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Archiv "„Operation Hernia“ in Afrika: Hilfe von Bürger zu Bürger" (07.10.2011)

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A 2090 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 40

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7. Oktober 2011

„OPERATION HERNIA“ IN AFRIKA

Hilfe von Bürger zu Bürger

Kölner Chirurgen haben in Ghana Patienten operiert, die zum Teil seit Jahrzehnten an Leistenbrüchen litten. Die Ärzte haben die großen Hilfsorganisationen umgangen, weil sie nachhaltig helfen wollen.

D

ie Versorgung eines Leisten- bruchs stellt in Deutschland kein Problem dar. In der Regel wird der Patient zeitnah operiert und kann sofort oder innerhalb weniger Tage die Klinik oder die chirurgi- sche Praxis verlassen. Ganz anders sieht dies in den meisten Ländern Afrikas aus. Dort gibt es viel zu we- nige Chirurgen, mit der Folge, dass sich die Brüche enorm vergrößern können und erhebliche Schmerzen verursachen. Dadurch können in der Regel die betroffenen Männer ihrer meist körperlich belastenden Arbeit nicht mehr nachgehen, oder sie ster- ben an unbehandelten eingeklemm- ten Leistenbrüchen, da viel zu weni- ge Krankenhäuser in den ländlichen Gebieten diese Operation anbieten.

Die internationale Hilfsorganisa- tion „Operation Hernia“ hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Arten von Bauchwandbrüchen in Entwick- lungsländern zu behandeln, in de- nen dies einheimischen Kräften nicht möglich ist. Die Patienten werden von örtlichen Gesundheits- helfern vordiagnostiziert und vor- bereitet. Über Rundfunk, lokale Zeitungen oder Aushänge wird die Bevölkerung über die Ankunft der Experten unterrichtet.

15 Millionen Menschen müssten behandelt werden

Bislang hat „Operation Hernia“ 29 Missionen mit Teams aus Großbri- tannien, Griechenland, Spanien, Ita- lien, Belgien, Polen, Tschechien, aus den Niederlanden, Südafrika und Deutschland koordiniert. Die meisten Teams stellte bisher Großbritannien, wo die Organisation im Jahr 2005 von dem international renommier- ten Hernienchirurgen Prof. Dr. An- drew Kingsnorth gegründet wurde.

„Operation Hernia“ arbeitet eng mit den offiziellen medizinischen

Einrichtungen des jeweiligen Ein- satzlandes zusammen. Die interna- tionalen Teams werden von Opera- teuren geleitet, die nachweislich mehr als 350 Hernien pro Jahr ope- rieren. Alle medizinischen Helfer

werden in den jeweiligen Ländern offiziell registriert. Die von den Teams durchgeführten Operationen und deren Resultate werden doku- mentiert, kontrolliert und wissen- schaftlich ausgewertet. Die einge- setzten medizinischen Instrumente, Medikamente und Materialien müs- sen europäischen Standards entspre- chen. Damit soll auch unter schwie- rigen hygienischen und räumlichen Verhältnissen eine adäquate Versor- gungsqualität sichergestellt werden.

New York hat mehr Ärzte aus Ghana als das Land selbst

In Afrika warten rund 15 Millionen Menschen auf die Versorgung ihres Bauchwandbruches. Die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr ist mit einer Inzidenz von 150/100 000 Einwohner genauso so hoch wie in Europa. Bezogen auf Ghana er- kranken pro Jahr 35 000 Menschen an einem Leistenbruch. Die Präva- lenz ist jedoch zehnmal höher als in Europa. In Ghana warten rund 300 000 Menschen auf eine Her- nienoperation. Dieser Umstand ist damit zu erklären, dass dort etwa 50 ausgebildete Chirurgen 22 Mil- lionen Menschen versorgen müs- sen (Chirurgendichte 1 : 400 000).

Die ghanaischen Chirurgen sind aber fast ausschließlich in den gro- ßen Städten tätig. Damit findet eine chirurgische Versorgung der ländlichen Bevölkerung praktisch nicht statt.

Von den derzeit in Ghana regis- trierten 1 700 Ärzten arbeiten 1 150 in der Hauptstadt Accra, die 2,9 Millionen Einwohner zählt. Dort beträgt die Arztdichte mithin 1 : 5 624, während sie im Norden des Landes bei 1 : 45 568 liegt (Ghana Health System 2007). Zum Vergleich: Deutschland weist eine Arztdichte von 1 : 285 aus (Statisti- sches Bundesamt 2009).

Der Ärztemangel verschärft sich noch dadurch, dass zwei Drittel der Ärzte Ghana innerhalb der ers- ten drei Jahre nach der Approbati- on verlassen, um im Ausland zu ar- beiten, weil sie dort mehr verdie- nen. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass in New York mehr Ärzte aus Ghana arbeiten als in Ghana selbst.

„Operation Hernia“: Die kleinen Patienten sind die nächsten, die im OP des Baptist Mission Hospital von den Chirurgen aus Deutsch- land operiert werden. Ein Pfleger sorgt mit einer Fliegenklatsche für störungsfreies Arbeiten.

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A 2092 Deutsches Ärzteblatt

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7. Oktober 2011 Das erklärte Ziel der Weltge-

sundheitsorganisation (WHO) ist es, weltweit eine Arztdichte von 1 : 435 zu erreichen. Würde man diesen Maßstab auf die Ausbil- dungs- und Auswanderungssituati- on der Ärzte in Ghana anlegen, bräuchte das Land 36 Jahre, um die- ses WHO-Ziel zu erreichen. Die meisten Ärzte müssen deshalb chir - urgische und geburtshilfliche Tätig- keiten übernehmen, auch wenn sie dafür nicht ausgebildet wurden. Vor diesem Hintergrund ist es erklärtes Ziel der Operation Hernia, einhei- mische operative Ärzte in den mo- dernen Techniken der Hernienchi- rurgie zu unterrichten.

