KAPITEL 5
Kombinatorische Geometrien
Beispiele von
”Geometrien“ wurden schon als Inzidenzstrukturen (z.B. pro- jektive Ebenen) gegeben. Wir nehmen hier einen anderen Standpunkt ein und verstehen unter einer
”Geometrie“ zun¨achst eine Grundmenge M, auf der eine
”Abh¨angigkeitsstruktur“ gegeben ist. Diese Begriffe k¨onnen unter verschiedenen Aspekten spezifiziert werden.
1. H ¨ullensysteme und Abschlussoperatoren
EinH¨ullensystemist eine FamilieHvon TeilmengenH ⊆M derart, dass (HS1) M ∈ H.
(HS2) \
H0∈H0
H0 ∈ H f¨ur alleH0 ⊆ H.
Hist also stabil unter beliebigen Durchschnitten und enth¨alt die Grundmen- geM. H definiert einenH¨ullenoperator (oderAbschlussoperator) auf der Potenzmenge vonM:
S → S =∩{H ∈ H |S ⊆H} ∈ H.
Offenbar gilt
S =S ⇐⇒ S ∈ H.
Die Mengen H heissen deshalb auch abgeschlossen. Die (Halb-)Ordnung (H,⊆) der abgeschlossenen Mengen ist ein Verband (H,∨,∧) mit den Operationen
H1∨H2 = H1 ∪H2
H1∧H2 = H1 ∩H2 = H1∩H2.
EX. 5.1. Die Potenzmengen sind trivialerweise H¨ullensysteme. Die linearen Teilr¨aume eines Vektorraums bilden ein H¨ullensystem. Aber z.B. auch die Menge aller konvexen Teilmengen desRn bildet ein H¨ullensystem. Ebenso die Menge aller Polyeder inRnetc.
Wir machen f¨ur die weitere Diskussion in diesem Kapitel die Annahme, dass die GrundmengeM endlich ist. Ein H¨ullensystem(H,⊆)ist dann ein
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endlicher Verband und besitzt eine Rangfunktion
r(H) = max{k | ∃Hi ∈ Hso, dassH0 ⊂H1 ⊂. . .⊂Hk =H}, die in nat¨urlicher Weise auf die Potenzmenge von M fortgesetzt werden kann:
r(S) =r(S) f¨ur alleS ⊆M . Offenbar gilt nun f¨ur allea ∈M:
a ∈S ⇐⇒ r(S∪a) = r(S).
Das heisst:
• Das H¨ullensystemHist durch seine Rangfunktionr:P ot(M)→ Neindeutig bestimmt:
S =∪{a∈M |r(S∪a) =r(S)}.
Man beobachtet nun sofort:rist0-normiertundstark monotonim folgen- den Sinn. F¨ur alle TeilmengenS ⊆T ⊆M und Elementea∈M gilt:
(RF.0) r(∅) = 0 ;
(RF.1) r(S∪a)≥r(S);
(RF.2) r(T ∪a)> r(T) =⇒ r(S∪a)> r(S).
LEMMA 5.1. SeiM eine endliche Menge,r :P ot(M)→Neine Funktion mit den Eigenschaften (RF.0)-(RF.2) und
S ={a∈M |r(S∪a) =r(S)} f¨ur alleS ⊆M . Dann istH={S|S ⊆M}ein H¨ullensystem.
Beweis. Da r eine monotone Funktion ist, gilt offenbarM = M und deshalb M ∈ H. Seien nun H1, H2 ∈ H und H = H1 ∩H2. Wir m¨ussen H ∈ H nachweisen und betrachten dazu ein beliebigesa∈M\Hmitr(H∪a) =r(H).
WegenH1, H2 ∈ Hund (RF.2) wissen wir, dassa∈H1unda∈H2gelten muss.
Also haben wira∈Hund schliessen somitH ∈ H.
1.1. Geometrische Rangfunktionen. Wollen wir die Rangfunktion r eines H¨ullenoperators
”geometrisch“ interpretieren k¨onnen, so erwarten wir sicher, dass die Hinzunahme eines weiteren Punktesa zu einer Teilmenge Sden Rang allenfalls um1erh¨oht, d.h.
