A 618 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 12|
25. März 2011TESTSTREIFEN FÜR DIABETIKER
Ausschluss für zahlreiche Patienten
Typ-2-Diabetiker, die kein Insulin spritzen, müssen Teststreifen in Zukunft in der Regel selbst bezahlen. Die Diskussion über diese Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses wird vor allem den niedergelassenen Ärzten überlassen.
D
ie Krankenkassen überneh- men künftig – von Ausnah- men abgesehen – nicht mehr die Kosten für Harn- und Blutzucker- teststreifen bei Typ-2-Diabetikern, die kein Insulin spritzen müssen.Das hat der Gemeinsame Bundes- ausschuss (G-BA) entschieden. Der Beschluss tritt frühestens im vierten Quartal 2011 in Kraft. Für Patien- ten, die auf Insulin angewiesen sind, gilt diese Einschränkung nicht. Ihnen dürfen weiterhin Test- streifen verordnet werden.
Bei nichtinsulinpflichtigen Dia- betikern ist dies ausnahmsweise zulässig, wenn ihre behandelnden Ärzte eine Blutzuckerselbstkontrol- le wegen einer instabilen Stoff- wechsellage für sinnvoll halten.
Dies kann beispielsweise bei der Ersteinstellung oder der Umstel- lung auf ein neues Präparat der Fall sein, ebenso aber, wenn der Patient an einer weiteren Krankheit leidet.
Zur Begründung erklärte der G-BA-Vorsitzende, Dr. Rainer Hess, in der Vergangenheit habe es „einen deutlichen Missbrauch“ bei der Ver- ordnung gegeben. Er räumte aller- dings ein, die Neuregelung sei noch nicht zufriedenstellend für Personen, die beruflich zu einer selbstständigen Kontrolle ihres Blutzuckers gezwun- gen seien, beispielsweise Berufs- kraftfahrer. Sie sollen die Kosten für Teststreifen, circa 500 Euro pro Jahr, in Zukunft selbst tragen.
Die Ausgaben für Teststreifen sind zusammengerechnet kein geringer Posten der gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV). Jährlich wird nach Angaben des G-BA bundesweit mehr als eine Milliarde Euro mit Blutzuckerteststreifen umgesetzt.
900 Millionen Euro davon werden als Kassenleistung abgerechnet. „Die Blut- und Urinzuckerselbsttestung nützt vor allem den Herstellern sol-
cher Teststreifen und nicht den nichtinsulinpflichtigen Typ-2-Diabe- tikern“, urteilte der GKV-Spitzenver- band. Wolfgang Kaesbach, Leiter der dortigen Abteilung Arznei- und Hilfsmittel, kritisierte die langjährige Praxis, Diabetikern die notwendigen Geräte kostenfrei zu überlassen. „Die Teststreifenhersteller haben sich ge- dacht: ,Wir verschenken die Geräte und schauen, ob die Krankenkassen die Teststreifen bezahlen‘– was wir ja auch reichlich getan haben.“
Grundlage des Ausschlusses ist eine Bewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Die Wissen- schaftler hatten sechs Studien aus- gewertet und keine positiven Aus- wirkungen auf Morbidität und Mor- talität gefunden.
Dr. med. Nikolaus Scheper, Pres- sesprecher des Berufsverbandes
der Niedergelassenen Diabetologen, stellt auf Anfrage klar: „Es ist bis- her schon so, dass Diabetiker, die nicht insulinpflichtig sind, nur in sehr reduziertem Umfang Teststrei- fen verordnet bekommen sollen.“
Mit dem Beschluss ist der Verband grundsätzlich einverstanden, vor al- lem wegen der Ausnahmeregelun- gen – mit einer Einschränkung: Im- mer mehr jüngere Typ-2-Diabetiker müssten nach Schepers Meinung eher engmaschig kontrolliert wer- den, weil sich die Krankheit rasch verschlechtern und dies für Kraft- fahrer oder Maschinenführer ge- fährlich werden könne. Dass man diese Gruppe ausgeschlossen habe, sei vielleicht formal korrekt, aber die falsche Entscheidung.
Ob es nun Diskussionen mit Pa- tienten in den Praxen geben wird?
Ganz sicher, sagt Scheper, das sei nach solchen Beschlüssen immer so: „Es ist üblich bei den Kassen, dass sie solche schlechten Nach- richten für Patienten nicht selbst verkünden, sondern den Weg über die niedergelassenen Ärzte wäh- len.“ (Siehe auch „Medizin nach Kassenlage?“ in diesem Heft).
Bei Patientenorganisationen stieß die Entscheidung auf Kritik. Tho- mas Danne, der Präsident der Deut- schen Diabetes-Gesellschaft, kriti- sierte das zugrundeliegende Gut - achten als unzureichend. Zudem sei die Blutzuckerselbstkontrolle ein unverzichtbarer Bestandteil einer strukturierten Diabetes schu lung und stärke den selbst ver antwortlichen Umgang der Pa tienten mit ihrer Er- krankung. Die Ausnahmeregelungen reichen Danne nicht, da instabile Stoffwech sel lagen durch die Be- stimmung der Langzeitblutzucker- werte in den Praxen nicht feststell-
bar seien. ■
Dr. rer. nat. Marc Meißner, Sabine Rieser Manchem Diabe -
tiker wird die G-BA- Entscheidung weh- tun: Um Ausgaben von 900 Millionen Euro jährlich zu verringern, wird die Ver ordnung von Teststreifen einge- schränkt.
Foto: dpa