnen Ärztekammern die Auflage gemacht, eine der jeweiligen Folklore entsprechende Zimmereinrichtung zu stiften. „So gab es zum Beispiel ein Schwabenzimmer, ein Bayernzimmer und so weiter, ausgestattet mit erlese- nem Mobiliar und Wandbehang." (4)

Das zum Gutsbesitz gehörende kleine Dorf, wo die Gutsarbeiter mit ihren Familien wohnten, ließ man völ- lig niederreißen, „ weil die Unterbrin- gungsverhältnisse sibirisch waren" (5), und an gleicher Stelle zwanzig neue Wohnhäuser, eine Art Musterdorf im niedersächsischen Bauernhausstil mit Fachwerk und Schilfdach, errichten.

Auch hier waren es die ärztlichen Standesorganisationen in den einzel- nen Landesteilen, die sich „freudig und bereitwillig in den Dienst dieses sozialen Aufbauwerkes stellten und er- hebliche Geldmittel aus eigenem Auf- kommen dafür opferten" (6). Das völ- lig erneuerte „alte Herrenhaus" dien- te nunmehr als Wohnsitz für die Guts- verwaltung. Sportplatz, Turnhalle, Badeanstalt am Tollense-See, der an den weitläufigen Park des Gutes an- grenzte, komplettierten nach und nach eine Idylle, die eher an ein Erho- lungswerk für Ärzte als an eine natio- nalsozialistische Kaderschmiede den- ken läßt.

Doch man sollte sich nicht täu- schen lassen. Ziel der Schulungsarbeit in Alt-Rehse war es, den nationalso- zialistischen Arzt auf seine Führungs- aufgabe im Dritten Reich vorzuberei- ten. „Der Arzt ist berufener weltan- schaulicher Lehrer und Erzieher, der Arzt ist berufener Politiker sowie poli- tischer Lehrer und Erzieher des Deut- schen Volkes. . . Die Erhaltung des art- gleichen und gesunden Bestandes des deutschen Volkes ist die Hauptaufgabe des deutschen Arztes." (7) Mit diesen einführenden Worten wurden die Kursteilnehmer in Alt-Rehse auf den weiteren Kursverlauf eingestimmt.

Gefordert wurde ein fest in der natio- nalsozialistischen Ideologie verwur- zelter Arzt, der sich vor allem dem

„rassisch und völkisch erkrankten

AUFSÄTZE

deutschen Volkskörper" (7) widmet, wohingegen die Sorge um den einzel- nen Kranken in seiner Bedeutung zurückzutreten habe.

Wir schreiben nicht lange Rezepte, Das können die anderen auch, Wir heilen des Volkes Seele — Das ist Alt-Rehser Brauch. (2)

Im Gegensatz zu den medizini- schen Fakultäten, wo sich Reformen im Sinne nationalsozialistischer Ge- sundheitspolitik bei der Ausbildung zunächst nur sehr langsam realisieren ließen, war mit der „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft", dem „Lieb- lingskind der Reichsärzteführung"

(8), der direkte Zugriff auf die künfti- gen „Gesundheitsführer" im Deut- schen Reich möglich. Zunächst galt es jedoch, diejenigen Ärzte, die bereits seit der Machtübernahme 1933 „im Gesundheitswesen der Partei und ihrer Gliederungen, im Amt für Volksge- sundheit, in der Kassenärztlichen Ver- einigung Deutschlands und innerhalb der übrigen Organisationen und Ein- richtungen der Ärzteschaft besondere verantwortungsvolle Aufgaben als Amtsträger zu erfüllen" (9) hatten, einheitlich auszurichten. Bereits En- de August 1935 hatten sämtliche Amtsleiter des Amtes für Volksge- sundheit der NSDAP eine zweiwöchi- ge Schulung in Alt-Rehse hinter sich gebracht. Von der Reichsführung der

Für die Führerschule wurde eine eige- ne Uniform kreiert (Mitte). Das Fo- to stammt vom 2. Jungärzte-Lehr- gang, bei dem freundschaftlicher Besuch japanischer Ärzte verzeichnet wurde. Bei dem Lehrgang wurden

