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Zusammenfassende Drogenbiographie von Thomas

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 76-79)

3. Auswertung der Interviews

3.1. Thomas

3.1.2. Zusammenfassende Drogenbiographie von Thomas

Thomas ist 1971 als zweitältestes von sieben Kindern in Nordfriesland geboren. Seine El-tern hatten Landwirtschaft, ein Elektrogeschäft und betrieben Handel mit einer vor der Küste gelegenen Insel. Seine Eltern haben außer Kaffee keinerlei Drogen zu sich genom-men.

Mit sieben Jahren ist er wegen ständiger Prügelstrafen von Zuhause abgehauen und danach direkt in ein katholisches Heim gekommen. Seither hat er keinerlei Kontakt zu seiner Fami-lie mehr.

Thomas ist die Hälfte von zehn Jahren, die er in allerlei Anstalten (Erziehungsheime ver-schiedener Konfessionen, mit 8 oder 9 Jahren in eine Anstalt für Schwererziehbare und im weiteren Verlauf zwei Jahre in einer Psychiatrie) eingewiesen war, immer wieder entflohen und auf der Flucht gewesen. Er verfügt deshalb über wenig schulische Bildung und ist des Lesens und Schreibens nur mit Mühe fähig.

Mit 9 Jahren ist er auf der Flucht in ein besetztes Haus aufgenommen worden. Aufgrund der politisch instabilen Lage (Räumungsdrohungen gegen die besetzten Häuser) ist er im Laufe der Zeit in drei benachbarten norddeutschen Großstädten innerhalb der Besetzer/innenszene untergekommen.

Erste Drogenberührungen hatte er mit zehn Jahren, wo er auf der Flucht mit Berbern zu

„saufen“ begann. In einem der besetzten Häuser wurde er mit 12 Jahren beim ersten Ver-such Klebstoff zu schnüffeln ertappt, bekam sofort „eine reingebatscht“ und wurde von da an, Kraft eines Plenumbeschlusses mit Cannabis versorgt, was ihn davor bewahrte, sich das Hirn zu „verkleben“.

Thomas kiffte unregelmäßig, ehe er mit 16 Jahren zusammen mit seiner damaligen Freundin T. Heroin kennenlernte, ohne auch nur im geringsten zu ahnen, auf was er sich einließ. Die ersten Male mußte er sich dabei erbrechen, empfand aber den Turn als sehr angenehm. Bei-de konsumierten anfangs lediglich an Bei-den WochenenBei-den, an Bei-denen sie Besuch Bei-des befreun-deten Dealers (der Thomas inoffiziell101das Holzfällerhandwerk vermittelte) bekamen.

Während T. das Heroin lediglich rauchte begann Thomas noch im selben Jahr des Kennen-lernens zu spritzen.

Als T. schwanger wurde beendeten beide den Heroinkonsum, wobei er sich an keine Ent-zugssymptome erinnern kann. Nach 3 ½ Jahren ging die Beziehung zu T. auseinander und Thomas begann wieder Heroin zu nehmen. Finanziert hat er sich seine Abhängigkeit durch Schnorren102und Dealen. Zusätzlich hat er viele seiner Freunde beklaut, auch wenn diese ihm helfen wollten. In den folgenden fünf Jahren spitzte sich sein Konsum derart zu, daß er selbst von Cocktails aus aufgekochten Tabletten (Rohybnol), Heroin und Kokain nicht mehr

„breit“ wurde. Nun erlebte er den Turn auch nicht mehr als angenehm, sondern schlief

le-101Inoffiziell meint, daß er keine Lehre im üblichen Sinne durchlaufen hat, sondern durch Mitarbeit lernte.

102Anderes Wort für Betteln.

diglich sofort ein und erwachte teilweise mit noch steckender Nadel im Arm. Wenn er einen Tag lang keine Drogen nahm, wurde er „aufs übelste“ krank und auch sonst war sein Ge-sundheitszustand prekär, wodurch ihm allmählich seine Abhängigkeit bewußt wurde.