(RF.3) r(S∪a) = r(S) oder r(S∪a) =r(S) + 1.
Unter einer geometrischen Rangfunktion verstehen wir deshalb eine nor- mierte stark monotone Funktion r mit der Eigenschaft (RF.3) (d.h. eine Funktion mit den Eigenschaften (RF.0)-(RF.3)).
1. H ¨ULLENSYSTEME UND ABSCHLUSSOPERATOREN 87
PROPOSITION5.1. Es sei reine geometrische Rangfunktion auf der endli- chen MengeM mit H¨ullenoperator
S →S ={a∈M |r(S∪a) = r(S)}.
Dann istrgenau die wieder aus dem H¨ullenoperator abgeleitete Rangfunk- tion.
Beweis. F¨ur die Zwecke des Beweises bezeichnen wir mitrdie Rangfunktion des H¨ullenoperatorsS→S. Sei nun die Kette abgeschlossener Mengen
∅ ⊂S1⊂. . .⊂Sk=S
derart, dassk=r(S). Dann gilt notwendigerweise f¨ur jedesa∈Si\Si−1
Si= (Si−1∪a),
dennSi−1 ⊂(Si−1∪a) ⊂Si w¨urde jar(S)≥k+ 1bedeuten. Die Eigenschaft (RF.3) garantiert nun
r(Si) =r(Si−1) + 1 d.h r(S) =k=r(Sk) =r(S). Allgemein erhalten wir deshalb: r(S) =r(S) =r(S) =r(S).
Die Eigenschaft (RF.3) ist st¨arker als (RF.1). Ist sie gegeben, so kann man geometrische Rangfunktionen auch durchSubmodularit¨at(d.h. Eigenschaft (21) im folgenden Lemma 5.2) charakterisieren, was f¨ur sp¨atere Verallge- meinerungen vorteilhaft ist.
LEMMA 5.2. Sei r : P ot(M) → N eine 0-normierte Funktion mit der Eigenschaft (RF.3). Genau dann istreine geometrische Rankfunktion, wenn gilt
(21) r(S∪T) +r(S∩T) ≤ r(S) +r(T) f¨ur alleS, T ⊆M . Beweis. Wir nehmen zun¨achst an, dassr im Sinne von (21) submodular ist, und beweisen (RF.2). In der Tat haben wir im Fall S ⊆ T wegenS = T ∩(S ∪a), T∪a=T ∪(S∪a)und der Submodularit¨at vonr
r(T) +r(S∪a)≥r(T ∪a) +r(S) d.h. r(S∪a)−r(S)≥r(T ∪a)−r(T)und somit (RF.2).
Umgekehrt nehmen wir nun an, dass r die Eigenschaft (RF.2) besitzt, und be- weisen, dass dann auch (21) gelten muss. Wir argumentieren per Induktion ¨uber n = |M|, wobei der Fall n ≤ 1 trivial ist. Sei also (21) garantiert wennimmer
|M| ≤n−1.
Im Fall S ⊆ T haben wir S ∩T = S und deshalb (21). Andernfalls gibt es ein a ∈ S mit a /∈ T. Sei S0 := S \a und folglichS ∩T = S0 ∩T. Nach Induktionsvoraussetzung (bzgl.M\a) gilt dann
r(S0∪T) +r(S∩T) ≤ r(S0) +r(T) bzw. r(S0∪T)−r(S0) ≤ r(T)−r(S∩T).
Im Fallr(S∪T) =r(S0∪T)folgt (21) sofort ausr(S0)≤r(S). Im Fallr(S∪T) = r(S0∪T) + 1haben wir wegen (RF.2) auchr(S) =r(S0) + 1und somit ebenso die G¨ultigkeit von (21).
BEMERKUNG.Es gibt von H¨ullenoperatoren abgeleitete Rangfunktionen, die zwar submodular, aber keinegeometrischenRangfunktionen im oben eingef¨uhrten Sinn sind.