„in echtem national- sozialistischem Geist etwa 100 Jungärzte ... in vier Wochen wahrer Kamerad- schaft, weltanschau- lich ausgerich- tet, zusammenge- schweißt". (Deut- sches Ärzteblatt)

KVD wurde ausdrücklich verlangt, daß „auch in der KVD jeder Amtslei- ter der KVD (sowohl der Landes- als auch der Bezirksstellen) und jeder ärztliche Geschäftsführer durch die Führerschule gegangen ist" (10). Bei einer Teilnehmerzahl von insgesamt rund 1 000 Ärzten war bis Anfang 1936 die Schulung der ärztlichen Funktionsträger in Partei- und Stan- desorganisationen weitgehend abge- schlossen.

Betrachtet man den Unterrichts- stoff der Lehrgänge in Alt-Rehse, so lassen sich vor allem drei Themen- schwerpunkte unterscheiden: Organi- satorische Grundlagen nationalsozia- listischer Gesundheitspolitik, Ver- hältnis von Schulmedizin und Natur- heilkunde, Rassen- und Bevölke- rungspolitik im NS-Staat. Bei einem Blick auf die Namensliste der Dozen- ten, die sich in Alt-Rehse zum Vortrag einfanden, stellt man fest, daß hier die erste Riege der Reichsärzteführung fast vollständig versammelt war.

Reichsärzteführer Gerhard Wagner ließ es sich nicht nehmen, höchstper- sönlich über „Nationalsozialistische Gesundheitspolitik und nationalso- zialistisches Arzttum" zu referieren, sein späterer Nachfolger, Reichsge- sundheitsführer Leonardo Conti, ent- wickelte vor den Kursteilnehmern die Grundzüge des staatlichen Gesund- heitswesens im Dritten Reich. „Erb- biologie und Rassenpflege", „Kriegs- sanitätsdienst, Kampfgaschemie", Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 22, 2. Juni 1995 (47) A-1589

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THEMEN DER ZEIT

„Führertum und Führeraufgaben des deutschen Arztes", „Die Nürnberger Gesetze", „Gesundheitsdienst in der Hitlerjugend", „Biologische Medi- zin" — so lauteten die Themen einiger Vorträge, mit denen den Zuhörern die Grundlagen des NS-Gesundheits- wesens vermittelt werden sollten.

Ebenso wichtig wie die inhaltli- che Gestaltung der Lehrgänge er- schien den Initiatoren der Führer- schule offenbar der paramilitärisch ausgerichtete organisatorische Rah- men, in den sich die Kursteilnehmer einzufügen hatten und der bewußt darauf abgestimmt war, „eine Kame- radschaft und innere Verbundenheit zu entwickeln, wie man sie sonst nur in Erinnerung vom Felde oder schwerer Kampfzeit her hatte" (11). Frühsport, Betten bauen, Revier reinigen, Flag- genparade und Arbeitsdienst waren feste Bestandteile des Tagesdienst- plans. „Beim Eintreten in den ‚Dienst' des Kurses wurde den Ärzten bedeutet, der Ton im Lager ist ,Du`. Es war dann gleichgültig, ob der Betreffende ein berühmter Universitätsprofessor oder Landarzt war. . . . Selbstverständlich bekam man auch eine Uniform, für den Werktag einen schmucklosen Trai- ningsanzug, für Sonn- und Feiertage einen braunen, mit weißer Paspelie- rung und silbernen Knöpfen mit ent- sprechendem Schiffchen, so daß man einem Liftboy zum Verwechseln ähn- lich war" (12)

Wer sind die treuen Kam'raden?

Wer geht aus Alt-Rehse hervor?

Das ist der Deutschen Ärzte verschworenes Führerkorps. (2)

Als eine verschworene Gemein- schaft im Dienste nationalsozialisti- scher Gesundheitspolitik sollten die Ärzte in der „Führerschule der Deut- schen Ärzteschaft" herausgebildet werden, und schenkt man den im

„Deutschen Ärzteblatt" veröffentlich- ten Erlebnisberichten von Kursteil- nehmern Glauben, so hatte gerade der äußere Rahmen maßgeblichen Anteil am Erfolg der Schulungsmaßnahme.

