A 1936 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 39|
28. September 2012 Das Fach Sportmedizin verstehtsich als Querschnittfach, so dass sich an ein sportmedizinisches Lehr- buch zu Recht hohe Erwartungen knüpfen, nicht nur im Hinblick auf theoretisch-wissenschaftliche und praktisch-organisatorische Grund- lagen, sondern ebenso auf Leis- tungs-, Breiten- und Gesundheits- aspekte unter Berücksichtigung vieler Bevölkerungsgruppen (etwa Kinder, Heranwachsende, Erwach- sene, Ältere, beide Geschlechter, Behinderte). Präventive, therapeuti- sche und rehabilitative Aspekte müssen Berücksichtigung finden, ebenso wie alle medizinischen Fachdisziplinen einschließlich an- grenzender Gebiete (Sportwissen- schaften, Ernährung, Psychologie).
Dies sind mit Sicherheit hohe An- sprüche, die nur im Team zu bewäl- tigen sind (28 namhafte Autoren verschiedener Fachrichtungen der Sporthochschule Köln und auswär- tiger Institutionen), wobei die Her - ausgeberin ohnehin das Studium SPORTMEDIZIN
Fundiertes Lehrbuch
der Sportwissenschaft mit dem der Medizin kombiniert hat.
Das Lehrbuch imponiert glei- chermaßen durch die äußere Auf- machung, die einheitliche Gliede- rung und Darstellung der einzelnen Kapitel, die Vielzahl an Abbildun- gen, Tabellen und Merksätzen, die übersichtliche Präsentation und die beigefügte Literatur zu den einzel- nen Kapiteln. Prof. Richard Rost, der Begründer des Lehrbuchs, hat zwar eine für die damaligen Mög- lichkeiten sehr anerkennenswerte,
vorbildhafte Vorarbeit geleistet (erste Auflage), seine Tochter, Prof.
Christine Graf, bringt das Lebens- werk ihres Vaters in der zweiten, völlig überarbeiteten und erweiter- ten Auflage auf einen Höhepunkt, geeignet gleichermaßen zum Studi- um und zur Lehre, zur Vorbereitung auf die eigene körperliche Ertüchti- gung mit Ausblicken auf zu erwar- tende Adaptationen der einzelnen Organsysteme und zur Information für Beratungen und Ratschläge.
Das Lehrbuch dokumentiert in ge- eigneter Weise die Qualität sportme- dizinischer Forschung in Deutsch- land und die Umsetzung daraus ge- wonnener Kenntnisse in die Praxis.
Ihm ist eine weite Verbreitung nicht nur unter Studierenden, son- dern gleichermaßen unter Thera- peuten, Wissenschaftlern und zum Privatgebrauch zu wünschen, ins - besondere unter dem Aspekt, wie wichtig in zwischen mäßige, regel- mäßige körperliche Ertüchtigung für die Gesunderhaltung, Wiederge- sundung, Krankheitsvermeidung und Krankheitsbewältigung international eingeschätzt wird. Klaus Jung Christine Graf (Hrsg.): Lehrbuch Sportmedizin.
2. Auflage, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 2012, 918 Seiten, gebunden, 69,95 Euro
ChristineGraf (Hrsg): LehrbuchSpo
gewertet. Er konzentriert sich auf den Zeitraum von 1792 bis 1822, in dem Friedrich Benjamin Osiander die Anstalt leitete. Die Problem- und Konfliktfelder, wie sie in der feministisch orientierten Ge- schichtswissenschaft vielfach the- matisiert worden sind (akademi- sche/männliche und traditionelle/
weibliche Geburtshilfe, der medizi- nische Blick auf die Frauen, die Ambivalenz zwischen sozialer Für- sorge und dem Interesse für Lehre und Forschung), werden hier sehr differenziert und quellenfundiert behandelt. Darüber hinaus zeichnet die Studie ein Stück Universitäts - geschichte nach, einschließlich der Auseinandersetzungen um finan- zielle Ressourcen und der Konkur- renz unter Kollegen. Zudem gelingt es dem Autor in beeindruckender Weise, durch teils minutiöse Re- konstruktionen einzelner Geschich- ten ein Panorama damaliger Le- benswelten entstehen zu lassen.
Irmtraut Sahmland Jürgen Schlumbohm:
Lebendige Phantome.
Ein Entbindungshospital und seine Patientinnen 1751–1830. Wallstein, Göttingen 2012, 574 Seiten, gebunden, 34,90 Euro
Accouchieranstalten boten oftmals die erste Gelegen- heit, in die medizinische Ausbildung ein praktisches Element (Bedside-Teach - ing) zu integrieren. So wurde an der neuen und auf moderne Standards be- dachten Universität Göt- tingen 1751 eine erste Ent- bindungsanstalt auf deut- schem Boden eingerichtet, die sich von eher unschein- baren Anfängen zu Ausgang des Jahrhunderts zu einem „Acchou- chierpalast“ entwickelte. Medizin- studenten einerseits und Hebammen- schülerinnen andererseits wurden hier theoretisch, vor allem aber auch praktisch in der Geburtshilfe unterwiesen. Zu Übungszwecken dienten künstliche Maschinen, so- genannte Phantome, an denen ver- schiedene Kindslagen, der regelge- MEDIZINGESCHICHTE
Panorama damaliger Lebenswelten
rechte Durchtritt des Kindes durch den Geburtskanal, aber auch Kom- plikationen und die geburtshilfli- chen Maßnahmen zu deren Bewälti- gung demonstriert werden konnten.
Weitaus wertvoller waren jedoch Beobachtungen und der aktive Ein- satz bei der Leitung realer Geburten.
Die Schwangeren, die sich zur Auf- nahme in das Hospital meldeten, waren in aller Regel ledige Frauen.
Oftmals auf sich allein gestellt, wur- den ihnen hier unentgeltlich Unter- kunft und Verpflegung, Unter - stützung und Hilfe zugesichert. Im Gegenzug mussten sie sich zu Unterrichtszwecken zur Verfügung stellen; sie dienten gewissermaßen als „lebende Phantome“.
Jürgen Schlumbohm hat das um- fangreiche Material des Göttinger Entbindungshospitals, in dessen Zentrum die Institutstagebücher stehen, intensiv analysiert und aus-