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Opioide und Krebsschmerz

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ARS MEDICI 10 2006

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F O R T B I L D U N G

Viele Krebspatienten leiden unter Schmerzen, vor allem bei fortgeschrittenem Krankheits- verlauf. Vor diesen Schmerzen haben Patien- ten nach einer Krebsdiagnose grosse Angst.

Die kompetente Anwendung von Analgetika, vor allem von Opioiden, kann mit Krebs ver- bundene Schmerzen wirksam kontrollieren.

B R I T I S H M E D I C A L J O U R N A L

Eine Krebserkrankung ist nicht zwangsläufig mit Schmerzen verbunden. Jedoch leiden mindestens zwei Drittel aller Krebs- patienten irgendwann unter Schmerzen. Die meisten von ihnen benötigen Opioidanalgetika.

Schmerz ist eine subjektive Empfindung, die von physischen, psychischen, sozialen und geistigen Komponenten geprägt wird. Die Krebsschmerztherapie wird daher nach dem ganz- heitlichen «total pain»-Konzept durchgeführt, das die Bedeu- tung aller Einflüsse berücksichtigt.

Vorrangiges Ziel der Krebsschmerztherapie ist eine zufrieden stellende Schmerzlinderung in allen Bereichen. Dazu werden zunächst Art und Ausmass der Schmerzen möglichst exakt er- fasst. Die Schmerztherapie wird entsprechend angepasst und während der Durchführung kontinuierlich auf ihre Wirksam- keit überprüft.

Sowohl der Patient als auch die ihn pflegenden Personen soll- ten auf aktuellem Wissensstand über den Gebrauch der Anal- getika informiert werden.

Das WHO-Stufenschema

Die Pharmakotherapie von Tumorschmerzen wird nach dem WHO-Stufenschema durchgeführt, das bestimmte Rahmenbe-

dingungen vorgibt, innerhalb deren die Auswahl geeigneter Schmerzmittel flexibel gestaltet werden kann.

Die meisten mit Krebs verbundenen Schmerzen können mit oral applizierten Analgetika wirksam kontrolliert werden.

Auf Stufe I wird ein Nicht-Opioid zur Schmerzkontrolle an- gewendet.

Sind diese Mittel nicht ausreichend wirksam, wird auf Stufe II zu einem schwachen Opioid gewechselt.

Erst wenn auch dieses nicht ausreichend wirkt, kommt auf Stufe III ein starkes Opioid zum Einsatz.

Zunächst wird die Maximaldosis der ausgewählten Wirkstoffe der jeweiligen Stufe verabreicht, bevor zur nächsten Stufe ge- wechselt wird. Bei Bedarf werden Co-Analgetika gegeben sowie Medikamente, um Nebenwirkungen von Schmerzmitteln zu eminimieren.

Die analgetische Pharmakotherapie nach dem WHO-Stufen- schema ist integrierter Bestandteil eines ganzheitlichen Kon- zepts zur Schmerzkontrolle bei Tumorpatienten, das auch die Behandlung der Krebserkrankung selbst sowie nichtmedika- mentöse Massnahmen umfasst.

Opioide und Krebsschmerz

■■

■ Die meisten Patienten mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung haben Schmerzen.

■■

■ Die Pharmakotherapie von Krebsschmerzen erfolgt nach dem WHO-Stufenschema.

■■

■ Morphin ist die Substanz der ersten Wahl zur Kon- trolle von moderaten und schweren Schmerzen.

■■

■ Morphin macht bei sachgerechter Anwendung nicht süchtig.

■■

■ Bei Unverträglichkeiten kann Morphin durch andere Opioide ersetzt werden.

■■

■ Falls Krebspatienten mehrere Ärzte aufsuchen, sollte ein Arzt die Kontrolle über die Verordnung von Opioi- den übernehmen.

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Einige Studien, an denen insgesamt mehr als 8000 Menschen teilnahmen, haben die Effektivität des WHO-Stufenplans für das Management der Tumorschmerztherapie bestätigt. Eine übergreifende Auswertung ergab, dass 71 bis 100 Prozent der Patienten bei korrekter Anwendung der WHO-Stufenregelung adäquate Analgetika erhalten.

10 bis 30 Prozent der Patienten sprechen auf Morphin nicht an.

Bei ihnen kann entweder keine Beeinflussung des Schmerzes erreicht werden, oder sie leiden unter massiven Nebenwirkun- gen, noch bevor eine ausreichende Dosierung erreicht wurde.

Innerhalb der medikamentösen Tumorschmerztherapie ist Morphin zur Kontrolle von moderaten bis schweren Schmerzen das Mittel der ersten Wahl. Keine Substanz hat sich bisher als wirksamer in der Schmerzlinderung erwiesen.

Orale Morphine

Orale Morphine werden so verabreicht, dass die Wirksamkeit der jeweils nächsten Dosis einsetzt, bevor die Wirksamkeit der letzten Dosis nachlässt. Die Initialdosis richtet sich nach der Schmerzanamnese.

Das übliche Zeitintervall während der Dosisfindung mit normal freisetzendem Morphin beträgt vier Stunden. Zur Behandlung von Durchbruchschmerzen wird die gleiche Vierstunden-Dosis als Bedarfsmedikation verordnet.

Kann der Schmerz mit der Anfangsdosis nicht ausreichend kon- trolliert werden, wird die Dosis alle vier Stunden um 30 bis 50 Prozent erhöht. Die Bedarfsmedikation wird ebenfalls entspre- chend erhöht. Die Behandlung von Durchbruchschmerzen kann stündlich erfolgen.