Die WHO schätzt die Kosten für eine Leistenbruchoperation in ei- nem Entwicklungsland auf 74 US- Dollar. Unser Team von „Operation Hernia“ aus Köln, das im Juni 2010 zwei Wochen lang Patienten in Na- lerigu, im Norden Ghanas, operiert hat, finanzierte das OP-Material mit Hilfe zweier Wohltätigkeits-Kon- zerte und durch großzügige Materi- alspenden der Industrie.

Obwohl die Industrie das Team auch mit Netzen ausgestattet hatte, lag der Preis pro Netz immer noch zwischen 30 und 221 Euro. Damit war klar, dass sich nach Abzug des Teams nur wenige Patienten in Afri- ka diese Netze würden leisten kön- nen. Um eine nachhaltige Hilfe in Gang zu setzen und sicherzustellen, dass sich die Patienten das Material auch nach dem Abzug der Helfer leisten können, wurden während der OPs auch Moskitonetze einge- setzt. Diese Netze aus Polyethylen, die zusammen mit den chirurgi- schen Instrumenten sterilisiert wur- den, kosten weniger als einen Cent.

Die Schwestern und Pfleger sind kompetent und bemüht

Die meisten Operationen mussten in Lokal- oder Spinalanästhesie durchgeführt werden, da im Kran- kenhaus von Nalerigu kein Sauer- stoff zur Verfügung stand. Bei den Patienten handelte es sich überwie- gend um Männer und Kleinkinder.

Die Schwestern und Pfleger wa- ren sehr kompetent und bemüht, wenn auch der Hygienestandard nicht europäischen Ansprüchen ent-

sprach. So war ein Pfleger immer mit einer Fliegenklatsche ausgestattet, um die Fliegen vom Operationsfeld oder dem Gesicht des Operateurs zu verjagen. Trotz dieser für Europäer befremdlichen Situation traten bei den 137 operierten Patienten keine postoperativen Infektionen auf.

Beeindruckend war die Duld- samkeit der Patienten. Weder die Kinder noch die Erwachsenen zeig- ten Angst und ertrugen manchmal auftretende Schmerzen nahezu he- roisch. Drei Patienten aus dem rund 100 Kilometer entfernten Burkina Faso nahmen einen fünftägigen Fußmarsch auf sich, als sie von un- serer Ankunft hörten, um endlich operiert zu werden. Einen Tag spä-

ter verließen sie die Klinik wieder in Richtung Burkina Faso. Ein wei- terer Patient mit einer massiven Hy- drozele konnte von sechs Litern Flüssigkeit in seinem Skrotum be- freit werden und war nach 20 Jah- ren endlich wieder in der Lage, sich normal auf einen Stuhl zu setzen.

Die Länder Afrikas sind Opfer ihrer politischen Eliten

Warum ist Hilfe von Bürger zu Bür- ger sinnvoll? Offiziell haben die Staaten Afrikas ihre Souveränität auf internationaler Ebene in den Sechzigerjahren erlangt. Aber die- ser veränderte juristische Status be- deutete nicht das Ende der wirt- schaftlichen Ausbeutung. Die da- mals entstandenen neuen politischen Eliten bemächtigten sich durch bru- tale Unterdrückung der Ressourcen und exportierten diese ins Ausland.

Die Einnahmen aus den Verkäufen der Bodenschätze wurden zur eige- nen Bereicherung oder für Waffen- käufe verpulvert und nicht in die Entwicklung des Landes gesteckt.

Dies führte zum schleichenden Ruin des Länder Afrikas, da die Arbeits- kraft der benachteiligten Schichten verschwendet, Handwerk und Me- tallindustrie zerstört wurden. Ge- sundheits- und Schulsysteme wur- den nicht weiterentwickelt, da die politischen Eliten sich dort selbst nicht behandeln lassen und ihre Kin- der zur Ausbildung lieber in die In- dustriestaaten schicken.

Das Kölner Team hat sich für seinen Hilfseinsatz bewusst keiner großen Organisation angeschlos- sen, weil Entwicklungshilfe oft nur den Gebern und Nehmern nützt und beide kein Interesse an einer Verän- derung der Verhältnisse haben. Es geht letztendlich nur darum, die afrikanischen Eliten zu umwerben, um an deren Rohstoffe zu gelangen.

Hier bilden die aufstrebenden Staa- ten wie Indien, Brasilien und China neben den ehemaligen Kolonial- mächten keine Ausnahme. Dem Team ging es darum, eigenverant- wortlich Direkthilfe zu leisten – von Bürger zu Bürger – unter weit- gehender Umgehung der existieren- den Eliten auf beiden Seiten.

Dr. med. Karl-Heinz Moser, Prof. Dr. med. Markus Heiss, Jürgen Meyer*

Abseits der großen Städte im Norden Ghanas liegt Nalerigu. Es mangelt an Ärzten, mit der Folge, dass sich Beschwerden enorm verschlimmern können.

Fotos: Marion Koell

*Moser (Leiter des Hernienzentrums Köln- Merheim). Heiss (Chef- arzt der Viszeral-,Ge- fäß- und Transplanta - tionschirurgie der Uni- versitätsklinik Witten- Herdecke) und Meyer gehörten dem Operati-

onsteam aus dem Kli- nikum Merheim in Köln an, das im Juni 2010 in Nalerigu Pa- tienten mit Leistenher- nien operiert hat.

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