Daß nun nicht gleich jeder deutsche Arzt Gefallen fand an dieser ideolo- gisch verbrämten Art von Wehr- ertüchtigung, darauf läßt die im folgen- den wiedergegebene Stellungnahme

AUFSÄTZE

Eröffnet wurde Alt-Rehse in Anwesenheit von viel Parteiprominenz, angeführt von Rudolf Heß.

eines Arztes schließen: „ Über die

‚Schulung' in Alt-Rehse ist jedes Wort zuviel. Es genügt zu wissen, daß man dort die Ärzte wie Schulbuben behan- delt und sie zwingt, mit Schrubber und Besen die Stuben aufzuwaschen. Die

‚Schulung' besteht in Parteikram öde- ster Konvenienz. Aber lassen wir ruhig sich verblöden, wer dazu neigt!" (13)

Nach Abschluß der Schulung für die ärztlichen Funktionäre in Partei- und Standesorganisationen wurde im Frühjahr 1936 in Alt-Rehse mit den vierwöchigen Lehrgängen für Jung- ärzte begonnen. Hieran teilnehmen konnten die im Sinne der Partei be- sonders qualifizierten Medizinalprak- tikanten und Assistenzärzte; die An- meldung erfolgte über den zuständi- gen Gauamtsleiter für Volksgesund- heit. Bis Mai 1938 hatten rund 1 000 Jungärzte den Lehrgang in Alt-Rehse absolviert. Zusätzlich fanden einzelne spezielle Kurse statt für Universitäts- dozenten, Ärztinnen, Hebammen, na- turheilkundige Ärzte und Apotheker.

Auch für niedergelassene Ärzte, die beim Amt für Volksgesundheit zuge- lassen waren, bestand nunmehr auf Antrag die Möglichkeit zur Teilnah- me an einem der Ärztelehrgänge. Je einmal in den Jahren 1936 und 1937 fand sich in Alt-Rehse mit den Gau- amtsleitern des Hauptamtes für Volksgesundheit, die in der Regel in Personalunion Leiter der Ärztekam- mern waren, der NS-Führungskader

der deutschen Ärzteschaft zu einer Arbeitstagung ein, um die Richtlinien für die weitere Arbeit festzulegen.

Daß die Vermittlung der natio- nalsozialistischen Erb- und Rassen- lehre insbesondere im Rahmen der Jungarzt-Kurse von großer Bedeu- tung war, zeigte die 1937 erfolgte Be- rufung von Prof. Dr. Hermann Boehm nach Alt-Rehse. Boehm, nach 1933 als „alter Kämpfer" der NSDAP mit einer Professur am Rudolf-Heß- Krankenhaus in Dresden belohnt, übernahm allerdings nicht nur die diesbezüglichen Lehrverpflichtungen in Alt-Rehse; für eigene „wissen- schaftliche" Arbeiten wurde ihm dort ein „erbbiologisches Forschungsinsti- tut" — Assistent und Hilfspersonal in- begriffen — zur Verfügung gestellt. Mit Beginn des Jahres 1943 verließ Boehm Alt-Rehse, um ein Ordinariat für Rassenhygiene an der Universität Gießen zu übernehmen.

Der deutsche Überfall auf Polen beendete vorläufig den Schulungsbe- trieb in Alt-Rehse, da dort ein Reser- ve-Lazarett eingerichtet wurde. Erst mit Beginn des Jahres 1941 konnten erneut Schulungen durchgeführt wer- den; nunmehr wurden Kollegen aus den eroberten Gebieten im Westen und Osten Deutschlands mit den Grundlagen der NS-Gesundheitspoli- tik vertraut gemacht. Die Wiederauf- nahme des Schulungsbetriebs war je- doch nur von kurzer Dauer; seit Be- ginn des Jahres 1942 wurde die „Füh- rerschule der Deutschen Ärzteschaft"

erneut — diesmal bis Kriegsende — als Reserve-Lazarett benötigt.