Sobald die Schmerzen des Patienten angemessen unter Kon- trolle sind und eine stabile Dosierung über 48 Stunden erreicht

wurde, wird zu einer Retardzubereitung gewechselt. Zur Thera- pie von Schmerzspitzen wird zusätzlich die Vierstunden-Dosis an Morphin in einer rasch wirkenden Galenik bereitgestellt.

Die Bioverfügbarkeit oraler Morphine variiert zwischen 15 und 60 Prozent. Dementsprechend variiert auch die effektive Schmerzdosis bei den einzelnen Patienten stark. Morphin hat keinen «Ceiling-Effekt» (also keine Dosisschwelle, oberhalb deren kein weiterer Wirkungszuwachgs stattfinden kann); hohe Dosierungen sollten jedoch vorsichtig vorgenommen werden.

Alternative Applikationsformen

Morphin und andere Opioide liegen in zahlreichen unter- schiedlichen Darreichungsformen vor. Falls eine orale Applika- tion nicht möglich ist, können Opioide auch subkutan, intrave- nös, spinal oder rektal verabreicht werden. Zur transdermalen Applikation steht vor allem das synthetische Opioid Fentanyl (z.B. Durogesic TTS®) zur Verfügung. Intramuskuläre Injektio- nen werden in der Palliativmedizin nicht vorgenommen.

Nebenwirkungen von Morphin

Häufig auftretende Nebenwirkungen von Morphin sind Ver- stopfung, Übelkeit und Erbrechen. Um diese Nebenwirkungen zu vermeiden, werden meist prophylaktisch entsprechende Be- gleitmedikamente wie Antiemetika oder Laxanzien gegeben.

Auch leichte vorübergehende Benommenheit oder leichte Be- einträchtigung des Denkvermögens können zu Therapiebeginn auftreten. Seltene Nebenwirkungen, die hauptsächlich bei spi- naler Applikation auftreten, sind Harnverhaltung oder Juckreiz.

Toxizität von Morphin

Überdosierung mit toxischen Nebenwirkungen besteht auch, wenn der Schmerz auf Opioide nicht anspricht oder eine einge- schränkte Nierenfunktion beim Patienten vorliegt. Nach einer Chemotherapie oder nach Tumorbestrahlungen kann es eben- falls vorkommen, dass der Organismus unter der Gabe von Morphin mit Vergiftungserscheinungen reagiert (Tabelle).

Warnzeichen für toxische Wirkungen sind verengte Pupillen, Halluzinationen, Erbrechen, Benommenheit, Verwirrtheit, Myoklonie oder Mikroschlaf.

Wenn Vergiftungserscheinungen auftreten, sollte die Medika- tion zunächst für eines oder mehrere Vierstunden-Intervalle aus- gesetzt werden. Dann kann man die Behandlung mit Morphin oder einem anderen Opioid in reduzierter Dosis fortsetzen.

Bei lebensbedrohlicher Atemlähmung kann der Opiumantago- nist Naloxon (Narcan®) gegeben werden. Das Medikament muss vorsichtig angewendet werden, da es die Schmerzen des Patienten verschlimmern kann.

Morphin bei eingeschränkter Nierenfunktion

Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion reagieren be- sonders empfindlich auf Opioide. Bei eingeschränkter Nieren- F O R T B I L D U N G

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Tabelle: Opioid-Toxizität

Opioid-Toxizität kann vorkommen:

■wenn die Dosissteigerung zu rasch erfolgt

■bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion

■wenn der Schmerz nicht auf Opioide anspricht

■nach einer schmerzlindernden Massnahme (z.B. Chemotherapie, Radiotherapie, Nervenblockade)

Warnzeichen sind:

■enge Pupillen

■Halluzinationen

■Erbrechen

■Verwirrtheit

■myoklonische Zuckungen

■Mikroschlafanfälle

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funktion dürfen keine Retardformen angewendet werden, son- dern ausschliesslich kleine Mengen an schnell wirkendem Mor- phin. Das Einnahmeintervall kann versuchsweise gegenüber dem Standardintervall von vier Stunden verlängert werden. Für niereninsuffiziente Patienten empfiehlt sich manchmal auch die Anwendung von Opioidalternativen, die nicht renal ver- stoffwechselt werden.

Kein Opioid kann bei eingeschränkter Nierenfunktion sicher angewendet werden, da die Gefahr einer Akkumulation von toxischen Metaboliten besteht.

Opioidwechsel

Für Patienten, die Morphine nicht vertragen, stehen eine Reihe anderer Opioide wie Hydromorphon (Palladon®) und Oxyco- don (Oxycontin®), Methadon, transdermales Fentanyl oder transdermales Buprenorphin (Temgesic®, Transtec®) zur Verfü- gung. Auch bei der Therapie mit diesen Substanzen kann die Wirksamkeit nicht genau vorhergesagt werden, da die Pharma- kokinetik individuell variiert.

Opioide und neuropathische Schmerzen

Neuropathische Schmerzen sprechen meist weniger gut auf Opioide an als nozizeptive. Zur Kontrolle von neuropathischen Krebsschmerzen werden Opioide in Kombination mit adjuvan- ten Antidepressiva und Antikonvulsiva gegeben.

Vorbehalte gegenüber Morphin

Sowohl in der Bevölkerung als auch unter Ärzten gibt es immer noch Vorbehalte gegenüber der Verwendung von Morphin. Be- denken gegenüber dem Suchtpotenzial veranlassen Mediziner manchmal dazu, Opioide gar nicht oder nur in suboptimalen Dosen zu nutzen. Die klinische Erfahrung zeigt jedoch, dass im Rahmen einer Schmerztherapie korrekt angewendetes Morphin nicht zu psychischer Abhängigkeit und Sucht führt. Quelle: Quigley, C.: The role of opioids in cancer pain. BMJ 2005; 331: 825–829.

Petra Stölting

Interessenkonflikte: keine deklariert

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