VARIA HEILBADER UND KURORTE
Die Kur hat es schwer
Es läßt sich nicht überse- hen: Die Kur hat es nicht leicht in Deutschland Die ei- nen bestreiten ihr die Wirk- samheit und fordern Quali- tätskontrollen; andere ver- dächtigen sie, nur ein ver- kappter „Urlaub auf Kran- kenschein" zu sein („Kur- laub"); wieder andere finden sich in den Definitionen der verschiedenen Kurformen nicht zurecht. Und die Kuror- te reagieren empfindlich auf Kostendämpfungsmaßnah- men der Politik. Das müssen sie auch, weil sie ja kaum Ausweichmöglichkeiten ha- ben, falls etwa in Kureinrich- tungen Arbeitsplätze verloren gehen sollten.
Beim diesjährigen Deut- schen Bädertag in Bad Füs- sing brachte der Vorsitzende des Wirtschaftverbandes Deutscher Heilbäder und Kurorte, Rudolf Forcher (er ist selbst Kurdirektor in Bad Waldsee), diese Zusammen- hänge auf die griffige Formel:
„Kur ist nicht Tourismus — aber der Kurort braucht auch Tourismus".
Das sieht man schon an den Übernachtungszahlen des Jahres 1992, die jetzt für die zweihundertsechzig west- deutschen Kurorte vorliegen:
von 116 Millionen Übernach- tungen entfielen nur etwas mehr als 40 Prozent auf Kur- gäste.
9,4 Millionen Gäste blie- ben jeweils länger als vier Nächte in einem Kurort. Von ihnen erhielten aber nur 1,5 Millionen dazu Leistungen aus der Sozialversicherung.
Man schätzt, das etwa weitere 1,5 Millionen eine medizini- sche Kur aus eigener Tasche bezahlten. Die oft gerade in der Kurdiskussion erhobene Forderung nach Eigenbeteili- gung ist also schon in vielen Fällen erfüllt.
Andererseits rechnete der Vertreter des Bundesverban- des der Innungskrankenkas- sen (die Innungskrankenkas- sen sind federführend für alle Spitzenverbände der Kran-
kenkassen bei Kurmaßnah- men) vor, was für uner- wünschte Folgen die schon seit dem Gesundheits-Re- formgesetz von 1989 gekürz- ten Leistungszuschüsse der Krankenkassen für Kuren ge- habt haben. Während man sonst überall das Ziel verfolgt
„so viel ambulant wie mög- lich, so viel stationär wie nö- tig", ist die Entwicklung bei den Kuren genau umgekehrt:
1988 entfielen noch fast die Hälfte der Ausgaben der ge- setzlichen Krankenkassen für Kuren auf ambulante Kuren;
1992 waren es nur noch 15 Prozent. Diese Entwicklung, nämlich die wesentlich stär- kere Inanspruchnahme von stationären Kurmaßnahmen, hat die gesetzlichen Kranken- kassen von 1988 bis 1992 Mehrausgaben von 780 Mil- lionen DM gekostet. Und nach den bisherigen Erkennt- nissen hat sich diese Entwick- lung auch im Jahr 1993 fort- gesetzt.
Zukunft der Kur Und wiederum anderer- seits bestätigten alle beim Deutschen Bädertag anwe- senden Politiker dem Kurwe- sen eine wichtige Rolle im modernen Gesundheitswesen und damit auch eine Zukunft.
Der bayerische Minister für Arbeit, Familie und Sozial- ordnung, Dr. Gebhard Glück, meinte, ein Kuraufenthalt könne wichtige Grundlagen legen für mehr Eigeninitiative und Vorsorge für die eigene Gesundheit. Ministerialrätin Dr. Elisabeth Rauterberg vom Bundesgesundheitsmini- sterium stellte die chroni- schen Erkrankungen heraus, die man mit Hilfe der Kur vorsorglich möglichst vermei- den oder aber bei denen man mit rehabilitierenden Maß- nahmen die Folgen abmil- dern könne Ministerialdirek- tor Karl Jung vom Bundesar- beitsministerium forderte ei- ne stärkere Einbindung der
Baden bei Frost unter freiem Him- mel: Das Thermal- wasser in Bad Birnbach hat 38 Grad (Indikation:
Rheuma- und Wir- belsäulenerkran- kungen).
Kurorte in die wohnortnahe Rehabilitation.
Daß das gesamte Kurwe- sen vor neuen Herausforde- rungen steht, unterstrich auch der Präsident des Deut- schen Bäderverbandes, Dr.
med. Christoph Kirschner.
Man werde sich insbesondere darauf einzustellen haben, daß die chronischen und die durch Zivilisationsschäden bedingten Erkrankungen wei- ter zunehmen, so daß langfri- stig Maßnahmen der Vorsor- ge und der Rehabilitation im Gesundheitswesen immer größeres Gewicht bekommen.
Dabei müßte aber angesichts der geänderten gesundheits- und sozialpolitischen Rah- menbedingungen genau un- terschieden werden zwischen der Kur zur Krankenbehand- lung, der Kur zur Bekämp- fung von Risikofaktoren und dem Aufenthalt in einem Kurort zur allgemeinen Ge- sundheitsförderung. Der Deutsche Bäderverband wol- le daher die Kurindikationen nach medizinischen Kriterien noch straffer fassen, die Kri- terien der Kurbedürftigkeit genauer erforschen und die Qualitätssicherung auch zum Beispiel durch kurergänzen- de Maßnahmen fördern; da- bei denkt man etwa an Semi- nare für die Kurvorbereitung und die Kurnachsorge.
In einem Positionspapier
„Gesundheit 2000" hat der
89. Deutsche Bädertag noch einmal definiert, wie er die Kuren im modernen Gesund- heitswesen sieht: „Die mo- derne Kurortmedizin ergänzt mit besonderen Therapiever- fahren (Funktions- und Re- gulationstraining) die Akut- krankenhäuser und das Sy- stem der niedergelassenen Ärzte in der Grundversor- gung, übernimmt Aufgaben der Prävention, der Behand- lung chronischer Krankhei- ten, der Akutnachsorge, der Rehabilitation und hilft Pfle- gebedürftigkeit zu verhin- dern, indem sie Leistungsre- serven auch im Alter akti- viert. Schließlich stärkt sie die Selbstverantwortung des Pa- tienten durch mehr Hilfen zur Selbsthilfe."
Nach Meinung des Deut- schen Bäderverbandes kön- nen Kuren auch erheblich zur Kosteneinsparung beitragen, denn: „Es werden weniger Me- dikamente benötigt, Abhän- gigkeiten vermindert, krank- heitsbedingte Fehltage redu- ziert, die Erwerbsfähigkeit kann verlängert und die Früh- berentung kann hinausgescho- ben werden... Kuren verbes- sern aber auch das Wissen über chronische Krankheiten und Risikofaktoren, verschär- fen das Gesundheitsgewissen, aktivieren Selbstheilungskräf- te und helfen mit, chronifizie- rendes Verhalten zu durch- brechen." gb Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 48, 3. Dezember 1993 (83) A1 -3257