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Dein Freund, der Parasit?

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106 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2018 | www.diepta.de

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er Begriff „Para- sit“ kommt aus der griechischen Antike. Er be- zeichnete Menschen, die stell- vertretend für das Volk an Op- fermahlen teilnahmen und so auf Kosten der Allgemeinheit Speis und Trank erhielten. Spä- ter wurde der Begriff dann auf eine evolutionäre Besonder- heit der Biologie ausgeweitet:

Lebensformen, die ihren Fort- bestand auf Kosten eines Wir-

tes aufrechterhalten, ohne ihn dabei zu töten und sich selbst damit der Lebensgrundlage zu entziehen. Trotzdem kann es ungewollt dazu kommen, wenn der Wirtsorganismus zum Bei- spiel stark geschwächt ist oder der Befall mit Parasiten zu schnell zu groß wird. Ein gutes Beispiel dafür sind Bakterien, die ebenfalls zu den Parasiten gehören, und deren Befall töd- lich sein kann.

Hilfreiche Schmarotzer Warum hat die Evolution über- haupt Parasiten zugelassen? Sind sie wirklich rein egoistische Le- bensformen, nur um den eige- nen Fortbestand bemüht, ohne größeren Nutzen? Forscher sagen: Nein. Zum einen sind alle Parasiten, so lästig sie auch sein mögen, ein Teil der Nahrungs- kette. Dezimiert man sie, ver- schiebt man andere ökologische Bausteinchen – mit teilweise un- absehbaren Folgen. Zum ande-

ren sorgen sie dafür, dass die Po- pulation ihrer Wirtstiere in einem gewissen Rahmen bleibt.

Forscher glauben außerdem, dass Parasiten wesentlich zur Evolution der Lebewesen beitra- gen. Denn der ständige Kampf ums Überleben zwischen Wirten und Parasiten zwingt beide dazu, sich immer wieder zu verändern und sich dem anderen besser an- zupassen. Funktioniert diese Koevolution nicht mehr richtig, kann das schwerwiegende Fol- gen haben.

Dies zeigt beispielsweise der Zusammenhang zwischen Wurmbefall und klassischen Wohlstandskrankheiten wie Allergien oder Autoimmuner- krankungen. So war es noch vor 50 Jahren nicht ungewöhnlich, dass Kinder Würmer hatten, die vom Immunsystem jedoch in Schach gehalten wurden. Durch die verbesserte Hygiene ging der Wurmbefall in den westli- chen Industrieländern immer weiter zurück. Gleichzeitig stieg dort aber auch die Zahl der Menschen mit Allergien und Autoimmunerkrankun- gen immer weiter an. Ein mög-

PARASITEN

Dein Freund, der Parasit?

© JackF / iStock / Getty Images

PRAXIS

Nicht alle Schmarotzer sind gefährlich. Im Gegenteil, Forscher

glauben, dass wir uns mit übertriebener Hygiene wichtige „Personal

Trainer“ unseres Immunsystems verscheucht haben: Würmer.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Oktober 2018 | www.diepta.de

licher Zusammenhang besteht darin, dass Würmer im Laufe der Zeit „lernten“, unser Im- munsystem so zu beeinflussen, dass sie im Körper möglichst lange überleben. Hierzu könn- ten sie zum Beispiel das Wachs- tum sogenannter regulatori- scher T-Zellen stimulieren, die Entzündungsreaktionen durch das Ausschütten bestimm- ter Botenstoffe bremsen. Um- gekehrt könnten sie aber auch die Produktion von Immunzel- len hemmen, die Entzündungs- reaktionen fördern. Fehlen die Würmer, kann es vorkommen, dass das auf sie trainierte Im- munsystem verrücktspielt und sich nun gegen Ziele richtet, die normalerweise nicht ange- griffen würden. Im Falle von Allergien können das natürli- che Stoffe wie Pollen oder Nah- rungsproteine sein. Greift das Immunsystem hingegen die ei- genen Körperzellen an, kommt es zu Autoimmunerkrankun-

gen, also Entzündungsreak- tionen, die den ganzen Körper betreffen können. Im Umkehr- schluss würde das bedeuten, dass Würmer als Therapie gegen solche Erkrankungen eingesetzt werden könnten.

Peitschenwürmer gegen Entzündungen Ein Beispiel dafür war lange Jahre der Peit- schenwurm (Trichuris trichi- ura). Da der Mensch für diesen Fadenwurm ein Fehlwirt ist, kann er sich in ihm nicht zur Geschlechtsreife entwickeln.