EX. 5.2. M ={a, b}mit H¨ullensystemH={∅, b,{a, b}}ergibt 0 = r(∅)< r(a) = 2 6= r(∅) + 1.
(RF.3) ist also auch bei Submodularit¨at echt st¨arker als (RF.1).
Typische Beispiele von geometrischen Rangfunktion erh¨alt man so. Wir be- trachten eine Matrix A ∈ Km×n ¨uber einem K¨orper K und nehmen als GrundmengeM die Menge aller Spaltenvektoren vonA.
Einer TeilmengeS ⊆ M mit|S| =k entspricht die aus der Spaltenmenge Sgebildete UntermatrixAS ∈Km×k. Als Rangfunktion aufM w¨ahlen wir den Matrixrang:
r(S) := rgAS .
In diesem Beispiel bedeutetr(S∪a)> r(S), dass der Spaltenvektoranicht von den Vektoren inSlinear abh¨angt. Aus dem Gaussverfahren zur L¨osung linearer Gleichungen ist klar, dass der Rang einer Matrix h¨ochstens um 1 w¨achst, wenn eine weitere Spalte hinzugef¨ugt wird.
Liegt r(T ∪a) > r(T) vor, dann h¨angt a nat¨urlich auch nicht von einer UntermengeS der VektormengeT ab: r(S∪a) > r(S)(d.h. Eigenschaft (RF.2) ist erf¨ullt).
BEMERKUNG (KOORDINATISIERUNGEN). Es gibt auch geometrische Rang- funktionen, dienichtauf eine Matrixkonstruktion wie oben zur¨uckgef¨uhrt werden k¨onnen. Die Frage, wann eine solcheKoordinatisierungeiner gegebenen geome- trischen Rangfunktion m¨oglich ist, ist im allgemeinen sehr offen. Wenn man die Frage einschr¨ankt auf Koordinatisierung ¨uber einem fest vorgegebenen K¨orperK, so sind Charakterisierungen bzgl. einiger weniger endlicher K¨orper (K=GF(2), GF(3),GF(4)) bekannt.
2. UNAHH ¨ANGIGKEITSSYSTEME UND GEOMETRISCHE RANGFUNKTIONEN 89
2. Unahh¨angigkeitssysteme und geometrische Rangfunktionen Bzgl. eines H¨ullensystems mit Rangfunktion rauf der (endlichen) Menge M sagen wir, dassa∈M von der TeilmengeS ⊆M \aabh¨angt, falls
a∈S .
Dementsprechend nennen wir eine MengeI ⊆M unabh¨angig, wenn a ∈S =⇒ a /∈(S\a) (bzw. r(S\a)< r(S) ).
Mit jeder unabh¨angigen Menge I ist sicher auch jede Teilmenge I0 ⊆ I unahbh¨angig (denn a ∈ I0 ∈ I0\a impliziert ja immer a ∈ I\a). Das Mengensystem
I =I(r) ={I ⊆M |I unabh¨angig bzgl.r}
ist also ein Unabh¨angigkeitssystem (bzw. ein Simplizialkomplex).
Entfernen wir aus einer Teilmenge S ⊆ M sukzessive Elemente a ∈ S mit der Eigenschaft r(S \ a) = r(S), so erhalten wir eine unabh¨angige Teilmenge gleichen Ranges. Das heisst
r(S) = max{r(I)|I ∈ I(r), I ⊆S}.
Aus der Intuition der linearen Algebra (vgl. die aus Matrizen gewonnenen geometrischen Rangfunktionen oben) w¨urde man erwarten:
(22) r(I) = |I| f¨ur alleI ∈ I(r).
Man sieht jedoch leicht, dass im allgemeinen zwar f¨ur unabh¨angige Mengen I immer
|I| ≤r(I)
gilt, Gleichheit aber nicht unbedingt gew¨ahrleistet ist. Wir nennen deshalb die Rangfunktionrmatroidal, wennI(r)die Eigenschaft (22) besitzt. Ma- troidale Rangfunktionenrzeichnen sich also durch die Eigenschaft aus
S∈ I(r) ⇐⇒ r(S) = |S|. Alternativ haben wir die folgende Charakterisierung:
(23) r matroidal ⇐⇒ r(S) ≤ |S| f¨ur alleS ⊆M .
