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Die unerträgliche Leichtigkeit des Erreichbarseins

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Academic year: 2022

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www.netzwoche.ch © netzmedien ag 20 / 2014 39

Die unerträgliche Leichtigkeit des Erreichbarseins

In den sozialen Netzwerken stossen sie auf «die ewige Wiederkehr des Gleichen» und dennoch schielen Jugendliche ständig ungeduldig auf ihr Smartphone, das sie mit «neuen» Meldungen aus ihrem Freundeskreis versorgt. Der Autor schlägt einen Selbstversuch vor.

Achim Dannecker

Im Urlaub habe ich das Buch «Die unerträgli- che Leichtigkeit des Seins» von Milan Kundera gelesen. Die Handlung des Buchs bezieht sich auf die philosophischen Betrachtungen Fried- rich Nietzsches, vornehmlich auf seine Kon- zeption der ewigen Wiederkehr des Gleichen.

Nietzsche zufolge wiederholen sich alle Ereig- nisse unendlich oft. Dieses zyklische Zeitver- ständnis ist für Nietzsche die Grundlage höchster Lebensbejahung.

Fast könnte man annehmen, dass im heu- tigen digitalen Zeitalter Jugendliche, Schüler und Studierende sich dieser Philosophie der höchsten Lebensbejahung verschrieben ha- ben. Sie sind quasi 24 Stunden am Tag erreich- bar. Telefonie- und Internetflatrates, Smart- phones, Smartwatches und andere mobile Geräte unterstützen dies. Nur: Was ist es denn, das sie unablässig erreicht?

Gemeinsam einsam

Es wird quasi zu einem Automatismus, sich in zyklischen Abständen darüber zu informieren, was im sozialen Umfeld passiert. Sei es in den Pausen des Unterrichts – wenn nicht sogar während des Unterrichts –, im Nahverkehr, in der Kneipe, beim Sport auf dem Crosstrainer usw. Ständig wird ein neuer Selfie aus dem Be- kanntenkreis, werden Nachrichten, von Be- kannten empfohlene Inhalte wie Videos, Web- seiten oder Spiele konsumiert. Dabei ist es egal, ob der 97. Selfie eines Bekannten jetzt wirklich anders aussieht als die 18 davor. Oder ob die 417. Ice Bucket Challenge wirklich witziger ist als die erste – auch wenn diese Aktion einem guten Zweck dienen soll. Das ist alles egal, denn es kann einfach gemacht werden und of-

fensichtlich gehört es zum Prinzip der höchs- ten Lebensbejahung und ist somit wichtig.

Aussenstehenden erscheint diese ständige Onlinekommunikation, die im Grunde keine Kommunikation ist, bisweilen wie eine Come- dysendung. So konnte ich im meinem Urlaub beim Eisessen mit der Familie vier Jugendliche bei ihrer Interpretation von gemeinsamem Eis- essen beobachten. Die einzigen Worte, die sie aussprachen, betrafen die Bestellung des Eises.

Sie wechselten während des Eisessens kein Wort miteinander. Vielmehr kommunizierten sie über ihre sozialen Netzwerke miteinander.

Sie schossen Selfies, tauschten diese aus und kommentierten sie – ebenfalls über ihr Netz- werk. Sie waren wohl selbst überrascht, dass sie alle in derselben Eisdiele sassen.

Bis hin zum Burn-out

Man ist versucht, über solche Beobachtungen zu lächeln. Leider sind sie zunehmend Grund zur Sorge. Immer häufiger ist zu beobachten – und dies wird von Medienberichten bestätigt –, dass Jugendliche, Schüler und Studierende kaum mehr mit den aktuellen Herausforderun- gen in Schule, Lehre oder Studium klarkom- men. Zunehmend sind sie mit ihrem vernetz- ten Alltag überfordert, und immer mehr Ju-

gendliche erleiden ein Burn-out. Das ist beim oben beschriebenen «lebensbejahenden» Ge- fühl auch kaum anders zu erwarten.

Wie soll es möglich sein, sich auf Lernin- halte zu konzentrieren, wenn man seine Auf- merksamkeit nicht mehr fokussieren kann?

Wenn der ständige Drang vorhanden ist, sich online auf den neuesten Stand zu bringen. Da werden gelernte Inhalte, die mühsam ins Kurz- zeitgedächtnis gebracht wurden, ständig von neuen Inhalten aus den Netzwerken verdrängt.

Daraus entwickelt sich mit der Zeit die Erkennt- nis, dass die Wissenslücken oft gross sind, und der Druck zu Stresszeiten, wie zum Beispiel vor einer Prüfung, ist entsprechend hoch. Das liesse sich durch mehr Selbstdisziplin im Ge- brauch von sozialen Netzwerken vermeiden.

Der Selbstversuch von John Knapp

Es ist lohnenswert, sich einem Versuch zu un- terziehen, wie ihn John Knapp gewagt hat.

Dieser hat eine App nach der anderen von sei- nem iPhone deinstalliert. Kein Facebook, kein Twitter, kein Instagram mehr usw. Sein Freun- deskreis sorgte sich bereits um ihn und ver- mutete, er habe sich einen Telefonvirus einge- fangen. Bei sich selbst hatte Knapp zuvor be- obachtet, dass er mit der Fülle der Informati- onen, die er täglich konsumierte, nicht mehr zurecht kam. Die ständige Verfügbarkeit und Sucht nach Selbstbestätigung erschöpfte ihn.

Immer wenn er nichts zu tun hatte, hatte er zum Smartphone gegriffen und wenig sinn- volle Inhalte konsumiert, anstatt seinen Ge- danken freien Lauf zu lassen. Eine Woche lang enthielt er sich seiner Gewohnheiten und fühlte sich bereits am ersten Tag viel besser.

Diesem Experiment kann sich jede und jeder unterziehen. Eine Reflexion am Abend da rüber, was wichtig war, bezogen auf die In- halte aus den sozialen Netzwerken, ist zumin- dest ein guter Anfang. Hierbei könnte die Überlegung helfen, was man am nächsten Tag ausdrucken würde, weil es wichtig und so wertvoll ist, dauerhaft gespeichert zu sein. Da- bei wird sich wohl herausstellen, dass der Dru- cker weiter auf Stand-by bleibt. Ich lege mei- nen Studierenden nahe, sich diesem Selbst- versuch einmal zu unterziehen, um der uner- träglichen Leichtigkeit des Erreichbarseins zu entfliehen. Wenigstens für eine Weile.

Gemeinsam einsam: Wie die Onlinekommunikation den realen Dialog zunehmend verdrängt. Bild: Fotolia

GASTBEITRAG

Achim Dannecker ist Dozent an der Hochschule für Wirtschaft der Fach- hochschule Nord- westschweiz FHNW und Dienstleis- tungsbeauftragter am Institut für Wirt- schaftsinformatik der Hochschule.

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