Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 28–29½½½½17. Juli 2000 AA1929
S E I T E E I N S
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b sie mit der rot-grünen Bundes- regierung zufrieden sei, wurde die Geschäftsführerin der Arbeits- gemeinschaft der Verbraucherver- bände (AgV) während einer Presse- konferenz am 5. Juli gefragt. Anne- Lore Köhne nickte und bekräftigte,„dass es aufwärts geht mit dem Ver- braucherschutz“.
Noch im Sommer rechnet sie zum Beispiel mit einem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Änderung des Schadensersatzrechts.
Köhne betonte jedoch, dass nach wie vor eine erhebliche Verbesse- rung der Haftung für Arzneimittel und Medizinprodukte überfällig sei.
Sie erinnerte an die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses „HIV- Infektionen durch Blut und Blutpro- dukte“ im Jahr 1994. Viele Opfer von HIV-verseuchten Blutkonser-
ven seien mit der Tatsache konfron- tiert worden, dass im Einzelfall nicht nachweisbar war, wer die kontami- nierten Blutkonserven geliefert hat- te. Folglich kam es vor Gericht nur schleppend zu Vergleichen oder Verurteilungen.
Die Verbraucherverbände ver- langen nach wie vor, dass ein Haf- tungsfonds im Bereich Arzneimit- tel/Medizinprodukte eingerichtet wird. Er soll eintreten, wenn der konkrete Schädiger nicht ermittel- bar ist. Daneben soll Geschädigten die Möglichkeit einer Gruppenklage eingeräumt werden.
Passend, aber wohl zufällig teilte das Bundesgesundheitsministerium am 6. Juli mit, dass am 7. Juli neue Vorschriften zur Qualitätssicherung der Anwendung von Blut und Blut- produkten in Kraft treten (siehe Be-
kanntgaben, DÄ 27/2000). Sie sehen unter anderem eine detaillierte an- wendungs- und chargenbezogene Do- kumentation und die Aufzeichnung von anwendungsbezogenen Wir- kungen und Nebenwirkungen vor.
Thomas Isenberg, Referent für Gesundheitsdienstleistungen bei AgV, hat dies als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. Er betreffe aber nur Blut und Blutpro- dukte. Der Verband will auch mehr als eine lückenlose Dokumentati- on. Ein potenziell Geschädigter müsse Anspruch darauf haben, re- levante Unterlagen einzusehen – beim Hersteller eines Arzneimittels und bei der Zulassungsbehörde.
Bleibt abzuwarten, wie zufrieden die Regierung die Verbraucherver- bände in diesen Punkten noch stim- men wird. SSaabbiinnee RRiieesseerr
Verbraucherrechte
Lob für Rot-Grün
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r war prägend für die sozialde- mokratische Sozial- und Gesund- heitspolitik in den letzten 18 Jahren wie kaum ein anderer – ganz in der Tradition seiner Vorgänger im Bun- destag, Eugen Glombig und Profes- sor Ernst Schellenberg: Rudolf Dreßler (59) tritt nach der parla- mentarischen Sommerpause sein Amt als Botschafter in Israel an.Dreßler, MdB aus Wuppertal, war seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestages und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Eigens hatte der Bundestag am 6. Juli einen gesonderten Tagesordnungspunkt zum Thema „Stärkung des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft durch Weiterentwicklung des Sozi- alstaats und mehr Gerechtigkeit“
beantragt. Dreßler, der so viele Op- positionsjahre als Chef-Sopo durch- kämpft, ja durchlitten hatte, sollte
Gelegenheit haben zu seiner Ab- schiedsrede – der 140. Rede vor dem Parlament, für jenen sozialde- mokratischen Politiker, der stets durch umfassende Sachkenntnis, wortgewaltige Rhetorik und unver- biegbare Gesinnungstreue überzeu- gen konnte.
Rudolf Dreßler hatte seine
„Hausmacht“ bei der Arbeitneh- merschaft. Wenn es um Reformpro- bleme der Renten- und Krankenver- sicherung ging, um Arbeitnehmer- rechte und die Mitbestimmung – stets beanspruchte Dreßler die Mei- nungsführerschaft, und er versicher- te sich den Rückhalt der auf ihn hörenden Gesinnungsgenossen. Oft rieb er sich mit seinem christde- mokratischen Widerpart, Norbert Blüm, doch blieb es nicht verbor- gen, dass es zwischen beiden viele Gemeinsamkeiten gab. Neoliberale
Ideen und wettbewerbliche Denk- muster in der Gesundheitssicherung waren ihm suspekt. Für ihn war ein aktiver Staat in der Sozialpolitik mehr als eine grundgesetzliche Ver- pflichtung. Dennoch haftet Dreßler der Ruf eines Traditions-Sozialde- mokraten an, der in Gerhard Schrö- ders Neuer Mitte nicht mehr zu Hause war.
So war es denn für Dreßler zwar schmerzlich, aber in der politischen Gesamtkonstellation nicht verwun- derlich, dass er im „Modernisierer- Kabinett“ Schröders keinen Platz fand. Ein bloßer Nein-Sager und Bremser war Dreßler indes nicht. Er hat der Gesundheitsstrukturreform von 1992 und der Pflegeversiche- rung von 1995 seinen Stempel aufge- drückt – obgleich die damals amtie- renden Minister Blüm und Seehofer hießen. DDrr.. rreerr.. ppooll.. HHaarraalldd CCllaaddee