LEMMA 5.3. Die matroidalen Rangfunktionen sind genau die geometri- schen Rangfunktionen.
Beweis. Sei die Rangfunktionr geometrisch undI ={a1, . . . , am} ∈ I(r). Wir setzenI0 :=∅undIk:=Ik−1∪akf¨urk= 1, . . . , m. Dann haben wir
r(Ik−1)< r(Ik)< r(Ik−1) + 1 d.h r(Ik) =r(Ik−1) + 1
und folglichr(Im) = m =|I|. Ist umgekehrtrmatroidal undr(S) < r(S∪a), so existiert eine unabh¨angige MengeI ⊆SmitI =Sund
|I|=r(I) =r(S).
AusI ∪a=S∪aersehen wirr(I∪a) =r(S∪a). Also enth¨alt auchI∪aeine unabh¨angige Menge vom Rangr(S∪a), d.h.
r(S)≤r(S∪a)≤ |I∪a|=r(S) + 1.
Umgekehrt gehen wir von einem beliebigen Unabh¨angigkeitssystemI auf M aus und definieren eine FunktionrI :P ot(M)→Ndurch
rI(S) = max{|I| |I ∈ I, I ⊆S}.
Es ist klar, dassrIdie Eigenschaften (RF.0), (RF.1) und (RF.3) besitzt. Also finden wir:
LEMMA 5.4. Die durch das Unabh¨angigkeitssystemI definierte Funktion rI ist die Rangfunktion eines H¨ullensystems genau dann, wenn rI matro- idal ist. Ist rI matroidal, dann ist I genau das zugeh¨orige System der un- abh¨angigen Mengen.
2.1. Die Steinitzsche Austauscheigenschaft. Istreine matroidale Rang- funktion auf M, dann weisen die MengenI = I(r)eine Erweiterungsei- genschaft auf, die alsAustauscheigenschaft von Steinitzbekannt ist:
(SA) Sind I, J ∈ I Mengen mit |I| ≤ |J| − 1, so existiert ein a∈J \I derart, dass I ∪a∈ I .
Wegenr(I) = |I| < r(J)existiert n¨amlich (mindestens) eina ∈ J mitr(I) <
r(I∪a) =r(I) + 1. Also mussI∪aunabh¨angig sein.
Umgekehrt gehen wir nun von einem beliebigen Unabh¨angigkeitssystemI aufM aus und definieren zu jedemS ⊆M
rI(S) := max{|I| |I ∈ I, I ⊆S}. Damit haben wir bewiesen
3. KOMBINATORISCHE GEOMETRIEN UND MATROIDE 91
SATZ 5.1. Das Unabh¨angigkeitssystems I aufM gen¨ugt genau dann der Steinitzeigenschaft (SA), wenn die zugeh¨orige Funktion rI einen H¨ullen- operator aufM definiert.
3. Kombinatorische Geometrien und Matroide
Unter einerkombinatorischen Geometrieverstehen wir eine (endliche) Men- ge M zusammen mit einer geometrischen Rangfunktion r mit der Eigen- schaft
r(a) = 1 f¨ur allea ∈M.
BEMERKUNG (MATROIDE UND SCHLINGEN). Setzen wir nur eine geome- trische Rangfunktion r voraus, so ist (M, r) ein Matroid. Ein Element a ∈ M mit
r(a) = 0 (d.h. a∈ ∅)
heisst dannSchlinge(auf englisch:loop), eine Sprechweise die durch die graphen- theoretische Interpretation sp¨ater klarer werden wird. Wir haben im vorhergehen- den Abschnitt gesehen: Matroide entsprechen genau den Unabh¨angigkeitssyste- men, welche die Steinitzsche Austauscheigenschaft besitzen.