Das machte man sich in der Therapie von chronisch-ent-

zündlichen Darmerkrankun- gen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn zunutze. Die ge- nauen Entstehungsmechanis- men dieser Autoimmunerkran- kungen sind noch unbekannt, daher gibt es auch noch keine ursächliche Therapie. Man kann nur die Symptome bekämpfen, wie schleimig-blutige Durch- fälle, häufigen Stuhldrang und starke Bauchschmerzen.

Auf die Idee, den Peitschen- wurm zur Therapie einzusetzen, kam man durch die Beobach- tung, dass in manchen Regio- nen von Südamerika und Afrika kaum chronisch-entzündliche Darmerkrankungen vorkom- men, die Durchseuchung mit dem Peitschenwurm aber sehr hoch ist. Im Tierversuch konnte tatsächlich ein Zusammenhang zwischen Peitschenwurmbefall und entzündlicher Darmer- krankung nachgewiesen wer- den. 1999 wurde dann der erste Erfolg beim Menschen vermel-

det: Robert W. Summers von der Universität in Cleveland, USA, stellte drei Patienten vor, denen er Peitschenwurmeier verabreicht hatte. Diese hatten sich im Dünndarm zu millime- tergroßen Würmern entwickelt, waren in den Dickdarm gewan- dert und nach einigen Wochen mit dem Stuhl ausgeschieden worden. Daraufhin besserte sich der Gesundheitszustand der Pa- tienten schlagartig, ohne dass es Nebenwirkungen gab.

Lange Zeit war diese Therapie eine große Hoffnung für Betrof- fene, und sie wurde auch mit Erfolg durchgeführt. Patienten,

die auf die herkömmliche Be- handlung nicht ansprachen, er- hielten eine Flüssigkeit mit bis zu 2500 lebenden Eiern des Schweinepeitschenwurms. Als TSO (Trichuris suis ova) sollte die Therapie auch eine Zulas- sung in Deutschland bekom- men. Dies wurde jedoch durch den Abbruch einer Studie im Jahre 2013 verhindert, die zeigte, dass die Therapie zwar sicher war, die Entzündung aber nicht wesentlich besser linderte als Placebo. Seither empfehlen die medizinischen Gesellschaf- ten die Parasitentherapie bei entzündlichen Darmerkran- kungen nicht mehr. Allerdings haben diese Ansätze dazu ge- führt, dass die Behandlung mit Peitschen- oder Hakenwür- mern heute bei anderen Erkran- kungen mit allergischer oder autoreaktiver Komponente wie Asthma, rheumatoider Arthritis oder Schuppenflechte getestet wird.

Würmer gegen Multiple Sklerose? Eine weitere Auto- immunerkrankung, bei der man erste Studien in diese Richtung durchführt, ist die Multiple Sklerose. Auch hier versucht man den Angriff des fehlgesteuerten Immunsystems auf die körper- eigenen Nervenzellen durch den Einsatz von Peitschenwürmern zu hemmen. Einen ersten Erfolg erbrachte eine kleine Studie aus dem Jahr 2007, in der argen- tinische Forscher die Erkran- kungsschübe bei Patienten mit therapeutisch durchgeführten Wurminfektionen drastisch verringern konnten. Darauf

aufbauend laufen zurzeit in Nottingham und an der Ber- liner Charité kleinere Stu- dien, in denen der Einsatz von Haken- beziehungsweise Peit- schenwürmer bei MS-Patienten getestet wird.

Nichts Genaues weiß man nicht Auch wenn es immer wieder kleinere Studien gibt – bisher ist die Wirkung einer Pa- rasitentherapie nicht aussage- kräftig belegt. Menschen, die einer ganzheitlichen, komple- mentären oder alternativen Me- dizin nahestehen, bringen die- ser Therapiemöglichkeit häufig mehr Wohlwollen entgegen.

Und die beobachteten Zusam- menhänge sind nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht ma- chen der fehlende Schmutz und die überbordende Hygiene Menschen wirklich krank – an- ders, als Parasiten dies in all den Jahrtausenden getan haben, und möglicherweise einschnei-

dender. Doch die Bestrebungen, Allergien und Autoimmun- erkrankungen zu verhindern, indem man Kinder bewusst im Dreck spielen lässt, ist sicherlich auch Augenwischerei. Denn die Umwelt hat sich mittlerweile so massiv verändert, dass ein Ur- laub auf dem Bauernhof kein Gegengewicht mehr darstellt zu all den Umweltfaktoren, die die Gesundheit in den westlichen Industrieländern negativ beein- flussen.  n

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

Parasiten können offenbar das Immun­

system ausbalancieren. Sie wollen ja schließlich,

dass ihr Wirt lange lebt.

Referenzen

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