Und holt einst der Tod uns zur Ruhe, Der niemals gesehen uns feig, Alt-Rehser, die bleiben Kämpfer Fürs dritte, fürs ewige Reich. (2)

Nach Kriegsende zunächst von sowjetischem Militär besetzt, später im Zuge der Bodenreform enteignet, ging das Gelände, auf dem sich die

„Führerschule der Deutschen Ärzte- schaft" befunden hatte, mitsamt dem zum See hin gelegenen Park in den Besitz der Nationalen Volksarmee über, die dort unter anderem Bunker für den Kriegsfall errichten ließ. Die Hausgrundstücke in der Gemeinde Alt-Rehse selbst konnten zum Teil A-1590 (48) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 22, 2. Juni 1995

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M E N DER ZEIT AUFSÄTZE/BERICHTE

Eine jetzt abgeschlossene Studie des Bundesforschungsministeriums (BMFT) liefert neue Erkenntnisse über die Belastung von Wohnräumen durch textile Beläge. Die Untersu- chungen zeigen, daß nicht die Textil- fasern der Teppichböden, sondern de- ren Fixierschicht (Vorstrich und Gummirücken) die Hauptquelle für mögliche gesundheitsschädliche Stof- fe sind. Den größten Marktanteil ha- ben in Deutschland derzeit Tep- pichböden mit Polyamidfasern und einem Styrol-Butadien-Gummi- rücken beziehungsweise einem tex- tilen Zweitrücken. In den Ausgasun- gen dieser textilen Bodenbeläge wur- den insgesamt 116 chemische Verbin- dungen identifiziert, die meist in sehr geringen Konzentrationen auftraten und nur durch Einsatz sehr empfindli- cher Untersuchungsmethoden nach- weisbar waren. So wurden die klimati- schen Verhältnisse in Innenräumen möglichst realitätsnah (Temperatur, Luftfeuchte und -austausch) in spezi- ellen Prüfkammern simuliert.

Die Vielzahl der Verbindungen und Verbindungsklassen überraschte die Fachleute, da sowohl der Vor- strich als auch der Gummirücken der untersuchten Teppichböden im Grun- de genommen nur aus den chemi- schen Verbindungen Butadien und Styrol aufgebaut sind. Diese beiden Grundbausteine werden durch den Vulkanisationsvorgang miteinander vernetzt und gleichzeitig aufge- schäumt, wobei der eigentliche Gum- mischaumrücken entsteht. Auf der Suche nach der Quelle für die ande- ren Emissionsprodukte — zum Bei- spiel die relativ hohen Toluolkonzen- trationen — zeigte sich, daß das zur Herstellung eingesetzte großtechni- sche Styrol mit einer Vielzahl von ver- wandten Verbindungen, den Alkyl- benzolen, verunreinigt ist. Andere der nachgewiesenen Chemikalien er- klären sich durch die Beimischung von Latex, das den Vulkanisations-

prozeß beschleunigt und als Alte- rungsschutzmittel dient. Während die Konzentration flüchtiger Verbindun- gen, wie zum Beispiel Toluol, inner- halb weniger Tage rasch abnimmt, können andere Verbindungen noch nach Wochen in den Ausgasungen nachgewiesen werden.

Auch wenn die bei den Untersu- chungen festgestellten Chemikalien- konzentrationen vergleichsweise ge- ring sind und weit unterhalb der Grenzwerte liegen, die an gewerbli- chen Arbeitsplätzen erlaubt sind, bleibt die Frage offen, ob die Ausga- sungen aus Teppichböden gesund- heitlich unbedenklich sind, da über die Wirkung von organischen Verbin- dungen in geringen Konzentrationen und insbesondere über die Wirkung von komplexen Chemikaliengemi- schen noch zu wenig bekannt ist.

