DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
PRA
D
urch die L-Dopa-The- rapie ist die Parkinson- krankheit erfolgreich behandelbar geworden — den- noch muß heute (dreißig Jah- re nach den ersten Erfolgs- meldungen) über eine Modi- fikation dieses Therapiean- satzes nachgedacht werden, so Prof. Dr. Werner Poewe, Universitätsklinikum Rudolf- Virchow, Berlin. Der Grund:Nach mehrjähriger (Größen- ordnung fünf Jahre) chroni- scher L-Dopa-Therapie ent- wickeln weit mehr als die Hälfte der Parkinsonpatien- ten Spätkomplikationen:
Wirkschwankungen und Dys- kinesien.
Infolge Schwankungen der L-Dopa-Wirkung kommt es dann unter der Therapie zu einem erneuten Durchbruch der Parkinsonsymptomatik, wobei die Situation noch er- schwert wird durch zwar pas- sagere, aber oft gravierende Dyskinesien, die den Patien- ten nicht zuletzt wegen der sozialen Stigmatisierung enorm belasten. Dies wurde durch Videoaufnahmen von Parkinsonpatienten deutlich, die Prof. Poewe bei einem von Asta veranstalteten Fach- pressegespräch Anfang Juni in München zeigte. Die Dys- kinesien treten nach Einnah- me der L-Dopa-Tabletten auf, bis sich die durch das Medikament induzierte Be- weglichkeit auf ein optimales Maß eingependelt hat.
Die Pathophysiologie der L-Dopa-Spätkomplikationen ist nicht abschließend geklärt.
So bleibt unter anderem zu untersuchen, inwieweit die Dyskinesien durch die Thera- pie induziert werden oder ob sie nicht eventuell auch mit der dopaminergen Grunder- krankung in Zusammenhang stehen könnten.
Die Fluktuationen der L- Dopa-Wirkung sind, wie Poe- we erläuterte, in der Regel nicht auf eine nachlassende Ansprechbarkeit der Dopa- min-Rezeptoren zurückzu- führen, sondern vielmehr dürfte eine diskontinuierliche Rezeptorstimulation die Ur- sache sein. Um diesem Pro- blem zu begegnen, werden
verschiedene Wege verfolgt:
Um die Wirkung von L-Dopa zu verstärken beziehungswei- se eine persistierende Wir- kung zu erzielen, werden zum einen sogenannte direkte Do- pamin-Agonisten und zum anderen MAO-B-Hemmer zusätzlich eingesetzt. Den- noch wird in der Regel bei Patienten mit Spätkomplika- tionen eine Verkürzung des Dosisintervalls von L-Dopa erforderlich, und es reagieren auch nicht alle Betroffenen auf diese Therapiemaßnah- men. Neue galenische Syste- me, die eine kontinuierliche Rezeptorstimulation ermögli- chen sollen, befinden sich derzeit erst in der präldini- schen Entwicklung oder sind in Deutschland noch nicht zu- gelassen.
L-Dopa kombiniert mit Selegilin
Den pathophysiologischen Hintergrund für den Einsatz von MAO-B-Hemmern beim Morbus Parkinson erläuterte Prof. Dr. Peter Riederer, Universitätsklinik Würzburg, beim Fachpressegespräch in München: Das Monoamin Dopamin wird durch Mono- aminoxidase (MAO), und zwar in erster Linie durch die Monoaminoxidase B desami- niert, wobei Wasserstoffsu- peroxid (H 202) entsteht. Ak- kumuliert H202 — infolge ver- mehrter Synthese und/oder reduzierter Entgiftung —, kön- nen chemisch aggressive Ra- dikale entstehen, welche die Zellmembranen destabilisie- ren und bei chronischer Ein- wirkung letztlich zerstören.
Und genau in diese Rich- tung geht die Radikalhypo- these, derzufolge bei der dem Parkinson zugrundeliegenden Degeneration dopaminerger Zellkörper in der Substantia nigra membrantoxische Radi- kale eine Rolle spielen könn-
ten. Entsprechende Hinweise liegen vor: So findet sich beim Morbus Parkinson eine redu- zierte Aktivität 11 202-entgif- tender Enzyme. Und außer- dem ist in der Substantia nig- ra pars compacta eine erhöh- te Konzentration von Eisen nachweisbar, das mit H 202 unter Bildung des zytotoxi-
Werner Poewe
schen Hydroxylradikals rea- giert, wobei dieser Prozeß durch das in dieser Hirnregi- on vorhandene Melanin in ei- ner Art Circulus vitiosus auf- recht erhalten wird.
Durch MAO-B-Hemmer werden Dopamin-Abbau und gleichzeitige H 202-Produkti- on unterdrückt. Prof. Riede- rer hält deshalb eine Kombi- nation von L-Dopa mit Sele- gilin (Movergan®) — dem in dieser Indikation klassischen MAO-B-Hemmer — insofern für sinnvoll, als unter der L- Dopa-Therapie die Desami- nierungsreaktion wegen des erhöhten Substratangebots verstärkt abläuft.
Wichtige Fragen, die es zu klären gilt: Sind MAO-B- Hemmer, frühzeitig gegeben, in der Lage, den natürlichen Verlauf der Parkinsonkrank-
heit im Sinne einer Neuro- protektion zu beeinflussen?
Und läßt sich durch die frühe kombinierte Gabe von L-Do- pa und Selegilin das Auftre- ten von L-Dopa-Spätkompli- kationen verhindern?
Bei der Fachpressekonfe- renz in München wurden ver- schiedene Studien ins Feld geführt: In einer ersten, offe- nen und retrospektiv durch- geführten Studie wurde unter dem MAO-B-Hemmer Sele- gilin eine verlängerte Überle- benszeit beschrieben, wobei allerdings die Vergleichbar- keit der Kollektive fraglich ist. In einer daraufhin initiier- ten kontrollierten Studie an einem allerdings kleinen Kol- lektiv fand sich unter Selegi- lin ein verlängertes Zeitinter- vall zwischen Diagnose und Notwendigwerden der L-Do- pa-Therapie. Gleichzeitig war die mittlere jährliche Krank- heitsprogression verlangsamt.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch die Zwischenaus- wertung einer zweiten kon- trollierten Studie an achthun- dert Patienten: Notwendig- werden von L-Dopa sowie Berufsunfähigkeit lassen sich demzufolge durch den MAO- B-Hemmer Selegilin um meh- rere Monate hinauszögern.
Die endgültigen Ergebnisse dieser sogenannten DATA- TOP-Studie werden mit Spannung im nächsten Jahr erwartet. Auch zur Frage, ob sich durch die frühere Gabe von MAO-B-Hemmern die L- Dopa-Spätkomplikationen verhindern lassen, liegen po- sitive Hinweise aus klinischen Studien vor.
Ein neuroprotektiver Ef- fekt von MAO-B-Hemmern beim Morbus Parkinson kön- ne derzeit zwar noch nicht als schlüssig bewiesen gelten, weshalb eine allgemeine The- rapieempfehlung noch ver- früht erscheine, so die Exper- ten beim Fachpressegespräch in München. Die Studiener- gebnisse seien aber sehr in- teressant, und bei der indivi- duellen Therapieentschei- dung sei sehr wohl zu erwä- gen, ob ein MAO-B-Hemmer eingesetzt werden sollte.
Ulrike Viegener Modifikation der Therapie des M. Parkinson
Besitzen MAO-B-Hemmar
einen neuroprotektiven Effekt?
A-2518 (88) Dt. Ärztebl. 88, Heft 28/29, 15. Juli 1991