Das Gesetz
zur Strukturveränderung der sozialen
Krankenversicherung
ist überflüssig, ja schädlich
Die Vorstände von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bun- desvereinigung gaben am 18. Februar die nachfolgende Stellungnah- me zum Inhalt der von der Bundesregierung am 16. Februar 1977 beschlossenen Gesetzesentwürfe zur Renten- und Krankenversiche- rung ab:
Nach Auffassung der Vorstän- de von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundes- vereinigung muß in unserem gegliederten Sozialversiche- rungssystem die finanzielle Leistungsfähigkeit jedes Zweiges für sich allein durch geeignete Maßnahmen gesi- chert werden. Systemfremde Eingriffe und ihre Folgen wir- ken dem erklärten Ziel einer Kostendämpfung entgegen.
Die Ausgabenentwicklung in der Krankenversicherung im Jahr 1976 hat gezeigt, daß es eines mit zahlreichen struk- turverändernden Maßnahmen verbundenen Gesetzes zur Kostendämpfung nicht be- darf. Dies gilt für das Kassen- arztrecht genauso wie für die beabsichtigte Gleichschal- tung der Ersatzkassen, den Trend zur Einheitsversiche- rung und die verfassungswid- rige Existenzbedrohung ins- besondere der freien gemein- nützigen Krankenhäuser.
Die Kassenärztliche Selbst- verwaltung hat in der jüng- sten Vergangenheit gemein- sam mit den anderen Beteilig- ten in der sozialen Kranken- versicherung ihre Fähigkeit zu erfolgreichen kostendämp- fenden Maßnahmen in Frei- heit und Selbstverantwortung bewiesen. Die Bereitschaft hierzu besteht auch für zu- künftig notwendige Regelun- gen. Die Vorstände gehen da- von aus, daß das gleiche für die übrigen Partner in der so- zialen Krankenversicherung zutrifft.
Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesverei- nigung appellieren daher ein- dringlich an Bundesrat und Bundestag, diese Bereitschaft der Ärzteschaft in der weite- ren Behandlung der Gesetz- entwürfe zu berücksichtigen und überflüssige, ja schäd- liche Eingriffe in das organi- sche System unserer geglie- derten Sozialversicherung zu verhindern. BÄK/KBV
Die Information:
Bericht und Meinung
verbesserungen" bezeichneten Ein- griffe, zum Beispiel:
C) das eigenständige Gestaltungs- recht der Ersatzkassen wird durch Finanzausgleich und Einheits-Be- wertungsmaßstab gleichgeschaltet.
Gleichgeschaltet wird sogar der Be- reich der freien Heilfürsorge bis hin zu Untersuchungen zur Durchfüh- rung der Wehrpflicht.
() Durch einen Finanzausgleich un- ter den einzelnen Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen wird die Finanzhoheit der Selbstverwaltung und damit das Recht, über die Ver- wendung der Beiträge zu entschei- den, weitgehend beseitigt: Damit wird die Selbstverwaltung ihrer we- sentlichen Aufgabe entkleidet.
C) Durch bundeseinheitliche „Emp- fehlungen" über die Entwicklung der Honorarzahlungen der Kranken- kassen an die Ärzte und Zahnärzte wird eine weitere Einschränkung auf dem Gebiet der Selbstverwaltung vorgenommen. Die vorgesehene Bindung der Empfehlungen an den Jahreswirtschaftsbericht — unab- hängig von den notwendigen Lei- stungen des Arztes und Zahnarztes!
— muß sich leistungsfeindlich aus- wirken; sie entspricht damit in kei- ner Weise unserer auf Leistung auf- bauenden Wirtschaftsordnung.
Diese Ergebnisse des Expertenge- sprächs beweisen zur Genüge, daß die in der Öffentlichkeit hochge- spielte Honorardiskussion — an de- ren Verfälschung als „Einkommens- diskussion" sich nicht zuletzt auch Bundesarbeitsminister Herbert Eh- renberg kräftig beteiligt hat — die tatsächlichen Gesetzesziele ver- schleiert. Beske, vor der Presse dar- auf angesprochen, wertete das als Ablenkung auf einen „Nebenkriegs- schauplatz".
Ein Konzept für das Gesundheitswe- sen müsse umfassender ansetzen.
Grundsätzlich könne an Leistungen nur erbracht werden, was auch be- zahlt werden könne. Das bedeute:
Anpassung des Leistungsrahmens der gesetzlichen Krankenversiche- rung an die zur Verfügung stehen- den Mittel unter ordnungsgemäßer
Honorierung der Leistungen, die dann zu erbringen seien. Hier die Prioritäten zu setzen sei Aufgabe des Parlaments und nicht Sache der Beteiligten. Beske kritisierte damit indirekt auch das Konzept der Bun- desregierung; das ja wesentlich zum Inhalt hat, die Selbstverwaltungen der Ärzte und Kassen zu „Sparkom- missaren" zu degradieren, um den Staat von dieser unangenehmen Aufgabe zu befreien.
Der „Frankfurter Kreis" will sich be- reits in Kürze wieder treffen (voraus- sichtlich Ende März), um Näheres über ein konzertiertes Vorgehen und die bereits am 20. Februar erkenn- bare Alternative zu erörtern und zu beschließen. Dann sollen auch die Versicherungsträger mit von der Partie sein — sofern sie an einer sy- stemkonformen Weiterentwicklung des Gesundheitswesens interessiert sind. NJ
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 3. März 1977 559