Sein schlimmstes Erlebnis dieser Zeit war das Erwachen mit akuten Lähmungserscheinun-gen nach einem Rohybnol-Heroin-Druck, die sich über fünf Wochen hinzoLähmungserscheinun-gen. Zwei der fünf Jahre versichert Thomas, hätte er die Drogen lediglich aus Angst vor dem Entzug ge-nommen.

Dann wurde er substituiert (Methadon, Polamidon), was ihm „vom Regen in die Traufe“

brachte, da fortan der Doktor sein Dealer war und der Entzug von diesen Substanzen viel schmerzlicher als der von Heroin ist. Dies wurde ihm erst bewußt, als er eine weitere Chan-ce zum Wohnen in einem der besetzten Häuser bekam und damals 23-jährig das erste Mal frei von Sucht sein wollte, es aber nicht schaffte.

Das Ende seiner Abhängigkeit begann mit einer 14-monatigen Haftstrafe für schwere Kör-perverletzung an einem Polizisten bei „Chaos-Tagen“.

Der im Gefängnis über fünf Wochen erlittene Methadonentzug war für Thomas schlimmer als jeder Heroinentzug, bei dem nach drei bis vier Tagen alle körperlichen Symptome über-wunden sind und danach lediglich die Psyche krankt.

Die Mutter seines ersten Kindes T. half ihm am meisten, clean zu bleiben, indem sie ihn di-rekt nach dem Gefängnis zu sich nach T. (Stadt in Württemberg) holte, wo er seit 1995 in einer Wagenburg lebt und mit K. zum zweitenmal Vater eines nun 1 ½ Jahre alten Sohn wurde.

Thomas ist nun seit ca. 4 ½ Jahre clean, hatte aber einen vierwöchigen Rückfall im letzten Jahr, woraufhin er sofort einen Arzt aufsuchte, um sich substituieren zu lassen. Auslöser des Rückfalls war neben einer Beziehungskrise mit K., Unzufriedenheit, Perspektivlosigkeit, Langeweile, Winterdepression und das Fehlen jedweder Beschäftigung, weshalb er sich

„wegbeamen“ wollte. Thomas hatte bis dahin seine Drogenvergangenheit vor K. verheim-licht und sie bemerkte auch seinen Rückfall nicht. Nach zweiwöchiger Substitution ereilte ihn samt Freundin K. und Sohn F. eine Magen-Darmgrippe, die er als Tarnung und Anlaß für den Methadon- bzw. Polamidonentzug nahm.

Motivation für ihn, Drogen zu entsagen ist neben der Selbstliebe und dem Selbsterhaltungs-trieb der Sinn, den er im Leben in der Wagenburgszene sieht.

Er ist froh, bis auf Hepatitis A und B mit heiler Haut davongekommen zu sein und weicht der Heroinszene aus Selbstschutz völlig aus. Die einzigen Drogen, die er weiterhin konsu-miert sind Alkohol, Tabak, Marihuana, Haschisch und gelegentlich psilocybinhaltige Pilze (nicht im Interview angesprochen).

Er hat inzwischen zwar weitere schwierige Situationen (Trennung von K., Drohung eines Bewährungswiederufs usw.) ohne zur Droge zu greifen überstanden, bezeichnet sich selbst aber nicht als clean, da er weiterhin labil sei („einmal geleckt, der weiß, wie’s schmeckt“) und die Zukunft ungewiß bleibt.

Durch die erlebten Rückfälle hat er gelernt. Physische und psychische Krisen sind für ihn klassische Einstiegsmomente. Wenn dann noch jemand kommt, der „direkt was auf Tasche“

hat, ist es schon fast geschehen. „Einmal ist einmal zu viel“, auch wenn man sich gerne selbst überschätzt und nach einiger Zeit der Abstinenz meint, man könne es ja mal wieder probieren. Dies hat bei ihm immer eine Kettenreaktion ausgelöst und er glaubt nicht an die Leute, die von einem moderaten Umgang reden und meinen ihren Drogenkonsum im Griff zu haben.

Im Dokument Selbstentzieher/innen von Heroin (Seite 76-79)