A 1764 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 35–36|
3. September 2012STUDIEN IM FOKUS
Der monoklonale humanisierte An- ti-CD52-Antikörper Alemtuzumab war in einer großen Phase-II-Studie (CAMMS223) bei nicht vorbehan- delter schubförmig-rezidivierender multipler Sklerose (MS) nach 3 Jah- ren deutlich wirksamer gewesen als Interferon beta-1a (IFN), was Be- hinderung und Häufigkeit von Re- zidiven betraf. Nun liegen Daten ei- ner angebotenen Verlängerung der Behandlung vor, die von 68 % der Alemtuzumab- und 42 % der IFN- Patienten angenommen wurde. Die über 5 Jahre gemittelte jährliche Rezidivrate betrug 0,11 unter Alem- tuzumab und 0,35 unter IFN, eine Verringerung des Risikos um 69 % durch den Antikörper (p < 0,0001).
Ähnlich wurde die Zunahme der Behinderung durch Alemtuzumab um 72 % reduziert (p < 0,0001), ohne signifikante Unterschiede zwi- schen den Antikörperdosierungen.
Für die Sicherheitsanalyse stan- den Daten aus 988 Patientenjahren Antikörpertherapie und 376 Pa - tientenjahren IFN-Behandlung zur Verfügung: Schwere Infektionen wurden bei 7 % bzw. 3 % dieser Patienten beobachtet, Störungen des Schilddrüsenstoffwechsels bei 30 % bzw. 4 %. Bei der initialen Therapie waren bei 3 % der Patien- ten unter Alemtuzumab und 0,9 % unter IFN Immunthrombozytope- nien aufgetreten, weshalb die Stu- die 3 Jahre unterbrochen wurde. In der Verlängerungsstudie wurde die- se Komplikation nicht beobachtet.
Ein Patient erkrankte unter Alemtu- zumab am Goodpasture-Syndrom.
Fazit: Das Nebenwirkungsprofil von Alemtuzumab entspricht den bekannten Toxizitäten. Die thera- peutische Überlegenheit von Alem- tuzumab gegenüber IFN hält wahr-
scheinlich länger als drei Jahre an, auch wenn diese Schlussfolge- rung durch die hohe Zahl von
„Drop-outs“ in der IFN-Gruppe eingeschränkt wird. Autoimmuner- krankungen, seltene, aber schwere Nebenwirkungen des Antikörpers, können behandelt und bei früher Diagnose vermieden werden. Prof.
Dr. med. Bernhard Hemmer, Mün- chen, kommentiert: „Die Gabe von Alemtuzumab nach dieser Phase- II-Langzeitstudie ist eine hochef - fiziente und wahrscheinlich lang- fristig wirksame Therapie der schubförmig remittierend verlau- fenden MS, sie geht aber auch mit relevanten Nebenwirkungen ein- her.“ Allerdings blieben die bisher unveröffentlichten Ergebnisse der Phase-III-Studien im Hinblick auf die Verhinderung der Krankheits- progression etwas hinter den Er- wartungen zurück. Josef Gulden
Coles AJ, et al.: Alemtuzumab more effective than interferon α-1a at 5-year follow-up of CAMMS223 clinical trial. Neurology 2012; 78:
1069–78.
MULTIPLE SKLEROSE
Antikörper ist Interferon langfristig überlegen
Ob Statine vor der Entwicklung eines Offenwinkelglaukoms schüt- zen, wird kontrovers diskutiert. Das Offenwinkelglaukom ist eine häufi- ge Augenerkrankung: eine durch erhöhten Augeninnendruck, aber auch durch vaskuläre Faktoren be- dingte Neuropathie des Sehnervs.
Eine Autorengruppe der University of Michigan hat jetzt die Datenbank eines Managed-Care-Networks aus- gewertet und dabei die Entwicklung von 524 109 Patienten mit Hyper - lipidämie unter dem Aspekt der Glau - kominzidenz und der Progression eines schon bestehenden Glaukoms analysiert. Erfasst wurden unter- schiedliche Statine – am häufigsten wurden Atorvastatin und Simva - statin verordnet – und Lipidsenker anderer Wirkstoffklassen.
Die kontinuierliche Einnahme von Statinen über zwei Jahre senkte das Risiko, an einem Glaukom zu erkranken, um 8 %. Mit jedem Monat der Statineinnahme sank die Wahrscheinlichkeit einer Glaukom- diagnose um 0,3 %. Auch das Risiko einer Progression vom Glaukomverdacht – bei dem der Ophthalmologe engmaschige Kon- trollen empfehlen würde – zu mani- festem Glaukom, d. h. einem thera- piebedürftigen Befund, nahm mit jedem Monat der Statinexposition gegenüber nicht mit diesen Wirk- stoffen behandelten Patienten glei- chen ophthalmologischen Status um 0,4 % ab. Bei bereits fortge- schrittenen Glaukomen senkten die Statine nicht die Notwendigkeit einer Laserintervention oder einer
Glaukomoperation. Lipidsenker, die nicht zur Klasse der Statine ge - hören, hatten keinen vergleichbaren Einfluss auf Glaukominzidenz und -progression. Lediglich in der Re- duktion der Glaukommedikationen waren beide Gruppen vergleichbar.
Fazit: Statine haben antiglauko - matöse Effekte. Mögliche Mecha- nismen sind Hochregulierung der endothelialen Stickstoffmonoxid- synthase, eines Enzyms, das zur Vasodilatation und einer verbesser- ten retinalen und choroidalen Per - fusion führt, und ein neuroprotekti- ver Effekt, der auf eine Hemmung der glutamatinduzierten Zytotoxi - zität in Zuständen von Ischämie be- ruhen dürfte. Dr. med. Ronald D. Gerste
Stein JD, Newman-Casey PA, Talwar N, et al.:
The relationship between statin use and open- angle glaucoma. Ophthalmology 2012, online publiziert am 21. Juni, doi: 10.1016/j.ophtha.
2012.04.029.
OPHTHALMOLOGIE