In einer kombinatorischen GeometrieG= (M, r)vomRang r(G) = r(M)
nennen wir die Elementea∈M diePunktevonG, abgeschlossene Mengen G=Gmitr(G) = 2Geraden.Ebenensind abgeschlossene MengenEmit r(E) = 3undHyperebenenabgeschlossene MengenH vom Rang
r(H) = r(G)−1.
Eine kombinatorische Geometrie G vom Rang r(G) = 3 ist jedoch nicht notwendigerweise eine projektive Ebene, da zwei Geraden m¨oglicherweise keinen gemeinsamen Schnittpunkt besitzen.
3.1. Restriktion und Kontraktion. IstM0 ⊆ M eine Teilmenge von M so ist die Einschr¨ankung r0 der geometrischen Rangfunktion r auf die Teilmengen vonM0 nat¨urlich eine geometrische Rangfunktion aufM0. Wir bezeichnen mit
G(M0) = (M0, r0) = G \(M \M0)
dieRestriktionder kombinatorischen Geometrie (bzw. des Matroids)Gauf M0. (Die zweite Notation soll andeuten, dass dazu die Elemente der kom- plement¨aren MengeM \M0 entfernt werden.)
BEMERKUNG.Die unabh¨angigen Mengen vonG(M0)ergeben sich als I(r0) ={I ⊆M0 |I ∈ I(r)}.
Eine weitere M¨oglichkeit, aus einer gegebenen kombinatorischen Geome- trie eine andere zu konstruieren, wird durch die Idee der Projektion der Ge- raden durch einen Punktaauf eine
”unendlich ferne Hyperebene“ gegeben.
Konkret bedeutet dies, dass wir die GeradenG, dieaenthalten, als
”Punk- te“peiner neuen geometrischen Struktur mit der Rangfunktion
ra({p1, . . . , pk{) := r({p1∪. . .∪pk})−1
auffassen. Die Konstruktion l¨auft darauf hinaus, dass wir auf der Menge M0 :=M\aeine Rangfunktionra, wie folgt, betrachten:
ra(S) := r(S∪a)−1 (S ⊆M0).
Es ist leicht zu sehen, dassra eine geometrische Rangfunktion aufM0 ist.
Wir bezeichen die entsprechende kombinatorische Geometrie mit G/a = (M0, ra)
und nennenG/adieKontraktion1vonG bzgl.a.
BEMERKUNG.Aus der Definition vonrafolgt direkt:
I(ra) ={I ⊆M\a|I∪a∈ I}.
3.2. Dekomposition. Man kann eine kombinatorische GeometrieGauf M dekomponieren, indem man der Reihe nach Elemente aus der Grund- menge entfernt und entweder die entsprechende Restriktion oder Kontrak- tion der vorangehenden Geometrie definiert. Dabei ist es irrelevant, ob wir zuerst die Restriktionen oder die Kontraktionen durchf¨uhren, d.h. im Fall A∩B =∅erhalten wir
(G \A)/B = (G/B)\A ,
denn beide Strukturen sind aufM0 =M \(A∪B)definiert und haben als Rangfunktion
rB(C) = r(C∪B) (C ⊆ M0).
1dieser Begriff erh¨alt eine anschauliche Erkl¨arung im Kontext von Graphen
4. PROJEKTIVE GEOMETRIEN 93
3.3. Invarianten. Ein kombinatorischen Geometrien (Matroiden)Gzu- geordneter numerischer Parameter t(G) heisst (Matroid)-Invariante, falls f¨ur alle Elementeader jeweiligen Grundmenge gilt:
(24) t(G) = t(G \a) +t(G/a).
EX. 5.3. Ist G = (M, r) eine kombinatorische Geometrie, so haben wir bzgl. eines jedena∈M:
|I \a| = |{I ∈ I |a /∈I}|
|I/a| = |{I ∈ I |a∈I}|
d.h. |I(r)| = |I \a|+|I/a|.
Die Anzahlt(G)der unabh¨angigen Teilmengen einer kombinatorischen Geo- metrieG ist folglich eine Invariante.