Vor einigen Jahren haben sich die deutschen und ein Großteil der eu- ropäischen Hersteller von Teppichbö- den zusammengeschlossen und für ih- re Ware ein Gütesiegel „schadstoffge- prüft" herausgegeben. Die Aussage- kraft dieses Gütesiegels ist allerdings umstritten. So garantieren die Her- steller von Teppichböden zwar, daß ihre Materialien frei von Penta- chlorphenol und Asbest sind. Das ist jedoch in Deutschland ohnehin be- reits gesetzlich vorgeschrieben.

Außerdem werden die meisten der in dem Forschungsvorhaben ge- messenen Chemikalien von den Be- stimmungen des Gütesiegels nicht er- faßt. Wünschenswert ist, daß für die Herstellung von Teppichböden künf- tig reinere Ausgangsstoffe eingesetzt werden, um die Ausdünstungen zu re- duzieren. Damit würde sich die Be- schreibung der Qualität eines Tep- pichbodens nicht nur durch seine Ma- terialeigenschaften, wie Strapazier- fähigkeit oder Gehkomfort, sondern auch durch seine geringen Ausdün- stungen von Chemikalien auszeich- nen. EB von ihren Bewohnern als nicht ver-

äußerbares Erbeigentum übernom- men werden. Nach der Wiederverei- nigung bezog die Bundeswehr das ehemalige NVA-Gelände.

Anspruch auf Rückerstattung des gesamten ehemaligen Gutsbesit- zes machte nunmehr die Kassenärzt- liche Vereinigung Mecklenburg-Vor- pommern als Rechtsnachfolgerin der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands geltend. Geplant sei, so Dr. Dietrich Thierfelder, Vorsitzen- der der KV Mecklenburg-Vorpom- mern, auf dem Gelände in Kooperati- on mit anderen KVen eine offene Be- gegnungsstätte einzurichten, die ins- besondere der Zusammenarbeit mit Gesundheitspolitikern Osteuropas dienen solle.

Von der Oberfinanzdirektion als Vermögenszuordnungsstelle wurde der Anspruch der KV Mecklenburg- Vorpommern jedoch nicht aner- kannt, weil keine „Funktionsnachfol- ge" zu erkennen sei, und der Grund- besitz teils der Bundeswehr, teils der Gemeinde zugesprochen. Über den gegen diese Entscheidung eingeleg- ten Einspruch der Kassenärztlichen Vereinigung wird nun das Verwal- tungsgericht in Greifswald zu ent- scheiden haben.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärzteb11995; 92: A-1588-1591 [Heft 22]

Fundstellen zu den kursiv gesetzten Zitaten:

(1) Rundschreiben Nr. 16 der KVD vom 7.

Mai 1935. — (2) „Alt-Rehse-Lied", Deutsches Ärzteblatt, 1936, S. 26. — (3) „Alt-Rehse. Be- richt über den Kurs vom 26. Mai bis 6. Juni", Deutsches Ärzteblatt, 1935, S. 635. — (4) Paul Sperling, PG Äskulap (unveröffentlichtes Manuskript), S. 26. — (5) Aussage von Kurt Blome, stellvertretender Reichsärzteführer, im. Rahmen des Nürnberger Ärzteprozesses, 5. Dezember 1946. — (6) Ansprache von Hans Deuschl bei der feierlichen Eröffnung von Alt-Rehse, Deutsches Ärzteblatt, 1935, S.

560. — (7) Einführungsvortrag zu den Kursen in Alt-Rehse, Deutsches. Ärzteblatt, 1935, S.

563ff. — (8) Deutsches Ärzteblatt, 1937, S.

10. — (9) Deutsches Ärzteblatt, 1935, S.

567. — (10) Rundschreiben Nr. 21 der KVD vom 27. Mai 1935. — (11) Deutsches Ärzte- blatt, 1936, S. 8. — (12) Paul Sperling, PG As- kulap (unveröff. Ms.), S. 25f. — (13) Schrei- ben des Arztes zit. bei Paul Sperling, PG As- kulap (unveröff. Ms.), S. 46.

Anschrift des Verfassers:

Thomas Gerst Ottostraße 12 50858 Köln

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Ausgasungen

durch Teppichböden

Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 22, 2. Juni 1995 (49) A-1591

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