Der Wert der Invariantent(G)ist durch ihre Werte auf den kleineren kombi- natorischen GeometrienG \aundG/afestgelegt und kann deshalb rekursiv aust(∅)und der Dekompositionsstruktur vonG berechnet werden.
4. Projektive Geometrien
Einer geometrischen Sprechweise folgend heissen die abgeschlossenen Teil- mengen einer kombinatorischen Geometrie G = (M, r)auchUnterr¨aume vonG. Gilt f¨ur je zwei Unterr¨aumeS, T diemodulare Gleichung
(25) r(S∪T) +r(S∩T) = r(S) +r(T),
wirdG = (M, r)eineprojektive Geometriegenannt. Die projektiven Ebe- nen sind genau die projektiven GeometrienGvom RangG= 3.
BEMERKUNG. Die modulare Gleichung (25) wird bei projektiven Geometrien nur f¨ur Unterr¨aumevorausgesetzt. Bei (nicht abgeschlossenen) Teilmengen ist sie nicht unbedingt erf¨ullt. (Zur Erinnerung:S∪T ist der kleinste Unterraum, derS undT enth¨alt.)
Man macht sich klar:
• Die Kontraktion einer projektiven Geometrie ergibt immer eine projektive Geometrie.
• Die Restriktion einer projektiven Geometrie ist typischerweisekei- neprojektive Geometrie (aber nat¨urlich eine kombinatorische Geo- metrie).
BEMERKUNG(DIMENSION PROJEKTIVERR ¨AUME).Unter der(projektiven) Dimensioneines UnterraumsS einer projektiven GeometrieG = (M, r)versteht man die Zahl
dimS := r(S)−1. Die Elemente p ∈ M haben somit als
”Punkte“ der projektiven GeometrieG die Dimension
dimp = r(p)−1 = 0. Projektive
”Geraden“ haben Dimension1,
”Ebenen“ Dimension2usw.
4.1. Projektive Geometrien von Vektorr¨aumen. Sei V ein Vektor- raum der (Vektorraum-)Dimension dimV V = n ¨uber einem (endlichen) K¨orperKmit|K|=qElementen. Dann ist die Anzahl der Vektoren vonV
|V| = qn.
Jeder1-dimensionale Unterraump=vvonV umfasstqElemente:
v ={λv|λ ∈K} (v ∈V \ {0}).
Wir nehmen nun die Menge M ={v |v ∈V\{0}} aller1-dimensionalen Unterr¨aume von V als die Menge der Punkte(!) einer kombinatorischen GeometrieP =P(V) = (M, r), wobei wir setzen
r(S) = dimV S (S ⊆M).
Die abgeschlossenen Teilmengen der kombinatorischen Geometrie P(V) entsprechen genau den linearen Teilr¨aumen des Vektorraums V. Die (aus der linearen Algebra bekannte) Modularit¨at der Dimensionsfunktion auf dem Verband der linearen Teilr¨aume vonV zeigt:
• P(V)ist eine projektive Geometrie.
Die Grundelemente von P(V) sind bzgl. V aber nicht Vektoren sondern 1-dimensionale lineare Teilr¨aume. Die projektive(!) Dimension vonP ist
dimP(V) = dimV V −1 = n−1.
Wieviele Punkte besitzt die projektive Geometrie P? Da sich je zwei 1- dimensionale lineare Teilr¨aume vonV genau im0-Vektor schneiden, finden wir
|P| = qn−1 q−1 .
Betrachten wirV =Knals Koordinatenraum, so erhalten wir die (linearen) Hyperebenen vonV als die Mengen der L¨osungenx= (x1, . . . , xn)∈ Kn von homogenen linearen Gleichungssystemen vom Rang1:
a1x1+a2x2+. . .+anxn = 0.
4. PROJEKTIVE GEOMETRIEN 95
Also schliessen wir, dass auch f¨ur die MengeH der Hyperebenen der pro- jektiven GeometrieP(V)gilt:
|H| = qn−1
q−1 = |P|, wie wir es schon bei projektiven Ebenen kennen.